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sind – zweifellos eine interessante Erfindung. Ob sie in der vorliegenden Form für unsere Musik praktische Bedeutung erlangen wird, erscheint mir zweifelhaft. Psychologisch gewertet, bedeutet die Einführung der Vierteltöne zunächst eine Schärfung, gleichzeitig aber eine Verweichlichung unseres Tonempfindens. Schon die Chromatik, wie sie namentlich Liszt und die ihm folgende neu-deutsche Romantik gepflegt hat, stellt gleichsam eine Spaltung und Verzärtelung der Empfindungsbewegungen dar. Denkt man sich diese durch die vermehrten modulatorischen Möglichkeiten bereits zu sehr feinen und aparten Sinnesreizungen entwickelten Ausdrucksmöglichkeiten noch durch die Bichromatik gesteigert und ins Unermeßliche vervielfacht, so erhält man eine Tonskala, die äußerlich genommen zweifellos einen Gewinn, ihrem ästhetischen Charakter und ihrer Wirkung nach ebenso zweifellos eine Degenerationserscheinung bedeutet. Ich kann mir die praktische Verwendung eines solchen Instrumentes nur zu rein koloristischen Zwecken, also etwa zur Erzielung besonders aparter Wirkungen innerhalb des Orchesters denken, und tatsächlich hat ja Ernst Boehe sich das bychromatische Harmonium in dieser Art bereits nutzbar gemacht. Wieweit solche Versuche praktisch wirken werden, bleibt abzuwarten – es ist auch nicht meine Absicht, hier ein scharf formuliertes Urteil über die Entwicklungsaussichten der Bichromatlk abzugeben. Ich will zunächst nur die Neuerungsversuche innerhalb der Elemente unserer Tonsprache einer kurzen Durchsicht unterziehen.

Möllendorf ist nicht der einzige, der mit Vierteltönen operiert. Andere haben schon vor ihm ähnliche Versuche gemacht, vor allem hat Ferruccio Busoni bereits vor Jahren die Frage der Einführung sowohl von Viertel- als auch von Drittel- und sogar von Sechsteltönen theoretisch-ästhetisch erörtert und zur Diskussion gestellt. Wir betreten da freilich bereits die Gebiete der Phantastik, und die Schriften Busonis – es kommt namentlich sein „Entwurf zu

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Paul Bekker: Neue Musik. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt, 1923, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Neue_Musik_Vortrag.djvu/008&oldid=- (Version vom 31.7.2018)