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Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60

Schülerin Hedwig Wertheim wurde nach Hildesheim geschickt, um dort eine Kleinkinderschule zu übernehmen.

S. H. 

Vom Schmuck der heiligen Orte.
(Fortsetzung.)
§. 20.

 Mit den Cancellis verbunden werden oftmals auch die Ambonen, d. h. Lesepulte, zu welchen man von zweien Seiten auf Stufen hinangehen konnte. Diese Ambonen und ihre Verbindung mit den Cancellis waren die alten Kanzeln bis zum 12ten und 13ten Jahrhundert, daher man auch beim romanischen Style keine Kanzelmuster findet, welche mit den gegenwärtigen Kanzeln eine Aehnlichkeit hätten. Da man anfieng besondere Kanzeln zu bauen, waren es steinerne Bühnen von ziemlich großem Raum. Aus diesen bildeten sich dann nach gothischer Weise diejenigen Kanzeln, welche den unsrigen ähnlicher sehen. Sie ruhten anfangs auf mehreren Säulen, später bekamen sie einen runden oder achteckigen Fuß, wol auch einen sechseckigen, aus dem sich dann wieder ein polygoner Schaft und aus diesem selbst wieder die Kanzel entwickelte. An den Fuß der Kanzel machte man gerne einen Löwen oder ein anderes Ungetüm aus der Thierwelt, um anzudeuten, daß das Evangelium, welches da oben gepredigt ist, ein Herr ist über alle Ungeheuer. Durch die polygone Form der Kanzel selber bildeten sich Felder, auf welchen Apostelbilder angebracht wurden. Ueber der Kanzel wurde ein Schalldeckel angebracht, der aber nicht ein eigenes turmähnliches Bauwerk sein soll, sondern am besten aus einer einfachen Bedachung mit einem Kranze besteht. Wenn die Kanzel von Stein gehauen und künstlerisch schön ist, so wird man ihr kein Kleid geben. Gibt man ihr aber ein Kleid, so sei es von gleicher Farbe mit dem Antependium des Altars, von Seide oder sonst reichem Stoff, damit die Mildigkeit des göttlichen Worts angedeutet werde. – Da die Kanzel, so wie sie jetzt ist, viel Platz und Raum einnimmt, so kann sie an den Chorschranken nicht mehr stehen, sondern sie rückt an die Evangelienseite des Schiffes an eine Säule oder auch an die Ecke, die Schiff und Chor miteinander bilden. Eine Kanzel, bei welcher der Prediger dem Altare den Rücken kehren muß, ist ungeziemend. Der Prediger muß von der Kanzel auf den Altar zeigen können, wie Johannes auf das Lamm Gottes. Noch ungeziemender ist es, wenn die Kanzel über dem Altar angebracht wird. Die Predigt ruft zum Altar; räumlich gedacht heißt das nichts anderes, als die Kanzel gehört ins Schiff. – Da man nicht immer über die Texte redet, welche für den Sonn- oder Festtag verordnet sind und während der Liturgie gelesen werden, so macht sich das Bedürfnis eines Kanzelpultes geltend. Wäre das nicht der Fall, so könnte man es wol entbehren, denn die Predigt selbst liest man bei uns in der Regel nicht. – Ein Geräthe, welches sich häufig auf Kanzeln findet und andeutet, daß der Prediger oft die Zeit vergißt und wie lange sie dem Hörer wird, ist die Sanduhr, die übrigens so einfach als schön ist und ganz wol in eine Kirche passt und die Gemeinde erinnert, daß die Gnadenzeit verrinnt.

§. 21.

 Der Beichtstuhl soll so angebracht sein, daß die ganze Gemeinde den Beichtenden sehen kann, aber nicht hören. Den Beichtstuhl hinter den Altar oder in die Sacristei zu versetzen, ist ein Misbrauch. In der Sacristei sollte man bloß taube Leute beichten laßen. Der Beichtstuhl sei um eine Stufe von dem Boden erhöht, oben, hinten und an den Seiten geschlossen, auch vorne mit einer schließbaren, niedrigen Thür versehen. Das Beichtkind kniet auf einem Schemel, der an einer Seite des Beichtstuhls angebracht ist. Auf derselben Seite ist die Wand des Stuhls mit einem Gitter versehen, durch welches der Beichtende spricht und der Beichtvater hört. Von diesem Gitter und der Richtung der Beichte durchs Gitter zum Ohr hin hat die Beichte den sehr unschuldigen Namen: Ohrenbeichte bekommen, welchen Luther und die Reformatoren noch ohne Tadel brauchen. Es ist auch viel schicklicher und gestattet ein viel leiseres Beichten, wenn man zum Ohr spricht, als dem Beichtvater ins Angesicht. Wo recht gebeichtet wird, ist die Schamröthe, und die braucht nicht einmal der Beichtvater zu sehen; es ist genug, wenn sie Gott und seine hl. Engel schauen können. Je älter die Beichtstühle, desto einfacher sind sie; schön ist eigentlich keiner. Man hat sich über keine Form geeinigt und man kann daher auch keine angeben, nur daß das oben gesagte ebensowol für den protestantischen, als den römisch-katholischen Standpunkt richtig ist und bleibt. Dabei bringt die Privatbeichte ganz sicher wieder den Beichtstuhl, denn es gibt keine härtere Arbeit in der Welt als Beichten hören und bescheiden, sie macht müder als predigen, und je tüchtiger ein Mann zum beichtväterlichen Amte wird, je gereifter an Alter und Erfahrung, desto weniger wird er stehend die schwere Arbeit vollbringen können.

§. 22.

 In der ältesten Zeit findet man allerdings Beispiele, daß man in den Kirchen geseßen ist, späterhin aber, bei dem vorwiegenden Interesse der Liturgie, wird der Kirchenstuhl die geringste Frage. Man hat hie und da nur für Frauen und schwächere Männer Sitze zugestehen wollen; in der protestantischen Kirche freilich ist der Sitz zu einer rechten Hauptsache geworden, denn man kommt ja meistens nur deshalb in die Kirche, daß man die Predigt höre, und die will man mit Bequemlichkeit hören. Dafür sieht auch eine protestantische Kirche mit ihren vielen enggedrängten Sitzen abscheulich aus. Vermiethete Sitze sollte es nirgends geben, noch weniger Sperrsitze; wenigstens sollten nach dem Anfang des Gottesdienstes alle gesperrten Sitze aufgesperrt werden und keiner auf seinen Stuhl einen Anspruch zu machen haben, der nicht beim Anfang des Gottesdienstes vorhanden ist. Die Sitze müßen so eingerichtet sein, daß man bequem knien und die Arme samt dem Buche auf das Sims legen kann;

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60. Druck in Commission der C. H. Beck’schen Buchhandlung, Nördlingen 1859, 1960, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Correspondenzblatt_der_Diaconissen_von_Neuendettelsau_Bd02_1859.pdf/24&oldid=- (Version vom 4.9.2016)