Schreiben des Freiherrn Ferdinand von Richthofen über seine Reisen

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Autor: Ferdinand von Richthofen
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Titel: Schreiben des Freiherrn Ferdinand von Richthofen über seine Reisen zur Grenze von Korea und in der Provinz Hu-nan.
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. S. 317–331
Herausgeber: Wilhelm David Koner
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons Google
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[317]
XIV.
Schreiben des Freiherrn Ferdinand von Richthofen über seine Reisen zur Grenze von Korea und in der Provinz Hu-nan.


Schanghai, den 28. November 1869.

Die Unterbrechungen zwischen meinen einzelnen Reisen im Innern China’s sind gewöhnlich kurz. Meine Zeit ist dann so in Anspruch genommen, daß es mir kaum möglich ist, längere briefliche Mittheilungen über das Alltägliche und den Verlauf meiner Reise hinaus zu machen. Ich will nun versuchen, Dir hin und wieder einige aphoristische Details über einzelne der von mir besuchten Orte zu schicken. Vielleicht findet sich darunter eines oder das andere, was zur Mittheilung in den Sitzungen der geographischen Gesellschaft geeignet sein möchte. Seit langer Zeit fühle ich gegen dieselbe die Verpflichtung längerer Mittheilungen, aber ich kann dazu nicht die nöthige Ruhe und Muße gewinnen. Heute will ich meine früheren kurzen Andeutungen über meinen Besuch von Kao-li-mön oder „Thor von Korea“ vervollständigen, dem einzigen Ort an der ganzen chinesisch-koreanischen Grenze, wo der Verkehr zwischen beiden Nationen gestattet ist, und auch hier ist er nur auf bestimmte Meßzeiten beschränkt.

Die Straße, auf der die Gesandtschaften zwischen Peking und der Hauptstadt von Korea reisen und der Handel sich bewegt, führt durch das Kao-li-mön. Ich kam jedoch nicht auf dieser Straße, sondern vom Süden her, nach einer Landreise entlang der Westküste und Südostküste der Halbinsel Liao-tung. Vierzehn Meilen von der Küste erreicht man den großen Handelsplatz Fong-whang-tschin (Fong-whang ist ein sagenhafter Vogel der Chinesen, ungefähr dem Phönix entsprechend). Zwei Meilen östlich davon ist das „Thor von Korea“. Ich erwartete hier einen größeren Platz zu finden, mit Grenzmauer und Festungsthor, oder wenigstens einen monumentalen Bau. Nichts von alledem. Das berühmte Kao-li-mön (Kao-li, chinesische Bezeichnung von Korea, mön „Thor“) ist ein kleines Wachthäuschen mit einer Durchfahrt für einen chinesischen Karren. Daran schließen sich westlich einige Gasthäuser und Hôtels garnis und die Waarenhäuser der Chinesen, östlich die Waarenlager der Koreaner unter freiem Himmel. Der Ort liegt in einem kleinen Thal, das sich von Südost nach Nordwest zieht. Der Bach wendet sich dann im Bogen über Nord und Ost nach Südost zurück, und ist einer der Zuflüsse des großen koreanischen Flusses Yalu-Kiang. Dieser Bogen umschließt das steilwandige Granitmassiv des Fong-whang-schan. Seine polygone Gestalt, die [318] imposanten, massiven Formen des Unterbaues, und die Zerrissenheit des Oberbaues in Pyramiden und Obelisken geben diesem ungefähr 2500 Fuß hohen Gebirgsstock einen festungsartigen Charakter, und machen ihn zu einer vortrefflichen Grenzmarke. Südlich vom Thal bestehen die Berge auch aus Granit. Aber sie steigen mit sanften, vielfach unterbrochenen Gehängen an, die in ein üppiges Grün gekleidet sind. Sie bilden einen langen Rücken von ungefähr 1700 Fuß Meereshöhe. Der schmale Thalboden ist mit Feldern bedeckt, und mehrere Dörfer sind darauf zerstreut; eine Fahrstraße für zweirädrige Karren windet sich hindurch. So geht es fort bis zu dem Wachthaus in einer Linie, die an demselben vorüber quer durch das Thal zieht. Oestlich davon erweitert sich das Thal mit gleichbleibendem Charakter seiner beiden Seiten. Aber der Boden des Thales ist nicht mehr angebaut, und es ist kein Haus zu sehen; nur eine weite Grasfläche mit einem Saumpfad, der sich hindurchwindet. Ein kleiner Graben, der sich vom Wachthaus quer durch das Thal an beiden Abhängen hinaufzieht, trennt beide Gebiete: Anbau und Bevölkerung im Westen, Wildniß im Osten.

