Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Nachtigal
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Tibbu
Untertitel: Ethnographische Skizze von Dr. Nachtigal.
Eingesandt aus Murzuk
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 5. Band. S. 216–242; 289–316
Herausgeber: Wilhelm David Koner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Dietrich Reimer
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons = Google
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[216]
IX.
Die Tibbu.
Ethnographische Skizze von Dr. Nachtigal.
Eingesandt aus Murzuk.


Die Hartnäckigkeit, mit der sich der östliche Theil Nord-Afrika’s, welcher sich zwischen Fezān und der Bornustraße einerseits und Egypten andererseits ausdehnt und der von der Oase Džālo bis Wadaï reicht, den Explorationen Reisender entzogen hat; das Dunkel, in das Abstammung und Geschichte seiner Bewohner, die fast ausschließlich Tibbu zu sein scheinen, gehüllt sind; der kulturgeschichtliche Zusammenhang der Tibbu mit den Kanuri, den Barth’s scharfsinnige Blicke in den Sprachen beider und in der Geschichte Bornus verrathen, geben dem Studium von Land und Leuten dieser Gegenden ein besonderes Interesse.

Der Karavanenverkehr, welcher zwischen Wadaï und der Nordküste statt hatte, und der über kurz oder lang eine gewisse Kenntniß von Wadjanga hätte zur Folge haben müssen, da derselbe Borgu zwischen Wara und Murzuk in seiner ganzen Länge durchschnitt und ein gutes Stück von Tibesti passirte, ist seit Jahren unterbrochen, und der vortreffliche Sultan von Wadaï, welcher beide Straßen wieder zu eröffnen bemüht war, soll leider vor einigen Monaten gestorben sein, wie die jüngst angekommene Bornukaravane berichtet.

Die angeführten Länder aber sind leider die sonst am wenigsten zugänglichen aller von Tibbu bewohnten und auf der anderen Seite gerade ihre Kernlandschaften, deren Studium allein ein lebendiges Bild dieser Völkerfamilie geben kann. Freilich befindet sich eine beträchtliche Anzahl ihrer Repräsentanten in Fezān, in Kauar, und in Bornu, doch haben dieselben dort ihren ursprünglichen National-Charakter weder physisch noch moralisch so rein bewahrt, als die in den Stammsitzen Tibesti, Borgu und Wadjanga.

Tibesti habe ich jetzt unter den größten Schwierigkeiten und Gefahren zum Theil durchwandert. So mir Leben und glückliche Heimkehr aus dem fernen Süden beschieden ist, hoffe ich von Džālo aus der Oase Kúfarā und der Landschaft Wadjanga einen Besuch zu machen, denn dies scheint mir trotz der langen, wasserlosen Strecken noch der [217] sicherste Weg zu sein, während es scheint, daß die Durchforschung Borgu’s nach meinen bisherigen Erfahrungen nur mit Hülfe Wadaï’s, der Mahāmēd Araber oder vielleicht der Uelād Slimān gemacht werden kann.

Was zuerst den Namen der Nation und der Individuen betrifft, so kann ich mich der Schreibweise Barth’s und seiner Nachfolger, welche „Tebu“ adoptirt haben, nicht anschließen, sondern schreibe und prononcire „Tibbu,“ als am meisten der gang und gäben Aussprache entsprechend. „Tebu“ mit kurzem „e“ und „Tubu“ mit kurzem ersten „u“ stehen meiner Auffassung natürlich sehr nahe; doch alle unbefangenen Reisenden von Hornemann bis Vogel und v. Beurmann traurigen und glorreichen Andenkens, haben eine der meinigen identische Auffassung gehabt. Wollte aber Barth nur einen etymologisch und historisch gut begründeten Namen zulassen, so ist „Tebu“ sicherlich nicht das geeignete Wort. Er empfahl dasselbe, indem er es aus der ersten Silbe von „Tédā“ und der in der Kanuri-Sprache gebräuchlichen Pluralendung „bu“ entstanden glaubte. Doch scheint mir diese philologische Hypothese nicht mehr stichhaltig, seit man weiß, daß der Tibbu-Name des Landes Tibesti „Tu“ ist. Etymologisch am richtigsten ist sicherlich daher „Tubu“ (d. h. die von Tu, die Leute von Tu), wie der Imam Ahmed, Historiker des 16. Jahrhunderts und der Scheich Mohammed Ibn Omar-el-Tunsi im Anfange dieses Jahrhunderts schrieben. Daß aber jetzt Niemand mehr an der Richtigkeit von „Tibbu“ zweifelt, könnte eine Legende beweisen, die ich bei den Tibbu Fezān’s fand. Danach kam im Anfange des Islam ein Abgesandter des Propheten oder seiner Nachfolger, um auch den Tibbu die neue Religion zu überbringen. Auf seine Sommation „túbu,“ d. h. „stimmt zu!“ antworteten die damaligen Heiden „ma n-tíbbu-schi,“ d. h. „wir stimmen nicht zu!“ Seitdem habe man den ihnen zukommenden Namen „Tubu“ in Tibbu oder Tibu umgewandelt. Da die Tibbu der eigentlichen Stammländer nicht arabisch verstehen, so muß dies eine Erfindung der Tibbu Fezān’s sein, welche zwar keine gründliche Kenntniß der arabischen Sprache verräth, doch immerhin beweist, daß sie selbst den Ausdruck „Tibbu“ als jetzt richtig und allgemein gebräuchlich anerkennen.

Ueber die Unrichtigkeit von „Tēbu“ und „Tēda,“ wie Barth in seinem Reisewerk schrieb, kann kein Zweifel obwalten; Barth selbst widerrief übrigens in seinen „Centralafrikanischen Vocabularien“ stillschweigend den Irrthum des früheren Werkes, indem er Tebu und Tedā adoptirte. Den Namen „Tedā“ nehmen die Tibbu Tibesti’s übrigens für sich allein in Anspruch, und zwar ist es ein Plural, wie [218] schon die Endung „ā“ andeutet, und kein Adjectiv und Singular und Plural zugleich (Barth). Man sagt zwar ganz richtig, wie Barth angab, „mōdi Tedā“ (die Tibbusprache) und besāfo Tedā (das Tibbuland; lardē, wie Barth angab, ist ein verstümmelter arabischer Ausdruck), doch ist „Tedā“ hier nur Genitiv Pluralis. Den Singular finden wir in dem Worte für den einzelnen Tibbu, allerdings mit Hinzufügung des Vaterlandes Tu, d. h. „Tedētū“ und entspricht das zweite „e“ in der That einer sehr gebräuchlichen Substantiv-Endung in der Einzahl. Daß sie das Wort „tu“ hinzufügen, könnte beweisen, daß sie ihre Stammgenossen ebenfalls als „Tedā“ anerkennen, während ich sonst immer specielle Bezeichnungen, selbst für die Einwohner Borgu’s, Wadjanga’s u. s. w. gehört habe.

Daß das Wort „Tu,“ wie Rohlfs berichtet, „Fels“ heißt, obgleich es in der Umgangssprache nie so gebraucht wird, scheint mir daraus hervorzugehen, daß ich unter den Tibbu Fezān’s zuweilen anstatt „Tedētū“ das ebenfalls zusammengesetzte Wort „Tedēémi“, dessen zweiter Theil in der jetzigen Umgangssprache „Fels, Stein“ bedeutet, gefunden habe. Hieraus geht ferner die Berechtigung der Araber hervor, die Tibbu Tibesti’s als „Tibbu Rešāde“ (Felsentibbu) zu bezeichnen.

Was endlich den Ausdruck „Tibesti“ angeht, so ist mir derselbe noch nicht vollständig klar geworden, denn wenn auch ein etymologischer Zusammenhang mit „Tibbu“ nicht sehr fern zu liegen scheint, und wir andererseits vielleicht in dem Tedā-Wort „bízī“ das ebenfalls „Fels“ oder „Stein“ bedeutet, einen Anhaltspunkt zur Erklärung finden, so genügen mir doch beide Hypothesen nicht, und hat die letztere vorzüglich das gegen sich, daß ich das Wort „Tibesti“ niemals von den Tedā als ihrer Sprache angehörig vernommen habe.

Da die geographische Nomenclatur der Tibbu von Interesse und Wichtigkeit für die Beurtheilung ihrer geschichtlichen Relationen mit den Nachbarvölkern sein kann, so führe ich die mir bekannt gewordenen Ausdrücke hier an. Hier ist es von Interesse, daß sie ihren Vettern in Borgu, Wadjanga und Ennedi die nationale Benennung „Tedā“ vorzuenthalten scheinen und ihnen einfach den Namen „anna Borgu, anna Wãnja“ (dieser Ausdruck ist gewöhnlicher als Wãdjãnga, die „a“ werden näselnd gesprochen), und anna Áno, d. h. Leute von Borgu u. s. w. beilegen. Warum die von den Arabern „Terrauïa“ genannten Einwohner Ennedi’s den Namen anna Ano haben, während sie das Land „Ennedi“ nennen, wie die Araber, weiß ich nicht anzugeben.

Als ihre wirklichen Brüder scheinen sie unter den Tibbu nur die Tibbu Kauar’s und die Fezān’s anzuerkennen, welche allgemein als Tibbu Rešāde, Tedā, bezeichnet werden, obgleich die Länder selbst [219] besondere Namen führen. – Für die übrigen Tibbu, wie Goraʿan, Dāza, Bulgedā u. s. w. haben sie die bei den Arabern üblichen Bezeichnungen. Die Batelē sind „anna Batelē,“ da „Batelē“ die Landschaft der ersteren bedeutet, was die Araber zusammengeworfen haben.

Rohlfs’ Ausdruck „Enneri“ (heißt Fluß, Thal) für Wãnga oder Wãdjãnga scheint nur auf einem Irrthum zu beruhen.

Das Schwesterland, so zu sagen ihre Colonie, Kauar, nennen die Tibbu Rešāde: Enneri Túgē (kein Tibbu Tu’s hat mir die Schreibweise „hénderi“ (Barth, Rohlfs) durch seine Aussprache rechtfertigen können), was bedeutet „das Thal der Städte“ (Corruption von Túgui, Ort aus Erde oder Stein erbaut, im Gegensatze ihrer Hütten und Dörfer.)

Außer mit den erwähnten Brüdern und Vettern stehen sie in Verbindung mit Fezān, Bornu, Wadaï, Dar Fōr, Haussa, den Arabern und den Tuareg.

Fezān oder Fezzān nennen sie „Zēïla“ und die Bewohner „anna Zēïla,“ Beweis, daß ihre hauptsächlichste Verbindung mit diesem Lande aus einer Periode stammt, in der Zuïla der Hauptbestand des Landes war, d. h. vor der Dynastie der Uelād Mohammed, welche 700 Jahre lang vor der Eroberung durch die Türken über Fezān herrschten. Wenn Rohlfs für „Fezāner“ den Ausdruck „Kikēnā“ in Erfahrung gebracht hat, so kenne ich denselben zwar nicht, doch wirft er ein Licht auf die allgemeine Ansicht über den Ursprung der Bevölkerung Fezān’s, indem Kikēnā eigentlich nur heißt „Šušān,“ d. h. Sprößlinge von Freien und Sklaven.

Bornauer nennen sie „anna túgui“ oder „túgubā“ oder „anna génī.“ In „tuguba“ ahnte Barth’s philologische Natur einen dunklen Zusammenhang mit „Tubu,“ doch ist dies ein vollständiger Irrthum. Túgui heißt, wie[WS 1] oben erwähnt, „Stadt,“ und so bedeutet „anna túgui“ oder „túgubā“ einfach „Stadtleute.“ Anna génī heißt dasselbe, da „génī“ eine „aus Erde oder Stein aufgeführte Ortschaft“ ist.

Warum sie für Wadaï den Namen „Mork´a“ und für seine Bewohner „anna Mork´a“ haben, weiß ich nicht.

Für die Haussaner haben sie „anna āfono“ für Dar Fōr „Fōr,“ für die Fúlāh den Ausdruck „Felāta“ mit den Arabern dieser Gegend gemein.

Die Tuareg ferner heißen sie „yéburdē,“ pl. yéburdā,“ was Barth ganz richtig zerlegte in „yébur“ (Krieg) und „dē“ (Adjectiv-Endung oder Silbe zur Bezeichnung von Stand, Gewerbe, Beschäftigung).

Die Araber endlich führen bei ihnen den Namen „yógodē,“ pl. „yógodā“ dessen Erklärung mir ebenfalls entgangen ist.

[220] Es scheint mir hier ebenfalls am Platze, die sonderbaren Verwechslungen in der Bezeichnung für die verschiedenen Himmelsrichtungen zu erwähnen, die sowohl zwischen Tedā und Kanuri stattgefunden haben, als auch der Tibbusprache in ihren verschiedenen Dialecten nicht fremd geblieben zu sein scheinen.

Ganz einig sind die Tedā mit den Kanuri nur in der Bezeichnung von Süd, das im Kanuri „ānem“ oder „anum,“ und im Tedā „onúm“ oder „oném“ heißt. Yálā ist zwar ebenfalls bei allen Theilen gebräuchlich, doch während es das einzig richtige Kanuri-Wort für „Nord“ ist, taucht außer ihm im Tedā noch „mā“ auf, was Barth sogar allein für diese Himmelsrichtung angab. In Tibesti hörte ich zwar allgemein gebräuchlich nur „yálā,“ doch gab es Individuen, denen „mā“ in der Bedeutung „Nord“ nicht unbekannt war; Andere erklärten es für Ost.

„Yálā“ für „West,“ welches Barth neben „dī“ gab, ist mir zwar ebensowohl als Rohlfs gänzlich unbekannt geblieben, beruht aber vielleicht nur auf einem Irrthum des berühmten Forschers, der seine Studien der Tibbu in Bornu und Kanem machte.

Für Ost hat die Kanuri-Sprache nur „gedī,“ während die Tibbu diese Himmelsrichtung mit „fōtō“ bezeichnen; und umgekehrt nennt jene West „futē“, und diese haben dafür den Ausdruck „“.

Für jetzt kann ich zur Erklärung dieses sonderbaren Umtausches (sowohl Barth als Rohlfs geben analoge Thatsachen bei anderen Völkerschaften an) keine Hypothese liefern; doch scheint es mir von Wichtigkeit, wie schon Rohlfs sagt, zur etwaigen Aufklärung über frühere und ursprüngliche Wohnsitze oder Verbindungen mit andern Völkern, diesen Punkt nicht aus den Augen zu verlieren. Es würde leichter sein, diesen sprachlichen Wirrwarr zu klären, wenn irgend welche Traditionen über Herkunft, Abstammung und Geschichte bei den Tibbu selbst aufbewahrt geblieben wären.


Ethnographische Stellung der Tibbu.

Wir rechnen als zur Familie der Tibbu gehörig, außer den Einwohnern von Tu, Wãnja und Borgu noch die anna Áno (Terráuīa) in Ennedi; die Zorhaua nördlich von Dar Fōr; die Goraʿan nördlich von Wadaï und Kanem; die Dāsa nördlich vom Tsad-See; die Gemeinden in Fezān (Gatrōn, Bachi, Medrussa in Tedžerri), die jedoch kaum seßhaft genannt werden können, und die Bewohner Kauar’s, welche beide den Tibbu Rešāde angehören; endlich die zahlreichen Stämme und Stämmchen, welche im Norden von Bornu, Kanem und Wadaï und in diesen Ländern selbst wohnen, und die theilweise in den Collectiv-Bezeichnungen [221] Goraʿan und Dāsa zusammengefaßt zu werden pflegen.

Wie bedeutend die Unterschiede zwischen diesen einzelnen Abtheilungen sind, können wir vorläufig noch nicht sagen. Genug, um sie in die nordafrikanischen Völkerfamilien einzureihen, hat man sie bis in die neueste Zeit fast allgemein als barbarischen Ursprungs bezeichnet oder sie wenigstens den Berbern näher stehend geglaubt, als irgend einer andern Völkerfamilie.

Untersuchen wir die geringen Anhaltspunkte, welche uns die Geschichte bietet, so finden wir die Tibbu der Stammländer selten auf der weltgeschichtlichen Bühne. Es sind vielmehr ihre Brüder und Vettern, welche Kauar, Kanem und die nördlichen nachbarlichen Districte von Dar Fōr und Wadaï (Zorhaua) und vor Wadaï und Kanem (Goraʿan) bewohnten, die in der kampfreichen, stürmischen, wechselvollen Entwicklung Bornu’s zu thätigen und oft blutigen Rollen gezwungen wurden.

Nachdem in einer dunklen Periode das aus „verwandten Elementen“ zusammengesetze Reich der Garamanten, das vom heutigen Fezān aus die Landstriche der libyschen Wüste nach Osten hin und die Länder bis zum eigentlichen Nigritien nach Süden hin in lockerem Staatsverbande zusammenhielt, dem unerbittlichen Gesetz der Vergänglichkeit gehorchend, dahin gesunken war, finden wir in der Mitte des 12. Jahrhunderts bei Edrisi ein kaum minder ausgedehntes Reich derselben Gegenden, das der Zorhaua (Zaghawa) beschrieben, das, wenn auch in geringerem Maaßstabe von Ebn Saʿïd (1282), Ebn Batūta (1353) und Makrisi (1400) erwähnt wird.

Es erlag dem wachsenden Bornureiche, das von Kanem aus schon zu Ende des 12. Jahrhunderts alle Länder bis nach Fezān hin unterworfen zu haben scheint. Auch diese glänzende Machtentfaltung dauerte sicherlich nicht lange, denn schon zur Zeit Ebn Batuta’s waren die Zorhaua wieder selbstständig und ging sogar Kanem den Bornuherrschern verloren. Hier hatten die Bulāla ein Reich gegründet, das ganze Kanem an sich gebracht (um 1400) und auch die Zorhaua unterjocht. – Leo Africanus sah zu Ende des 15. Jahrhunderts das Bulāla-Reich in vollster Machtentfaltung, war aber auch noch Zeuge seines Verfalls. Die Zorhaua gewannen ihre Unabhängigkeit wieder, Kanem wurde von einem energischen Bornukönige wieder erobert, und das stolze Gebäude der Bulāla war dahin. Das unglückliche Kanem blieb noch manchen schweren Kämpfen unterworfen und war bis in die neueste Zeit der Zankapfel zwischen Wadaï und Bornu; auch Kauar wurde wiederholt von den Bornukönigen mit Krieg überzogen. [222] Doch die nördlichen Bewohner der östlichen Wüste blieben unabhängig bis auf die neueste Zeit. Jetzt hat Wadaï die Zorhaua, welche früher in einem Abhängigkeits-Verhältniß zu Dar Fōr standen, tributpflichtig gemacht, und übt die Oberherrschaft über Ennedi und durch dies Land auch über Wadjanga aus.

Tibesti und Borgu, welche auch früher wohl nur unvollkommen unterworfen waren, sind seit lange ganz unabhängig, und auch Kauar genießt einer nominellen, freien Selbstbestimmung, wenn auch die Bevormundung, welche es von Seiten der Tuareg Kēl-owí zu ertragen hat, schwer auf ihnen lastet.

Diejenigen Stämme der Tibbu, welche am meisten in der Entwicklung Bornu’s und Kanem’s verflochten waren, konnten sich natürlich der Einwirkung jahrhundertelangen, bewegten Zusammenlebens mit den übrigen Volkselementen der genannten Länder nicht entziehen. Am meisten schienen die Tibbu Kanem’s sich den Bornu- oder Sudān-Elementen zu assimiliren; doch auch die Einwohner Kauar’s erfuhren einen bedeutenden Einfluß. Kauar beherrscht den Weg nach der Nordküste Afrika’s und besitzt die reichen Salzminen von Bilma: wichtige Gründe für die Bornukönige, sich den Besitz dieses Landes zu sichern. Schon im 11. Jahrhunderte finden wir daher Kauar dem Kanemreiche unterworfen, und erfahren, daß ein Bornukönig Arki zahlreiche Sklaven dort ansiedelte, um durch Aufpfropfung anderer Elemente den nationalen Charakter der Tibbu zu modificiren und sich das Land zu sichern.

