Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Schnee- und Eisflora
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 845–847
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schnee- und Eisflora.

Ein Bericht von Carus Sterne.


Unter dem obigen Titel hat Professor Wittrock in Nordenskjöld’s „Studien und Untersuchungen aus seinen Reisen im höchsten Norden“, die vor Kurzem (Stockholm 1883) erschienen sind, eine eingehende Arbeit über die Pflanzen niederster Art veröffentlicht, die ihren gesammten Lebensgang auf der Oberfläche von Schnee und Eis vollenden und der eintönig weißen oder schmutzig-grauen Oberfläche des ewigen Schnees der Polar- und Alpenregionen zu Zeiten einen warmen, rosen- bis scharlachrothen Schimmer oder lebhaft grüne und braune Tönungen ertheilen, sodaß es aussieht, als ob auch diese erstarrten Zonen dann ihren Frühling und ihre Blüthezeit durchlebten. Im Nachfolgenden wollen wir einen kurzen Abriß der neueren Untersuchungen auf diesem Gebiete geben, uns indessen nicht an den Inhalt des obigen Werkes allein binden, sondern auch die älteren Quellen und die neuesten Berichte Nordenskjöld’s von seiner letzten Reise nach Grönland (Sommer 1883) dabei zu Rathe ziehen.

Die neueren Forschungen haben ergeben, daß die Schnee- und Eisflora bedeutend reicher ist, als man vordem glaubte. Man sprach früher eigentlich nur von dem rothen Schnee, welchem Agardh den poetischen Namen der „Schneeblüthe“ beigelegt hatte, und allenfalls noch von dem „grünen Schnee“, den schon der Botaniker Unger untersucht hatte und von welchem Dr. Kjellmann Proben aus Spitzbergen und Dr. Berlin neuerdings Proben von Grönland mitgebracht hat. Eine genauere Untersuchung hat in dem „grünen Schnee“ ungefähr ein Dutzend verschiedener Pflanzenarten nachgewiesen, und zwar nicht blos solche der niedersten Art, sondern auch Moose, freilich nur in ihrem den grünen Fadenalgen ähnlichen Keimzustande, wobei sie obendrein eine viel dürftigere Entwickelung zeigten, als wenn sie auf wärmerer Unterlage wachsen. Die Flora des lockeren Schnees ist überhaupt reicher als die des starren Eises, denn auf dem ersteren wurden bereits gegen vierzig verschiedene Pflanzenarten beobachtet, und ihre Zahl dürfte sich durch die neueste Expedition noch bedeutend vermehren, während auf der Oberfläche des Eises erst zehn verschiedene Pflanzen beobachtet worden sind.

Unter diesen abgehärteten Sonnenkindern muß man aber die echten Schnee- und Eispflanzen, die in weiter Verbreitung ausschließlich auf Schnee und Eis vorkommen, von solchen Pflanzen unterscheiden, die nur gelegentlich auf dem Schnee keimen, wenn ihre feinen Sporen, die bei diesen niederen Pflanzen die Stelle der Samen vertreten, vom Winde herbeigeführt werden, wobei sie zum Theil auf dem Körper der eigentlichen Urbewohner des Schnees schmarotzen oder doch nur in ihrer Gesellschaft auftreten. Die echten Schnee- und Eispflanzen gehören alle zu jenen einzelligen mikroskopischen Algen der niedersten Art, die sich in ungeschlechtlicher Weise durch Theilung vermehren, gewöhnlich in Colonien vorkommen und sich dadurch auszeichnen, daß sie selten die rein grüne, von Chlorophyll abhängige Farbe der anderen Pflanzen, sondern statt dessen rothe, braune, spahngrüne und andere Farben zeigen, weshalb man sie auch als Farbalgen (Phycochromaceen) bezeichnet hat.