Dieser Zustand ist eine Folge der eigenthümlichen, für die Ethnographie wichtigen und interessanten Grenzregulirung zwischen China und Korea. Es giebt darüber genauere Quellen, die mir aber nicht zur Hand sind. Ich will daher nur das Allgemeine ohne Jahreszahlen anführen. In früheren Jahrhunderten machten die Koreaner häufig räuberische Einfälle in die benachbarten mantschurisch-chinesischen Gebiete, und es gelang stets nur durch die kostspielige Zuführung großer, numerisch überlegener chinesischer Streitkräfte die Koreaner zurückzutreiben. Mehr als dies konnten die Chinesen nie erreichen, eine beständige Unterjochung von Korea gelang ihnen nicht. Ich glaube es war, als die Chinesen am Ende des 16. Jahrhunderts den Koreanern gegen einen Einfall der Japaner Hilfe leisteten, daß die beiden Nationen ein dauerndes Friedensbündniß schlossen. Es wurde darin unter Anderem stipulirt, daß beide Länder durch ein neutrales Grenzgebiet geschieden werden sollten. Dasselbe hat eine Breite von 7–12 deutschen Meilen, und umfaßt theils bergiges, theils sehr fruchtbares Land. Damals standen darauf viele Dörfer und Städte, die jedoch alle zerstört wurden. Jeder freie Verkehr zwischen beiden Nationen sollte aufhören. Nur am Kao-li-mön darf dreimal im Jahre, im dritten, fünften und neunten Monat (ungefähr: April, Juni und October) eine Messe stattfinden, zu der eine gewisse Anzahl Koreaner die Erlaubniß haben zu kommen, aber ohne Waffen und ohne Frauen. Außerdem dürfen nur Gesandtschaften und der Briefbote auf dieser Straße passiren. Nach dem letzten Tage des Meßmonats wird jeder Koreaner [319] auf chinesichem Gebiet und jeder Chinese in Korea mit dem Tode bestraft. Die Anwohner des neutralen Gebiets dürfen eine Meile weit in demselben ihr Vieh hüten, Holz schlagen und Gras sammeln. Aber Niemand darf sich ansiedeln oder den neutralen Boden (außer in den angegebenen Fällen) überschreiten. Am Kao-li-mön wachen chinesische Beamte, und da wo der Saumweg die koreanische Grenze passirt, ist ein Thor mit koreanischen Beamten.

In dieser Maßregel hat sich China einen Schutzwall gegen Korea errichtet, der kräftiger ist als die große chinesische Mauer. Es giebt auf der Erde keine schärfere Grenzscheide zwischen zwei Nationen, als die zwischen China und Korea ist. Mit Ausnahme der Bewohner von Fong-whang haben die Chinesen entlang der Grenze, obgleich nur ein bis zwei Tagereisen von den Koreanern entfernt, doch nur von ihnen sprechen gehört, nie sie selbst gesehen. Als einen Beweis kann es Dir gelten, daß man mich in den Grenzgegenden selbst überall für einen Koreaner hielt. Korea ist den Leuten wie ein weit entferntes Fabelland. Aber die alten Ueberlieferungen üben doch immer noch insofern einen Einfluß aus, als die Chinesen eine gewaltige Furcht vor ihren kriegerischen Nachbarn bewahrt haben. Gemischte Ehen sind unter solchen Verhältnissen unmöglich; die Koreaner haben daher ihre Nationalität rein bewahrt. Ebenso ist es mit der Sprache. Es giebt wohl keinen Chinesen, der Koreanisch spricht. Aber gebildete Koreaner verstehen nicht nur die chinesischen Schriftzeichen, sondern sprechen auch den Mandarin-Dialect vollkommen. Es ist wohl bekannt, daß die koreanische Sprache von der chinesischen ganz verschieden ist, wiewohl sie von derselben manche Worte aufgenommen hat, ebenso wie die japanische Sprache. Chinesische Bildung und Gelehrsamkeit sind daher den Koreanern vollkommen zugänglich, und sie können sich das Beste daraus entnehmen. Wie viel sie sich davon angeeignet haben, und in wie weit die Lehren des Confucius ihre politischen Prinzipien und staatlichen Einrichtungen beeinflussen, könnte man natürlich erst durch einen längeren Aufenthalt im Lande kennen lernen. Doch wie weit auch dieser Einfluß gehen mag, so beeinträchtigt er doch in keiner Weise die nationale Sonderung von Chinesen und Koreanern. Dies ist um so auffälliger, wenn man in Betracht zieht, wie an allen andern Landgrenzen von China erst eine Vermischung der Nationalitäten, und dann eine langsame Absorption des Fremden durch chinesische Sprache, Regierungsform und Bildungsart stattfindet. Die französische Mekong-Expedition beobachtete diese Assimilation an der Südgrenze von Yünnan, und ich hatte Gelegenheit, ihre Wirkungen in der Mantschurei zu sehen. Nur bei einem kleinen Theil der Landbevölkerung in den nördlichen Districten ist das Mantschurische noch [320] eine lebende Sprache. In dem ganzen übrigen Theil des Landes hat binnen wenigen Jahrhunderten der gewaltige chinesische Einfluß alles Eigenartige in Sprache und Sitten absorbirt. Die Mongolen haben etwas besser Stand gehalten; ihr Land ist zu wenig einladend, um eine schnelle Vermischung der Bevölkerung mit Chinesen zu gestatten. Nur der einzige vollständige Abschluß China’s entlang seiner Landesgrenzen ist der gegen Korea.