Die genannten Schriftsteller, geschichtliche Documente und Ueberlieferungen, welche uns über die langen Jahrhunderte von Kampf und Wirrwarr, die der östliche Sudān erfuhr, berichten, kennen den Namen Tibbu nicht. Dieser stößt uns zuerst beim Imam Achmed auf, der zu Ende des 16. Jahrhunderts die Heldenthaten des Bornukönigs Edriß Alooma berichtet und[WS 2] aus eigener Erfahrung die Tibbu Kauar’s und Kanem’s kannte. Daß man im Allgemeinen im Sudān, entfernt von den eigentlichen Sitzen der Tibbu, den Namen der zunächst wohnenden und bedeutendsten Abtheilungen der ganzen Nation beilegte, kann uns nicht Wunder nehmen. So geben die Zorhaua zur Zeit ihrer Machtenfaltung allen Völkern, welche sie unter ihrer Herrschaft vereinigten, ihren Namen, und sogar Makrisi bezeichnete die Bewohner der heutigen Tibbulandschaften mit „Zāghai;“ so nahm Leo Africanus die Goraʿan für die ganze Nation.

Noch empfindlicher als dieser Mangel an Namen oder die falsche Anwendung derselben ist der Mangel an jeder Discussion über die nationale Abkunft der abgehandelten Stämme. Wir finden auch nicht das geringste Urtheil in dieser Beziehung, weder über die Zorhaua, [223] noch die Goraʿan, weder über die Bewohner Kauar’s, noch viel weniger über die der nördlichen Tibbulandschaften. Wir ersehen aus ihnen nur einen ursprünglichen, nationalen Gegensatz der Tibbu zu den Völkern des östlichen Sudān.

Wenn Leo Africanus die Goraʿan ein „ganz barbarisches Volk mit nomadischen Sitten und unverständlicher Sprache“ nennt, so scheidet er sie dadurch ebenso entschieden von den Negern, als von den Berbern, mag er damit die Zorhaua gemeint haben oder nicht.

Der Scheich Mohammed Ebn Omar-el-Tunsi spricht sich bestimmter über die Goraʿan aus und trennt sie ganz entschieden von den Sudanern. Er schildert sie als braun, ähnlich den Egyptern (so hellfarbig, daß die Wadaïer, welche allzu helle Hautfärbung nicht lieben, die Sklavinnen aus diesem Stamm verachten), zierlich von Gestalt, daß sie nicht sudanischer Abkunft zu sein schienen. Man sieht aus dieser kurzen Notiz, daß seine Beschreibung besser einem Berberzusammenhange entspricht, als engeren Beziehungen zu den Negern.

Eine Hauptstütze für diejenigen, welche den Berberursprung der Tibbu aufrecht erhielten, war ein Zeugniß Leo’s des Africaners, das Barth zu entkräften versucht hat. Leo erzählt uns, daß zur Zeit seines Aufenthalts im Sudān die Landstriche im Norden von Bornu und Kanem bis Fezān und Udžila hinauf dem Berberstamme der Berdoa (Berdeoa, Bardeoa, Berdeïtae, Bardeitae, Berdeva, Birdeva) gehorchten; daß dies derselbe Stamm sei, aus welchem Saef, der Stammvater der Bornu-Könige entsprang, der gegen 900 n. Chr. das weite Königreich Kanem gründete; und daß die Wohnsitze desselben von einer Karavane, die von Udžila südlich zog, gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der libyschen Wüste entdeckt wurden.

[Man hat diese Wohnsitze zu fixiren gesucht und nahm vielfach ganz willkürlich Borgu an, zugebend, daß diese Landschaft eigentlich für diese Annahme zu weit von Udžila entfernt wäre.]

Diese Relation Leo’s wurde um so weniger angezweifelt, als Makrisi und später der Sultan Bello in vollständiger Uebereinstimmung mit ihr der Bornu-Dynastie einen berberischen Ursprung zuschrieben.

Als Barth, auf seine Sprachstudien gestützt, die Ueberzeugung von der nahen Verwandtschaft zwischen Tedā und Kanuri gewonnen hatte, suchte und fand er, ohne der Autorität Leo’s zu nahe zu treten, einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit, die für die allgemeine Auffassung der Tibbu als von Berberursprung sprach. Er gab danach zu, daß zu Leo’s Zeit ein Berberstamm „Berdoa“ in der libyschen Wüste gelebt haben müsse, und daß aus diesem zu Ende des 9. Jahrhunderts die Bornu-Dynastie ihren Ursprung genommen habe. Er fügt sogar hinzu, daß derselbe möglicherweise schon Jahrhunderte zuvor im [224] „Lande der Berdoa“ (Borgu?) gelebt und florirt habe. Doch, um seine Ansicht, daß die ursprünglichen Bewohner der östlichen Wüste nichts mit den Berbern gemein hätten, zu stützen, nahm er an, trotzdem ihm die Endungen der Worte Berdoa, Berdeva etc. einen Tedā-Charakter zu haben schienen, daß die Berdoa aus berberischen Wohnsitzen in die Tibbuländer gekommen seien und sich daselbst festgesetzt hätten.

Ich verkenne keineswegs die hohe Bedeutung der Sprache eines Volkes in der Feststellung seiner Abstammung, und selbst wenn ich nicht von der Verwandschaft der Kanuri- und Tedā-Sprache betroffen worden wäre, wie Barth es war (meine philologischen Kenntnisse würden nicht daran denken, eine Autorität, wie die Barth’s, in dieser Beziehung kritisiren zu wollen): doch darf man, scheint mir, über die Bedeutung des sprachlichen Elementes nicht alle anderen Momente vergessen, welche die Nationen charakterisiren und von einander scheiden. Leo’s Zeugniß scheint mir ganz entschieden nur ein Ausdruck der allgemeinen Ansicht zu sein, daß mehr gegen Norden zu, in der libyschen Wüste, Berber wohnten und domizilirten, oder Leute mit Berbernatur, deren zur Zeit bedeutendster Stamm, die Berdoa, schon vor Jahrhunderten Bornu einen König gegeben habe. Und haben wir nicht noch ein anderes Zeugniß, welches dieser Ansicht einen directeren Ausdruck verleiht, in der Bemerkung des citirten Scheich Mohammed Ebn-Omar-el-Tunsi, daß die Tuareg ihren Ursprung von den Tibbu genommen hätten? Ich will durchaus nicht die geographischen Kenntnisse und ethnographischen Studien des geistreichen Scheich’s verherrlichen, doch scheint mir seine Ansicht in diesem Falle mehr oder weniger der allgemeinen Anschauung zu entsprechen.

Doch betrachten wir die entgegenstehende Hypothese Barth’s etwas genauer. Dieser berühmte Forscher sagte: der unzweifelhaften Autorität Leo’s gegenüber, der man das Vorhandensein der Berdoa in der libyschen Wüste, ihre Berbernatur und den Ursprung der Bornu-Dynastie aus ihnen nicht abstreiten könne, müsse man annehmen, daß diese Berdoa oder Berdeva, trotz der Tedā-Endung ihres Namens, ein aus Westen in die Tibbuländer gedrungener Berberstamm seien, dem seine Eroberungen im Osten durch die zeitweise Ohnmacht Bornu’s erleichtert worden seien.

Zunächst scheint es mir schwierig, nicht allein die Existenz, sondern sogar die Herrschaft eines zuerst unbedeutenden, feindlichen Elementes in Mitten der Tibbuländer für eine lange Reihe von Jahrhunderten zuzulassen, wie es doch sein müßte, wenn, wie Barth sagte, „möglicherweise die Berdoa schon Jahrhunderte vor dem ersten historischen Bornukönige Saef in diesen ihren östlichen Wohnsitzen gelebt und geherrscht hätten.

[225] Aber selbst wenn wir annehmen wollen, daß der etwas mythische König Saef aus dem Stamme der Berdoa zu einer Zeit zur Herrschaft in Bornu gelangte, als sein Stamm noch seine westlichen Wohnsitze inne hatte, und daß dieser erst viel später mit der sinkenden Macht des Bornureiches nach Osten vorgedrungen sei: so scheint mir, daß die Tibbu zu allen Zeiten durch die glückliche Beschaffenheit ihrer von Wüsteneien umgebenen und großentheils durch Berge unzugänglichen Wohnsitze stets stark genügt in der Defensive waren, um einen äußeren Feind von beschränkter Zahl an der dauernden Besetzung einer unbedeutenden Oase zu verhindern, und nicht lammesmüthig genug, ihm so lange Zeit und in so großer Ausdehnung zu gehorchen.

Das letzte Argument würde sehr an Bedeutung gewinnen, wenn sich meine Vermuthung, daß die Wohnsitze der Berdoa, welche eine Karavane, die von Udžila südlich zog, entdeckte, mit dem weiten, fruchtbaren Thale Bardei im östlichsten Theile Tibesti’s identisch sind, bestätigen sollte. Dies Thal ist in der That für Leute, welche mit Waffen kämpfen, welcher sich Tibbu und Tuareg bedienen, fast uneroberbar. Es scheint mir in der That durch Name und Lage viel besser der Relation Leo’s zu entsprechen, als das hypothetisch acceptirte Borgu. Nennt er nicht die Berdoa auch Bardeïtae? Liegt es nicht südlich von Udžila und näher dieser Oase, als Borgu, dessen Annahme aus diesem Grunde vielen unstatthaft schien? Seine geringe Ausdehnung involvirt keinerlei Unmöglichkeit oder Unwahrscheinlichkeit; noch jetzt umfaßt es fast die Hälfte der Bevölkerung Tibesti’s in, so viel ich weiß, acht geschlossenen Ortschaften. Ist das Thal Bardeï, deren Einwohner noch Bardēoa genannt werden, identisch mit den Leo’schen Wohnsitzen des „Berberstammes der Berdoa,“ so wird Barth’s Ansicht unhaltbar. Schon die Erklärung des Namens würde äußerst schwierig werden. Entweder wäre der Name Bardoa oder Berdoa, wie es selbst Barth scheint, von Tedā-Ursprung, und dann müßten die erobernden Berber den Namen der unterjochten oder doch besiegten Tibbu angenommen haben, oder aber der Name ist trotz seines Klanges von Berber-Ursprung, und dann müßten die vertriebenen und besiegten Tibbu, als sie wieder in Besitz ihrer Heimath gelangten, den Namen der verhaßten Eroberer angenommen haben; beides ist natürlich gänzlich unzuläßig. Wollte man dieser Argumentation entgegentreten durch die Annahme, daß die Berdoa Leo’s erobernde Berber seien, welche die gewonnenen Wohnsitze bis auf den heutigen Tag occupirten und sich nach und nach mit den Tibbu-Elementen vermischt hätten, so würde dies ebensowenig stichhaltig sein, da doch sicherlich in diesem Falle Anklänge an die frühere Heimath, Reste der Berbersprache, physische und psychische Eigenthümlichkeiten bei den jetzigen [226] Einwohnern gefunden werden müßten, während sie doch ohne allen Unterschied von den übrigen Tibbu sind. – Aus allen diesem scheint mir hervorzugehen, daß Leo und viele Andere vor ihm und nach ihm die ursprünglichen Einwohner der in Frage stehenden Landstriche mehr den Berbern als irgend einer andern Völkerfamilie zuzählten. Es scheint mir weit natürlicher, dies anzunehmen, zumal da namhafte Gelehrte bis in die neueste Zeit derselben Ansicht huldigten, und selbst diejenigen, welche die Verwandtschaft zwischen Tibbu und Negern betonen, doch wesentliche Unterschiede zwischen beiden anerkennen, als ohne reellen Anhalt eine Berber-Invasion in die Tibbuländer zu improvisiren.

Diese ganze Frage entscheidet natürlich durchaus nicht die viel wichtigere über die Abstammung der Tedā. Leo konnte irren, wie so Viele gethan haben, aber auch Barth hat unterlassen, wichtige Momente in den Kreis seiner Argumentation zu ziehen, Momente, die in einer Aburtheilung solcher Fragen nicht übersehen werden dürfen.

Ich für mein Theil, ohne mich der Verwandtschaft der Kanuri- und Tedāsprache verschließen zu können – und, wie Barth sagt, kein vorurtheilsfreier Forscher kann diese leugnen – halte die Frage über die Abstammung der Tedā dadurch noch nicht für erledigt, neige sogar vorläufig dazu, sie den Berbern mehr zu nähern als den Kanuri.

Physische Formen und Eigenschaften, psychisches Leben, gesellschaftliche Sitten und Einrichtungen haben in derartigen Fragen ebenfalls ihre hohe Bedeutung, und nähern im vorliegenden Falle die Tibbu mehr den Berbern, als den Negern, wie man aus meiner Beschreibung der Einwohner ihres Stammlandes „Tu“ erkennen wird.

Und wer weiß, ob nicht ein fortgesetztes vergleichendes Studium des Alt-Egyptischen mit der Tedā- und der Kanuri-Sprache und eine genauere Kenntniß der frühesten Entwickelung des Bornureiches und seiner Bevölkerung die Bedeutung der Thatsache, auf welche Barth sich stützte, vermindert? Welches Urtheil auch competente Gelehrte nach Vervollständigung und Sichtung des Materials fällen werden, ich halte es für übereilt, die Tedā mit so einfacher Sicherheit den Negern einreihen zu wollen, wie Gerhard Rohlfs es thut (Petermann’s Mitthl., Ergänzungsheft No. 25, Seite 28).

Ich wende mich jetzt zu der Landschaft Tibesti und ihren Bewohnern und beginne mit einer kurzen geographischen Skizze.

Die Landschaft Tu, Land der Tedā oder Tubu oder Tibbu Rešade, Felsen-Tibbu, ist ein wildes Gebirgsland mit einer Längenausdehnung von ungefähr 5 Breitengraden (18°–22° nördl. Br.). Das centrale Gebirge erstreckt sich in seiner nördlichen Hälfte als einfache Kette mit kurzen Ausläufern, welche die Ursprünge der Flußthäler begleiten, [227] mehr oder weniger von Nord nach Süd; in seiner südlichen Hälfte stellt es ein wildes Gewirre von Ketten und Gruppen dar, welche eine ausgedehnte Gebirgslandschaft erzeugen, deren höchste Erhebung aber als Fortsetzung der nördlichen Hälfte mit starker Abdachung nach Osten angesehen werden kann. Die Breitenausdehnung Tibesti’s ist schwer zu bestimmen; denn wenn auch das ganze Gebiet, welches nach NW., W., SW. von der Bornustraße begrenzt wird, den Tibbu Rešāde gehört, so finden sich doch die dauernden Wohnsitze derselben nur in den Anfängen der zahlreichen Flußthäler, denen das Gebirge Ursprung giebt, und am Fuße oder im Innern des letztern. Entfernter von ihm findet man nur sehr sporadische und vorübergehende Bewohner behufs der Kameelweide oder der Taberka-Ernte (Coloquinthen-Kerne). Nach Osten gegen Wadjanga hin ist die Gegend bewohnter und nähert sich wohl jener Landschaft mehr, als man oft annahm. Viele Modžābra, die von Džālo aus Wadjanga besucht haben, versicherten mich, von dort aus die höchsten Berge Tibesti’s gesehen zu haben. Leider verhinderten mich Fanatismus und Brutalität der Leute von Bardaï, den Osten ihres Landes zu durchwandern. Der gezwungene Aufenthalt eines vollen Monats auf einer Stelle ihres übrigens recht pittoresken und sehr fruchtbaren Thales hat mir die Zeit geraubt, die vollständig genügt haben würde, Wadjanga zu besuchen. Andere Gewährsmänner gaben mir die Entfernung Bardaï’s zum nördlichen Wadjanga auf 7 Tagereisen an; doch zwischen beiden Punkten befinden sich noch bewohnte Bezirke.

Genug, das Centrum der Breitenausdehnung Tu’s dürfte zwischen dem 17 und 18° östl. L. von Greenwich fallen.

Die Masse des Gebirges besteht aus Dolomit und verschiedenartigem Kalkgestein; auf ihnen erheben sich steile, massenhafte, wildgeformte, unheimliche, schwarze Berge und Felsen aus dunklem Sandstein. Die Ausläufer, welche die Flußthäler begleiten, sind fast ausschließlich Sandsteinfelsen. Der Knotenpunkt und die höchste Erhebung des Gebirges scheint da zu sein, wo die nördliche Kette sich theils auflöst, theils nach SO. abgelenkt wird. Der Gebirgsrücken hat hier eine Breite von 3 Tagereisen, und mein Kochthermometer gab mir ohne Correctionen eine höchste Erhebung des Uebergangspasses von ca. 6700 Fuß. Auf dieser Höhe erhebt sich der höchste Berg Tibesti’s, Emi Tuzzídde, ein Kegel mit riesenhafter Basis, der aus der Ebene bei transparenter Atmosphäre aus einer Entfernung von mehreren Tagereisen gesehen wird, und der sich noch 1000 Fuß über die angegebene Höhe seiner Basis erheben mag.

Andere hervorragende Berge auf der Kette sind der Emi Tími, Emi Bómo, Emi Bóto, Emi Dusso.

[228] Die aus dem Gebirge entspringenden Flußthäler sind zahlreich und die einzigen Träger der Vegetation. Auf der westlichen Seite des Gebirges trifft man von Norden kommend:

1) Enneri Ābo oder Ūro, in seinem westlichen Theile Udui genannt, mit zahlreichen Nebenflüssen, deren bedeutendsten der Árabu und Aru sind, enthält in den Thälern seines Systems einige Dattelpalmen, viele Dumpalmen, Talhabäume und einige andere Mimosenarten in großer Zahl, und Futterkräuter (Hād, Sebott, Burekkeba) und Gräser in reicher Auswahl.

2) Zwei und eine halbe Tagereisen südlich vom bewohnten Theile des Abo, der als Populations-Centrum denselben Namen führt, stößt man auf die drei Flüsse Kauno, welche am westlichen Abhange des Tuzzídde entspringen, gegen WSW. zusammenlaufen, und sich mit dem etwas südlicher verlaufenden Enneri Mini vereinigen, bevor sie in der Ebene ersterben. Vegetation: Talha und eine oder zwei andere Mimosenarten, Arkéno, einige Gräser und Kräuter.

3) Eine weitere halbe Tagereise führt zum Flußsystem, das man unter der Bezeichnung Enneri Tao zusammenfaßt, und dessen Hauptthäler Enneri Dhommādo und E. Dausāda sind. Sie haben zahlreiche Nebenflüsse und Ursprünge, die vom südwestlichen Abhange des Tuzzídde kommen, verlaufen WSW., fließen zusammen, bevor sie den Emi Durso erreichen, und vereinigen sich hier mit dem Enneri Zúar. Vegetation: Vorwaltend Talha, viel Arkéno und Kússomo, einige Tarik, großer Reichthum an Bu Rekkeba, Nessi und Sebott.

4) Eine kurze Tagereise weiter stößt man auf Enneri Zúar, der nach einem Verlaufe von zwei sehr starken Tagereisen innerhalb des Gebirges bei Zuarkai (Mund des Zúar) in die Ebene tritt, in WNW. verläuft und sich bei dem Emi Dúrso mit dem letztgenannten vereinigt. Das Populations-Centrum Zúar liegt eine halbe Tagereise von Zuarkai im Innern des Gebirges, und Tao und Zuarkai ungefähr gleichweit vom Emi Dúrso entfernt (etwa einen halben Tag). Vegetation: Vorwiegend Síwak (Súak), viele Talhabäume und Arkéno, Tintafien und Kússomo, Kräuter und Gräser.

5) Eine Tagereise SSO. von Zuarkai erreicht man Enneri Mármar da, wo das Thal zuweilen bewohnt ist. Er verläuft SSW. und bietet bezüglich der Vegetation nur zahlreiche Talhabäume und einige Kräuter und Gräser.

6) Nahe dem Mármar und ihm ungefähr parallel trifft man auf Enneri Soróm, selten und spärlich bewohnt, mit ebenfalls kärglicher Vegetation.

7) Eine Tagereise SSO. von Mármar verläuft der Yóō; südostlich von ihm folgt der Ugui, dann der Māro, der eine Tagereise [229] südöstlich vom Yóō überschritten wird, und in eben dieser Entfernung mit südlicher Richtung folgt der Āo. Diese vier haben sehr unbedeutende Populations-Centren, verlaufen in SW. und bilden durch ihre Vereinigung Enneri Krēma, ein sehr breites, doch wenig fruchtbares Flußthal.

