Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 56.

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§. 56.
Die Scheidungskraft, die specifische Stromintensität und der specifische Widerstand.


 Für einen beliebigen Leiter besteht, wie wir (§. 45) gesehen haben, das elektrische Gleichgewicht darin, dass die freie Elektricität mit einer für jeden Punkt bestimmten Dichtigkeit über die Oberfläche vertheilt ist, und dass an jeder Stelle im Innern die Dichtigkeit der Elektricitat den Werth Null hat. Dieser Zustand ist jedoch so aufzufassen (§. 44), dass in jedem noch so kleinen Raumelement des Innern gleiche Quantitäten positiver und negativer Elektricität in neutralem Gemisch vorhanden sind.

 Betrachten wir nun nach eingetretenem Gleichgewicht ein einzelnes elektrisches Theilchen, so bieten sich über sein Verhalten zwei Auffassungen dar. Entweder kann man nemlich an- |[222]nehmen, dass jedes Theilchen sich in Ruhe befinde. Oder man kann sich alle elektrischen Theilchen in einer fortwährenden Bewegung begriffen denken, in einer Bewegung, bei der das Gleichgewicht der Elektricitäten darin besteht, dass an keiner Stelle des Leiters die Dichtigkeit eine Aenderung erleidet, und dass die specifische Stromintensität überall gleich Null ist.

 Aendert der Leiter, den wir betrachten, seine Lage gegen andere elektrisch geladene Körper, so bleibt im Innern die Dichtigkeit überall Null. In der Oberfläche gehört aber zu jeder neuen Lage des Leiters eine bestimmte neue Vertheilung der freien Elektricität, die sich in demselben Momente fertig herstellt, in welchem der Leiter die neue Lage einnimmt (§. 47). Wenn man die relative Bewegung des betrachteten Leiters und aller übrigen geladenen Körper plötzlich unterbricht, so ist die neue Gleichgewichtslage der elektrischen Theilchen in demselben Moment (oder doch nach unmessbar kurzer Zeit) fertig vorhanden. Dies Verhalten ist noch der Erklärung bedürftig.

 Nimmt man an, dass beim elektrischen Gleichgewichte jedes einzelne elektrische Theilchen in Ruhe sei, so kann bei einer Bewegung des Leiters die neue Vertheilung der freien Elektricität nur durch eine Bewegung der elektrischen Theilchen zu Stande kommen. Bei einer plötzlichen Fixirung aller geladenen Körper erklärt sich dann die momentane Herstellung des neuen elektrischen Gleichgewichtes nur dadurch, dass die Geschwindigkeit jedes elektrischen Theilchens in unmessbar kurzer Zeit zu Null wird.

 Anders verhält sich die Sache, wenn man die elektrischen Theilchen unter allen Umständen in Bewegung begriffen annimmt. Beim elektrischen Gleichgewicht ist diese Bewegung so beschaffen, dass überall die specifische Stromintensitat gleich Null ist und die Dichtigkeit der freien Elektricität nirgends eine Aenderung erleidet. Während der relativen Bewegung der geladenen Körper modificirt sich die Bewegung der elektrischen Theilchen so, dass die specifische Stromintensität nicht mehr überall gleich Null ist. Die auftretenden specifischen Stromintensitäten bewirken, dass im Innern des betrachteten Leiters die Dichtigkeit überall Null bleibt, und dass in der Oberfläche bei jeder neuen Lage der geladenen Körper die neue Vertheilung der freien Elektricität vorhanden ist, wie das elektrostatische Gesetz sie verlangt. Bei plötzlicher Fixirung der geladenen Körper gehen die Geschwindig- |[223]keiten der elektrischen Theilchen nicht in Null über. Sie ändern sich nur so, dass sofort die specifische Stromintensität überall Null ist.

 Wir geben dieser zweiten Auffassung den Vorzug. Wir nehmen an, dass die elektrischen Theilchen im Innern jedes Leiters in einer fortwährenden, ausserordentlich raschen Bewegung begriffen sind, die nur davon herrührt, dass jedes elektrische Theilchen durch die unmittelbar benachbarten Theilchen getrieben wird. So lange zu diesen molekularen Einwirkungen keine scheidenden Kräfte hinzutreten, ist die specifische Stromintensität überall Null. Findet aber an irgend einer Stelle im Innern des Leiters eine Scheidung der Elektricitäten statt, so besteht die Wirkung darin, dass in einer bestimmten Richtung die eine Elektricität beschleunigt, die entgegengesetzte verzögert wird. Durch ein Flächenelement, dessen Normale in jene Richtung fällt, gehen in Folge dessen nicht mehr ebenso grosse Elektricitätsmengen von der negativen zur positiven Seite über wie umgekehrt von der positiven zur negativen Seite. Oder mit anderen Worten: Ueberall da, wo Scheidung stattfindet, ist die specifische Stromintensität in der Richtung der scheidenden Kraft nicht mehr gleich Null. Fur jede Richtung normal zu der scheidenden Kraft bleibt dagegen die specifische Stromintensität Null.

 Im Vergleich zu den Molekularkräften, welche die fortdauernde, sehr rasche Bewegung der elektrischen Theilchen hervorbringen, haben wir die Scheidungskräfte verschwindend klein anzunehmen. Die specifische Stromintensität an irgend einer Stelle ist nun eine stetige Function der daselbst auftretenden Scheidungskraft, die mit dieser gleichzeitig Null wird. Man könnte sich diese Function nach positiven, ganzen, ungeraden Potenzen der Scheidungskraft entwickelt denken, und darf, so lange das Verhältnis der letzteren zu den elektrischen Molekularkräften verschwindend klein ist, sich auf die erste Potenz beschränken. D. h. die specifische Stromintensität ist der Scheidungskraft proportional.

 Bezeichnen wir also mit die gesammte elektrische Scheidungskraft im Punkte im Innern eines Leiters und mit ihre Componenten in der Richtung der Coordinatenaxen, so gelten die Gleichungen: |[224]


(1)





Den Factor nennen wir den specifischen Widerstand des Leiters und die reciproke Grösse seine Leitungsfähigkeit. Die Grösse (und folglich auch ) ist constant für ein und denselben homogenen Leiter. Der Werth derselben ist aber ein anderer, je nachdem der Stoff ein anderer ist, aus welchem der Leiter besteht.