Ich hatte das Glück, gerade zur Meßzeit (am 9. Juni) nach dem Kao-li-mön zu kommen. Es waren ungefähr 300 Koreaner da, und etwa die dreifache Anzahl Chinesen. Der Unterschied zwischen beiden ist erstaunlich; und wenn man, wie ich, lange Zeit unter Chinesen gereist ist, so kann man sich des allergünstigsten Eindrucks durch die Koreaner nicht erwehren. Dies gilt allerdings wesentlich von den gebildeten Klassen, von denen ich hier zunächst spreche, Kaufleuten und Beamten aus den nächsten Städten. Die Koreaner sind von besserem Körperbau und gefälligerer Gesichtsbildung, als die nördlichen Chinesen und stehen in beiden Beziehungen ungefähr auf gleicher Stufe mit der besseren Klasse der Kanton-Chinesen. Ihre Physiognomie erinnert weit mehr an die der Japaner als an die der Chinesen; aber auch von jenen sind sie vortheilhaft verschieden, sie sind größer und hübscher als die japanischen Männer. Die Nase ist nicht so abgestumpft, wie bei den Japanern und Chinesen, und bei Vielen europäisch geformt, das Kinn mehr hervortretend, die Augenbrauen stehen mehr in gerader Linie. Sie lassen den Bart wachsen, und bei Vielen wächst er gut, wenn ich auch eigentliche europäische Vollbärte nicht zu sehen bekam. Bei den Meisten war er dünn aber lang. Wie bei den Japanern beginnt der Bartwuchs schon im Alter von 20 bis 22 Jahren, während bei einem 35jährigen Chinesen nur selten der erste Flaum zu sehen ist. Die Koreaner schätzten mein Alter richtig, während die Chinesen es stets um 20 Jahre zu hoch taxiren, da sie wesentlich nach der Stärke des Bartwuchses urtheilen. Das Haupthaar ist schwarz und lang. Die Unverheiratheten theilen es in der Mitte und flechten es hinten in einen Zopf, der aber an Länge und Ueppigkeit hinter dem chinesischen weit zurücksteht. Im Alter von 14 bis 16 Jahren sind sie kaum von Mädchen zu unterscheiden. Sie heirathen gewöhnlich im Alter von 19 bis 20 Jahren. Dann scheeren sie eine Tonsur in der Mitte des Kopfes und binden von allen Seiten das Haar in einen wohlgepflegten, auf dem Scheitel befindlichen Knoten auf. Ein feines schwarzes Gittergeflecht von einem starken Binsengewächs (nicht Draht oder Pferdehaar, wie gewöhnlich angegeben wird) schützt den Knoten, welcher mit einem schwarzen Bande um Stirn und Hinterkopf befestigt ist. Dies hält auch das heraufgestrichene [321] Haar in Position, und man sieht nicht ein Härchen herabhängen. Auf dem Gitter endlich sitzt ein breitkrämpiger Hut mit kleiner Mütze ganz aus demselben feinen netzartigen Geflecht bestehend, und durch eine Perlenschnur unter dem Kinn befestigt. Er hat gar keinen erkennbaren Zweck, ist aber vorgeschriebene Tracht, und, wenn man sich einmal mit der Form versöhnt hat, durchaus elegant. Er ist leicht wie eine Feder. Die volksthümlichen und vorgeschriebenen Haartrachten der ostasiatischen Völker – der Zopf der Chinesen, die borstige aufstehende Bürste des Siamesen, die Schleife des Japaners, der Haarknoten des Koreaners – erregen bei uns, im Vergleich zu der nur durch den Grad der Kunstfertigkeit des Friseurs eingeschränkten Freiheit der europäischen Haartracht, gewöhnlich einiges Lächeln. Aber sie haben ihren natürlichen Grund in dem üppigen und langen Haarwuchs der Ost-Asiaten, bei dem nur die Alternative sorgfältigster Pflege oder völliger Verwilderung gegeben ist. Die Pflege der Haartracht ist das einzige, worauf der Chinese, auch der niedrigste, fortdauernd Sorgfalt und Reinlichkeit verwendet, und derjenige, der den Zopf in China eingeführt hat, sollte als einer der größten Wohlthäter dieser sonst so unreinlichen Nation gepriesen werden.

Eine Eigenschaft, welche die Koreaner hoch über die Chinesen erhebt, ist ihre skrupulöse Reinlichkeit; so weit ich von denen urtheilen darf, welche ich sah, werden sie in dieser Beziehung von keiner europäischen Nation erreicht. Weiße, chinesische Schuhe, weiße Strümpfe, eine weiße, weite Hose, die über den Knöcheln zusammengebunden wird, eine kurze weiße Jacke, und ein bis an die Knöcheln reichendes, schlafrockartiges Obergewand von ganz leichtem, weichem Zeuge, das vorn überklappt und auf der rechten Seite zusammengebunden wird, dies ist die allgemeine Kleidung. Mit Ausnahme der Kinder und der Kuli’s, die auch oft ein grobes, gelbliches Zeug tragen, waren bei Allen diese Kleider von untadelhafter Weiße und Reinheit. Die Stoffe sind gut gewebt und bestehen, nach ihrem Glanz zu urtheilen, wahrscheinlich aus der Faser einer nesselartigen Pflanze. Die am besten Gekleideten tragen über dem weißen Obergewande noch einen eleganten Ueberwurf aus einem lose gewebten hechtblauen oder smaragdgrünen Seidenzeug.

Dieselbe Sorgfalt wie auf ihre Kleidung, verwenden die Koreaner auf ihren Körper. Ihre Haut ist von einem helleren Gelb als die der Chinesen, und außerordentlich rein. Dieselbe Reinlichkeit fand ich in ihren Wohnungen, bis auf den Kochplatz und das spiegelblanke metallene Geschirr, in dem ihr Reis aufgetischt wurde.

