Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 25.

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§. 25.
Fortsetzung: Anziehung des Ellipsoids.


 Wir suchen die Gesetze der Anziehung auf, wie sie aus der Potentialfunction des Ellipsoids sich ergeben. Die Gesammtmasse des Ellipsoids wird ausgedrückt:



Demnach ist die Potentialfunction


(1)


wenn der Punkt im Innern des Ellipsoids liegt. Für einen äusseren Punkt muss die untere Integrationsgrenze nicht , sondern sein. Man kann aber auch in diesem Falle die untere Grenze wiederherstellen, wenn man unter dem Integral statt überall schreibt. Setzt man dann noch zur Abkürzung



so ergibt sich für einen äusseren Punkt


(2)


Darin spricht sich der Satz aus:

 Das Ellipsoid von constanter Dichtigkeit übt auf einen äusseren Punkt dieselbe Anziehung aus, als ob seine Gesammtmasse gleichförmig über das confocale Ellipsoid vertheilt wäre, auf dessen Oberfläche der Punkt liegt.*)[1]

 Beachtet man nemlich die Gleichungen, durch welche definirt sind, so geht die Gleichung in folgende über:


(3)


|[96]Diese Gleichung drückt aus, dass der Punkt auf der Oberfläche eines Ellipsoids liegt, welches mit dem gegebenen den Mittelpunkt und die Lage der Hauptaxen gemein hat. Die Oberfläche des gegebenen Ellipsoids und die Fläche (3) schneiden die Coordinaten-Ebenen in je zwei Ellipsen mit gemeinschaftlichen Brennpunkten. Solche Ellipsen heissen confocal, und die in Rede stehenden Ellipsoide werden ebenfalls confocal genannt.

 Die Componenten der Anziehung auf einen inneren Punkt sind:


(4)




 Setzen wir , so ergibt sich


(5)




 Diese Ausdrücke bleiben dieselben, wenn die Verhältnisse und constant genommen werden. Sie sind von der Grösse der Halbaxen unabhängig.

 Zwei ähnliche Ellipsoide von derselben constanten Dichtigkeit, welche den Mittelpunkt und die Lage der Hauptaxen gemein haben, üben demnach auf einen Punkt gleiche Anziehung, wenn er im Innern oder auf der |[97]Oberfläche des kleineren Ellipsoids liegt. Der Raum zwischen beiden Oberflächen übt auf den inneren Punkt gar keine Wirkung.

 Hiernach ist die Anziehung eines Ellipsoids von constanter Dichtigkeit auf einen inneren wie auf einen äusseren Punkt dieselbe wie die Anziehung eines Hülfsellipsoids, welches mit dem gegebenen den Mittelpunkt und die Lage der Axen gemein hat und den angezogenen Punkt in seiner Oberfläche enthält. Für einen äusseren Punkt ist das Hülfsellipsoid dem gegebenen confocal, für einen inneren Punkt ist es ihm ähnlich. Die Dichtigkeit des Hülfsellipsoids ist in beiden Fällen constant. Für einen äusseren Punkt hat das Hülfsellipsoid dieselbe Gesammtmasse, für einen inneren Punkt dieselbe Dichtigkeit wie das gegebene.

 Ist der Punkt ausserhalb des anziehenden Ellipsoids gelegen, so hat man in den Integralen (4) als untere Grenze zu setzen, folglich in (5) als untere Grenze . Die Ausdrücke (5) sind also nicht mehr unabhängig von . Man kann deshalb ausser dem ersten Ellipsoid ein zweites concentrisches betrachten, dessen Hauptaxen dieselbe Lage haben, aber im Verhältnis grösser sind. Wir wollen dann unendlich klein werden lassen und nach der Anziehung der unendlich dünnen Schicht zwischen den beiden ellipsoidischen Oberflächen fragen.

 In den Integralen, welche für (5) an die Stelle treten, ist von einem Ellipsoid zum andern nur die untere Grenze variabel. Man hat also:



 Für gilt die Gleichung:



Daraus ergibt sich durch Differentiation:



|[98]dies lässt sich kürzer schreiben



Folglich ist



Dies ist die eine Componente der Anziehung, welche die unendlich dünne ellipsoidische Schicht auf den äusseren Punkt ausübt. Wir wollen sie mit bezeichnen. Die beiden anderen Componenten und finden sich durch Buchstabenvertauschung. Also hat man


(6)




Hieraus ergibt sich die Gesammtkraft , mit welcher der Punkt von der unendlich dünnen Schicht angezogen wird:



d. h. kürzer


(7)


Die Winkel, welche die Richtung von mit den positiven Coordinatenaxen einschliesst, finden sich aus den Gleichungen:





 Diese Gleichungen sind leicht zu interpretiren. Legt man im Punkte an die Fläche (3) die Tangentialebene, so lautet deren Gleichung



|[99]oder, was dasselbe ist:



Bringt man diese Gleichung in die Normalform, so erhält man



Darin ist die Länge des Perpendikels, welches vom Anfangspunkte der Coordinaten auf die Tangentialebene gefällt ist, und sind die Winkel, welche dies Perpendikel (in der Richtung vom Anfangspunkte nach der Ebene) mit den positiven Coordinatenaxen einschliesst. Für die Cosinus dieser Winkel erhält man die Ausdrücke:


(9)




 Dieselbe Richtung, wie das eben betrachtete Perpendikel, hat die im Punkte nach aussen gezogene Normale der Fläche (3). Vergleicht man nun die Ausdrücke (8) und (9), so ergibt sich ohne weiteres, dass die Richtung von durch die vom Punkte aus nach innen gezogene Normale der Hülfs-Ellipsoidfläche (3) angegeben wird.

 D. h. wir haben den Satz:

 Wenn die Masse von constanter Dichtigkeit eine Schale von unendlich kleiner Dicke bildet, begrenzt von zwei ähnlichen, concentrischen Ellipsoidflächen mit gleichgerichteten Hauptaxen, so übt sie auf einen Punkt im äusseren Raume eine anziehende Kraft aus. Die Richtung derselben fällt in die von diesem Punkte aus nach innen gezogene Normale einer Ellipsoidfläche, welche den angezogenen Punkt in sich enthält und der äusseren Begrenzungsfläche der Schale confocal ist. Dies gilt |[100]auch dann noch, wenn der angezogene Punkt auf der äusseren Oberfläche der Schale selbst liegt.*)[2]



  1. *) Ueber diesen Satz vergleiche man die Abhandlung von Gauss: Theoria attractionis corporum sphaeroidicorum. In dem Artikel 1 findet man auch die Geschichte des Problems.
  2. *) Man vergleiche auch: Ivory. (Philosophical Transactions. 1809.) Dirichlet. (Abhandlungen der Berliner Akademie. 1839.)