8) Einen kurzen Tagemarsch SO. von Āo betritt man Enneri Dummór, das südlichste Flußthal Tibesti’s, mit fruchtbarer Umgebung und zahlreicher Bevölkerung. Großer Reichthum an Gräsern und Futterkräutern.

Die Länge keines dieser Flußthäler, welche übrigens ein scharf begrenztes Bett und sandigen Grund haben, übersteigt drei Tagereisen, viele erreichen nicht einmal die von zweien. Die bewohntesten und bedeutendsten durch Breite und Vegetations-Reichthum sind Enneri Ābo mit seinen Nebenthälern, Enneri Tao, früher Sitz eines Sultans, und Enneri Zúar, jetzt Sitz des Sultans und der hervorragendsten Edlen.

Enneri Dummór ist weniger durch seine Größe als durch seine fruchtbare Umgebung und die Zahl seiner Bewohner (fast alle Dirkemauïa) bedeutend. Mit Ausnahme des soeben genannten Dammór sind die Flußthäler Tibesti’s die alleinigen Träger der Vegetation und folglich die einzigen bewohnbaren Theile des Landes. Zwischen ihnen hegt dürrer, steiniger Felsboden, der keinen Grashalm erzeugt.

Wasser zum Gebrauch für den Menschen findet sich in den großen Höhlungen der Sandsteinfelsen, welche natürliche Cisternen darstellen, oft geräumig genug, um für viele Jahre den Bedarf der Bevölkerung zu bergen. Es existirt kein künstlicher Brunnen, keine Quelle in der westlichen Hälfte Tibesti’s.

Oestlich vom Gebirge sind die Boden-, Vegetations- und Wasserverhältnisse den Menschen günstiger. Wir finden daselbst das bei weitem bedeutendste Flußthal Tibesti’s, Enneri Bardaï, welches vom Emi Dússo im SO. der Landschaft seinen Ursprung nimmt, von SO. nach NW. (OSO–WNW?) verläuft und nach einer Länge von 4 Tagereisen gegen das nördliche Ende der centralen Kette hin allmählig erstirbt. Die Möglichkeit eines Verlaufes von vier Tagen in der Richtung NW. beweist die starke Ablenkung, welche die südliche Hälfte des Gebirges erfährt.

Im ganzen Enneri Bardaï und in vielen seiner Nebenflüsse, welche meist von SW. nach NO. sich zu ihm schlängeln, findet sich reichliches und süßes Wasser in sehr geringer Tiefe (ich sah Brunnen von 0,75m). Die mir bekannt gewordenen Nebenflüsse sind von West nach Ost: Enneri Ifótui mit dem Enneri Udēno (Gazellenfluß), Enneri Arabdei, Enneri Gónoa (mit Quelle) und Enneri Iraīra. Diese habe ich [230] selbst passirt, doch war später zu Bardaï mein Verhältniß zu den Einwohnern nicht günstig genug, um Erkundigungen einziehen zu können.

Der Wasserreichthum des Hauptthales hat eine seßhafte Bevölkerung erzeugt, die sich der Dattelzucht und Gartencultur widmet. Durch letztere wird ein wenig Weizen, Ksob (Negerhirse), Ngafoli (Sorghum), gewonnen. Fruchtbäume fehlen außer der Dattelpalme gänzlich. Doch stellenweise sollen sie auch Bohnen züchten, und Kürbisse verschiedener Art und Pastaken (Wassermelonen) habe ich selbst gesehen.

Vom Hauptpopulations-Centrum, Bardaï genannt, gelangt man nach zwei Tagereisen in nordöstlicher Richtung zum Enneri Auso, ungefähr parallel dem Bardaï, doch viel unbedeutender und spärlicher bevölkert.

Von demselben Punkte gelangt man in direct südlicher Richtung durch eine starke Tagereise zur Quelle Yērike, deren Thermen-Natur ganz unzweifelhaft ist. Das Wasser scheint sogar so heiß zu sein, daß man sich dem Sprudel bei seiner Dampfentwicklung nicht ganz nähern kann; jedenfalls muß es erkalten, ehe man es trinkt. Sein Hervorsprudeln ist mit Detonationen verbunden (über diese sind alle meine Berichterstatter einig; während die Rapporte über den Hitzegrad variiren). Man trinkt davon 1–2 Gläser voll (doch nach Bedürfniß mehr oder weniger); der Geschmack ist bitter-salzig; die Wirkung ist eine allgemeine, ohne Diarrhöe etc., und heilt oder beeinflußt günstig alle Krankheiten der Haut, der Muskeln, Knochen und sehnigen Gebilde. Hilft es das erste Mal nicht, so versucht man es nicht zum zweiten Male.

Ich selbst habe diese interessante Quelle nicht besuchen können, und wenn ich so viel Freiheit gehabt hätte, es wagen zu können, so würde man mich sofort todtgeschlagen haben. Für so kostbar halten sie diesen Schatz, ihren einzigen Reichthum, wie sie in richtiger Würdigung ihrer Heimath sagen, daß sie nicht nur nicht an der Möglichkeit, sondern sogar nicht an der Wahrscheinlichkeit einer Invasion von Türken oder Christen zweifeln, wenn Jemand den Schatz gesehen und darüber zu Hause berichtet hätte.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Fauna Tibesti’s, soweit sie Bezug auf die Einwohner hat. – Die Hausthiere beschränken sich auf Kameele, Ziegen, Schafe und Esel, und sehr wenige Katzen und Hunde. Der Reichthum an Kameelen der Tēda Tu’s ist viel unbedeutender, als ich früher vermuthete. Wo die Araber nach Hunderten zählen, zählen sie höchstens nach Zehnern. Die Einwohner Ābo’s scheinen die meisten zu besitzen; die Bardaï’s haben fast gar keine, denn ihr sonst verhältnißmäßig so reich ausgestattetes Thal versagt [231] ihnen alle Kameelnahrung außer den Datteln. Doch was ihnen an Zahl abgeht, ersetzt zum Theil die Qualität. Die Tibbu Rešāde haben die schönsten Kameele, die ich je sah, wenn von Schönheit bei diesen Thieren die Rede sein kann. Höher, schlanker, schneller, gelenker als ihre arabischen Brüder, sind sie zum Reiten und zum schnellen Reisen ungleich geeigneter, als diese. Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit sie in ihren heimischen Bergen herumklettern, und nicht übertrieben, wenn der Scheikh Mohammed-el-Tunsi sagt, daß die Tibbu auf ihnen, wie auf Pferden, manövrirten. Sie werden nicht durch einen Zügel gelenkt, der ihren schlaffen Nasenflügel einerseits durchbohrt, sondern tragen eine eiserne Klammer, welche jedoch nicht preßt, auf der Nase. Wenn es unmöglich ist, ihnen mit arabischen Kameelen zu folgen, so haben diese jedoch den Vortheil stärker, vierschrötiger, zum Lasttragen geeigneter und bei gleicher Nahrung ausdauernder zu sein.

Außer den Kameelen haben sie zur Arbeit noch schöne, starke Esel, welche bei der beschränkten Anzahl der ersteren sehr nothwendig, für die Bardaïer aber ganz unentbehrlich sind.

Ihr Hauptreichthum besteht in ihren großen Ziegenheerden, die zwischen den Felsen herumkletternd stets Nahrung genug für ihre bescheidene Existenz finden, und bei günstigen Nahrungsverhältnissen, d. h. bei häufigem Regenfall, sogar sich zu dauernder Milchsecretion aufschwingen. Sie sind klein, doch kräftig, ganz glattharig und meist dunkelfarbig.

Seltener und viel geschätzter sind die Schafe, die sich sehr wesentlich von ihren Mitschafen anderer Länder unterscheiden. Sie haben einen langgestreckten Ziegenkopf, sind sehr hochbeinig, haben einen langen, dünnen Schwanz, der fast bis auf den Boden reicht, und den besonderen Schmuck eines langen, schwarzen, glänzenden Haares anstatt der Wolle. Ein Fell dieser schönen Thiere genügt zu einem Wintermantel oder Kleide für den Menschen. Leider sind sie in Tibesti selten (die meisten finden sich noch in Bardaï), während die Magátna, die nordöstlichen Nachbarn der Tibbu Rešāde, Ueberfluß daran haben sollen.

Pferde und Rinder, welche beide in früheren Zeiten dieser Gegend nicht fremd gewesen zu sein scheinen, finden sich nur noch bei den Dirkomauïa, welche die Gegend des Enneri Dummór bewohnen und die, wenn sie auch politisch zu den Tibbu Tibesti’s gezählt werden, doch besonders betrachtet werden müssen, und zwar auch hier nur in sehr beschränkter Anzahl. Was die Rinder betrifft, die früher in diesen Breitegraden die Kameele vertreten zu haben scheinen, so habe ich eine Tagereise westlich von Bardaï, im Enneri Udēno Erinnerungen [232] daran entdeckt, welche denen ähneln, die Barth in der Nähe von Ghāt fand. Sie bestehen aus einer großen Anzahl von auf gigantischen Sandsteinblöcken eingegrabenen Zeichnungen, die fast alle Darstellungen der genannten Thiere sind. Ich war zwar nicht so glücklich, in einer der Gruppen allegorische Figuren, phantastische Geschöpfe finden zu können, sondern sah nur bisweilen schlechtgelungene Darstellungen derselben Thiere. Einige trugen Reitsättel, doch fast alle Stricke um die Hörner gewunden, an denen, der widerstrebenden Stellung der Thiere nach zu urtheilen, eine unsichtbare Hand kräftig zog. Bei allen war, wie bei Barth’s Funde, die Darstellung der Füße vernachlässigt, während die Zeichnungen der Thiere im Uebrigen, wenn auch nicht künstlerisch befriedigend, doch mit sicherer Hand und ziemlich lebenstreu in den Stein gekratzt waren.

Neben ihnen figurirt auf einem der Blöcke die lebensgroße Gestalt eines Kriegers, welcher in der linken Hand eine Lanze führt, wie sie noch jetzt in Gebrauch sind, aber in der rechten einen Schild trägt, der durch ein breites Kreuz in vier Felder getheilt ist, wie man es jetzt, bei den nördlichen Tibbu wenigstens, keineswegs findet.

Die wenigen Katzen, welche ich sah, schienen mir in Nichts von den nördlicher wohnenden abzuweichen.

Von Hunden giebt es Wachthunde und Jagdhunde. Jene erfüllen ausgezeichnet ihren Beruf und sind von der Art derjenigen, wie man sie außerordentlich verbreitet bei den Arabern findet. Diese sind ausschließlich Windhunde, doch durch mangelhafte Race und durch Hunger entsprachen sie sehr wenig ihrer Bestimmung, Gazellen und Antilopen zu erhaschen. Beide Vertreter der Hundewelt sind übrigens selten.

Von wilden Thieren bevölkert ein schwarzer Affe, der fast menschliche Größe erreicht, die südlichen Flußthäler. Antilopen-Arten (A. bubalis, A. leucoryx und andere) und Gazellen sind sehr häufig; wilde Büffel sehr selten, und wegen ihrer widerstandsfähigen Haut, die sich sehr gut zu Sandalen eignet, besonders geschätzt; der Wadān kommt ebenfalls in ziemlicher Menge vor.

Der Schakal ist im östlichen Theile so zahlreich vertreten, wie nur irgend wo; die Hyäne ist nicht selten, und oft genug stößt man auf die Spuren des kleinen Fenek.

Die Vogelwelt ist zunächst durch einzelne Exemplare des Strauß vertreten (ich sah nur einen einzigen lebenden, fand jedoch seine kräftig in den Sand gegrabenen Fußspuren zu wiederholten Malen). Der Aasgeier und der Steppenrabe sind dagegen desto häufiger.


[233]
Nahrungs-Verhältnisse der Tibbu Rešāde.

Das Land „Tu“ ist, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, von kläglicher Armuth. Der ganze Westen ist aller und jeder Bodencultur baar; Alles, was in dieser Beziehung geleistet wird, concentrirt sich auf das eine Thal Bardaï. So führen natürlich die Bewohner der westlichen Thäler eine äußerst kümmerliche Existenz, ein Leben voller Sorgen um das tägliche Brod (natürlich figürlich gebraucht, denn dem Brode ähnliche Erzeugnisse kennen sie nicht), ja ein Leben voller Hunger. Fast ihre ganzen eigenen Subsistenzmittel bestehen in ihren großen Ziegenheerden, die ihnen nach den Regengüssen, die meist im Herbst statthaben und in keinem Jahre gänzlich fehlen, durch ihre Milch in Folge des frischen Kräutergenusses für lange Zeit das Leben garantiren; in den Samen der Coloquinthen, die sorgfältig eßbar gemacht werden, in den Schalen der Dūmfrucht, in den Beeren des Síwak-Strauches, und endlich in dem Samen des hohen Knotengrases (Burekkeba im Arabischen, Gúmosī in der Tedāsprache) der als Getreide behandelt wird. Man sieht, Alles muß herhalten. Trotzdem erlauben sie sich keinerlei Fleischgenuß, es müßte denn das Fleisch eines unbrauchbaren Kameels oder das einer Antilope oder Gazelle sein, wenn es einmal ausnahmsweise ihren halbverhungerten Bastard-Windhunden gelungen ist, eine zu ergreifen, oder es müßte eine Hochzeit oder eine öffentliche Opferfeier zur Erflehung von Regen oder eine andere Familienfeierlichkeit ihnen die Verpflichtung auferlegen, eine Ziege zu schlachten.

Der Sommer ist ihre härteste Zeit, und wenn in stiller Sommernacht das Klopfen der Dūmfrucht, deren Schale, fast so hart wie der Kern, erst durch gründliche Bearbeitung mit Steinen genießbar wird, zu mir herüber drang, so wußte ich, daß der Hunger hart in den Eingeweiden des emsigen Klopfers nagte. Die ausschließliche Nahrung der Schale der Dūmfrucht ist nur ein langsamer Hungertod, von dem auch die Beerchen des Síwak, von der Größe unserer sogenannten „Corinthen,“ nicht erretten können. Jetzt nach überstandenen Leiden kann ich mich kaum darüber wundern, daß die Unglücklichen, welche ihr Geschick in dieser verhängnißvollen Jahreszeit im unwirthlichen Westen zurückgehalten hatte, als ich daselbst erschien, wie hungrige Wölfe über meine Vorräthe herfielen und mit der Zähigkeit von Schmarotzerpflanzen sich an mich klammerten, bis zu dem Augenblick, wo es ihnen gelungen war, mich zu ihrem sommerlichen Normalzustande zu reduciren.

Sind sie einmal genöthigt eigene Ziegen zu opfern, oder gezwungen, ein Kameel zu schlachten, oder gelingt es ihnen, an fremdem [234] Fleische zu participiren, so nützen sie diese Gelegenheit mit anerkennungswerther Sorgfalt aus. Ist das kaubare Muskelfleisch verzehrt attakiren sie die fibrösen und sehnigen Gebilde durch Steinklopfen mit der Ausdauer, die sie die Schale der Dūmfrucht gelehrt hat, und scheuen sich nicht, zuletzt die Knochen derselben Behandlung zu unterwerfen und ihren Organismen einzuverleiben.

Noch während des Sommers werden die Coloquinthensaamen (Uelād Handal oder Taberka in der arabischen und Āber in Tedā-Sprache genannt) geerntet, und durch einen complicirten Proceß genießbar gemacht. Zuerst thut man sie in starke Säcke und befreit sie durch Treten von einem Theile ihrer Schalen, sodann sondert man die Spreu durch Worfeln; darauf mischt man sie mit Asche von Kameelmist und bearbeitet das Gemisch auf glatter Steingrundlage mit einem glatten, abgerundeten Steine, was ihnen einen Theil ihrer Bitterkeit und ihrer drastischen Elemente nimmt und den Rest der Schalen entfernt. Nachdem man sie nun wieder geworfelt hat, kocht man sie mit dem frischen Laube des Ethelbusches und wässert sie in kaltem Wasser aus, diese Procedur wiederholend, bis jede Spur von Bitterkeit verschwunden ist. Zuletzt trocknet man sie an der Sonne. Sie stellen ein angenehmes, und in Pulverform mit Datteln in demselben Zustande auf Reisen sehr geeignetes Nahrungsmittel dar.

Gegen Ende des Sommers kommt endlich die sehnlichst erwartete Periode der reifenden Datteln herbei, und mit ihr entvölkert sich der hungrige Westen. Ein Theil wandert nach Fezān aus, ein anderer wendet sich nach Kauar, Wenige suchen Hülfe in Borgu, der zahlreiche Rest nimmt seine Zuflucht zu Bardaï. Wenn sie selbst Dattelbäume in Fezān besitzen oder doch angesessene Verwandte dort haben, so ziehen sie diese Zuflucht wegen der Güte und Massenhaftigkeit der Datteln vor. Wenigstens besitzen die angeseheneren Tibbu Rešāde der westlichen Theile eine Wohnung und kleine Dattelpflanzungen zu Bardaï, welche sie für alle Fälle sicher stellt. Der verflossene Sommer war ihnen sehr ungunstig, indem ihnen drei der vielen Auswege verschlossen waren. Die Relationen mit Fezān waren der gespanntesten Art, Dank der räuberischen Initiative der Araber des Nordostens (Barka u. s. w.), die Repressalien von Seiten der Tibbu zur Folge hatte, so gespannt, ja feindselig, daß zuletzt sogar die in Fezān wohnenden Tibbu Haus und Garten im Stiche gelassen haben und in ihr Vaterland zurückgeflüchtet sind. Kauar war in Folge verschiedentlicher Ghasien der Uelād Slimān in Verbindung mit den Tibbu Goraʿan und Dāsa fast ganz seiner Einwohner beraubt und öde und leer, und auf dem Wege nach Borgu lauerten die Bulgedā, um sie bis auf die nackte Haut auszuplündern, wenn sie wagen sollten, sich dorthin zu [235] wenden. So blieb ihnen nur Bardaï, denn nach Wadjanga, obgleich ihnen ebenfalls nahe und reich an Datteln, gehen sie sonderbarer Weise nicht.

Haben sie in Bardaï oder einem der anderen genannten Länder einen kleinen Wintervorrath von Datteln eingelegt und gegen Geld, oder Chām, oder Ziegen oder Schafe, wenn es ihre Mittel erlauben, einen kleinen Vorrath von Getreide (Weizen oder Ksob) eingetauscht, so gehen sie wieder nach Hause und leben von diesen Vorräthen, so lange keine Regengüsse die Milchsecretion ihrer Ziegen begünstigen und Samen die Burékkeba erzeugen. Gegen den Sommer hin sind ihre bescheidenen Vorräthe aufgezehrt, und sie wenden sich in traurigem Kreislauf wieder der harten Dūmfrucht und dem Hunger zu.

Was einen andern Factor in der Modificirung der menschlichen Natur betrifft, das Klima, so habe ich natürlich nicht lange genug im Laude Tu geweilt, um die Elemente desselben genügend zusammen stellen zu können. Doch ist es offenbar ein äußerst gesundes. Die seinen Breitegraden entsprechende Hitze wird durch die Nähe des Gebirges, durch die Erhebung über dem Meeresspiegel gemildert. Der Boden ist trocken, und wenn er durchaus nicht fruchtbar genannt werden kann, so ist er dafür um so freier von allen in heißen Ländern Krankheit erzeugenden Elementen, speciell der Malaria. – Ein so continentales Land, wie Tibesti, mit so spärlichem, jährlichem Regenfalle, mußte auch ein excessives Klima haben, d. h. einen bedeutenden Unterschied zwischen Tag- und Nachttemperatur und einen sehr hohen Psychrometer-Unterschied.

