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das Abdomen und Theile der Flügel und der Schwanzfedern weiss sind, ist auf die Färöer beschränkt. Sie ist dort nicht sehr selten, denn Graba sah während seines Besuches acht bis zehn lebende Exemplare. Obschon die Charactere dieser Varietät nicht völlig constant sind, so ist dieselbe doch von mehreren hervorragenden Ornithologen als eine verschiedene Species aufgeführt und benannt worden. Die Thatsache, dass die gefleckten Vögel von den andern Raben der Inseln mit viel Geschrei verfolgt und angegriffen werden, war die hauptsächlichste Veranlassung, welche Brünnich zu dem Schlusse leitete, dass sie specifisch verschieden seien; man weiss indess jetzt, dass dies ein Irrthum ist.[1] Dieser Fall scheint dem vor Kurzem angeführten analog zu sein, dass Albino-Vögel sich nicht paaren, weil sie von ihren Genossen zurückgewiesen werden.

In verschiedenen Theilen der nördlichen Meere wird eine merkwürdige Varietät der gemeinen Lumme (Uria troile) gefunden, und auf den Färöern gehört unter je fünf Vögeln nach Graba's Schätzung stets einer dieser Varietät an. Dieselbe wird durch einen rein weissen Ring rund um das Auge, mit einer gebogenen schmalen anderthalb Zoll langen weissen Linie, welche sich von dem Ringe aus nach hinten erstreckt, characterisirt.[2] Dieser auffallende Character ist die Veranlassung gewesen, dass der Vogel von mehreren Ornithologen für eine besondere Species gehalten wurde, welche den Namen Uria lacrymans erhielt. Man weiss aber jetzt, dass es bloss eine Varietät ist. Sie paart sich oft mit der gemeinen Art, doch sind intermediäre Uebergangsformen noch nie gesehen worden; auch ist dies nicht überraschend, denn Abänderungen, welche plötzlich erscheinen, werden, wie ich an einem anderen Orte gezeigt habe,[3] entweder unverändert oder gar nicht überliefert. Wir sehen hieraus, dass zwei verschiedene Formen einer und der nämlichen Species an derselben Oertlichkeit zusammen existiren können, und wir dürfen nicht zweifeln, dass wenn die eine irgend einen bedeutenden Vortheil über die andere besessen hätte, sie sich bis zur Unterdrückung der Letzteren vervielfältigt haben würde. Wenn z. B. die männlichen gefleckten Raben statt verfolgt und von ihren Kameraden fortgetrieben zu werden, in ähnlicher Weise wie der früher


  1. Graba, Tagebuch einer Reise nach Färö. 1830, S. 51—54. Macgillivray, History of British Birds. Vol. III, p. 745. Ibis, Vol. V. 1863, p. 469.
  2. Graba, a. a. O. S. 54. Macgillivray, a. a. O. Vol. V, p. 327.
  3. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 106.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/132&oldid=- (Version vom 31.7.2018)