Unser angenommener Züchter wird, um seine neue Rasse, deren Männchen von einer entschieden blassblauen Farbe sind, während die Weibchen unverändert bleiben, zu bilden, beständig viele Generationen hindurch die Männchen auszuwählen haben und jeder Zustand von Blässe wird in den Männchen zu fixiren und in den Weibchen latent zu machen sein. Die Aufgabe würde eine ausserordentlich schwierige sein und ist auch niemals versucht worden, könnte aber möglicherweise Erfolg haben. Das hauptsächlichste Hinderniss würde der frühzeitige und vollständige Verlust der blassblauen Färbung sein, wegen der Nothwendigkeit wiederholter Kreuzungen mit den schieferblauen Weibchen, welche letztere zunächst gar keine latente Neigung haben, blassblaue Nachkommen zu erzeugen.
Wenn auf der andern Seite ein oder zwei Männchen, wenn auch noch so unbedeutend, in der Blässe ihrer Färbung variiren sollten und wenn die Abänderungen von Anfang an in der Ueberlieferung auf das männliche Geschlecht beschränkt wären, so würde die Aufgabe, eine neue Rasse der gewünschten Art zu bilden, leicht sein; denn es würden einfach derartige Männchen zur Zucht auszuwählen und mit gewöhnlichen Weibchen zu paaren sein. Ein analoger Fall ist factisch eingetreten, denn in Belgien[1] gibt es Taubenrassen, bei welchen die Männchen allein mit schwarzen Streifen gezeichnet sind. So hat ferner Mr. Tegetmeier neuerdings gezeigt,[2] dass Botentauben nicht selten silbergraue Vögel produciren, welche beinahe immer Weibchen sind; er selbst hat zehn solcher Weibchen erzogen. Andrerseits ist es ein sehr ungewöhnliches Ereigniss, wenn ein Silbermännchen erzeugt wird, so dass, wenn es gewünscht würde, nichts leichter wäre, als eine Rasse von Botentauben mit blauen Männchen und silbergrauen Weibchen zu bilden. Diese Neigung ist in der That so stark, dass, als Mr. Tegetmeier endlich ein silbergraues Männchen erhielt und es mit einem seiner silbergrauen Weibchen paarte, er nun erwartete, eine Frucht zu erzielen, wo beide Geschlechter so gefärbt wären. Er wurde indessen enttäuscht, denn das junge Männchen kehrte zur blauen Farbe seines Grossvaters zurück, und nur das Weibchen war silbergrau.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/160&oldid=- (Version vom 31.7.2018)