[322] Das erste Entgegenkommen der Koreaner war so taktvoll und gewinnend, daß ich sofort günstig für sie eingenommen wurde. Daß sie eine nicht unbedeutende Neugier an den Tag legten und manchmal zurechtgewiesen werden mußten, ist natürlich, da kaum einer von ihnen vorher einen Fremden gesehen hatte. Aber es zeigte sich bei ihnen durchweg ein Anstandsgefühl, das sie stets zu rechter Zeit von selbst mein Zimmer räumen ließ, wenn die Umstände es wünschenswerth machten, während bei den Chinesen selbst das Hinausweisen mit Worten nie hinreichend war. Dabei wird man sich Jenen gegenüber schnell eines anderen Verhältnisses bewußt, als gegenüber den Chinesen. Diese betrachten uns mit derselben Neugier, die den deutschen Kleinstädter in eine Menagerie oder eine Ausstellung von Zulukaffern führt. Sie wollen uns gesehen und befühlt, wo möglich auch ein Wort mit uns gesprochen haben; die Fütterung ist ihnen die Haupt-Attraction. Nicht so die Koreaner. Sie verließen bei unsern Mahlzeiten von selbst das Zimmer, und kehrten wieder, sobald wir damit fertig waren. Dagegen zeigten sie im Gespräch ein Interesse an uns, und suchten in unsere Gedanken einzugehen und von uns zu lernen. Mehrere von ihnen hatten auf eigenen Wunsch die Zahlwörter der deutschen Sprache schnell gelernt; ein Chinese hat mich noch niemals danach gefragt. Trotz ihrer Abgeschlossenheit zeigten sie aber auch mehr Kenntniß vom Auslande, als die Chinesen außerhalb der den Fremden geöffneten Hafenplätze besitzen. Sie kannten die europäischen Länder dem Namen nach, darunter auch Pulussu oder Preußen, und sie wußten, daß dieses an Rußland grenzt. Trotz ihrer Lernbegier erkennt man doch schnell heraus, daß bei diesen Leuten nicht blos der kalte, nüchterne Verstand herrscht wie bei den Chinesen, deren ausschließlich auf das Reale und Materielle gerichteter Sinn unser Verhältniß zu ihnen immer so indifferent erhält. Es ist bei den Koreanern in Rede und Geberde sofort ein Gemüthsleben zu erkennen, ein anziehendes sympathisches Element, das unsere Theilnahme erregt. Sie haben dies in noch höherem Grade als die Japaner, die sich darin schon so vortheilhaft von den Chinesen unterscheiden. In der Unterhaltung zeigten sie sich intelligent und geweckt, dabei von mehr männlichem und offenem Charakter als die Chinesen. Dennoch läßt sich eine gewisse Vorsicht und Scheu nicht verkennen, die aber wahrscheinlich das Resultat künstlich geschraubter socialer Verhältnisse ist, da sie mit ihrem Charakter im Widerspruch steht. Ein gutes Beispiel ihrer Vorsicht giebt folgende Begebenheit. Ich hatte einige besonders intelligente Koreaner zu einem Spaziergang verleitet, und lagerte mit ihnen unter einem Baum, in der Hoffnung, nun, da ich sie von der großen Menge entfernt hatte, recht viel von ihnen über [323] ihre Landesverhältnisse erfragen zu können. Die Unterhaltung war lebhaft und heiter. Sie erfuhren Einiges vom Ausland, lernten auch die deutschen Zahlen ziemlich schnell, wiewohl erst nach mehrfacher Wiederholung, und die Aussprache blieb unvollkommen. Ich fragte nun auch nach den koreanischen Zahlwörtern und schrieb sie der Reihe nach von 1 bis 1000 in mein Notizbuch, mit den richtigen Accenten. Halb spöttisch forderten sie mich dann auf, nun auf koreanisch zu zählen. Natürlich las ich die ganze Reihe der Zahlwörter mit der größten Leichtigkeit und mit richtiger Aussprache ab. Dies verblüffte die Leute vollkommen. Wahrscheinlich meinten sie, daß ich bei solchen[WS 1] Fortschritten in einem Tage die ganze koreanische Sprache lernen würde. Es war nichts mehr aus ihnen herauszubringen, und einer nach dem andern zogen sie still in das Dorf zurück. Von dem Moment an habe ich nur wenig von ihnen gelernt.

Der Unterschied zwischen Koreanern und Chinesen zeigt sich sofort wenn man sie sieht. Der Koreaner hat eine militärische, der Chinese eine schlaffe Haltung; Ersterer hat etwas Determinirtes und die bessere Sorte von Selbstbewußtsein. Der Chinese hat das letztere auch, aber es ist mehr passiv: die Eitelkeit, dem „Reich der Mitte“ anzugehören. Und doch hat er keinen Nationalsinn.

Was ich hier über die Koreaner geschrieben habe, ist das Resultat des Eindrucks, den mir die weit überwiegende Anzahl derjenigen, die ich gesehen habe, hinterlassen hat. Es gehören dazu die Beamten und Kaufleute und ein Theil der niederen Klasse. Neben diesem Typus ist noch ein zweiter vertreten, der mir schon bei den ersten, die ich zu sehen bekam, auffiel. Bei den Ersteren ist die Stirn schmal, fällt etwas zurück, und der Kopf ist lang. Der zweite Typus, den ich nur unter der niederen Klasse der Packer vertreten sah, erinnert an die niederen Typen der nordamerikanischen Indianer, und, nach Abbildungen zu urtheilen, noch mehr an die Aino’s von Yesso. Sie haben breite runde Köpfe mit Stumpfnasen und sehr hervortretenden breiten Backenknochen. Das Haar wächst weit in die breite, niedrige Stirn herab. Das Herabhängen der Falte des oberen Augenlides ist bei ihnen viel markirter, als bei dem anderen Typus. Ihr Körper ist kurz, breit und plump, so auch ihre Haltung. Die Langköpfigen haben oft einen schlanken, eleganten Wuchs, schöne Formen, zuweilen eine auswärts gebogene Nase, und stets die eben erwähnte militärische Haltung, die jenen anderen abgeht. Ich sah auch Zwischentypen, die die Merkmale Beider in gewisser Weise vereinigen. Aber im Ganzen genommen fällt der Unterschied wohl in die Augen. Sollte man es hier vielleicht mit einer den Aino’s verwandten Urrasse zu thun haben, die von den jetzt herrschenden Koreanern verdrängt wurde?

[324] Die Koreaner bringen zum Verkauf nach dem Kao-li-mön 1) vor Allem Rindshäute. Ihr Rindvieh könnte sich auf europäischen Ausstellungen sehen lassen. Ich sah nur Stiere, die zum Lasttragen von Gütern verwendet werden. Sie sind groß, von untadelhaftem Baue, sehr weit allem Rindvieh voran, das ich im östlichen Asien gesehen habe. Die Koreaner essen Rindfleisch, was die Chinesen und Japaner im Allgemeinen nicht thun. Es giebt in Korea keine Wagen. Aller Verkehr geschieht mit Eseln, Maulthieren, Pferden und Ochsen. Die Pferde sind sehr kleine Pony’s, aber stark gebaut und schnell. Die Chinesen ziehen sie den mongolischen Pony’s vor. Sie importiren koreanische Pferde, doch ist dieser Handel kaum nennenswerth.