Es war mir vergönnt, sowohl zu Tao, als auch zu Bardaï während der Monate Juli und August regelmäßige meteorologische Beobachtungen anzustellen, von denen jedoch die zu Bardaï gemachten keinen wissenschaftlichen Werth beanspruchen können. Zu Tao war die durchschnittliche höchste Temperatur, welche um 2 Uhr Nachmittags statt hatte, 37.8° C. und die durchschnittlich niedrigste, die Morgens vor Sonnenaufgang eintrat, 25°.1 C. Der höchste Psychrometer-Unterschied betrug 22°.0 C., und der niedrigste 5°.4 C., jener durchschnittlich um 4 Uhr Nachmittags constatirt, dieser Morgens nach Sonnenaufgang oder ausnahmsweise bei eintretendem Regen. Das Hygrometer Saussure hielt sich meist ziemlich niedrig, fiel bis zu 20°0, stieg aber auch bei regnigtem Wetter bis zu 77°.7. Letzterer fehlte von der zweiten Hälfte des Juli ab nicht und trat stets mit dem in den oberen Regionen herrschenden Ost-Passate ein. Aus welcher Richtung der Wind auch local wehen mochte, allmittäglich stiegen im Osten, Nordosten oder Südosten jenseits des centralen Gebirges dichte Massen von Regenwolken auf, die sich nicht selten theilweise über [236] uns entluden. Durch den Mangel an absorbirfähigem Boden im Gebirge geht auch kein Tropfen für die Flußthäler verloren. Die Sandsteinfelsen füllen ihre natürlichen Reservoirs und leiten den Rest in die Flüsse. Hatten wir doch nach einem scheinbar sehr mäßigen Regenfalle das Schauspiel, die Flußthäler Tao’s, Enneri Dommādo und Dausāda, in fließende Gewässer verwandelt zu sehen. Einen herrlichen, überwältigenden Anblick muß Enneri Zúar mit seinem Tage langen Verlaufe innerhalb des Gebirges, mit seinem breiten, dicht mit Bäumen und Büschen bewachsenen Bette abgeben, wenn es sich in einen rauschenden Strom verwandelt.

Jährlich gehen eine große Anzahl Esel, Ziegen, Schafe durch die plötzlich daherrollenden Wassermassen zu Grunde, und selbst die Kameele erliegen nur allzu oft dieser Wohlthat der Natur. Doch die Menschen verdanken dem nicht seltenen Regenfalle und den zahlreichen natürlichen Cisternen der Sandsteinfelsen das herrlichste Trinkwasser im Ueberfluß.

Oestlich vom Gebirge zu Bardaï, hatten wir während des Monats August eine durchschnittlich niedrigste Temperatur von 21°–23° C. und eine durchschnittlich höchste von 40° C., während das Hygrometer sich zwischen 50°–70° bewegte. – Regen fiel hier wider mein Erwarten nur zwei oder drei Mal in Gestalt weniger Tropfen. Dies wunderte mich um so mehr, als ich die täglich in Tao von Osten und Südosten kommenden Regenwolkenmassen mit der gerade statthabenden Regenzeit in Bornu in Verbindung zu setzen geneigt war.

Der vorherrschende Wind war während der ganzen Zeit meiner Reise der Ost-Passat, der, wie erwähnt, selbst wenn lokale Bedingungen einen andern Wind erzeugten, im Zuge der Wolken erkennbar war. – Seine Stärkeverhältnisse wechselten wesentlich. Während vom südlichen Fezān ab bis zu den Bergen von Afāfi, die in der Mitte zwischen dem Tummo- (El War-) Gebirge und Tibesti liegen, der Wind mit der Sonne stieg und fiel, folgte von Afāfi bis zum nördlichsten Thale Tu’s ein starker Nachtwind, der allmählig aus dem schwachen Tagwinde anschwoll. So lange wir uns dann am westlichen Abhange der Central-Kette aufhielten (Tao-Zúar), folgte die Stärke des Windes wieder der Sonne, und östlich vom Gebirge (Bardaï) zeichneten sich die Morgen durch Windstille aus, während die höchste Stärke in die Zeit des Sonnenuntergangs und zuweilen in den ersten Theil der Nacht fiel.

Außergewöhnliche Stände des Aneroïd-Barometers, das leider bei meinem Uebergange über das Gebirge seine Dienste versagte, habe ich nicht beobachtet. Es hielt sich bei der Regelmäßigkeit der Winde mit sehr unbedeutenden Schwankungen auf der durch die Erbebung [237] über den Meeresspiegel bedingten Höhe. – Ich beobachtete stets nur ein Maximum, welches auf die Zeit gegen 8 Uhr Morgens fiel, und ein Minimum, das um ca. 4 Uhr Nachmittags statthatte.

Betrachten wir jetzt den Menschen, welcher dies Land und dies Klima bewohnt und wahrscheinlich seit außerordentlich langer Zeit bewohnt hat, so wird von selbst erhellen, in wie weit seine eigenthümliche Natur von diesen Factoren abhängt und wie weit sie auf Rechnung seines Ursprungs kommt.


Physische Beschaffenheit der Tibbu Rešāde.

Die Bewohner Tibesti’s sind meist von mittlerer Größe, doch findet man unter ihnen mehr kleine Individuen, als solche, welche die Mittelgröße überragen.

Vor allem fällt an ihnen eine große Magerkeit auf, die in Verbindung mit ihren kleinen Händen und Füßen ihnen etwas Zartes Bewegliches, Elastisches verleiht. Wadenmuskeln und Biceps sind von so miserabler Entwicklung, daß der Fremdling staunt, wenn er trotz dieser anscheinenden Schwäche ihre Gewandtheit und Ausdauer in körperlichen Uebungen zu beobachten Gelegenheit hat. Uebrigens ist ihr Körper in seinen Theilen wohlproportionirt und wohlgebildet.

Ihre Magerkeit ist zunächst erst das Resultat ihres Klimas und ihrer Lebensweise, wie sie dieselbe eben mit ihren westlichen Nachbarn, den Tuareg, die unter ähnlichen Einflüssen leben, gemein haben. Die trockene Wüstenluft mit ihrer lebhaften Evaporation und die energische Bergluft, welche einen lebhaften Stoffwechsel bedingt, legen den Grund zu dieser körperlichen Eigenthümlichkeit, welche durch Lebensweise und Nahrung noch gefördert wird. Die Tibbu selbst suchen den Grund dafür ausschließlich in der mangelhaften, unzureichenden Nahrung, und in der That ist der Hunger, dem sie während eines großen Theils des Jahres ausgesetzt sind, die Früchte, von denen sie sich ernähren, die geringe Zufuhr farinöser Speisen, nicht eben günstig für die Fettbildung. Eben so wenig wird dieser durch die Rastlosigkeit, mit der sie stets unterwegs sind, und die wüsten Länder, welche ihre Heimath umgürten, durchziehen, Vorschub geleistet.

Ihre Hautfarbe ist keineswegs, wie Dr. Behm sagt, im Allgemeinen dunkler, als die der Bewohner von Bornu, sondern die Mehrheit zeigt jene mäßige Bronzefärbung, welche sich ebenfalls häufig bei den Tuareg findet und oft hell genug ist, um das Abfärben der schwarzblauen Sudan-Toben deutlich auf der Haut erscheinen zu lassen. Man muß aber nicht die ganze Nation nach den Tibbu Kauar’s beurtheilen, die allerdings den ursprünglichen, nationalen Charakter längst eingebüßt haben. In Tibesti ist die eigentlich schwarze Hautfärbung [238] in der Minderzahl, und es scheint dies auch für andere Tedā-Stämme zu gelten, wenn wir dem Scheich Mohammed-Ebn-Omar-el-Tunsi und seinem Zeugniß über die Goraʿan Glauben schenken sollen.

Noch mehr als durch die Hautfarbe weichen sie durch Gesicht- und Kopfbildung von den Einwohnern Bornu’s ab. Da ist Nichts von dem runden Gesichte der Bornani, ihrer Stumpfnase mit den plattgedrückten Nasenbeinen und den aufwärts oder nach vorn gekehrten weiten Nasenlöchern, keine Spur von den vorspringenden Jochbeinen, dem unförmlichen Munde mit den wulstigen Lippen und dem massigen, quadratischen Unterkiefer, der gegen den Oberkiefer zurückweicht Kopfform und Gesichtsbildung im Allgemeinen sind entschieden kaukasisch. Wie bei den Negern Bornu’s, soweit ich sie kenne (und sie sind so weit über Nord-Afrika verbreitet, daß man kaum in ihr Vaterland zu reisen braucht, um den allgemeinen Typus zu kennen), Alles plump, rund, massig ist, so ist bei den Tedā Tu’s Alles schlank, länglich, gefällig. Die Nasen sind wohlgebildet, meist gerade, von mäßiger Länge, und wenn sich Stumpfnasen finden, so giebt es auf der andern Seite vielleicht eben so viel Adlernasen, die ich, zumal bei den Frauen, nicht selten sah. Durch die mäßige Größe des Mundes und die Lippenform, welche die Zähne bedeckt, sieht man diese selten; auch haben sie keinerlei Veranlassung mit ihnen zu kokettiren, da sie wohl in Folge des unausgesetzten Tabakkauens, nicht eben von blendender Weiße sind.

Der Bartwuchs ist auch bei ihnen spärlich, doch immerhin häufiger entwickelt, als man ihn bei den Negern findet. – Das Haar wird länger und ist weniger wollig und hart, als bei diesen, doch immer noch weit entfernt von der kaukasischer Weichheit.

Ihre Züge im Allgemeinen sind regelmäßig und würden, wenn auch natürlich nicht Alle hübsche Leute sind, einnehmend und gefällig sein, wenn ihr Ausdruck nur etwas Freundliches, Lachendes, Vertrauliches, Offenes an sich hätte. Doch ihr verschlossener, argwöhnischer, falscher Blick verdirbt den empfangenen Eindruck.

Die Tätowirung der Tibbu tritt so sehr in den Hintergrund, daß man stets behauptet hat, sie wären ohne eine solche. Doch dies ist ein Irrthum: die Männer haben alle 4–6 Zoll lange Schnittnarben, welche jederseits von der Schläfe auf den arcus zygomaticus herabsteigen und „berī berî“ heißen; nur sind sie wenig in die Augen fallend.

Die Frauen und Mädchen genießen dieselben Vortheile eines schlanken, zierlichen Wuchses, kleiner Hände und Füße, regelmäßiger Gesichtsbildung, gefälliger Züge und kaukasischer Kopfbildung. Sie sind ausgezeichnet[WS 3] durch eine stolze, selbstbewußte, ja elegante [239] Haltung und einen gelassenen, determinirten, fast männlichen Schritt.

Bei dem gesunden Klima, der abgeschlossenen Lage des Landes und ihrer mäßigen Lebensweise unterliegen die Organismen der Tibbu nur unbedeutenden Störungen. Es giebt wenig Krankheiten und Kranke. Chronische Rheumatismen der Muskeln und Gelenke sind, wie es sich aus den meteorologischen und Bodengestaltungs-Verhältnissen erklärt, die häufigste Affection; dann kommen katarrhalische Entzündungen der Bindehaut des Auges, sodann Hautkrankheiten und endlich Krankheiten der Respirationsorgane vor. Von den Hautkrankheiten sah ich Psoriasis und Eczema; von den Affectionen der Luftwege chronische Catarrhe, Emphysem der Lungen und chronische Verdichtungen der oberen Partieen (Tuberculose?), doch waren beide Categorieen (Haut und Luftwege) spärlich vertreten. Alle andern Krankheiten mögen natürlich vorkommen, sind jedoch selten relativ zu andern Ländern. – Sehr häufig consultirte man mich allerdings wegen der „Galle“ (Collectiv-Bezeichnung für Verdauungsstörungen aller möglichen Art), doch geschah dies wohl zumeist nur den Brechmitteln zu Liebe, denn ich konnte nur selten auch nur einen Magenkatarrh constatiren.

Trotz ihrer vielfachen Reisen sah ich keinen Fall von Syphilis, ja man kannte nach meiner Beschreibung die Krankheit nicht einmal, obgleich sie in Fezān häufig vorkommt. – Die Abgeschlossenheit ihres Landes, die geringe Menge Sklavinnen, welche sie besitzen, ihre natürliche Enthaltsamkeit und die langen Reisen, welche sie, selbst wenn sie im Sudān oder Fezān inficirt sind, machen müssen, um ihre Heimath zu erreichen, alles dies mag ihr Land bisher mehr oder weniger vor diesem Uebel geschützt haben. – Von Scrophulose und Rhachitismus sah ich nichts.

Vor Importation von Pocken-, Cholera- und anderen Epidemieen schützt sie ebenfalls mehr oder weniger die isolirte Lage ihres Landes.

Ihre therapeutischen Eingriffe sind noch einfacher, als ihre Nosologie. Wo sie Schmerzen haben, sei es äußerlich oder innerlich, appliciren sie das Glüheisen und zwar oft mit barbarischer Energie. – Selbst Eczeme beschränkter Ausdehnung umkreisen sie zuerst mit dem Glüheisen und zerstören sie dann mit demselben. – Von innerlichen Arzneimitteln wenden sie hauptsächlich Natron an, seltener die Coloquinthe und die Senna, obgleich sie beide im Ueberfluß besitzen.

Am meisten ausgebildet ist noch die Chirurgie, wie es bei ihren continuirlichen, blutigen Zänkereien natürlich ist. Haut- und Muskelwunden werden durch die umschlungene Naht vereinigt, bei der die Karlsbader Insektennadeln durch die langen, spitzen und widerstandsfähigen [240] Stacheln der Gummi-Akazie ersetzt sind. Bedeutendere Blutungen stillt das Glüheisen oder siedende Butter. Bei Schädelfracturen inspiciren sie die Hirnhäute, wenn die Wunde es erlaubt; sind diese unverletzt, so reseciren sie die aus ihrer Ebene gewichenen Knochenpartieen; im andern Falle stellen sie tödtliche Prognose und enthalten sich jeden Eingriffs. – Auch deplacirte oder zu spitze Knochenenden bei Rippenfracturen sollen sie reseciren.

Ihre Hauptmedication jedoch, welche größeren Vertrauens genießt, als alle genannten Droguen und Eingriffe, ist der Gebrauch der Amulette, die sie überall am Körper anbringen, oder frisch geschriebener heiliger Sprüche, deren Wasseraufguß sie nicht selten trinken.

Entsprechend ihrer ursprünglichen physischen Natur, ihrer Lebensweise und der natürlichen Beschaffenheit ihres Landes sind die Tibbu von bemerkenswerther körperlicher Energie, Elasticität und Gewandheit. Ihre körperliche Gewandheit im Laufen und Springen ist sprichwörtlich geblieben, wie sie schon im Alterthum als die schnellsten Läufer der Welt berühmt waren.

Ihre Widerstandsfähigkeit gegen Ermüdung, Hunger und Durst ist unübertroffen, vielleicht nahezu erreicht von der Ausdauer und Enthaltsamkeit der Tuareg, welche ja in ähnlichen klimatischen und Bodenverhältnissen leben.

Die Erzählungen und Berichte über die Enthaltsamkeit der Tibbu, wenn durch die Umstände genöthigt, könnten wunderbar und übertrieben erscheinen. Doch nach Allem, was ich habe erfahren können, beruhen sie auf Wahrheit. Ein Tibbu Rešāde kann ohne sonderliche Unbequemlichkeit fünf bis sechs Tage ohne Nahrung zubringen. Mangel an Mundvorrath auf seinen Reisen beunruhigt ihn also nicht wesentlich. Er findet schon gebleichte Kameelknochen und einige Steine, um sie zu Pulver zu zermahlen, und hat er sein Kameel, um ihm durch einen Aderlaß am Auge etwas Blut zu entziehen, so genügt ihm diese Paste aus Knochenmehl und Blut vollständig. Auch das Schmoren von Sandalen und des ledernen Ringes, welcher den Dolch am Handgelenke befestigt, und dergleichen Abnormitäten scheinen wirklich vorzukommen und den nahrungslosen Reisenden Tage lang hinzuhalten.

Bei aller Entbehrung marschirt er noch 10 bis 12 Stunden neben seinem schnellschreitenden Kameele mit einer schwebenden Leichtigkeit einher, die ihm allen Anschein des Peniblen, der Ermüdung nimmt.

Auch für den Durst ist er weniger empfindlich, als die meisten der ihm nahewohnenden Völkerschaften. Als wir zwischen dem Tummo-Gebirge und Tibesti, in den Bergen von Afāfi, durch Mangel an [241] Berechnung und Lokalkenntniß unseres Führers in die Gefahr des Verdurstungstodes kamen, konnte ich bei den uns begleitenden Tibbu noch keinerlei Symptome von besonderer Unbequemlichkeit entdecken, als die Neger und Fezāner schon halbbewußtlos dalagen, und sicherlich hatten sie während der Tage des Wassermangels weniger vom kostbaren Naß gehabt, als irgend Jemand.

Ein Tibbu Rešāde auf der Reise, im Sommer und ohne Kameel, mag 2 Tage ohne Wasser rüstig bleiben können, während der Besitz eines Kameels ihn befähigt, die doppelte Anzahl von Tagen auszuharren. Es ist dies immerhin enorm, wenn man die sommerliche Evaporation der Wüstenluft gehörig in Betracht zieht, die Gerhard Rohlfs an einem Tage zwang, 10 Liter Wasser zu absorbiren. Doch hängt ja überhaupt viel davon ab, wie man sich dem Durste aussetzt oder entzieht. Als wir nach unserer Flucht aus Tibesti das Tummo-Gebirge nach langem Hungern und Dursten und unerhörten Anstrengungen erreicht hatten und verlassen sollten, waren wir mit unsern geschwächten Organismen ohne alle Provisionen (mit Ausnahme von 30 Datteln per Kopf und zwei Händen von Mehl für sieben Personen) und ohne alle Transportmittel. Der Tummo ist vier Tagereisen von Tedžerri, dem südlichsten Fezānflecken entfernt, und die einzige Wasserstation trifft man erst in der Mitte des dritten Tages. Wir mußten also außer unsern Waffen noch unsern Wasservorrath auf den Schultern tragen, und ich gestehe, ich fürchtete für mich und meinem europäischen Diener das Schlimmste. Nun, ich muß trotzdem sagen, daß ich weniger während dieses letzten Abschnittes der leidensvollen Rückkehr gelitten habe, als zuvor in relativ günstigeren Verhältnissen, und doch machten wir ohne Nahrung mit nur zwei bis drei Glas Wasser per Tag 10 Marschstunden während dieses Zeitraums. So viel hängt von einer passenden Marsch- und Zeit-Eintheilung ab. Neben dem constanten Gebrauche des Litham boten wir der Evaporation so wenig Handhabe als möglich, marschirten nicht vor 4 Uhr Nachmittags und nicht länger als bis 9 Uhr Morgens. Den Tag verbrachten wir im Schatten von Felssteinen, regungslos und ohne überflüssig zu sprechen. Das ist eben die Art der Tibbu zu reisen, wenn ihr Wasservorrath erschöpft ist.

Es ist merkwürdig, wie die Tibbu bei dieser Enthaltsamkeit und bei ihrer gewöhnlichen Mäßigkeit, die ihnen zur andern Natur geworden sein sollte, sich bei einer günstigen Gelegenheit zu schmarotzen der größten Voracität ohne Unbequemlichkeit für ihren Körper hingeben können, und scheinen sie hierin ebenfalls den Tuareg zu ähneln, von denen Gleiches erzählt wird.

Ich fand die Frauen Tibesti’s weniger hübsch als die Männer. [242] Die Magerkeit, welche sie mit diesen gemein haben, entfernt ihre Formen zu sehr von plastischer Rundung. Mangel an Fettbildung läßt nur zu früh den kurze Zeit hindurch hübsch geformten Busen als eine leere Hautfalte erscheinen, die glücklicherweise, da jener nie voluminös war, nicht tief herabhängt. – Vor den Bornufrauen haben sie nicht allein den Vorzug regelmäßigerer, edlerer, gefälligerer Züge, sondern in ihrer Gestalt den eines wohlgeformten Beckens, das bei jenen durch seine starke Neigung, im Verein mit der reichlichen Fettablagerung, ein widerwärtig vorspringendes Gesäß hervorbringt.

(Schluß folgt.)



[289] 
XIII.
Die Tibbu.
Ethnographische Skizze von Dr. Nachtigal.
Eingesandt aus Murzuk.
(Schluß von S. 242.)


Die Kleidung der Tibbu Rešāde.

