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so dass die Ursache der Verschiedenheit, was dieselbe auch gewesen sein mag, in der gegenwärtigen Classe weniger energisch oder weniger ausdauernd auf die Weibchen eingewirkt hat, als in der letzten Classe auf die Männchen. Mr. Wallace glaubt, dass die Färbungen der Männchen zum Zwecke des Schutzes während der Bebrütungszeit weniger augenfällig geworden sind; die Verschiedenheit zwischen den Geschlechtern scheint aber bei kaum einem der vorstehend erwähnten Fälle hinreichend gross zu sein, um diese Ansicht mit Sicherheit annehmen zu können. In einigen dieser Fälle sind die helleren Farbentöne des Weibchens beinahe ganz auf die untere Körperfläche beschränkt, und wenn die Männchen in dieser Weise gefärbt wären, so würden sie während des Sitzens auf den Eiern keiner Gefahr ausgesetzt gewesen sein. Man muss auch im Auge behalten, dass die Männchen nicht bloss in einem unbedeutenden Grade weniger auffallend gefärbt sind als die Weibchen, sondern auch von geringerer Grösse sind und weniger Kraft haben. Sie haben überdies nicht bloss den mütterlichen Instinct des Brütens erlangt, sondern sind auch weniger kampflustig und laut als die Weibchen und haben in einem Falle auch einfachere Stimmorgane. Es ist also eine beinahe vollständige Vertauschung der Instincte, Gewohnheiten Disposition, Farbe, Grösse und einiger Structureigenthümlichkeiten zwischen den beiden Geschlechtern eingetreten.

Wenn wir nun annehmen können, dass die Männchen in der vorliegenden Classe etwas von jener Begierde verloren haben, welche ihrem Geschlechte sonst eigen ist, so dass sie nun nicht länger mehr die Weibchen eifrig aufsuchen; oder wenn wir annehmen können, dass die Weibchen viel zahlreicher geworden sind als die Männchen — und in Bezug auf eine indische Art von Turnix wird angegeben, dass man „die Weibchen viel gewöhnlicher trifft als die Männchen“[1] —, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Weibchen dazu gebracht wurden, den Männchen den Hof zu machen, anstatt von diesen umworben zu werden. Dies ist in der That in einem gewissen Maasse bei einigen Vögeln der Fall, wie wir es bei der Pfauhenne, dem wilden Truthuhn und gewissen Arten von Waldhühnern gesehen haben. Nehmen wir die Gewohnheiten der meisten männlichen Vögel als Maasstab der Beurtheilung, so muss die bedeutendere Grösse und Kraft und die


  1. Jerdon, Birds of India. Vol. III, p. 598.
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Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/206&oldid=- (Version vom 31.7.2018)