2) Felle. Ich sah besonders Fuchs, Marder und wilde Katze, letztere in erstaunlicher Anzahl. Man kann aus der großen Menge dieser Felle schließen, daß es große Wälder in Korea giebt. Ich hörte, daß im Norden große Landstrecken, wahrscheinlich die gebirgigen Ausläufer des hohen Tschang-pe-schan, mit dichten Wäldern bedeckt seien. Panther- und Tigerfelle werden auch zu Markt gebracht, aber in geringer Anzahl. Ich sah keine Zobel und Hermeline.

3) Papier von vorzüglicher Beschaffenheit. Es ist ähnlich wie das japanische, aber die starken Sorten von Korea sind mehr geschätzt als die von Japan. Die Bogengröße derselben ist 4½ bis 5½ Fuß. Sie verfertigen ein ölgetränktes wasserdichtes Papier von großer Festigkeit. Ich führe mehrere Bogen davon zum Reisegebrauch seit Monaten mit mir herum und finde es unverwüstlich.

4) Blei. Dies scheint das einzige Metall zu sein, das exportirt wird. Sie sollen Silber produciren, aber kein Kupfer, dagegen ziemlich viel Gold. Das Verhältniß des Werthes von Gold und Silber ist 1 zu 10, aber ersteres soll niederen Grades sein. Es soll im ganzen Land keine Kohlen geben.

5) Trepang. Dies ist der Handelsname für getrocknete Holothurien, eine Delikatesse der Chinesen.

6) Seide. Man soll nur Seide von wilden Würmern produciren. Sie ist feiner als die, welche ich in China gesehen habe, ist gut gesponnen und wird zu dem billigen Preise von 2 Thlr. 12 Sgr. das Pfund verkauft.

Aus dieser Liste von Ausfuhrartikeln scheint hervorzugehen, daß Korea ein armes Land ist, arm an Rohproducten wie an Erzeugnissen der Industrie. Das Hauptnahrungsmittel im ganzen Lande ist Reis, wovon Korea eine genügende Menge selbst producirt. Ueberhaupt scheint das Land Alles hervorzubringen was für den Unterhalt der Bevölkerung nothwendig ist. Denn es scheint fast nichts importirt zu werden. Als [325] die einzigen Importartikel von Bedeutung wurden mir chinesische Zeuge und Pfeffer angegeben. Da sie jedoch auch von ihren eigenen vorzüglichen Zeugen nach China exportiren, so mag es wohl sein, daß die größere Billigkeit chinesischer Baumwollenzeuge den Import veranlaßt.

Der Handel geschieht im ersten und fünften Monat auf Credit. Im neunten werden alle Zahlungen in abgewogenem Silber gemacht. Europäische Waaren sind noch so gut wie gar nicht nach Korea gekommen. Es ist eine der kleinen Impositionen, die sich die Fremden gefallen lassen, daß China die Einfuhr fremder Waaren nach Korea verbietet. Nur Nadeln sollen wegen ihre Kleinheit stark geschmuggelt werden. Eigentlicher Schmuggelhandel zu Lande findet zwischen China und Korea nicht statt, ist auch nicht möglich. Chinesische Schiffe dürfen nach keinem Hafen von Korea kommen. Aber ich habe Hunderte von chinesischen Schiffen mit koreanischem Holz beladen gesehen, an der Küste von Liao-tung, auf dem Pei-ho und in Tschifu. Doch konnte ich nicht erfahren, ob dabei auch eine verbotene Fracht nach Korea gebracht wird.

Korea gilt als eine tributpflichtige Dependenz von China. Allein das Verhältniß beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Die Koreaner schicken jährlich zwei Gesandtschaften nach Peking, um den chinesischen Staatskalender vom Kaiser in Empfang zu nehmen und Tribut zu bringen. Dieser besteht in einer gewissen Quantität Papier und 800 Ochsen. Die Ochsen aber würden doch etwas abgemagert in Peking ankommen. Daher werden sie den Mandarinen in Fong-whang-tschin abgegeben, die sie mit ihren Soldaten verspeisen. In keiner anderen Gegend von China wird so viel Rindfleisch von so wenigen Menschen gegessen. – Der Kaiser von China schickt in bestimmten Intervallen eine Gesandtschaft an den Hof von Korea, welche Geld als Gegengeschenk für den Tribut bringt.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß in der Entfernung von 2 Tagen per Dampfer von Shanghai ein Land liegt, in dem sich noch kein Europäer sehen lassen darf. Auf meine Andeutung, daß ich gern die dem Kao-li-mön zunächst gelegenen Gebiete von Korea ansehen möchte, erklärte mir jeder Einzelne mit größter Bestimmtheit, daß dann mein Kopf sofort abgeschnitten werden würde. Ich glaube auch, daß es geschehen würde. Auch nach der Oeffnung des Landes werden die Fremden wahrscheinlich noch unsicherer sein als in Japan. Dennoch aber werden sich die wißbegierigen Koreaner den Fremden gern anschließen, sobald sie dieselben erst kennen gelernt haben. Es liegt jedoch zur Oeffnung von Korea kaum ein hinreichender Grund vor. Handelsinteressen zum Ausschluß jeder anderen haben bisher zu der [326] Eröffnung der ostasiatischen Reiche Anlaß gegeben. Bis jetzt rechtfertigt Alles die Annahme, daß Korea ein armes Land ist, das dem Fremdhandel ein geringes Feld darbieten würde.

Ich habe Dir hier sehr unvollkommene Beobachtungen sehr umständlich mitgetheilt. Verschiedene Reisende, welche an einzelnen Orten an der Küste gelandet sind, haben abweichende Ansichten gewonnen. Ich weiß nicht, ob schon jemand über eine Zusammenkunft mit den nördlichen Koreanern von Kao-li-mön berichtet hat.

