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Zu des ewgen Lichtes Scheinen
Ihn der Flügel wieder trägt.

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Und wo er im Flug verweilet

In der weiten Himmelshöh,
Geht die Sonne, da er eilet,
Auf, daß sie die Erde seh.

Und er sprach: „O Herr, verzeihe!

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Mich durchdrang ihr rührend Flehn;

Ihre Bitte, Herr, verleihe,
Laß in Reinheit sie bestehn!“

Doch der Herr sprach: „Will im Scheine
Meiner Sonnen keusch sie gehn,

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Will sie bleiben immer reine,

Eh ihr auf die Augen gehn?

Sie liegt in des Traumes Zweifel,
Wenn mein Bild nicht auf ihr lebt;
Aus ihr schreiet nur der Teufel,

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Wenn sie zierend widerstrebt.“


Und der Herr sprach: „Niedersteige
Zu der Züchtgen, Michael!
Daß sie dir des Staubes reiche,
Nach des Ewigen Befehl!“

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Als der Seraph sie umkreisend

Sieht im Mittagsglanze stehn
Und, des Herren Milde preisend,
Sich im Sonnenstrahl ergehn,

Rühret ihn, den göttlich Freien,

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Der nicht kannte irdisch Weh,

Ihr metallisch heißes Schreien,
Daß ihr hart Gewalt gescheh.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)