[846] Von der häufigsten und bedeutsamsten unter allen, der Alge des rothen Schnees, hat man auch wohl vermuthet, daß sie nur den niederen Zustand einer höheren Alge vorstelle, die im ewigen Schnee niemals zu einer höheren Entwickelung gelange, was um so merkwürdiger wäre, als ihre lebhaft rothen Kügelchen von 1/150 Linie Durchmesser vielleicht alle andern Pflanzen der Erde an Individuenzahl übertreffen, da sie meilenweite Schneestrecken in solcher Massenhaftigkeit bedecken, daß derselbe zuweilen bis zu einer Tiefe von mehreren Fußen blutroth gefärbt erscheint, während bereits auf einer Fläche von einer Quadratlinie hunderttausend Individuen Platz haben. Der rothe Schnee hat seit seinem ersten genaueren Bekanntwerden die Phantasie der Gelehrten lebhaft beschäftigt. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, daß er schon in früheren Zeiten beobachtet worden ist, und wenn Properz von den Rosenwangen eines jungen Mädchens sagt, sie glänzten:

„Wie wenn Mäotierschnee mit Mennige kämpft vom Iberus,“

so möchte man hinter dem seltsamen Vergleiche eine Beobachtung rothen Schnees als Veranlassung vermuthen. In Schnurrer’s „Chronik der Seuchen“ und ähnlichen Sammlungen auffallender Naturereignisse wird öfter von blutrothem Schnee berichtet, doch weiß man in solchen Fällen natürlich nicht, ob die Färbung von rothen Algen oder von rothem, eisenhaltigem Meteorstaub hergerührt hat. Um echten „rothen Schnee“ in unserem Sinne handelte es sich indessen offenbar bei den Beobachtungen von de Saussure auf seinen Alpenreisen. Derselbe hatte ihn seit dem Jahre 1760 zu verschiedenen Malen wahrgenommen, am schönsten 1778 auf dem St. Bernhard, hatte aber gemeint, es müsse ein vom Winde hergewehter rother Blütenstaub sein, wie der gelbe, welcher den Schwefelregen erzeugt, obwohl er keine Pflanze kannte, die einen derartigen rothen Blütenstaub besitzt. Die Erkenntniß, daß der rothe Schnee der Polarländer und Gebirge seine Färbung einem lebendigen Wesen verdankt, datirt erst von der berühmten Polarexpedition von Roß und Parry (1818), bei welcher Capitain Roß an der grönländischen Küste die 600 Fuß über dem Meere belegenen „Scharlachklippen“ (crimson cliffs) entdeckte, welche die Wände der Baffins-Bai im brennendsten Roth erglänzen ließen, stellenweise eine Tiefe von drei Metern und in der Nähe vom Cap York eine Ausdehnung von acht Seemeilen erreichten.

Franz Bauer, der den rothen Schnee zuerst mit dem Mikroskope untersuchte und die organischen rothen Kügelchen darin erkannte, meinte, es handle sich um die gestielten Knöpfchen eines Brandpilzes, den er den Schnee-Brandpilz (Uredo nivalis) taufte, eine recht unglückliche Idee, da die Brandpilze, wie alle Pilze, nur auf einer organischen Unterlage leben können. In demselben Jahre wie Roß (1818) beobachtete der berühmte Alpenforscher E. von Charpentier den rothen Schnee wiederum in den Schweizer Alpen und stellte zuerst die Vermuthung auf, welche einen langen Nachhall haben sollte, daß es sich um einen aus der Luft herabfallenden und darum über so weite Schneeflächen verbreiteten Meteor-Organismus handeln müsse.

Hooker erkannte zuerst die Algennatur des neu entdeckten Organismus, den er jenen rothen Schleimalgen (Palmella- und Tremella-Arten) verglich, die zuweilen als blutrothe Schleimmassen im Wasser und auf feuchter Unterlage auftreten. Wrangel wollte dann (1823), weil die Kügelchen ohne organische Unterlage erscheinen, eine Flechte daraus machen, die er Lepraria kermesina nannte, und meinte, die Luftelektricität erzeuge wohl die Keime derselben, wie er denn gesehen haben wollte, daß ein vom Blitze gespaltener Felsen sich an den Spaltflächen über und über mit solchem rothen Staube bedeckt habe.