Ich schrieb Dir bereits über meinen letzten Ausflug, im September und October, wobei ich den Yangtse bis Kiu-kiang hinauffuhr, dann über den Pogang-See und dessen östliche Zuflüsse nach den Grün-Thee-Districten ging und über Hang-tscheu nach Shanghai zurückkehrte. Ich lernte dabei zum ersten Male den Pogang-See, welchen ich schon im vorigen Januar befahren hatte, bei Hochwasser kennen. Damals bestand das, was man auf den Karten als einen See bezeichnet sieht, aus Schlammflächen, zwischen denen ein Netz von Flußläufen und Canälen den Abzug der Gewässer vermittelte. Am Lao-wu-Tempel, 23 englische Meilen von der Mündung des Sees in den Yangtee, vereinigten sich die Wasserläufe von Osten, Süden und Westen convergirend zu einem Fluß, der seine lehmigen Fluthen mit der Geschwindigkeit von einer Mile die Stunde dem Yangtse zuwälzte. Die Schlammflächen zogen sich in breiten Armen zwischen die Hügel hinein, im Westen bis an den Fuß des über 5000 Fuß hohen Lin-schan. Nur an wenigen Stellen konnte man die Abhänge dieser Hügel, die wahren Ufer des Sees, erreichen. Südlich vom Lao-wu-Tempel waren die öden Flächen unübersehbar. Nur hier und da erhoben sich daraus Sandstein-Inseln, deren Oberfläche verwittert und zu dürrem Sande aufgelöst ist. Auf einer derselben liegt Wu-tsching, an der Vereinigung des von Ning-tschan kommenden Flusses mit dem Kia-kiang, dem Hauptstrom der Provinz Kiangsi. Es ist nur ein Marktflecken, aber der bedeutendste Handelsplatz am Pogang-See.

Als ich jetzt den See wieder besuchte, war das Wasser nur 4 Fuß von dem höchsten Stande gefallen, den es in diesem Jahre erreicht hatte. An der Stelle der Schlammniederungen sah ich jetzt einen großen See von grünem, klarem Wasser. Ich maß keine Tiefe unter 18 und keine über 24 Fuß. Er war von Böten belebt, an deren verschiedenen Bauart man den Ort ihrer Abstammung erkennen konnte. Inseln, die früher durch ihre schlammige Umgebung getrennt gewesen waren, standen jetzt in leichter Verbindung. Allenthalben reichte das Wasser bis an die grünen Hügel. Die unübersehbare Schlammebene im Süden war in eine eben so unübersehbare Wasserfläche verwandelt. Ich besuchte [327] von den östlichen Nebenflüssen den Tschang-kiang und Wu-ho (auch Lo-ngan-kiang genannt). Beide waren jetzt bis 10 deutsche Meilen oberhalb ihrer Vereinigung bei Dschau-tschan-fu nicht Flüsse, sondern Arme des Sees, mit einer Tiefe von 18–20 Fuß und, gleich dem See, ohne jegliche Spur von Strömung.

So ungünstig die Bedingungen für die Schifffahrt auf dem Pogang-See in einer Jahreszeit sind, so günstig sind sie in der anderen. Mäßig große Dampfer könnten im Sommer den See befahren und eine Anzahl von Handelsplätzen erreichen, in denen der Verkehr von den höher gelegenen Theilen von Kiangsi sich concentrirt. Eine bedeutende Erleichterung würde das Kohlenfeld von Loping-hien am Wu-ho gewähren, das noch unterhalb der Stelle gelegen ist, wo im Sommer der Fluß in den See-Arm einmündet. Es hat schon jetzt, ogleich erst seit wenigen Monaten den Europäern bekannt, eine Bedeutung für die Dampfschifffahrt auf dem Yangtse erlangt und ist das erste Kohlenfeld China’s, aus dem die Fremden für ihre Unternehmungen Nutzen ziehen. Der Grad der Schiffbarkeit des Pogang-Sees hängt von dem Wasserstande im Yangtse ab; denn der See wird nur zum kleinen Theil durch die Flüsse von Kiangsi gefüllt; den Hauptantheil an seiner jährlichen Bildung und Drainirung hat der wechselnde Wasserstand des Yangtse, dessen Unterschiede bei Hankau bis 60, an der Mündung des Pogang-Sees gegen 45 Fuß betragen. Die Geschichte dieser periodischen Niveaudifferenzen ist übrigens ein interessantes Capitel. Man beobachtet zum Beispiel seit vorigem Jahr, daß jetzt häufig das Wasser in dem unteren Yangtse (ungefähr von Kiu-kiang abwärts) im Steigen begriffen ist, während es höher hinauf am Flusse bei Hankau fällt. Man schreibt es der kürzlich vollzogenen Verbindung des Gelben Flusses mit dem Yangtse zu. Sie ist wahrscheinlich eine doppelte. Der Ausbruch der Wasser des Gelben Flusses über sein rechtes Ufer soll oberhalb Kaifung-fu geschehen sein. Sie fließen also mit großer Wahrscheinlichkeit dem Hwei-ho und durch ihn dem großen Canal zu. Es wird aber vermuthet, daß außerdem, in der Nähe der Einmündung des Scha-ho in dem Hwei-ho, eine Abzweigung der Gewässer gegen Süden nach dem Tsiao-hu-See und dadurch noch eine zweite Verbindung mit dem Yangtse stattfindet. Es mögen Jahre vergehen ehe Gewißheit über diese Fragen vorhanden sein wird. Herr Ney Elias in Shanghai, der sich schon durch die Anfertigung einer vortrefflichen Karte vom neuen Lauf des Gelben Flusses ein großes Verdienst erworben hat, beabsichtigte in diesem Jahre seine Aufnahme bis westlich von Kaifung-fu auszudehnen und die Frage über den Wasserablauf des Hwang-ho gegen Süden zu [328] untersuchen, konnte aber leider nicht den erforderlichen Urlaub erlangen.

