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Ehe ich weiter gehe will ich bemerken, dass die in dieser und den zwei nächsten Classen zusammengebrachten Thatsachen so complexer Natur und die Schlussfolgerungen so zweifelhaft sind, dass Jeder, welcher nicht ein specielles Interesse an dem Gegenstande nimmt, sie lieber überschlagen mag.

Die brillanten oder auffallenden Färbungen, welche viele Vögel in der vorliegenden Classe characterisiren, können ihnen selten oder niemals als Schutzmittel von Nutzen sein, so dass sie wahrscheinlich von den Männchen durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt und dann auf die Weibchen und die Jungen übertragen worden sind. Es ist indessen möglich, dass die Männchen die anziehenderen Weibchen gewählt haben; und wenn diese ihre Charactere auf ihre Nachkommen beiderlei Geschlechts überlieferten, so wird dasselbe Resultat eintreten, wie durch die Wahl der anziehenderen Männchen seitens der Weibchen. Es sind aber einige Belege dafür vorhanden, dass diese Alternative nur selten, wenn überhaupt jemals, in irgend einer dieser Gruppen von Vögeln, bei welchen die Geschlechter allgemein gleich sind, eingetreten ist; denn selbst wenn einige von den nacheinander auftretenden Abänderungen in ihrer Ueberlieferung auf beide Geschlechter fehlgeschlagen wären, so würden doch immer die Weibchen in einem geringen Grade die Männchen an Schönheit übertroffen haben. Genau das Umgekehrte kommt im Naturzustande vor; denn in beinahe jeder grossen Gruppe, in welcher die Geschlechter allgemein einander ähnlich sind, sind die Männchen einiger wenigen Arten in einem unbedeutenden Grade heller gefärbt als die Weibchen. Es ist ferner möglich, dass die Weibchen die schöneren Männchen gewählt haben könnten, während auch umgekehrt diese Männchen die schöneren Weibchen wählten; es ist aber zweifelhaft, einmal ob dieser doppelte Vorgang einer Auswahl leicht vorkommen dürfte, und zwar wegen der grösseren Begierde des einen Geschlechts als des andern, und dann ob derselbe wirksamer sein würde, als Auswahl seitens des einen Geschlechts allein. Es ist daher die wahrscheinlichste Ansicht die, dass in der vorliegenden Classe, soweit ornamentale Charactere in Betracht kommen, die geschlechtliche Zuchtwahl in Uebereinstimmung mit der allgemeinen durch das ganze Thierreich hindurch geltenden Regel gewirkt hat, nämlich auf die Männchen, und dass diese ihre allmählich erlangten Farben entweder gleichmässig oder beinahe gleichmässig ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts überliefert haben.


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/209&oldid=- (Version vom 31.7.2018)