Die Tracht der Männer ist jetzt fast allgemein eine Tobe oder Hemd, die weite bequeme Seidenhose, eine Takía (Torbusch) für den Kopf oder ein Turban, oder beide zusammen. Nur Sklaven, arme junge Leute, oder fern von den Centren ihrer Civilisation Wohnende begnügen sich damit, ein Fell um die Hüften zu schlingen. In der Winterkälte ihrer Berge fügen sie eines der schönen, oben erwähnten Schaffelle – drēï – hinzu. Die Tobe ist bei den Bemittelteren aus dem Sudān (es ist hier die schwarzblau gefärbte Sudāntobe, welche im höchsten Ansehn steht), oder aus Bornu, seltener aus Nyfē. Die übrigen begnügen sich mit Hemden aus dem weißen Baumwollenstoffe, Chām, der ihr Haupt-Verkehrsmittel darstellt und in Masse im südlichen Fezān gegen Ziegen, Schafe und Kameele eingetauscht wird. Die Hosen und die einfachsten Kopfbedeckungen sind ebenfalls aus diesem Stoffe. Die eleganteste Kopfbedeckung besteht in einer rothen Takía, die zwar nicht aus Tunis stammt, wo bekanntlich die einzigen in der Farbe ächten fabrizirt werden, sondern aus Egypten oder Europa durch Fezān eingeführt werden. – Wichtiger als die Takíen sind die Turbane, die entweder aus weißer Baumwolle, besserer Qualität als Chām, sind, oder aus eigends dazu gewebtem, lockerem, mehr oder weniger durchsichtigem Stoffe – Sās – oder aus indigogefärbtem Seidenstoffe bestehen. Der letztere wird der Farbe wegen allen andern vorgezogen, obgleich er das Unangenehme hat, die Haut eines Jeden, der einigermaßen hellfarbig ist, dunkel zu färben. [290] Sie umwickeln den Kopf mit einigen Touren, fuhren dann die Masse über Kinn, Mund und Nase, gehen dann wieder auf den Kopf über und bringen so bis zu 12 Draʿa (allgemein übliches Maaß für Stoffe, das vom Ellbogen bis zur Zeigefingerspitze reicht) unter. Es bleibt, so zu sagen, nur ein Spalt für die Augen.

Es ist diese Gewohnheit des Lithamtragens nicht ohne ethnologische Bedeutung, indem sie ganz speciell den Berberstämmen angehört – daher Molathemūn.

An ihren Turbanen und Takíen tragen die Tibbu Rešāde massenhaft Amulette, heilige Sprüche in verschieden geformten und gefärbten Ledersäckchen oder Futteralen gegen Krankheit, Verwundung, böses Auge u. s. w., und wenn an ihnen kein Platz mehr ist, so hängen sie dieselben an einer Schnur um den Hals.

Den Bart tragen sie vollständig, soweit sie von der in dieser Beziehung etwas kargen Natur begünstigt sind. Das Haupt rasiren sie gänzlich, selten einen Scheitelbüschel lassend. Bei den baarhäuptig gehenden Knaben sieht man sehr häufig anstatt des letzteren einen Haarkamm, der sich vom Vorderhaupt bis zum Hinterkopfe erstreckt. Ich mache auf diese Haartracht der Knaben besonders aufmerksam, da wir dieselbe Gewohnheit sehr ausgedehnt bei den Tuareg finden.

Bei den Frauen findet man sehr häufig Ziegen- oder Schaffelle als einzige Kleidung. Von den letzteren genügt ein einziges, doch von den ersteren nähen sie je nach Bedürfniß mehrere zusammen. Sie bekleiden sich damit von der Seite her, indem der obere Rand des Gewandes unter die eine Achselhöhle geschoben wird, während man die beiden Enden desselben über der andern Schulter vereinigt und befestigt; eine andere Vereinigung und Befestigung findet in der ungefähren Mitte dieses Ledergewandes über der entgegengesetzten Hüfte statt Es ist bewunderungswürdig, wie sie mit oft sehr beschränktem Material so gut ihre Blößen bedecken. Die eine Schulter und ein Theil des Busens derselben Seite bleiben unbedeckt.

Doch auch eine civilisirtere Kleidung ist nicht selten. Häufig tragen sie ein blaues Bornuhemd, das bis zum Knie reicht. Ueber diesem Hemde sowohl, als auch über dem Fellgewande tragen sie mit Vorliebe jenes große, blaue, roth- oder roth und weiß gestreifte, oblonge Stück Kattun, das so weit über Nord-Afrika und den Sudān verbreitet ist und hier „Fūta“ heißt. In dieses hüllen sie Kopf und Körper ein. Für die Kälte besitzen sie ebenfalls jenes große, weich- und langharige Schaaffell, daß übrigens keineswegs, wie ich bei Dr. Behm angegeben fand, im Sommer ohne seinen Haarschmuck getragen [291] wird. Die Füße der Frauen und Männer sind nackt oder mit Sandalen bekleidet, die sich durch Nichts auszeichnen.

Trotz dieser einfachen Kleidung, welche weder große Mannigfaltigkeit noch Luxus zuläßt, entbehren doch die Tibbufrauen der Schmucksachen eben so wenig, als ihre Schwestern anderer Länder.

Zunächst durchbohren Alle den rechten Nasenflügel und tragen zur Zierde in diesem Loche am liebsten ein Stück ächter Koralle von cylindrischer Form. Können sie eines solchen nicht habhaft werden, so nehmen sie anstatt dessen ein Stück Elfenbein oder begnügen sich mit einem Stück Knochen. Ja, die Gemahlin, welche der jetzige Sultan Tibesti’s, Tafertemi, in Fezān hat, entblödete sich nicht, durch einen einfachen Dattelkern die Oeffnung auszufüllen.

Ihre Arme sind überladen mit Bracelets; ich sah deren bis zu zwölf, die aus Elfenbein oder aus Horn verfertigt, die Breite eines halben bis eines Zolls haben. Gewöhnlich besitzen sie deren ein oder zwei aus Elfenbein, während die übrigen aus Horn sind. Ueber dem Ellbogen pflegen sie dann noch ein schmales Armband aus Achatstücken, Perlen und Kauri-Muscheln hinzuzufügen. Ueber den Fußknöcheln tragen sie einen oder zwei Ringe aus Kupfer oder von Silber, meist vom ersteren Metall, die bei weitem nicht so schwer und unförmlich sind, als die der Araber- und Fezāner-Frauen. – Um den Hals endlich hängt eine Schnur von Perlen oder Muscheln mit Achat- oder Korallenstücken untermischt, oder allein aus Korallen bestehend.

Wie die Frauen aller Länder verwenden auch die Tibbu-Frauen eine besondere Sorgfalt auf ihr Haar. Ueber der Mitte der Stirn wird der schneppenartig vorspringende Theil des Haupthaars abrasirt und der Rest in unzähligen, kleinen Flechten und Flechtchen geordnet, die in verschiedener Gesammtlänge über den Ohren herabhängen. Lyon sagt, „in Gestalt eines großen Hundeohrs;“ ich kann, ohne den Vergleich ganz treffend zu finden, keinen bessern liefern. Es bleibt übrigens in der Dicke und Länge und Anordnung der Flechten dem Schönheitssinn und der Erfindungsgabe der einzelnen Schönen ein weiter Spielraum überlassen. Doch worin man dem Gebrauche gehorchen muß, das ist die Mittelflechte, welche in respectabler Dicke vom Hinterhaupte bis zur Stirn geführt wird. Die unverheirateten Mädchen tragen deren eine, die verheiratheten Frauen zwei. Sie werden gehalten durch in den Haaren befestigte Silberringe, welche einfach oder concentrisch vervielfältigt, einer hinter dem andern liegt, auch mit Ringen aus Elfenbein untermischt sind und die hinten in einem größeren oder einem Gehänge aus Korallen und Elfenbein endigen, während vorn gewöhnlich zwei bis drei concentrische Silberringe auf der freirasierten oberen Stirnpartie [292] liegen. Auch auf den Seitenflechten bringen sie Silberringe oder Korallengehänge an, je nach dem Geschmack und Reichthum der Trägerin. Daß die ganze Coiffure gehörig eingebuttert (Oel ist sehr selten) ist und reichlich mit Zimmet-, Benzoe-, Nelken und anderem Pulver bestreut ist, versteht sich von selbst.

In den Ohren tragen sie Ringe aus Silber von mäßiger Größe oder auch irgend ein anderes kleines Gesänge.

Wenn Denham und Clapperton einen ausserordentlich angenehmen Eindruck von den Schönen Bilma’s empfingen, deren blendend weiße Zähne schön gegen die pechschwarze Haut abstachen, so kann ich nicht Gleiches von den weiblichen Repräsentantinnen der Tibbu Rešāde sagen, welche mit derselben Leidenschaft und Perfection das Tabáckkauen betreiben, als die Männer. Sie den grünen Saft oder Speichel mit männlicher Gewandheit weithin schleudern zu sehen, ist ohne zahlreiche andere Schattenseiten sehr illusionstörend.

Kleinere Kinder sind ganz nackt und barhäuptig; später bekleidet man sie mit Ziegenfellen und nur in den civilisirteren Familien haben sie Hemden aus Chām.


Waffen der Tibbu Rešāde.

Alle Männer tragen in vollständigem Waffenschmucke eine lange Lanze – édi buï, – welche den Träger niemals verläßt; 2–4 Wurfspeere – édi téneï –, ein Wurfeisen – midzri –; einen langen Handdolch – loï (lowi) –; einen Schild aus Büffelfell – kifi – und oft noch ein Schwert – .

Die langen Lanzen sind 7–9 Fuß lang aus Talhaholz, welches hart und elastisch sehr geeignet ist, in eine schwingende und drehende Bewegung versetzt zu werden, die die Tragweite wesentlich erhöht. Ihre Eisen bestehen aus dem schneidenden Theile und der Handhabe, welche eine Gesammtlänge von 1½ bis 2 Fuß haben, von denen 2 Drittheile ungefähr auf den ersteren kommen. Die Form der Eisen ist sehr verschieden, je nach dem Lande, in dem sie gearbeitet sind, denn fast alle sind fremder Manufactur (aus Borgu, Wadaï, Bornu, Baghirmi).

Besonders die Wurfspeere unterscheiden sich sehr von einander, je nach ihrer Herkunft. Dieselben sind ungefähr 6 Fuß lang, die Eisen 1¼ bis 1½ Fuß, und zwar kommt auf den eigentlich schneidenden Theil die Hälfte bis 2/3. Doch ist der Stiel der Eisen nicht minder verletzend, als der eindringende Theil. Derselbe ist meist gezahnt, d. h. mit Widerhaken versehen, deren die Landesmanufactur nur wenige, doch von bedeutender Länge anbringt. Viele, doch, kurze Widerhaken verrathen einen Bornu-Ursprung, während der Baghirmi-Manufactur [293] eine schlangenartige Umwindung des Eisenstiels, die in Spitzen endigt, eigenthümlich ist.

Das Wurfeisen[1], von den Arabern Schangormangor genannt, ist sehr mannichfaltig in seiner Form, ca. 3 Spannen lang, von denen fast 2/3 auf die Handhabe kommen. Der schneidende Theil hat scharfe Fortsätze, welche durchschnittlich die Länge einer Spanne haben und sehr verschiedenartig in ihrer Gestalt und in ihrer Beziehung zum Körper der Waffe sind. Sie kommen aus Borgu, Wadaï, Ennedi, zum kleinsten Theile aus Bardaï. Ihre Aehnlichkeit mit den Wurfeisen der Njām-Njām, welche v. Heuglin in seiner: Reise in das Gebiet des weißen Nils, S. 214 abgebildet hat, ist unverkennbar. Beifolgende Zeichnungen werden immerhin genügen, eine Idee von den beschriebenen Waffen zu geben.

édi buï édi téneï

Der Handdolch, welcher die Länge unserer Hirschfänger hat, ist durch einen Lederring am linken Handgelenke befestigt in der Weise, daß die Spitze nach oben sieht und der Kreuzgriff sich in der Nähe der Hand befindet. Seine Form ist stets dieselbe, da er stets ein Landesprodukt (aus Bardaï) ist; höchstens die Länge wechselt unbedeutend. – Im Innern seiner Scheide findet sich gewöhnlich noch ein kleines Messer mit einem Stiel in Form einer Pincette, das hauptsächlich dazu bestimmt ist, in den Fuß getretene Dornen und Stacheln zu entfernen, ein trotz der harten Haut der Tibbu sehr wichtiges, kleines Instrument.

Ebenso ist das Schwert, das übrigens nicht im Besitz Aller ist, ohne Unterschied in der Form, gerade, breit, zweischneidig, mit Kreuzgriff, [294] nicht sowohl, weil es im Lande verfertigt wird, als weil es stets aus Europa (und zwar kommt es durch die Tuareg zu ihnen) importirt ist.

Der Schild endlich, aus Büffelfell verfertigt, fast elliptisch (mit oberem, breiterem Ende) leistet nicht einmal den Wurfspeeren sicheren Widerstand. Man fängt dieselben schräg auf und läßt sie mehr oder weniger abgleiten. Zu seiner Verfertigung schneidet man die Form aus dem weichen Büffelfell, bis zur Höhe der Augen, erhärtet einen Erdhügel, der ihm die gewünschte Convexität geben soll, spannt ihn weich und feucht darüber durch an seinem Rande befestigte Bänder, welche durch schwere Steine in gehöriger Spannung erhalten werden, beraubt ihn der Haare und läßt ihn so trocknen.

Daß sich die Tibbu ihrer Waffen gut zu bedienen wissen, haben alle Reisende, welche Proben davon gesehen haben, berichtet. In der That schleudern sie ihre Wurfspeere mit Kraft und Sicherheit. Sie erheben die Hand mit dem Speere ein wenig über die rechte Schulter, geben demselben eine stark fibrirende und zugleich rotirende Bewegung, und dahin fliegt der Speer mit ziemlicher Sicherheit auf sein Ziel zu, ca. 150 Fuß weit. – Das Wurfeisen wird horizontal geworfen und muß unzweifelhaft schwere Verwundungen der unteren Extremitäten hervorbringen. Wenn es nicht geschickt horizontal geworfen wird, fliegt es natürlich nicht weit und kann wohl kaum ernstlich verletzen. Ich habe dies mit meinem europäischen Diener zu unserem Heile erfahren. Der werfende fanatische Schurke war betrunken und wir kamen mit einem „Flachen“ davon.

Sie halten außerordentlich auf den Glanz und die Schneidefähigkeit ihrer Waffen, und baten fortwährend um unsere Messer, deren härtere Stahlklingen wohl geeignet waren ihre Waffen aus weicherem Eisen zu schärfen. Im Uebrigen verachteten sie unsere Messer mehr oder weniger ihrer Kleinheit wegen, und bedienen sich in der That ihrer 15–25 Zoll langen breitklingigen Dolche mit großer Geschicklichkeit zu den minutiösesten Schnitten. – So lange ich ferner noch Butter besaß, waren sie stets beschäftigt, ihren Vorrath zum Nachtheil meines Magens und zum Vortheil ihrer Waffen zu verringern.

Die Knaben werden schon früh an den Gebrauch der Waffen gewöhnt. Schon im zarten Alter giebt man ihnen eine Lanze mittlerer Länge, Lanze und Wurfspeer zugleich, und ein Wurfeisen in die Hand, beide ganz aus Holz bestehend, und wenn auch das letztere nicht verwunden kann, so ist das scharf zugespitzte Talhaholz der ersteren wohl im Stande zu verletzen. – Später vertraut man ihnen dieselben Waffen mit Eisen, doch in kleinerem Formate, an, und so kommen sie mit dem frühesten Jünglingsalter in den Besitz des vollständigen [295] Waffenschmuckes. So wird der Gebrauch des Waffentragens zu einer zwingenden Gewohnheit. Wegen der großen Gefahr, welche dies in den geschlossenen Ortschaften, wo es stets Dattelbäume und folglich auch Palmwein giebt, dem sie mit Leidenschaft ergeben sind (ihre einzige Unmäßigkeit) mit sich bringen würde, verbietet die Sitte den Einwohnern, im heimathlichen Dorfe mit den Waffen zu circuliren. Um trotzdem ihrer Gewohnheit zu huldigen, greifen sie auf die Sitte der Knaben zurück und tragen eine lange, spitze Lanze aus Holz und ein gekrümmtes Stück Holz, daß durch seine Form an ein Wurfeisen erinnert.

Die Frauen gehen ebenfalls niemals unbewaffnet. Sie führen unter ihrer Kleidung einen etwa handlangen Dolch, den sie auch in ihrem heimathlichen Dorfe nicht ablegen. Doch ist Richardson’s Erklärung, der diesen Dolch ihren Liebesintriguen zuschreibt, nicht richtig; die Tibbufrauen Tibesti’s sind im Gegentheil die pflichttreuesten Ehefrauen von der Welt.

Doch sind sie, wie die Männer, streitsüchtig und zornmüthig, und bei ihrem fast männlichen Charakter entscheiden sie ihre Zwistigkeiten sofort durch eine Rauferei, die zuweilen blutig endigt. Doch zuerst spielt der Dolch noch keine Rolle, sondern sie begnügen sich mit dicken Knitteln, ohne welche Waffe keine Tibbufrau ihr Haus verläßt. Sie tragen den Knittel über der Schulter, von dessen hinterem Ende ein ledergeflochtener Gürtel herabhängt. Die Bedeutung dieser beiden Gegenstände erregte zuerst mein lebhaftes Interesse, bis ich durch eigene Anschauung über dieselbe klar wurde. Sobald die wüthenden Weiber in handgreiflichen Streit gerathen, lösen sie den Gürtel vom Knittel, schürzen damit ihre Kleidung zusammen, sofern dieselbe nicht blos aus Ziegenfellen besteht, um nicht im Gebrauch ihrer Gliedmaßen behindert zu sein, und bedienen sich dann der Knittel mit männlicher Gewandheit und Kraft.

In der That haben alle ihre Bewegungen einen männlichen Charakter, wie ihre Art zu sprechen und zu denken ebenfalls unseren Begriffen vom weiblichen Wesen durchaus nicht entspricht. – Meine ärgste Feindin zu Bardaï war ein junges Mädchen von 13–14 Jahren, welche, sobald sie nur ein Stück meines Körpers außerhalb meines gezwungenen Aufenthaltsortes erblickte, aus weiter Entfernung Steine eines ansehnlichen Volumens mit solcher Kraft und Sicherheit nach mir „Heiden“ schleuderte, daß sie noch mehr mein Erstaunen, als meine stille Wuth erregte. Ja, einmal, als ich es gewagt hatte, mein Gefängniß zu verlassen, um zur Mittagszeit, als Alles ruhte, den köstlichen Schatten einer mehrere hundert Schritt weit entfernten Palmengruppe aufzusuchen, hatte sie mich erspäht, einige gleichalterige und [296] jüngere Genossen und Genossinnen zusammengelockt, und zu ewiger Schande wäre ich auf meinem schleunigen Rückzuge fast den Steinwürfen junger Mädchen, denen ich nichts weniger als feindselige Gefühle entgegen brachte, erlegen; so wohl gezielt und kräftig waren die Würfe und so voluminös die Geschosse.


Wohnungen der Tibbu Rešāde.

Die Behausungen der westlichen Einwohner Tibesti’s, welche keine festen Sitze haben, sind dreifacher Art. Die einfachste ist die Benutzung der natürlichen Höhlungen der Sandsteinfelsen, welche häufig genug comfortabler, geräumiger und jedenfalls licht- und luftreicher sind, als ihre eigentlichen Hütten, und die ihnen schon im Alterthum die Bezeichnung der „Höhlenbewohner“ eintrug.

Nahezu ebenso kunstlos ist die kreisförmige, lose Aufschichtung von Steinen, die sie zuweilen bis zu menschlicher Höhe aufführen und dann lose mit Zweigen der vorkommenden Mimosenarten bedachen. Häufig lehnen sie diese Steinbehausung an eine überhängende Felswand, wo dann die aufgeschichteten Steine nur eine Art Einfriedigung von ca. drei Fuß Höhe darstellen und der überhangende Felsen die Bedachung überflüssig macht.

Ihre Constructions-Kunst culminirt in der „kábei“ genannten Art von Hütten, welche aus einem Gerüst von Talhastäben bestehen, welche mit Matten aus den Blättern der Dūmpalme behängt sind. Die Stäbe, welche an ihrem oberen Ende durch Querstäbe verbunden sind, bilden ein längliches Viereck, dessen lange Seite ca. 10 Fuß mißt, während die kurze nur 4–5 Fuß hat; ihre Höhe beträgt gegen 5 Fuß. Eine den langen Seiten parallele Reihe von Stäben, die etwas länger sind, als die übrigen, tragen die Mattenbedachung, welche auf diese Weise etwas abschüssig wird. Am Ende einer der langen Seiten läßt man eine Oeffnung zum Ein- und Auskriechen der Bewohner.