Es kam die Zeit der naturphilosophischen Phantastereien, und Nees von Esenbeck wurde mit Ramond völlig darüber einig, daß die rothen Kügelchen nichts anderes seien, als ein „im oxydirten Schnee organisch gewordenes rothes Glimmerpulver“; der starre Fels habe bei seiner Verwitterung „den Trost empfangen, dem Tode abzusterben“ und lebendig zu werden. Erst Agardh machte diesen Träumereien ein Ende, indem er die Algennatur als zweifellos erwies und der neuen Alge außer dem poetischen Namen der Schneeblüthe den wissenschaftlichen Namen des carmoisinfarbenen Schnee-Urkorns (Protococcus kermesina nivalis) beilegte. Ehrenberg beobachtete 1838 die Entwickelung desselben, indem er aus den Schweizer Alpen herrührende Proben auf Schnee aussäete und sie zu kettenartig verbundenen, erst grünen, dann rothwerdenden Kügelchen sich entwickeln sah; er legte ihr den Namen des Schneekügelchens (Sphaerella nivalis) bei, den sie noch heute führt.

Indessen waren die Irrfahrten des rothen Schnees noch nicht zu Ende. Nachdem Unger und Kützing im Anfang der vierziger Jahre beobachtet hatten, daß die jungen Keimsporen der meisten Algen sich lebhaft im Wasser hin- und herbewegen, und dabei das Aussehen von Infusorien zeigen, begann man lebhaft von der Verwandlung der Algen in niedere Thiere zu träumen und den rothen Schnee zu den Thieren zu rechnen, da Wrangel, Voigt und Meyen auch bei ihm solche Bewegungen wahrgenommen zu haben glaubten. Nach und nach erkannte man aber, daß die freie Ortsbewegung durchaus kein den Thieren allein zukommendes Merkmal darstellt und daß die Keimsporen der niederen Pflanzen, obwohl sie sich eine Zeitlang im Wasser frei umherbewegen, wobei sie wie echte Infusorien vielfach mit schwingenden Wimpern versehen sind, dabei doch immer Pflanzen bleiben und niemals zu einem Thiere auswachsen. Seitdem ist die Pflanzennatur der Schneeblüthe nicht mehr angezweifelt worden.

Die rothe Schnee-Alge, welche man auf den Alpen, Karpathen, Pyrenäen und auch auf den Gipfeln der nordamerikanischen Gebirge bis nach Californien herab beobachtet hat, ist doch kein so abgesagter Feind der Wärme, als es nach ihrem eisigen Aufenthalt scheinen könnte. Sie erscheint ebenso wie am Pol, im ewigen Schnee unserer Gebirge thatsächlich nur im Sommer, erst als leichter, rosenrother Anflug, besonders häufig am Monte Rosa, dann mit wachsender Farbentiefe namentlich in den Fußstapfen der Menschen, und verwandelt sich bald in eine schwärzliche Masse, die aber nicht blos absterbende Substanz darstellt, sondern zum Theil aus den fester eingekapselten „ruhenden Sporen“ besteht, in welche das Leben dieser mikroskopischen Organismen sich zurückzieht, um in solcher Gestalt zu überwintern. In der Form „ruhender Sporen“ können die niederen Organismen den stärksten Temperaturwechsel ertragen. Man hat manche derselben einer trockenen Hitze bis zu 100° ausgesetzt, und sie nachher doch noch keimfähig gefunden, man hat sie ebenso längere Zeit hindurch einer weit über –100° hinausgehenden Kälte, überhaupt den höchsten Kältegraden ausgesetzt, die man künstlich erzeugen konnte, ohne ihre Lebenskraft dadurch zu zerstören. Die lebende Materie kann also in dieser Einkapselung vorübergehend äußere Temperaturunterschiede von mehr als zweihundert Graden ohne Schaden überstehen, und darin liegt das Geheimniß der schweren Vernichtbarkeit aller jener organischen Keime, welche wir als die Erreger der Gährung, Fäulniß und so vieler Krankheiten erkannt haben. Auch die in letzterer Beziehung so viel genannten Bakterien wurden auf der einen Nordenskjöld’schen Expedition im ewigen Eise lebend angetroffen.