Ich kehre nun zu den östlichen Zuflüssen des Pogang-Sees zurück. Beide genannten Flüsse kommen aus den Grün-Thee-Districten. Diese sind eine der reizvollsten Gegenden von China. Die productivsten sind zu beiden Seiten der Wasserscheide der östlichen Zuflüsse des Pogang-Sees gegen den Si-ngan-kiang gelegen. Sehr bequeme Pässe, zum Theil von weniger als 1000 Fuß Meereshöhe, verbinden die beiderseitigen Quellflüsse. Breite fruchtbare Weitungen wechseln mit engen aber stets anmuthigen Thälern. Alles, Gebirge, Thäler und Schichtung der Gesteine, hat eine südwest-nordöstliche Richtung. Die allgemeine Höhe der Gebirge ist nicht mehr als 2500–3500 Fuß. Nur einzelne zerstreute Gipfel ragen höher auf: der Wang-tschan zu über 6000 Fuß (er ist der höchste und liegt 10 Meilen nordöstlich von Ki-mön), der Kiu-wan-tschan bei Tung-lin zu etwas weniger, der Tien-mu-schan westlich von Hang-tschan zu 4500 Fuß. Dies sind drei berühmte und heilige Berge bei den Chinesen, mit vielen Tempeln zwischen bizarren Felsen. Die Vertheilung der Gebirge ist viel unregelmäßiger als auf den Karten angegeben ist. Es scheint, daß überhaupt im östlichen China wenig hohe und einseitliche Gebirgsketten vorhanden sind, sondern vielmehr der Charakter ausgedehnter Gebirgsländer mit niedrigen Pässen und auffallend gleichmäßigem Fall der Gewässer vorwaltet. Dabei scheint es, daß die Flüsse im Allgemeinen nur auf kurze Strecken den Längsrichtungen folgen, sondern vielmehr aus häufig wechselnden Längs- und Quer-Strecken zusammengesetzt sind. In den ersteren finden sich die Thalweitungen, während die Querstrecken fast immer enge Schluchten sind. Die Wirkung der Gewässer hat aber durch so lange Zeiten hindurch stattgefunden, daß fast sämmtliche Flüsse ein ziemlich gleichmäßiges Gefälle erlangt haben und, wenn sie nur Wasser genug haben, beschifft werden können, selbst wenn der Fluß eine Kette von Stromschnellen bildet. Auch die Abwesenheit von Wasserfällen, sowie von wirklichen Seen (Pogang-See, Tung-ting-See und andere entstehen nur durch periodische Ueberfluthung flacher Landstriche) spricht für eine zur großen Vollkommenheit gediehene Erosion der Thäler.

Von den reizvollen Theedistricten fuhr ich den Si-ngan-kiang- und Tsien-tang-Fluß nach Hang-tschau hinab. Bis unterhalb der Vereinigung beider sind Stromschnellen häufig. In der unteren Strecke ist der Tsien-tang ein schöner breiter Strom. Aber er ist doch für Schifffahrt schlecht geeignet; denn seine Mündung ist sehr seicht und der Fluthstrom hat zuweilen die fast unglaubliche Geschwindigkeit von [329] vierzehn Knoten, so daß selbst Dampfschiffe dagegen nicht ankämpfen können.


Canton, den 31. Januar.

Ich habe diesen Brief noch nicht abgeschickt, da ich meine weiteren Pläne erst bestimmt formuliren wollte. Ich kam nach Canton mit der Absicht, den Si-kiang oder Westfluß hinaufzugehen, durch die Provinzen Kuang-tung und Kuang-si bis Yünnan und dann einige Monate in Sze-tschuan zuzubringen. Die Reise ist noch nie von Europäern gemacht worden. Ich konnte daher erst hier einige Information darüber sammeln, besonders von Kaufleuten aus Yünnan, die auf dem genannten Weg den kostbaren Jade-Stein hinabbringen. Das Resultat meiner Erkundigungen ist, daß die Reise mehr Zeit erfordern würde als ich darauf zu verwenden wünsche. Sie würde interessant sein. Allein da ich auch auf den praktischen Werth meiner Resultate sehen muß, so glaube ich, daß ich in derselben Zeit, die jene Reise in Anspruch nehmen würde, Wichtigeres leisten kann. Ich habe mich daher vor zwei Tagen entschlossen, von hier nach der Provinz Hu-nan zu gehen. Dies ist eine der productivsten Provinzen von China und noch ganz unbekannt. Von dort werde ich mich wahrscheinlich nördlich wenden, durch Hu-pe und Ho-nan nach Schansi-Szy-tschuan; Yünnan und den West-Fluß hoffe ich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres zu besuchen. Wahrscheinlich werde ich Dir aus Hu-nan wieder schreiben.


Shao-tshan-fu, den 12. Januar 1870.

Ich mache hiermit den Anfang zu einer Art brieflichen Reisetagebuchs, das ich versuchen will, periodisch fortzuführen. Doch kann ich Dir nur ein Stückwerk bieten, da Zeit und Gelegenheit nur hin und wieder für das Briefschreiben günstig sein werden. Auch in Betreff des Inhalts darfst Du nicht viel erwarten; denn es ist mehr meine Absicht Dich über den Gang meiner Reisen in China informirt zu halten, als eingehende Mittheilungen über Beobachtungen und Resultate zu geben. Ich habe genug zu thun, diese in meinem eigenen Tagebuche niederzulegen, aus dem Du sie wohl noch einmal in irgend einer Form erfahren wirst.

