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gleichen Vortheil und haben die Eigenthümlichkeit in einem beständig zunehmenden Verhältniss fortgepflanzt, bis sie langsam die mit Geweihen versehenen Hirsche aus den von ihnen bewohnten Gegenden vertreiben.“ Treffend hat ein Kritiker diesem Berichte die Frage entgegengehalten, warum dann, wenn die einfachen Hörner jetzt so vortheilhaft sind, verzweigte Geweihe sich überhaupt jemals entwickelt haben. Hierauf kann ich nur mit der Bemerkung antworten, dass eine neue Art des Angriffs mit neuen Waffen von grossem Vortheil sein kann, wie es sich in dem Falle des Ovis cycloceros zeigte, der einen seines Kampfvermögens wegen berühmten domesticirten Widder besiegte. Wenn auch das verzweigte Geweihe eines Hirsches dem Kampfe mit Rivalen gut angepasst ist und wenn es auch ein Vortheil für die gabelhörnige Varietät sein dürfte, langsam langes und verzweigtes Gehörn zu erhalten, so lange sie nur mit andern Individuen derselben Art zu kämpfen hat, so folgt doch daraus durchaus noch nicht, dass ein verzweigtes Geweihe für das Besiegen eines verschieden bewaffneten Feindes am besten angepasst ist. In dem oben erwähnten Fall des Oryx leucoryx ist es beinahe sicher, dass der Sieg auf Seite derjenigen Antilope sein wird, welche kurze Hörner hat, welche daher nicht nöthig hat, niederzuknien, obschon ein Oryx durch den Besitz noch längerer Hörner einen Vortheil erlangen würde, wenn er nur mit seinen eigenen Nebenbuhlern kämpfte.

Männliche Säugethiere, welche mit Stosszähnen versehen sind, gebrauchen dieselben auf verschiedene Weise, wie es auch mit den Hörnern der Fall ist. Der Eber stösst seitwärts und aufwärts, das Moschusthier mit bedenklicher Wirkung abwärts;[1] trotzdem das Walross einen so kurzen Hals und einen so ungelenken Körper hat, kann es doch mit gleicher Geschicklichkeit entweder „nach oben oder nach unten oder nach den Seiten hin stossen“.[2] Wie mir der verstorbene Dr. Falconer mitgetheilt hat, kämpft der indische Elephant je nach der Stellung und Krümmung seiner Stosszähne auf verschiedene Weise. Wenn sie nach vorn und nach oben gerichtet sind, so ist er im Stande, einen Tiger eine grosse Strecke weit fortzuschleudern; man sagt selbst bis dreissig Fuss; wenn sie kurz und nach abwärts gewendet sind, sucht er den Tiger plötzlich auf den Boden zu bohren und ist desshalb in


  1. Pallas, Spicilegia zoologica. Fasc. XIII. 1779, p. 18.
  2. Lamont, Seasons with the Sea-Horses. 1861, p. 141.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)