Die Bewohner der Thäler mit Dattelpflanzungen, welche alle feste Wohnsitze haben, wie die Leute von Bardaï und Aozo, haben Hütten, wie sie bei den Fezānern (Nicht-Städtern) und in den Tibbudörfern Fezāns gebräuchlich sind. Dieselben sind aus Palmenzweigen geflochten, umschließen mehre Räumlichkeiten, welche man als Wohn- und Schlafraum, als Küche, als Geräthkammer und als Hofraum bezeichnen könnte, und haben in der einen Ecke ein aus Erde, Lehm und Steinen aufgeführtes, mehr oder weniger konisch-halbkugelförmiges Winterhäuschen, das unsern norddeutschen, ländlichen Backöfen nicht unähnlich ist, eine nicht viel größere Oeffnung zum Ein- und Auskriechen als diese hat und als Schlafraum im Winter dient.

[297] Alle ihre Wohnungen, so kunstlos und einfach sie sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen ihrer arabischen und fezānischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer Wohnung, in der sie Besucher empfangen.


Industrie, Beschäftigung, Verkehr.

In der Industrie (von Kunst natürlich nicht zu reden) stehen die Tedā Tu’s auf einer sehr niedrigen Culturstufe. Sie verarbeiten ihre Ziegenhäute, welche sie mit Hülfe des Geredd (Acacia nilotica), – gubbúr (Tedā) – gerben, zu Wasserschläuchen und zur Kleidung; sie verfertigen einen geringen Theil ihrer Waffen, zu denen ihnen Borgu das Eisen liefert; sie flechten Matten aus Dūmblättern, und zwar ist dies eine Kunst der Frauen, und wissen Theer aus Knochen und Dattelkernen zu kochen.

Ihre Kameelsättel bestehen aus einem Gerüst von Talhastäben, welches durch Kissen aus Palmbast gepolstert wird; ihre Stricke drehen sie ebenfalls aus dem Baste der Palme.

Zu den Beschäftigungen, welche ihnen im Osten die Zucht der Dattelbäume und die Cultur der Gurken auferlegt und welche ihnen im Westen ihre Heerden an die Hand geben, kommt merkwürdigerweise die Jagd kaum hinzu. Ihre Thäler sind außerordentlich reich an Gazellen und Antilopen, die südlichsten haben häufige Besuche vom Strauß; der Wadān ist häufig und der Büffel kommt vor: man sollte also meinen, daß bei ihrem Ueberfluß an Zeit sich besonders die Bewohner der westlichen Thäler, deren Lebensweise und rastloser Sinn außerordentlich damit harmoniren sollte, mit Leidenschaft diesem lohnenden Zeitvertreibe hingeben würden. Sie fangen auch wohl hier und da Gazellen und Antilopen in Fallgruben und Schlingen oder jagen sie mit Windhunden; doch sind sie weit entfernt, sich der Jagd als nationalem Vergnügen hinzugeben. Ihr energischer, rastloser Sinn bat nur ein Auskunftsmittel gefunden, die Zeit mit einigem Nutzen zu verbringen, und das ist „Reisen“. Sie sind entweder selbst Kaufleute, doch dann sicherlich in sehr bescheidenem Maßstabe, oder sind mit ihren Kameelen unterwegs, dieselben von Fezān nach Kauar, von Kauar nach Bornu und zurück vermiethend. Kleinere kaufmännische Reisen unternehmen sie nach Borgu, Wadjanga, Ennedi, zu den südlichen Tibbu im Norden Kanem’s und Bornu’s oder zu den Arabern jener Gegenden (Mahāmid-Uelād Slimān).

[298] Sind sie zu Hause, so schwatzen sie, streiten in Wort und That und berathen Plünderzüge gegen Fezān, die Tuareg oder andere Tibbustämme, die sie in Gestalt von nächtlichen Ueberfällen und Diebereien ausführen. Bei dieser wirklich nationalen Beschäftigung werden sie von ihrer nüchternen, zähen Natur, ihrer körperlichen Gewandheit und ihren herrlichen Kameelen wesentlich unterstützt.

Den Hauptverkehr unterhalten sie mit Fezān und mit Kauar, und besonders ist ihnen der mit dem ersteren Lande fast unentbehrlich. Kauar ist ihnen ein zu unsicheres Land, zu sehr ausgesetzt den Ghazien der Uelād Slimān, der Tibbŭ Goraʿan und Dāza und zu abhängig von den Tuareg Kēl-owi, um sicher auf seinen Markt und seine Einwohner zählen zu können. Ackerbau-Producte liefert Kauar überdies gar nicht; die Datteln sind von sehr mittelmäßiger Qualität, und der Markt in Kleiderstoffen ist unsicher und mäßig versorgt. Fezān im Gegentheil mit seiner ausgedehnten Dattelbaumzucht und der ausgezeichneten Qualität seiner Früchte, seiner regelmäßigen Einfuhr von Chām von Tripoli her, von Bornu- und Sudān-Stoffen und seinem sicheren Absatz der unbedeutenden Landesproducte Tibesti’s, ist ihnen absolut nothwendig geworden. Dies erkennen die Tibbu Rešāde, die des Verstandes nicht ermangeln, sehr wohl an, und wenn in den Mißhelligkeiten, die in neuester Zeit zwischen Fezān und Tibesti herrschen, die Tibbu langsam nachgeben werden, so geschieht dies wahrlich nicht aus Furcht vor der jämmerlich kraftlosen Local-Regierung zu Murzuk, sondern aus dem Bewußtsein, daß sie materiell zu sehr von ihrem natürlich begünstigteren Nachbarlande abhängen, um eine lange anhaltende Unterbrechung der Relationen ertragen zu können.

Als Verkehrs- und Tauschmittel galt bisher der Chām. Mit ihm kaufte und verkaufte man Datteln, Ziegen, Toben, Kameele, Sklaven. In neuester Zeit hat sich der Maria-Theresien-Thaler – Butēïr oder Reāl – auch hier eingebürgert und ist jetzt sehr gesucht. Bei der Abwesenheit von kleiner Münze hilft man sich durch die Zerschneidung der Thaler, die ich bis zur Viertheilung beobachtet habe. – Das Stück (Makta) Chām kostet zu Murzuk ungefähr 3 Butēïr und hat circa 44 Draʿa. In Tibesti kamen zur Zeit meiner Anwesenheit 8 Draʿa einem Butēïr gleich, was den Preis der ganzen Makta auf 5½ Butēïr bringt. – Ein gutes Kameel, dessen Werth identisch ist mit dem eines halbwachsenen Sklaven, den man stets in Kauar dagegen eintauschen kann, kostete 30–40 Thaler, war also theurer als in Fezān, was sich wohl durch die früher erwähnte sehr mäßige Gesammtzahl von Kameelen in Tibesti erklärt. Wenn ich erwähne, daß ich eines Tages einen Bewohner Borgu’s in Unterhandlung mit Arami traf, in dessen Gewalt und Schutz wir zu Bardaï waren, über den [299] Ankauf von uns beiden Christen (mein Diener Giuseppe war mit mir) und daß derselbe nur ein Kameel für uns Beide bot, so will ich nicht ergründen, ob dieses für uns wenig schmeichelhafte Gebot mehr aus der hohen Werthschätzung des Kameels oder der Mißachtung unserer Personen entsprang.

Ein Schaf kostete ungefähr 3 Thaler Butēïr, eine Ziege einen solchen oder die entsprechende Anzahl von Draʿa Chām.

Bei Straf- oder Entschädigungszahlungen ist als Norm von Alters her fixirt: der Preis eines Kameels auf 8 Reāl Butēïr, der eines Schafes auf 2 und einer Ziege auf 1.

Ein Kēl Weizen – bedē (Tedā) – kostete 1 Reāl Butēïr (24 Kēl machen einen Kafīs, 6 wiegen einen Centner), war jedoch fast nicht aufzutreiben; ebensowenig als für sonst in diesen Ländern so verbreitete Negerhirse (Ksob) – Annerē (Tedā).

Datteln endlich, die ich für die Flucht kaufen ließ, wurden mir mit einem Butēïr die 4 Kial berechnet; doch glaube ich, der eigentliche Preis betrug nur die Hälfte, d. h. man hatte 8 Kial (Plur. von Kēl) für einen Maria-Theresien-Thaler.

Nähnadeln waren außerordentlich gesucht, und während man allerdings den Rest der meinigen für Nichts erpreßte, glaube ich, daß man in Bardaï für eine gute Nähnadel eine Saʿa Datteln bezahlte (8 Siaʿan machen ein Kēl aus).


Religion.

Wenn auch wohl kaum eine lange Zeit verflossen ist, seit sich die Tedā Tu’s zum Islam bekennen, so ist ihnen selbst doch die Periode, in der ihre Väter diesen Glauben annahmen, schon gänzlich unbekannt geworden, wie sie ja überhaupt ohne jeden Blick in die Vergangenheit, ohne allen bewußten Zusammenhang mit den Jahrhunderten ihrer Vorväter nur der Gegenwart leben.

Man irrt sich sehr in der Annahme, daß Mobammed’s Lehre keine tiefen Wurzeln bei ihnen geschlagen habe und daß sie deshalb vielleicht toleranter und weniger abgeschlossen gegen Fremde seien. Sie sind im Gegentheil ihrem Glauben mit der kindlichen Gluth zugethan, welche die ungelehrten Massen stets kennzeichnet. Ich habe stets gefunden und gewiß Viele mit mir: je gelehrter ein Muselmann, d. h. je bewanderter er im Koran und seinen Commentaren ist, und je mehr er von der Außenwelt kennt, desto vorurtheilsfreier und toleranter ist er.

In Bezug auf die Tibbu hört man die Araber oft sagen: „was wissen diese Hunde vom Glauben an Gott und seinen Propheten?“ Wahrlich, sie wissen ungefähr gerade so viel davon, als sie selbst [300] nur mit dem Unterschiede, daß sie sich ihrer Unkenntniß vielleicht mehr bewußt sind und das, was ihnen ein Geheimniß blieb, mit um so größerer Gluth und Hingebung verehren. Freilich giebt es viele unter ihnen, deren Kenntniß des vorgeschriebenen Gebetes mit „Allah akbar“ anfängt und auch schon endigt, doch dafür halten sie die Stunden des Gebetes pünktlich ein und denken bei dem einfachen „Allah akbar“ ebensoviel und vielleicht mehr, als viele, die in feierlich klingendem Tonfall nach „allen Regeln der Kunst“ zu beten verstehen und sich durch diese Kenntniß über Andere erhaben glauben. Genug, ich habe sie als sehr eifrige Muhammedaner kennen gelernt, (viel zu eifrig für meine Wohlfahrt), denen die Geheimnisse ihrer Religion freilich verschlossen waren, die aber gerade deshalb um so stolzer waren, ihr anzugehören.

Daß dieser Eifer nicht erkaltet, dafür sorgt die religiöse Genossenschaft, die sich das Seelenheil der Bewohner der östlichen Wüste angelegen sein läßt. Sidi Senussi, der Stifter derselben, ist zwar seit Jahren todt, doch seine Söhne und Nachfolger setzen die Mission mit bedeutend vermehrten Mitteln von ihrem Centrum Džerhabub bei Síwah aus fort. Von hier, wo sie Hunderte von Studenten und Nachfolgern um sich gesammelt haben, entsenden sie ihre Missionare und Boten, streuen die Keime des Glaubens unter Heiden und sichern und pflegen sie durch Gründung von Zauïen (religiösen Häusern). Von weit und breit fließen freiwillige Gaben in reicher Fülle bei ihnen zusammen und dienen dem großartigen Maßstabe ihrer religiösen Zwecke.

Dies ist auch das Glaubens-Centrum für die Tibbu Rešāde, die der großen Entfernung wegen von einer Commandite zu Wau aus, im Fezānischen Bezirke Scherkíya gelegen, geistig regiert werden. Wunderbarer Weise findet sich keine Zauïa Sidi Senussi’s in Tibesti selbst, während doch Bardaï ein sehr geeignetes Centrum dazu abgeben würde, und obgleich sich die neu bevölkerte Oase Kufara und Wadjanga mit einer viel unbedeutenderen Bevölkerung einer solchen erfreuen sollen.

Ihr Glaube muß natürlich von außen geschürt werden, da aus ihrer Mitte noch keine Erklärer des Koran, keinerlei Kirchenlichter, Säulen und Pfeiler des Islam hervorgegangen sind. Mühsam erziehen sie in Fezān einige „Fighi“, die sie Maʿalem nennen, und deren Kenntnisse gerade hinreichen, um die heranwachsende Jugend ihrer Umgebung die nothwendigsten Gebete stammeln zu lehren und den seltenen Ereignissen eines Briefes gewachsen zu sein, der doch gelesen und beantwortet werden muß. Gegenwärtig existiren zwei solcher Maʿalem’s, welche beide Enneri Bardaï bewohnen.

[301] Vom Glauben ihrer Väter ist auch nicht einmal die Erinnerung geblieben; es würde mir sonst gewiß gelungen sein, etwas über die religiösen Anschauungen derer, die etwa in Ennedi noch Heiden sind, zu erfahren. Doch sind wohl ihre häufigen Opferfeste, die zur Erflehung von Regen und Fruchtbarkeit mit Schlachtung von Ziegen gefeiert werden, und die Sitte der Reisenden, an bestimmten Plätzen einige Datteln oder dergleichen Naturproducte als Opfer zu deponiren, ein Ueberbleibsel aus ihrer heidnischen Zeit.

Auch in Borgu und Wadjanga haben jetzt Alle den Islam angenommen; nur Ennedi bleibt in dieser Beziehung noch verdächtig.

Die äußeren Vorschriften der Religion befolgen die Tibbu Rešāde äußerst regelmäßig: Gebet, Abwaschung, Fasten, Beschneidung, Vermeidung des Genusses unreiner Nahrung, nicht correct geschlachteter Thiere u. s. w. Die einzige Sünde, welcher sie sich in weiten Kreisen überlassen, ist der Genuß gegohrenen Palmsaftes – Lagbi – (in frischem Zustande halten ihn selbst fromme Leute für erlaubt).

Die Beschneidung – kozak’inti – wird sehr spät vorgenommen; die Knaben sind oft nicht weit vom mannbaren Alter entfernt.

Den Glauben an Talismane, zauberhaften Einfluß von Koransprüchen, von besonders heiliger Hand geschrieben, die sie in wahrer Unmasse, wie schon erwähnt, an Takía, Turban, Oberarm, um den Hals in kleinen Lederfutteralen tragen (ja, ich sah die Beine der Kameele durch sie gefeit) und deren Wasserabsud sie trinken, theilen sie mit den Arabern; es handelt sich nur um einen kleinen Gradunterschied.

Zur Beerdigung ihrer Todten graben sie eine Grube, welche tiefer ist, als in der Gewohnheit der Araber und Fezāner liegt. Wenn sie das auf den Leichnam geworfene Erdreich von Zeit zu Zeit durch Steine solider machen, so habe ich zur Erklärung dieser Thatsache keinen besonderen Aberglauben vom Wiederauferstehen der Todten u. s. w., wie Vogel berichtete, in Erfahrung bringen können. Bemerkenswerth ist, daß sie keine seitliche Nische in der Gruft zur Aufnahme des Leichnams anbringen, wie die Fezāner thun.

Von der Erlaubniß der Polygamie, die ihnen der Islam giebt, machen sie einen sehr mäßigen Gebrauch. Sie haben wohl nie zwei Frauen an demselben Orte, und selbst die Verstoßung einer Frau ist ein viel selteneres Ereigniß, als in allen anderen muselmännischen Ländern. Höchstens fügen sie zu der heimischen Tibesti-Frau noch eine Gefährtin in Fezān oder Kauar, je nachdem sie ihre Verbindungen mehr hierhin oder mehr dorthin führen. Zuweilen hat allerdings [302] der Tibbu Rešāde der westlichen Thäler auch wohl noch eine Frau für die Bardaï-Saison. Doch die bei weitem größere Majorität begnügt sich mit einer Frau im Vaterlande, und würde auch anderenfalls die Frau gar nicht die Stellung in Haus und Familie einnehmen können, die sie thatsächlich inne hat, und das würde sicherlich sehr zum Nachtheil des oft und lange abwesenden Gatten ausschlagen.

Den Heirathen gehen äußerst bindende Verlöbnisse voraus, die kaum jemals gebrochen werden, so lang auch oft der Zeitraum ist, der die Versprochenen von der Realisation des Bundes trennt. Ja, dies geht so weit, daß, wenn der Verlobte stirbt, gemeiniglich sein Bruder oder nächster Anverwandter, wenn unverheirathet, an seine Stelle tritt.

Die Verlöbnisse sind so langdauernd, um dem Bräutigam die Zeit zu geben, sich das nöthige Vermögen zu erwerben. Je nach den Umständen beansprucht nämlich der Vater der Braut mehrere Kameele, Esel, Schafe oder Ziegen, so zu sagen, als Kaufpreis, von dem er allerdings bei der Etablirung des neuen Haushaltes einen Theil als Aussteuer zurückgiebt. – Am Tage der Hochzeit, welche übrigens ungefähr nach arabischer Sitte gefeiert wird (Herumführen der Braut auf einem Kameele in Begleitung von Frauen und Mädchen unter dem üblichen Zungenschlage lu lu lu etc. etc.), führt der Mann seine junge Gattin in sein Haus, behält sie 7 Tage und liefert sie dann den Eltern zurück, indem er selbst seinen Geschäften nachgeht, nach Fezān, Kauar, Bornu reist und oft Jahre lang ausbleibt. Während dieser Zeit bleibt die Frau im elterlichen Hause; kommt jedoch später wieder eine längere Abwesenheit des Gatten vor, so bleibt sie im ehelichen Etablissement.

Die Ehen sind im Allgemeinen nicht sehr kinderreich, was gewiß in der allzuhäufigen und langen Abwesenheit der Ehemänner seinen Grund hat. Während derselben befleißigen sich die Frauen Tibesti’s, wie ich schon zu erwähnen Gelegenheit genommen habe, eines musterhaften Lebenswandels.

Da zur Häuslichkeit noch die Sklaven gerechnet werden müssen, so ergreife ich die Gelegenheit, einige Bemerkungen über das Verhältniß derselben in Tibesti einzufügen. Dieselben sind glücklicherweise nur in beschränkter Anzahl vorhanden; glücklicherweise für die Tedā Tu’s, deren Reinerhaltung von fremden Elementen dadurch begünstigt wird, und noch mehr glücklicherweise für die armen Sklaven, deren viele dadurch der traurigen Perspective entrückt werden, nach Tibesti verkauft zu werden. Die Sklaven der Tibbu Rešāde sind wirklich in einem herzzerreißenden Zustande der Verkommenheit. Lebt man in Tibesti schon im Allgemeinen allzumäßig, so unterwirft [303] man die Sklaven geradezu einer continuirlichen Hungerkur, welche den aus den üppigen Ländern des Sudān Kommenden um so empfindlicher sein muß. Den Luxus von Kleidern erlaubt man ihnen ebenfalls sehr selten; ein Stückchen Baumwollenstoff oder Leder mit der Bestimmung des paradiesischen Feigenblattes und kaum viel größer, muß ihnen genügen, und führt die für Kälte so empfindlichen Negerorganismen im Verein mit dem Hunger oft einem schleunigen Tode entgegen. Manche Herren führten mir ihre Sklaven als krank zu, die in der That nur auf dem Wege des langsamen Verhungerns in Folge unzureichender und ungeeigneter Nahrung waren.

Ein denkender Sklave muß in Tibesti zur Verzweiflung getrieben werden. Hat er in anderen Ländern einen bösen Herrn, so hält ihn die Hoffnung aufrecht, in die Hände eines wohlwollenderen überzugehen oder im Nothfalle davonzulaufen. Aus dem Lande Tu giebt es keine Rettung; hier endet seine Hoffnung und sein Leben. Entlaufen ist sicherer, schneller Tod in der Wüste ohne Weg und Steg; Bleiben ist eine endlose Reihe von Leiden und oft nur langsamer Tod. Doch so sehr widerstrebt gewaltsame Vernichtung der menschlichen Natur, daß sich die Armen in stumpfer Resignation meist dem letzteren Schicksale ergeben. Indessen sind auch Fälle bekannt, wo diese Unglücklichen, wenn die Tibbu Rešāde sie in Kauar gegen Kameele eintauschten, sich aus Verzweiflung das Leben nahmen, obgleich sie sich doch sonst mit einer uns unverständlichen Ergebung und Leichtigkeit in jede Gestaltung ihres Schicksals fügen. So allgemein ist die Furcht vor der Sklaverei bei den Tibbu; und wer sie in der Nähe beobachtet bat, versteht die Todeswahl der bemitleidenswerthen Opfer.


