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einem offen ausgesprochenen Heidentum zu. Anders war es in Deutschland, wo gerade die tüchtigsten Humanisten zwar den Reformgedanken der Zeit huldigten, aber nicht mit Christentum und Kirche brechen wollten. Auch hier leuchtet uns ein Doppelgestirn: Erasmus und Reuchlin. Wir können sie als Bahnbrecher der Reformation bezeichnen: der eine erschloß den Grundtext des neuen, der andere den des alten Testaments; einer Reformation von innen heraus standen sie aber ferne. Melanchthon entwickelte nun seine außerordentlichen Gaben auf dem Nährboden des Humanismus; seine ersten Lehrer waren Humanisten, Reuchlin war sein Großoheim, der nach dem frühern Tode seines leiblichen Vaters ein zweiter Vater für ihn und der fürsorgende Leiter seiner humanistischen Studien wurde. Der Vater Melanchthon’s hatte in Monheim – es war damals Krieg zwischen Kurpfalz und Baiern – aus einem vergifteten Brunnen getrunken, kränkelte infolge davon und starb, da sein Sohn erst 9 Jahre alt war. Sein Ende war ein sehr erbauliches.

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 Im Gegensatz zu Luther hatte Melanchthon im übrigen eine überaus glückliche Kindheit und Jugend. Seine Jugend war von „außerordentlichem Bildungsglück bestrahlt“. Noch nicht 13 Jahre alt, bezog er die Universität Heidelberg, mit 15 Jahren erhielt er den ersten akademischen Grad, er wurde Baccalaureus, mit 16 Jahren wanderte er nach Tübingen in die Nähe seines väterlichen Reuchlin, der in Stuttgart wohnte, mit 17 Jahren wurde er Magister, mit 21 Jahren gab er eine griechische Grammatik heraus, die über hundert Jahre in den Schulen gedient hat. Neben den alten Klassikern betrieb er fast die ganze damalige Fakultätswissenschaft. Nicht um Geistlicher zu werden, aber in angeborenem Wissenstrieb drang er zur Theologie vor. Neben der Scholastik lernte er auch die heilige Schrift kennen. Durch Reuchlin erhielt er eine lateinische Bibel, die er mit Entzücken studierte, später auch das griechische neue Testament; er lernte den Brief an die Römer im Griechischen auswendig. Später äußerte er: „Als Jüngling schon war der biblische Text mir geläufig; ich las ihn eifriger als es jetzt von den jungen Leuten geschieht.“ Der 17-Jährige hielt bereits Vorlesungen über lateinische Sprache und lateinischen Stil, dem 19-Jährigen wurde

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)