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welcher zeigt, dass in den Vereinigten Staaten viele Species von Vögeln, je weiter nach Süden sie leben, um so stärker, und je weiter nach Westen, nach den dürren Ebenen des Innern hin sie leben, um so heller gefärbt sind. Allgemein scheinen beide Geschlechter in einer gleichen Art und Weise afficirt zu werden, zuweilen aber ein Geschlecht mehr als das andere. Dies Resultat ist mit der Annahme nicht unverträglich, dass die Färbungen der Vögel hauptsächlich Folge der Anhäufung successiver Abänderungen durch geschlechtliche Zuchtwahl sind; denn selbst wenn beide Geschlechter sehr verschieden von einander geworden sind, kann das Clima eine gleiche Wirkung auf beide Geschlechter ausüben oder, in Folge irgend einer constitutionellen Verschiedenheit, auf das eine Geschlecht eine grössere Wirkung als auf das andere.

Jedermann gibt zu, dass individuelle Verschiedenheiten zwischen den Gliedern einer und der nämlichen Species im Naturzustande vorkommen. Plötzliche und stark markirte Abänderungen sind selten; auch ist es zweifelhaft, ob sie, wenn sie wohlthätig sind, durch Zuchtwahl häufig erhalten und auf spätere Generationen überliefert werden.[1] Nichtsdestoweniger dürfte es der Mühe werth sein, die wenigen


  1. Entstehung der Arten, 5. Aufl. S. 104. Ich hatte beständig beobachtet, dass seltene und scharf markirte Structurabweichungen, welche Monstrositäten genannt zu werden verdienen, nur selten durch natürliche Zuchtwahl erhalten werden können und dass die Erhaltung selbst äusserst wohlthätiger Abänderungen in einer gewissen Ausdehnung vom Zufalle abhängt. Ich hatte auch vollkommen die Bedeutung blosser individueller Verschiedenheiten gewürdigt, und dies bewog mich, so stark jene unbewusste Form von Zuchtwahl seitens des Menschen zu betonen, welche eine Folge der Erhaltung der am meisten geschätzten Individuen jeder Rasse ist, ohne dass er beabsichtigte, den Character der Rasse zu modificiren. Ehe ich aber einen vortrefflichen Artikel in „The North British Review“ (March 1867, p. 289 und flgde.) gelesen hatte, welcher von grösserem Nutzen für mich gewesen ist, als irgend eine andere Kritik, sah ich nicht, wie gross die Wahrscheinlichkeit gegen die Erhaltung von Abänderungen ist, welche, mögen sie nun schwach oder stark ausgesprochen sein, nur in einzelnen Individuen auftreten.
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Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)