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Anfang an das, was man karolingische Minuskel heißt, nicht so gleichmäßig wie etwa die römische Monumentalschrift, die, nachdem sie in der Hauptstadt entstanden war, überall in der Provinz übernommen und nach bestem Können ausgeführt wurde. Die Hauptsache ist überhaupt weniger die einzelne Form, als der Gesamtcharakter des Schriftbilds, wie ihn die Selbständigkeit des einzelnen Zeichens, die deutliche Trennung der Worte, die Einschränkung von Wortkürzungen und Ligaturen hervorbringt. Man rechnet als Zeit der karolingischen Minuskel vom Ende des 8. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, bis zur Entstehung der gotischen Schrift. In diesen 4 Jahrhunderten hat sie eine Fülle von Typen, die nicht nur durch die Persönlichkeit des Schreibers verschieden sind, hervorgebracht, vereinigt vor allem durch den gemeinsamen Vorzug der eben angeführten Tugenden. So findet sie nicht nur als Buchschrift Verwendung, sondern ebenso in den Privaturkunden der ältesten Klöster; nur die Urkundenschrift der kaiserlichen Kanzlei geht noch lange ihre eigenen Wege.

Als letzte Variante der karolingischen Minuskel ist die gotische Minuskel zu betrachten, die zeitlich etwa mit der Entstehung des gotischen Baustils zusammenfällt. Sie übernimmt die Formen der karolingischen Minuskel, aber statt der Rundungen mit Bögen setzt sie Ecken und Winkel. Ihre Buchstaben werden schlanker und höher, rücken näher aneinander und sind enger miteinander verbunden. Sie führt damit die von der karolingischen Minuskel begonnenen Verbesserungen durch.


Es ist uns heute etwas ganz Selbstverständliches, Groß- und Kleinbuchstaben in ein und demselben Text nach bestimmten Regeln nebeneinander zu verwenden. Das geht auf Anfänge in der irischen und angelsächsischen Schrift seit dem 7. Jahrhundert und in Nachahmung dessen in der Frühzeit der karolingischen Minuskel zurück. Bis dahin hatte niemand daran gedacht, in solcher Weise nach bestimmten

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Regeln Majuskel und Minuskel zu mischen. Denn wenn auch mit Ausnahme der capitalis quadrata und rustica jedes Alphabet aus einer Mischung von Majuskel und Minuskel bestanden hatte, so waren doch innerhalb eines Alphabets alle Buchstaben gleichwertig, keiner konnte eine bessere Geltung vor den andern beanspruchen, auch wenn er von der Majuskel herkam. In den Handschriften wird nie der Versuch gemacht, durch Betonung eines bestimmten Buchstabens ein Wort besonders hervorzuheben. Höchstens zur Bezeichnung eines Teilabschnitts wird gelegentlich der Anfangsbuchstabe (daher Versalien, von versus = Zeile) vergrößert herausgerückt. Jetzt aber, da man die alten Schriften gewissermaßen neu entdeckt hatte und von ihrer Schönheit entzückt war, hatte man den Wunsch, mit ihnen die neuen Codices zu verzieren. Daraus entstand das Bedürfnis, auch zur Gliederung des Textes in Abschnitte und Sätze, zur Hervorhebung von Namen, ausgezeichnete Buchstaben zu verwenden. Dazu boten sich als vorzüglich geeignet die Alphabete der alten Majuskeln dar. Wo diese dem Zweck nicht ganz zu entsprechen schienen, wo sie namentlich im Innern des Textes und der Zeilen fremdartig wirken mochten, fing man an, einzelne Minuskeln als Anfangsbuchstaben, besonders von Namen, zu vergrößern, vielleicht auch durch gewisse Zutaten und Aenderungen herauszuheben. Damit waren die Anfänge für ein neues Alphabet von Großbuchstaben der Minuskel gegeben, das jedoch erst von der gotischen Minuskel fertig gestaltet worden und heute noch in unsern deutschen Großbuchstaben der Druckschrift erhalten ist. Bezeichnend ist der Reichtum der Formen, der auf die ursprüngliche Zweckbestimmung als Zierde des Schriftbilds zurückzuführen ist. Eine Vorstellung von diesem Reichtum gibt die Beobachtung, daß in den Drucken des 15. Jahrhunderts, den sog. Wiegendrucken, über 250 verschiedene Formen des M gezählt werden, die der Wissenschaft heute dazu dienen, die Drucke und die Drucker zu unterscheiden und zu datieren.

Wie man ferner die Notwendigkeit erkannt hatte, zu besserer Klarheit und Lesbarkeit die Wörter deutlich von einander

Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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