Ich verließ Canton am 1. Januar und habe nach zwölftägiger Wasserfahrt glücklich die 36 deutschen Meilen bis zu diesem Ort zurückgelegt, ein Weg, den man bei uns in einem Vormittag machen [330] würde. Du findest Shao-tshan-fu auf der Karte in der Provinz Kwang-tung, unter 24° 55′ nördl. Br. und ungefähr 113° 28′ östlich von Greenwich, am Pe-kiang oder Nord-Flusse, wo dieser aus der Vereinigung von zwei ungefähr gleich großen Flüssen entsteht. Der östliche führt auch noch den Namen Pe-kiang. Auf ihm führt der Weg über den großen Meiling-Paß nach der Provinz Kiang-si. Der westliche heißt Mu-shui. Man gelangt durch ihn über den kleinen Mei-ling-Paß nach der Provinz Hu-nan. Dies ist mein nächster Weg.

Diese Wasserstraßen und Pässe haben ein großes historisches Interesse; denn es hat vor dem Zeitalter des Dampfes wahrscheinlich wenige continentale Handelsstraßen gegeben, auf denen eine größere Gesammtmasse von Gütern transportirt worden ist als diese. So weit die chinesische Geschichte zurückreicht, haben die beiden Meiling-Pässe nebst dem Paß von Kweiling die einzigen Verbindungswege der südlichen mit den mittleren und nördlichen Provinzen von China gebildet. Während der drei Jahrhunderte, in denen der Zutritt der Fremden auf Canton beschränkt war, bildeten jene drei Pässe auch die einzigen Straßen für den Fremdhandel. Thee und Seide wurden über die Meiling-Pässe nach Canton gebracht, und die fremden Importe gingen auf demselben Wege nördlich. Jetzt hat dies aufgehört. Die Oeffnung von Shanghai und Hankau hat den Handel in andere Bahnen gelenkt, und die Dampfschifffahrt auf dem Yangtse und an den Küsten hat dem theuren und langsamen Transport auf den Binnengewässern einen großen Abbruch gethan.

Dennoch ist auch jetzt der Pe-kiang ein belebter Fluß. Besonders dient er noch den Mandarinen als Reiseweg. Manche von ihnen ziehen die Dampfschiffe vor. Aber die Mehrzahl hängt an dem alten langsamen Weg. Sie gehen von Pe-kiang auf dem großen Canal bis Tshing-kiang am Yangtse, dann diesen Fluß hinauf bis zum Poyang-See, auf dem Kan-kiang, dem großen Fluß von Kiangsi, aufwärts bis zum großen Meiling, und den Pe-kiang hinab nach Canton, das sie nach drei oder vier Monaten erreichen. Da sie fast immer im Boot sitzen, so können sie sich kaum ein fauleres und bequemeres Leben wünschen und genießen dabei den unschätzbaren Vortheil, sich mit Flaggen und Escorte von Kanonenböten, nebst Tamtams, Böllerschüssen und vielem anderen Scandal ein Ansehen geben zu können, das sie als Vorderdeckpassagiere auf Dampfschiffen nicht im entferntesten erreichen. Ich begegnete ungewöhnlich viel reisenden Mandarinen, machte auch mit einem die ganze Fahrt von Canton aus zusammen. Er war sichtlich zufrieden mit der fremden Begleitung unter norddeutscher Flagge, und meine Bootsleute konnten ruhig schlafen, während sie sonst aus Furcht vor Räubern zuweilen hätten wachen müssen.

[331] Historischen Werth hat die Meiling-Passage (nur über den großen Meiling), besonders für den Verkehr der Europäer in China. Sie war, mit ihrer Fortsetzung bis Peking, der einzige Weg, der den Europäern, wenn man von Marco Polo und den Missionaren absieht, bis in die neueste Zeit bekannt geworden war. Im Jahre 1655 zog eine holländische Gesandtschaft unter Nienhof auf diesem Wege von Canton nach Peking. Père Bonnet folgte im Jahre 1693. Im Jahre 1722 reiste Père Ganbil von Canton nach Peking, wohin er vom Kaiser als Hof-Astronom berufen wurde. Er reiste, wie ich, am Neujahrstage von Canton ab, hatte aber wahrscheinlich besseren Wind. Denn er erreichte in 16 Tagen Nan-hiung-tschan, das noch 7 Tagereisen ostnordöstlich von hier liegt. Im Jahre 1793 kehrte die englische Gesandtschaft unter Lord Macartney von Peking über den großen Meiling zurück. Im folgenden Jahre (1794) zog wieder eine holländische Gesandtschaft unter van Braam von Canton aus nördlich über denselben Paß. In derselben Richtung reiste die Lord Amherst’sche Gesandtschaft im Jahre 1816. Nun folgt eine Pause. Erst im Jahre 1847 (ich glaube dies ist das Jahr) reiste ein englischer Missionar von Ningpo durch Kiangsi über den Meiling nach Canton in chinesischer Kleidung, und im vorigen Jahre (1869) wurde die Reise von Canton nach dem Poyang-See von zwei Herren aus einem amerikanischen Hause in Hongkong gemacht. Fast über jede dieser Reisen ist ein dickes Buch geschrieben worden. Ich habe sie nicht gelesen, denn zum Studium von Bibliotheken habe ich in China leider noch keine Zeit gefunden. Aber ich muß wohl voraussetzen, daß der Pe-kiang von Canton bis Shao-tschan-fu zu den bekanntesten Flüssen gehört. Ich habe es dennoch nicht für überflüssig gehalten, eine Karte des Flusses und der anliegenden Gebirge aufzunehmen. Dies ist auch fast alles was ich thun konnte, denn die Geologie ist hier im Süden verzweifelt einförmig.

Von jetzt an betrete ich neues Gebiet. Der Uebergang über den kleinen Meiling ist meines Wissens nur einmal von einem Missionar Rev. Mr. Bonny in chinesischer Kleidung gemacht worden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: solehen