Sprache der Tibbu Rešāde – mōdi (Tedā).

Es kann mir nicht in den Sinn kommen, hier eine Analyse der Tedā-Sprache in Bezug auf ihren Ursprung, ihre Verwandschaften, ihre Ausbildung geben zu wollen. Mir würde hierzu, selbst wenn ich einen hinlänglich tiefen Blick in ihren Bau gethan hätte, die vergleichende Kenntniß anderer nord- und centralafrikanischen Sprachen und der altegyptischen fehlen.

Ich begann meine Studien damit, das Vocabularium des hochverdienten Barth an Ort und Stelle zu controliren und hier und da zu vervollständigen, und als ich diese sichere Grundlage gewonnen hatte und auf ihr fortzubauen hoffte, unterbrach die feindselige Aufnahme, welche mir in Bardaï zu Theil wurde, meine Studien. Ich beschränke mich also hier auf einige Bemerkungen über die von Barth gefundene Verwandschaft der Tedā-Sprache mit dem Kanuri und über die Folgerungen, die er daran für die ethnographische Stellung der [304] Tedā knüpft, und berühre mit Absicht nur die von Barth gesammelten Elemente.

Die große Aehnlichkeit vieler Wörter der Tedā-Sprache mit den gleichbedeutenden des Kanuri ist unwiderleglich; doch der Werth dieser Aehnlichkeit[WS 4] ist sehr verschieden. Zur richtigeren Würdigung dieser Verwandschaft scheinen mir vor Allem etwas mehr Anhaltspunkte über Alter und Ursprung beider Sprachen, über die historische Entwicklung des Kanuri, über die Priorität und Wesentlichkeit der parallelen Ausdrücke erforderlich. Schon eine oberflächliche Betrachtung der verwandten Ausdrücke lehrt, daß die der Tedā-Sprache sehr häufig die ursprünglichen waren. So erscheinen viele Hauptwörter derselben im Kanuri mit dem Vorschlage „k,“ wie: algi (Teda) = k-algū (Kanuri) (k-ulgū), Tobe; aṅker (T.) = k-eṅgeri (K.), männlich; éferi (T.) = k-abéllo (K.), Händeklatschen; égeri (T.) = k-āgil (K.), Ambos; illi (T.) = k-ālu (K.), Gras, Gemüse; érdi (T.) = k-érdi (K.), Feind, Heide; uṅgo (T.) = k-úṅgu (K.), Wunde. Oder mit dem Vorschlage „ṅ“ oder „iṅ,“ wie: gai (T.) = ṅ-gē (K.), Kochtopf; gali (T.) = ṅ-gilla (K.), gut, schön; oder andere Kanuri-Wörter sind aus dem Tedā zusammengezogen, wie ṅgúmmo (K.) entstanden ist aus gódomo (T.), Kinn; oder endlich wir finden im Tedā die Wurzel für beide parallele Ausdrücke; wie z. B. sich für tómái (T.) und timmi (K.), Zahn, die Wurzel im Tedā-Wort te-kūn, Elfenbein, findet.

Vom Zeitwort „kommen“ ist im Kanuri nur der Imperatif „are“ übrig geblieben, während die Tedā-Sprache es ganz bewahrt hat in „yar-n-eri.“

Viele Ausdrücke sind augenscheinlich später aus dem Kanuri direct eingeführt. Die Bornaui schritten in lebendiger Bewegung voran, erzeugten neue Bedürfnisse und neue Ausdrücke, welche dann nach und nach den Tedā, welche auf ihrer Civilisationsstufe stehen blieben, übermittelt wurden.

Auf der andern Seite lehnen sich viele Wörter der Tedā-Sprache deutlich an das Alt-Egyptische. Die Zeitwörter sind fast ohne Ausnahme zusammengesetzt aus der eigenthümlichen Wurzel und einer Endung, welche fast identisch mit dem alt-egyptischen Hülfszeitwort „iri“ ist. Ebenso ferner erinnern die persönlichen und Besitz anzeigenden Fürwörter sehr lebhaft an diese Muttersprache. Ich weiß nicht, ob richtig ist, was Barth sagt, daß die Bildung der persönlichen Fürwörter in einer sich entwickelnden Sprache, wie von unwesentlichen Elementen, erst relativ spät zu Stande kommt. Meinem unphilologischem Gemüthe will das nicht recht einleuchten. Thatsache ist, daß sie keinerlei Verwandtschaft mit den entsprechenden Kanuri-Wörtern manifestiren. Auch die Zahlwörter haben keinen klaren Zusammenhang [305] mit der Bornu-Sprache, obgleich Barth verschiedene herausnimmt, welche ihm den entsprechenden Zahlen im Kanuri ähnlich zu sein scheinen. Ich mißtraue in dieser Beziehung zu gelehrten Philologen, wie sich denn selbst der klare, kritische Barth zuweilen zu etwas phantastischen etymologischen Vermuthungen hinreißen ließ (z. B. Berdoa, Borgu, Bornu, Berber – tuguba, Tubu).

Die Verwandtschaft existirt zwischen Tedā und Kanuri, doch es fragt sich, welche der beiden Sprachen die primitiveren Elemente enthält und wo die Quellen beider zu suchen sind. Die Bevölkerung Bornu’s ist schließlich ein Gemisch aus sehr verschiedenen Elementen: Berber, Tibbu und Negerstämmen. Die Tedā Tu’s dagegen, bin ich geneigt anzunehmen, occupirten lange vor der Constituirung jener ihre jetzigen Wohnsitze. Wenn die Berber-Elemente im Kanuri ganz untergegangen sind, waltete da nicht vielleicht die Tedā-Sprache vor und beeinflußte die Ausbildung des Kanuri?

Ich deute hier nur an, was genauer zu betrachten Mangel an Kenntnissen, literarischen Grundlagen und Studien des Kanuri mir verbietet.

Im Uebrigen ist die Tedā-Sprache natürlich wenig ausgebildet. Man setzt die Hauptwörter neben einander ohne sie zu flectiren, und überläßt es dem Zusammenhange, die Erklärung zu liefern. – Den Zeitwörtern geben sie Abwandlungen für Gegenwart und Vergangenheit; einen Modus habe ich nicht entdecken können. Merkwürdig war das Widerstreben der Tibbu, in der zweiten Person Pluralis zu sprechen; stets bedienten sie sich anstatt ihrer der der dritten Person Pluralis.

In der Verneinung lehnen sie sich wieder an das Alt-Egyptische durch Anhängung von „n.“

Doch ich schweige, so lange ich nicht zu dem von Barth geschaffenen Material etwas Anderes als einzelne neue Wörter und einige Berichtigungen werde fügen können. Nur die Interpretation des Vorhandenen wollte ich den competenteren Gelehrten empfehlen.

Ich komme zu ihrem socialen Verkehr und erwähne zunächst ihre Art sich zu begrüßen, welche eigenthümlich genug ist, um Interesse zu verdienen.

Begegnen sich zwei Tibbu auf der Reise, wo die Begrüßungs-Ceremonie am vollständigsten ist, so ziehen sie den Litham höher hinauf, senken den Turban bis zu den Augen, so daß nur ein schmaler Spalt für diese übrig bleibt, legen den langen Dolch, den sie vielleicht der Bequemlichkeit wegen an den Kameelsattel gehängt hatten, an das Handgelenk, ergreifen Lanze, Speere und Wurfeisen mit der rechten Hand, den Zügel des Kameels mit der linken, und nähern sich einander mit ernster Würde bis auf einige Schritte. Dann hocken sie [306] schweigend nieder, zupfen noch einmal den Litham in feierliche Falten, und Einer beginnt mit ernster Stimme zu fragen: „Laha inkennaho?“ was der Andere ebenso ernst mit „Laha!“ beantwortet. Dann folgen eine Reihe gleichbedeutender Phrasen, wie „Lahaníhni?“ „Killahani?“ oder „gíta ínna dúnnia?“ welche die invariable Antwort „Laha“ zur Folge haben. Von den Fragen ist die allgemeinste und einfachste[WS 5] „Killahani?“ welche unserem „Wie geht es Ihnen“ am besten entspricht. Die Uebrigen bedeuten im Grunde nichts Anderes, sind jedoch für ceremoniösere Begrüßungen und nach langer Trennung oder Reise reservirt. Nach mannichfachen Wiederholungen und Combinationen dieser Phrasen und ihrer stereotypen Antwort „laha“ intonirt der Eine plötzlich ein kräftiges „Jhílla,“ welches von demselben Ausdrucke aus dem Munde des Andern, nur eine Note tiefer, gefolgt ist, und nun geht es in absteigender Tonleiter abwechselnd, bis die Stimme in einem dumpfen Grunzen erstirbt. Dann ermannt sich Einer und giebt durch ein neues kräftiges „Jhílla“ der Ceremonie einen neuen Aufschwung, welche sich ebenfalls allmählig wieder bis zu gänzlicher Tonlosigkeit abschwächt. Dazwischen mischt man geschmackvoll die oben angeführten Fragen nach dem Befinden, und wenn die Ceremonie in dieser maßvollen Abwechslung noch eine schickliche Zeit lang den Beweis der Lebensart und feinen Sitte der Begrüßenden geliefert hat, so flechtet man auch Fragen von allgemeinerem Interesse ein, bis zuletzt nur noch eine gewöhnliche Unterhaltung übrig bleibt.

Die Sache wird kürzer abgemacht, wenn es sich nur um die Begrüßung von Personen handelt, welche sich fast täglich zu sehen Gelegenheit haben. Dann begnügt man sich mit „killahani?“ (wie geht es Ihnen?), „dogesalaha?“ (wie haben Sie die Nacht zugebracht?) während der ersten Hälfte des Tages, und „entegúddeni?“ (wie haben Sie die Tageshitze zugebracht?) am Nachmittage. Die unveränderliche Antwort auf diese Frage bleibt „Laha,“ doch keine Tonleiter von „Jhílla’s“ verlängert den Act.

Kennen sich die Begegnenden genauer, so nähern sie sich vor der Begrüßung, um sich die Hand zu reichen.

Bei der Trennung sagt der Weggehende wohl ein: „T(e)mešeš!“ (auf gutes Wiedersehen!), was der Zurückbleibende mit „Allah nkífuk!“ (Gott gebe Dir Frieden!) beantwortet; doch ist dies nicht de rigueur, und trennen sie sich im Gegentheil meist nach der Sitte der Araber, d. h. schweigend.

Man muß natürlich diesem ceremoniösen Benehmen nur den formellen Werth beilegen, den es wirklich hat. Es involvirt so wenig wirkliche Höflichkeit, daß oft die der Begrüßung beigemischten Fragen, welche ihr gegenseitiges Interesse betreffen, einen wüthenden [307] Streit erregen, ehe die civile Scene in ihrer vollen Ausdehnung beendigt ist. Sie halten so wenig darauf, diese Höflichkeit zu zeigen, daß vielmehr jeder Tibbu, wenigstens auf Reisen, d. h. den Augen der Landsleute und folglich des Rechts entrückt, fürchtet, einem Landsmanne zu begegnen, nur Räuber und Diebe in allen ihm nicht persönlich bekannten Individuen witternd. Welche Unruhe entwickelte nicht sichtlich jedes Mal mein Führer und zweifelhafter Schutz, Akremi Kolókomi, sobald er nicht allzu alte menschliche Fußspuren im Sande entdeckte, selbst wenn diese nur einem einzigen Menschen angehörten! Welche unbegreifliche Vorsicht wurde nicht jedes Mal unter seiner Leitung aufgewendet wenn wir uns einem sicherlich nur von wenigen Menschen bewohnten Orte näherten, oder wenn eine optische Täuschung einem Baumstamm menschliche Gestalt und hohen Kräutern das Aussehn ruhender Kameele verlieh.

In Wahrheit und Kürze: Jeder fürchtet sich vor seinem Nächsten, sobald er nicht durch die Gegenwart Aller vor seinen Uebergriffen gesichert ist; Mißtrauen regiert alle ihre Schritte und ihren Verkehr. So erzeugt sich der Argwohn, die Heimlichkeit, mit der Jeder seine Hütte, so zu sagen „außer Schußweite“ des Nachbars, in verborgenen Felsschluchten aufschlägt und die Nacht zum Tage macht.

Da, wo sie gezwungen sind, nahe bei einander zu wohnen, in Mitten ihrer Gärten und Dattelbaumpflanzungen, hört Zank und Streit nicht auf. Es vergeht keine Woche, daß nicht leichte und schwere Verwundungen in Folge ihrer Zanksucht statthaben. Von zehn Individuen sind sicherlich acht mehr oder weniger verstümmelt, sei es durch Gelenksteifigkeiten, ausgedehnte Muskelnarben oder das Fehlen einiger Finger oder Zehen, und sehr selten sind das Errungenschaften des zweifelhaft ehrenvollen Feldes der Ghazien, sondern einfache Folgen ihrer heimischen Zornmüthigkeit und Zanksucht. Ihre Eitelkeit und ihr aristokratischer Stolz machen sie um so empfindlicher und gefährlicher, im Nu und durch ein Nichts verletzt brausen sie auf, und wehe, wenn ihre Lanze zur Hand ist.

Da ist auch keine Spur von gemüthlichem Volksleben, das Vergnügen findet an gemeinsamen Erholungen, Ergötzlichkeiten, an Musik und Tanz, an Spiel und Scherz. Wohl hört man bei festlichen Veranlassungen die Trommel, das Tamburin und eine Art Darbuka (die einzigen Instrumente, welche Tibesti kennt, die aber selten genug sind) ertönen, doch wie weit bleiben diese Versammlungen entfernt von den harmlosen Zusammenkünften der Neger Bornu’s, die in kindlicher Fröhlichkeit sich nur der Gegenwart und ihrer Lust hingeben, und deren gutmüthige Gesichter von Frohsinn und Heiterkeit strahlen! Wie kalt sind sie selbst im Vergleich mit den Volkslustbarkeiten der [308] Fezāner, in denen viel Negerblut steckt. Schon die ernsten Physiognomien der Tibbu, ihr Ausdruck versteckter Berechnung, ihre verschlossenen Züge scheinen gar nicht in dieses Volksleben zu passen.

Trotzdem sind sie „große Freunde der Rede,“ ja geschwätzig. Da sitzen sie Tag für Tag, Abend für Abend, und discutiren und raisonniren über Ghazien und ihre Streitigkeiten im Lande selbst, bis ein Diebstahl, eine Beleidigung, eine Verwundung oder gar ein Mord das Interesse der Actualität gewinnt und ihnen für Wochen Gelegenheit giebt, ihr argumentirendes Rednertalent zu üben. Dies ergeht sich nicht allein, sobald es sich um ihr eigenes Interesse handelt, in Spitzfindigkeiten und Nebenumständen, um die Hauptfrage in den Hintergrund zu drängen, sondern basirt sich auf ein eigensinnig gewaltsam verdrehtes Rechtsbewußtsein[WS 6]. Es ist trostlos, sie dann in ihrer Discussion zu beobachten, aber geradezu verzweifelt, selbst darin verwickelt zu sein. Jeder hält mit einer Zähigkeit, einem Eigensinn seine Schein-Argumente fest, welche den Fremdling endlich zu verzweifelter Resignation treiben. Dabei vertheidigt er sie nicht offen, Auge in Auge, sondern bohrt diesen „Spiegel seiner Seele“ (!) entweder in den Sand vor ihm, oder läßt ihn vague in die Ferne schweifen, aber keinenfalls auch nur eine Spur von dem verrathen, was in ihm vorgeht.

Ist der Umgang mit Arabern ihrer Doppelzüngigkeit, ihres Mangels an Aufrichtigkeit wegen unerfreulich, der Verkehr mit den Tibbu Rešāde ist geradezu unheimlich. Niemand kennt Billigkeit, höchstens starres Recht; Niemand eine andere Norm für seine Meinung und Handlungsweise, als Interesse, Habsucht, höchstens noch Rachegefühl. Dem unterjochen sie ihr Raisonnement, dem zu Liebe scheinen sie vor sich selbst die eigene Ueberzeugung zu fälschen, sich hartnäckig aller besseren Ueberzeugung verschließend. In Fragen, welche nicht ihr eigenes Interesse berühren, sind sie verständig und urteilsfähig genug; doch, sobald dies berührt wird, ist es mit ihrem klaren Urtheil zu Ende.

Daß die Tibbu Rešāde habsüchtig und stets auf ihren Vortheil bedacht sind, theilen sie im Allgemeinen wohl mit allen von der Natur ihres Landes stiefmütterlich behandelten Völkern, welche auf etwas primitiver Culturstufe stehen geblieben sind. Doch bestehen in dieser Eigenschaft bedeutende Gradverschiedenheiten. Ihr ernster Charakter, welcher Nichts mit dem der meist sorglosen Kanuri gemein hat, und die Zähigkeit ihrer ganzen Natur accentuiren dieselbe bei ihnen über Gebühr. Sie lassen sich in der That keine Gelegenheit entgehen, ihrem Vortheil zu dienen; ihr ganzes Dichten und Trachten ist auf ihn gerichtet. Trotzdem sie einen gewissen Hang zur Eitelkeit haben, [309] die frühere Reisende oft constatirt haben, so gewinnt dieser doch nie die Oberhand über ihren praktischen Sinn. Meine Bücher und Instrumente, selbst Uhren waren sicher vor ihrer Begehrlichkeit; ebensowenig strebten sie nach meinen Schießgewehren (wenn mir eine Doppelflinte gestohlen wurde, so geschah dies von Jemand, der darauf rechnete, seinen Bruder, der von den Arabern gefangen gehalten wurde, gegen dieselbe auszutauschen), sondern strebten unermüdlich nach Gegenständen, welche unmittelbare Verwerthung erlaubten. Meine rothen Tuchburnusse, die sie sonst sehr lieben, verhandelten sie alsbald gegen Kameele oder Schafe, und Spiegel und Essenzen fanden nicht den Zuspruch, den ich von ihrer so oft betonten Eitelkeit erwartete.

Diesem ihren krassen Egoismus gegenüber treten Gefühlseigenschaften gänzlich in den Hintergrund. Nie hoffe ich wieder eine Nation zu besuchen, die sich durch eine so gänzliche Abwesenheit aller Gutmütigkeit auszeichnet. Jeder Appell an ihr Herz ist für sie unverständlich und ohne Wiederhall. Ich habe während der ganzen Zeit meines Aufenthalts unter ihnen nur ein einziges Individuum gefunden, das aus reinem Mitgefühl mit meiner unerquicklichen Lage, ohne Speculation auf meine Habe, für mich zu interveniren suchte. Derselbe kam eines Tages nach Bardaï (er wohnte in dem benachbarten Dorfe Zuï) und führte sich mit einigen Wassermelonen bei mir ein, indem er erklärte, daß er in seinem Dorfe von dem Christen gehört habe, welcher, nachdem er sein Besitzthum gezwungener Weise fortgegeben habe, jetzt Hunger leiden müsse, gewaltsam zurückgehalten werde und dazu noch seine Feinde von ihren Krankheiten heile, und da habe er denn gedacht, es müsse ihm doch Vergnügen machen, einige Früchte aus seinem Garten zu haben. Da er ein angesehener Mann war, begab er sich sodann in die Versammlung der Edlen und sprach dort, wie ich hörte, energisch für meine Freilassung. Ich war zwar unmittelbar schon gerührt über dies ungebräuchliche Zeichen von Mitgefühl, konnte aber meine Zweifel über die Aufrichtigkeit des letzteren nicht unterdrücken, und wartete von einem Tage zum andern auf die Entwicklung des egoistischen Motivs dieses anscheinenden Edelmuthes. Doch, obwohl er mir noch einen Besuch mit Wassermelonen abstattete, äußerte er keinen Wunsch, kein Verlangen, und seine wohlthuende, isolirte Erscheinung ist mir durchaus rein und unverdunkelt in der Erinnerung geblieben.

Im Uebrigen hörte ich vom Morgen bis zum Abend nur unangenehme, kränkende, drohende Worte. Beide Geschlechter vom zartesten bis zum vorgerücktesten Alter wetteiferten darin. Selbst wenn es ihr Vortheil nicht erheischte und sie durch Nichts provocirt waren, fanden sie ein sichtliches Vergnügen daran, mich moralisch zu mißhandeln. [310] Ich verabreichte eines Tages einer nahen Verwandten des Sultans, einer älteren Dame, Medicamente, und hundert Schritt von meinem Zelte organisirte das dankbare Geschöpf einen Steinangriff der versammelten Straßenjugend auf dasselbe. Mein Beschützer Arami, Neffe des greisen Dardeï (Sultan), war herzlos wie die Uebrigen; doch ordnete er mit seltenem Geschick seine Gefühle seinen habsüchtigen Speculationen unter, und verdanke ich seiner energischen Wahrnehmung meiner Interessen nur diesen Schutz, aber keineswegs seinem Wohlwollen.

Diese ewig speculirende Selbstsucht markirt ebenfalls ihre Beziehungen unter einander und erzeugt die Heimlichkeit, Verschlossenheit, Unwahrhaftigkeit ihres ganzen Wesens und den Hang zum Diebstahl, dem sie mit Gewandtheit und Schlauheit huldigen.

Zur milderen Beurtheilung dieses unvortheilhaften Bildes darf man jedoch die dieser moralischen Verkommenheit zum Grunde liegenden Umstände nicht vergessen. Neben der Armuth ihres Landes und den Entbehrungen, welche ihnen dieselbe auferlegt, muß uns vorzüglich die Thatsache gegenwärtig bleiben, daß die unglücklichen Tubu von jeher neben ihrer ohnehin peniblen Existenz den Verfolgungen und der Plünderungssucht ihrer mächtigeren Nachbarn zum Opfer fielen. Die Sultane und Gouverneure von Fezān ergossen periodisch ihre Soldaten, welche damals zahlreicher waren als jetzt, zur Sklavenjagd über Tibesti, Wadjanga, Bornu und Kanem; die Araber der großen Syrte ließen Ghazia auf Ghazia folgen, und die Tuareg, die ihnen im kriegerischen Wesen überlegen sind, betrachteten sie nur zu oft als leichte Beute.

Der beste Beweis, daß bei friedlicheren und harmloseren Beziehungen zu den Nachbarn und inmitten einer gesetzlicheren, geordneteren Umgebung auch die wilden Tibbu Rešāde ihren Charakter wesentlich modificiren würden, liegt in der Thatsache, daß diejenigen von ihnen, welche das südliche Fezān bewohnen, sich den immerhin geregelteren Zuständen dieses Landes nicht allein mit Leichtigkeit fügen, sich gewöhnen, in ihren Verhandlungen ehrlicher zu sein und Wort zu halten, sondern schnell im Ganzen mildere Sitten adoptiren, sich später nur schwer entschließen, nach Tibesti zurückzukehren, und endlich nur mit Furcht an die Wildheit und Treulosigkeit ihrer Landsleute denken. Doch freilich sind auch sie noch wegen ihrer Lügenhaftigkeit berüchtigt.

Ihr politisches Gemeinwesen ist nicht geeignet, in ihnen Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit zu entwickeln. Tradition und Usus halten es mit lockerem Bande mühsam zusammen.

[311] Die Tedā Tu’s scheiden sich in Edle (maina) und Volk, und an der Spitze des Ganzen steht ein Sultan oder Fürst (dardeï), welcher abwechselnd aus einer der vier Zweige der Tomāghera, welche im Lande wohnen, hervorgeht. Die Macht desselben ist durch das aristokratische Element der Edlen beschränkt und thatsächlich sehr unbedeutend. Zwar haben einzelne Fürsten, wie noch der Vorgänger des jetzigen, der Maina Taherke, sich großer Autorität erfreut, doch lag dies mehr in seiner Persönlichkeit, als in seiner Stellung. Eine wie geringe Machtentfaltung diese selbst implicirt, hatte ich hinlänglich zu sehen an dem Einflusse, dessen der jetzige Sultan, Tafertemi, genießt.

Der Dardeï präsidirt der Versammlung, dem großen Rath der Edlen, der alle Fragen von öffentlichem Interesse ventilirt und entscheidet. Er wird bei allen Unternehmungen und streitigen Fällen zu Rathe gezogen und hat das Recht, bei zu unternehmenden Ghazien den mit ausgedehnter Gewalt bekleideten Anführer zu ernennen. Doch hat er weder die Gerechtigkeitspflege in seiner Hand, noch kann er auf eigene Faust irgend welche öffentliche Anordnungen treffen, noch hat er irgend welche Executiv-Gewalt zu seiner Verfügung. Seine Zustimmung sucht man in althergebrachter Achtung vor seiner Würde zu Allem, handelt jedoch vorkommenden Falls auch ohne dieselbe nach eigenem Ermessen. Er dagegen kann in keinem Falle der Zustimmung der Versammlung der Edlen entbehren.

Materielle Vortheile erwachsen dem Dardeï aus seiner hervorragenden Stellung nicht, wenigstens sind dieselben nicht nennenswerth. Er kann äußerst arm sein und bleiben, wofür Tafertemi, der länger als ein Menschenalter an der Spitze des Landes steht, wieder der beste Beweis ist. Leider hatte ich die aus solcher Armuth des Staatsoberhaupts, die sonst ideal bewunderungswürdig erscheinen könnte, resultirende Abhängigkeit von Andern, welche in meinem Falle Tafertemi ganz in die Hände meiner Feinde lieferte, zu erfahren Gelegenheit.

Beim Regierungsantritte bietet das Land seinem Dardeï als Aussteuer und Insignien ein Zelt, einen Teppich, einen Burnus und einen rothen Torbusch dar, und außer diesen Emolumenten hat derselbe einen beträchtlichen Antheil an der Beute der Ghazien, an dem Durchgangszoll der Karawanen und den Geschenken der Reisenden. Doch freilich sind Karawanen und Reisende seit der Unterbrechung des Karawanenweges zwischen Murzuk und Wara und bei dem abscheulichen Rufe der Tibbu von äußerster Seltenheit.

Früher gab es zwei Sultane im Lande Tu, einen aus dem Stamme der Tomāghera, und einen aus dem der Gunda. So noch zur Zeit [312] des Maina Taherke, neben dem noch Ali-ben-Sidi functionirte. Doch nach dem Tode des letzteren hat man sich dahin geeinigt, den Tomāghera allein das Vorrecht zu belassen, den Dardeï zu liefern, während die Gunda nur dadurch ausgezeichnet bleiben, daß ihr Chef mit jenem bei Beutevertheilung, Durchgangszöllen und Geschenken zu gleichen Theilen geht.

Das Volk hat keinerlei Rechte, aber auch keinerlei Pflichten. Abgaben sind ihm unbekannt, doch ist sein Loos bei der Armuth des Landes trotzdem kein beneidenswerthes. Die Beute der Ghazien fällt fast ganz den Edlen zu, und wo nicht, wie im Flußthal Bardaï, Arbeit und Landbau in etwas blüht, sind sie großentheils der Gnade dieser anheimgegeben. Die Edlen sind in fabelhafter Menge vorhanden. Fast Jeder ist Maina in den westlichen Thälern, entwickelt mit Stolz seine edle Abkunft und ist dem entsprechend hochmüthig und anspruchsvoll. Den Ursprung dieser Aristokratie dem Volke gegenüber festzustellen, muß späteren Forschungen überlassen bleiben.

Diese sociale Schichtung und die politische Anordnung schließt sich den Zuständen an, die wir bei den verschiedenen Gliedern der großen Berberfamilie finden, und sondert die Tibbu Rešāde entschieden von den reinen Negervölkern, wo der Absolutismus des Sultans ohne hemmendes aristokratisches Element vorherrscht.

Aus dem Volke sondert sich noch ein Element ab, dessen exceptionelle Stellung schon durch Gerhard Rohlfs bekannt geworden ist, das der Schmiede. Wenn schon in anderen Ländern und Völkern sich an diese Profession sonderbare geheimnißvolle Eigenschaften knüpfen, die sich sogar nicht selten auf die Frau übertragen, so beschränkt sich doch die Eigenthümlichkeit in Tibesti nicht auf die Kenntniß von Zaubertränken u. s. w., Künste, die ich im Gegentheil nicht habe an ihnen in Erfahrung bringen können; es nehmen vielmehr die Schmiede hier eine höchst sonderbare Paria-Stellung ein, die sie gänzlich von der Gesellschaft ihrer Mitbürger ausschließt. Jemand einen Waffenschmied heißen, ist eine Beleidigung, die nur durch Blut gerächt werden kann. Niemand giebt seine Tochter einem Schmiede zur Frau, Niemand läßt seinen Sohn das Handwerk eines solchen erlernen, Niemand steht in näherer Verbindung mit diesem Paria. Das Handwerk vererbt sich von Vater auf Sohn, die Verheirathungen geschehen unter ihres Gleichen, und so bleibt die Kaste für sich, rein und unvermischt. Und doch ist dies nicht reine Verachtung. Es wird auf der andern Seite Niemandem einfallen, einen Schmied zu beleidigen oder gar mit bewaffneter Hand anzugreifen; die größte Schande würde solcher That ankleben. Er wird vielmehr wie ein Weib betrachtet, [313] wie sich denn Niemand gern weibisch schelten läßt und es überall eine Schande ist, ein Weib zu beleidigen.

Trotz aller Anstrengungen ist es mir ebenso wenig als Gerhard Rohlfs gelungen, den Ursprung dieser geheimnißvollen Paria-Stellung zu ergründen. Keine Tradition, keine Legende giebt Andeutungen über diese sonderbare Thatsache, über die ich nicht die geringste Vermuthung aufzustellen wage. Uebrigens unterscheiden sich diese Leute in Nichts von ihren Landsleuten, und Niemand zweifelt an ihrem gemeinsamen Ursprunge und Herkommen.

Die Gerechtigkeitspflege vollzieht sich nach dem Usus vergangener Jahrhunderte. – Mord fällt der Blutrache anheim und kann nie sofort durch Geldbuße gesühnt werden. Jeder Mörder wird landesflüchtig und kehrt nie wieder in sein Vaterland zurück, wenn nicht etwa, wie dies nach langen Jahren freiwilligen Exils bisweilen geschieht, endlich die Familie des Ermordeten dem Thäter gegen bedeutende Geldopfer gestattet, wieder in der Heimath zu leben. – Schwere Beleidigungen in Wort und That werden bei der Zornmüthigkeit der Tibbu gewöhnlich durch blutigen Kampf entschieden. Diebstähle, Verläumdungen, leichte Beleidigungen werden durch Geld gesühnt, je nach der Schwere des Falles und dem Vermögen des Schuldigen.

Jeder ältere, angesehene Mann genügt, die streitigen Fälle zu entscheiden und die Strafe zu fixiren; es ist durchaus nicht nöthig, die Angelegenheit dem Sultane zu unterbreiten. In schwierigen Fällen, und die klarsten und einfachsten werden oft zu solchen bei dem Eigensinn und der Rechthaberei der Tibbu, appellirt man an mehrere ältere, angesehene Männer, oder die ganze Versammlung der Edlen nimmt die Angelegenheit in die Hand, und nach tagelangen endlosen Discussionen und Negoziationen gelingt es fast stets, den Handel beizulegen.

Ehebruch und Verführung, die übrigens sehr selten zu sein scheinen, überliefern den Thäter dem Dolche des beleidigten Gatten oder Vaters, sofern dieser den Angriff auf seine Ehre beweisen kann.

Da kein Kadhi bekannt ist und kein in der Gesetzeskunde des Islam bewanderter Mann in Tibesti lebt, so recurriren sie in Fällen, wo ihre Weisheit zu Ende ist, an den Chef der Zauïa Sidi Senussi’s zu Wau im Fezānischen Distrikte Scherkiya, dessen Urtheil wohl stets als endgültig angenommen wird.

In physischer, intellectueller und moralischer Beziehung möchte ich die Bewohner in Kürze also charakterisiren: dieselben sind mehr oder weniger dunkelhäutig, mager, mittlerer Größe, ebenmäßigen Körperbaus, [314] kaukasisch in Zügen und Kopfbildung; energisch, ausdauernd, mäßig, gewandt und waffenkundig; rastlos reisend oder raubend; verständig, berechnend, egoistisch, habsüchtig, geizig, lügnerisch, verrätherisch, wild, gefühllos und grausam; ungemüthlich, eitel, stolz, zanksüchtig und zornmüthig; aristokratisch, ungebunden, ja zügellos; mißtrauisch und fanatisch.

Die Stärke der Bevölkerung ist schwer, ja unmöglich zu bestimmen. Zu Bardai hätte ich, gerade zur Zeit der Dattelernte, eine günstige Gelegenheit gehabt, ihre Zahl annähernd zu berechnen, wenn ich mich frei hätte bewegen können. Die ungefähre Zahl von 5000 Seelen, welche Gerhard Rohlfs angiebt, mag richtig sein, bleibt aber vielleicht etwas unter der Wahrheit. Denn wenn auch die Wüstheit und Armuth des Landes eine nur spärliche Bevölkerung erlaubt, so ist doch die Zahl der bewohnten Thäler groß, und wohin man von ihnen aus seine Schritte in die Felsschluchten und Nebenthäler lenken mag, überall stößt man auf ihre zerstreuten Hütten.

Ich vervollständige hier meine frühere Angabe über die Ausdehnung des Territoriums der Tibbu Rešāde nach Osten zu durch die Thatsache, welche mir früher noch zweifelhaft war, daß die Magatna, welche das Flußthal Yibi mit Umgebung bewohnen (zwischen dem 18ten und 19ten Grade östl. Länge von Greenwich) noch zum politischen Verbande Tibesti’s gehören.

So mißt also der bewohnte Theil des weiten Gebietes der Tibbu Rešāde sowohl von Nord nach Süd, als von West nach Ost ungefähr 3 Grade, eine Ausdehnung, deren sich weder Borgu noch Wadjanga zu erfreuen hat. Wenn Borgu bisher für die stärkstbevölkerte aller Kernlandschaften der Tedā gehalten wurde, so ist dies (vergleichsweise zu Tibesti) vielleicht nur relativ der Fall: die Einwohnerschaft ist auf einen kleinen Raum, und zwar in der Richtung der großen Straße, zusammengedrängt. Doch der Scheikh Mohammed-ibn-Omar el Tunsi, der nothwendig auf seiner Reise von Wara nach Fezān Borgu seiner ganzen Länge nach durchschneiden mußte, erwähnt desselben bei dieser Gelegenheit gar nicht, während er die Tubu Turkomān, die ihm zuerst aufstießen, bevor er Tibesti erreichte, und die späteren Horden der Tibbu Rešāde als äußerst zahlreich schildert. Seine „Tubu Turkomān“ jedoch scheinen mir identisch zu sein mit den „Dirkamau,“ dem südlichsten Stamme Tibesti’s, denn erstens stießen dieselben der Karawane des Scheikhs gerade da auf, wo diese ihre jetzigen Wohnsitze haben, und zweitens, während nirgendwo von einem Stamme Turkomān der Tedā gehört wird, stehen sich die beiden Namen sehr viel näher, als man bei oberflächlichem Blicke meint; man darf nur nicht vergessen, daß der Scheikh arabisch schrieb, und uns das Werk [315] durch die gelehrten Herren Jomard und Perron verschafft worden ist. Das einzig wesentlich Abweichende in den beiden Namen ist die Endung, doch Jeder, der arabische Manuscripte gesehen hat, weiß, wie schwer es oft ist, „و“ von „ن“ am Ende eines Wortes zu unterscheiden, gerade wie ihr Aequivalent im lateinischen Alphabeth „u“ and „n.“ In andern Worten ergiebt sich selbst bei etwas undeutlicher Handschrift das Richtige aus der Bedeutung des Wortes, doch bei Namen konnte sich solche Verwechslung nur allzu leicht einschleichen.

Wadjanga kann nach dem Urtheile Aller, welche dort waren, gar nicht neben Tibesti und Borgu in Betracht kommen, was seine Einwohnerzahl betrifft. In wie weit diese überhaupt zur Tedā-Familie gerechnet werden können, wird mir täglich zweifelhafter durch die große Sprachverschiedenheit, welche zwischen ihnen und den übrigen Tedā besteht. Dasselbe hat Barth für das Idiom der Bewohner von Ennedi, der Terrauia oder anna Áno, in einzelnen Sprachproben constatirt.

Wie dem auch sei, Tibesti scheint mir in Ausdehnung und Bevölkerung das wichtigste Tibbuland zu sein, und ist mir die Wiege, das eigentliche Kernland der Tedā. Von hier aus herrschten vor langen Jahrhunderten die „Berdeoa“ (Bardeïtae) bis zum Nilgebiet und zum Sudān und gaben dem Bornureiche eine Dynastie; von ihm aus verbreiteten sich nach Süd und Südwest die zahlreichen Stämme der Tomōghera, Ganda und Anderer; seinen Namen erborgten die Kanuri, um die ganze Nation zu benennen (Tu-bu), wie sich endlich die heutigen Tibbu Tibesti’s κατ᾿ ἐδοχήν „Tedā“ nennen.


Obgleich es leicht erscheinen dürfte, im Lande selbst die verschiedenen Stämme und Familien festzustellen, in welche die Einwohner zerfallen, so ist doch die Sonderung nicht eben streng, und legen sie selbst so wenig Wichtigkeit darauf und sind ihre Angaben so verwirrt, daß meine Liste nicht als vollständig bezeichnet werden kann:

Die Tomāghera mit den Unterabtheilungen (oder doga) in Yóō und in Zuar. Die zwei anderen Unterabtheilungen dieses großen Stammes sind mir trotz seiner Bedeutung unbekannt geblieben.

Die Gunda mit den Unterabtheilungen Gaúïa, und in Tao.

Die und in Zuar.

[316] Die Krēsa, Tēríntera und Abia in Abo.

Die Fuptá, Edrigē und in Bardaï.

Die Dirkemau mit den Unterabtheilungen Yirkómoda zu Oguï und Māro und den Arinda (oder Arima) zu Dumór.

Die Māda zu Soróm.

Die (oder ) zu Aozo.

Die Gobáda zu Gobōn.

Die Magátna oder Mādena zu Yībī (oder Yēbē).

Es kann endlich von Wichtigkeit sein, Namen von Individuen eines Volkes, dessen Ursprung und Verwandschaften zweifelhaft sind, zu sammeln. Vielleicht, daß die Vergleichung derselben mit denen Anderer Anhaltspunkte für ursprüngliche Verwandschaften des Volkes liefert. Ich füge also einige wenige bei.

     Männliche:

Adži (eigentlich 12 Monatskind).

Galma (von gāli, schön).

Uérdego.

Uórdomi.

Tēti.

Khónkhi (oder Kónki, eigentlich klein).

Gordei oder Gordemi.

Korēmi.

Kalli.

Lōni (eigentl. 7 Monatskind).

Gúkkeni.

Káuakáua.

Irsē.

Márdamā.

Mōdu.

Isobā oder Yésobā.

Gángandē.


     Weibliche:

Kiutafo.

Aïsetta.

Dákindē.

Fāti.

Ākora.

Mellema.

Dírkemi.

Gúrda.

Bei Gelegenheit der Namen erwähne ich schließlich, daß es Gebrauch ist, nachdem man einen Feind erschlagen hat, den Namen zu wechseln. So hieß Arami früher Uórdomi, und konnte mir derselbe einst, als ich die Besorgniß äußerte, auf einem schlecht gewählten Lagerplatze überfallen zu werden, mit Stolz entgegnen: „Sei ruhig, ich hieß früher Uórdomi!“


Anmerkungen

  1. Dieses Wurfeisen heißt bei den Funje: Kulbêdah, bei den Kordufanern: Kúrbadj oder Trúmbasch, Trombadj. Vergl. Hartmann, Reise des Baron von Barnim.
    Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wis
  2. Vorlage: uud
  3. Vorlage: ausgeseichnet
  4. Vorlage: Aehnlickkeit
  5. Vorlage: einfachst
  6. Vorlage: Rechtsbewustsein