Auch die Zeit scheint spurlos an diesem eingekapselten Leben vorüberzugehen. Finden die Sporen längere Zeit hindurch keine günstige Gelegenheit zur Entwickelung, so sterben sie darum doch nicht ab, und so hat man die getrockneten Ueberreste des rothen Schnees, die von verschiedenen Polarexpeditionen mitgebracht worden waren, noch nach Jahren zur neuen Entwickelung bringen können. Wir dürfen uns also in keiner Weise darüber wundern, daß jene ruhenden Sporen des rothen Schnees ohne Schaden die halbjährige Nacht des Polarwinters überdauern, und vielleicht im Winter, mit neuem Schnee bedeckt, jahrelang im Schlafe liegen, bis einmal die über ihnen liegende Schneedecke in einem warmen Sommer wieder wegschmilzt und die vergrabenen Lebenskeime wieder an der Oberfläche gedeihen.

Denn eine etwas über den Nullpunkt hinausgehende Wärme verlangt auch unsere Schnee-Alge zu ihrer gedeihlichen Entwickelung, und erst wenn die Sonne im Sommer so hoch über den Horizont emporgestiegen ist, daß ihre Strahlen hinreichen, den Schnee an der Oberfläche zu schmelzen, entwickelt sie sich lebhafter. Die Temperatur des Schmelzwassers steigt dann auf mehrere Grade über Null, und diese Temperatur reicht hin, um den bescheidenen Wärmeansprüchen dieser niederen Organismen zu genügen. In dem ununterbrochenen Lichte des Polarsommers kann sie sich dann auf dem schmelzenden Schnee in einer Ueppigkeit entwickeln, daß sie zuletzt weite Flächen bedeckt und in einer kaum abzuschätzenden Individuenzahl auftritt. Obwohl die Sonne selbst im Hochsommer nicht gerade hoch am Horizonte emporsteigt, erzeugt sie doch in Folge der Klarheit und Trockenheit der Luft jener hohen Breiten um die Mittagsstunde eine beträchtliche Wärme, und [847] Nordenskjöld beobachtete an einem Julimittag dicht über dem Schnee eine Lufttemperatur von 25 bis 30° C. Es ist eine ähnliche, durch Reinheit und Trockenheit der Luft beförderte starke Besonnung, die auch in unseren Hochalpen jene der Polarflora so ähnliche und vielfach identische Pflanzenwelt im Verlauf weniger Monate zum Entfalten, Blühen und Fruchttragen befähigt.

Man muß nun aber nicht denken, daß die rothe Alge im reinen Schnee vegetire. Dies wäre schon nach den Ergebnissen der chemischen Analyse, die in ihrem Körper zahlreiche Mineralstoffe nachweist, unmöglich. Besonders scheint das äußere Häutchen, welches die Schleimkügelchen umhüllt, eine beträchtliche Menge Kieselsäure zu enthalten, aber auch Kalk, Eisen und sonstige dem Pflanzenkörper eigene Mineralstoffe fehlen in der Asche des rothen Schnees nicht. In der That zeigt sich die Oberfläche des Schnees und Eises, sobald sie eine längere Zeit gelegen hat, stets mit einer dünnen Schicht unorganischen Staubes bedeckt, welcher der Schnee-Alge ihren Bedarf an mineralischen Bestandtheilen zuführt. Ueber diesen Staub hat Nordenskjöld auf seinen früheren, wie besonders auf seiner letzten Expedition (Sommer 1883) eine Menge eingehender Untersuchungen angestellt, über die wir hier mit einigen Worten berichten müssen.

Man hatte früher wohl gedacht, daß es sich um Schlammmassen handle, die von den benachbarten, aus dem Schnee und Eis hervorragenden Bergen herabgeschwemmt und durch die Rinnsale an der Oberfläche des Schnees und Eises verbreitet sein könnten, allein Nordenskjöld fand diesen Staub in gleicher Menge auf dem grönländischen Binnenlandeise, wo meilenweit keine Berge in der Nähe sind, und auf Eisbuckeln, welche die umliegende Eisfläche und selbst die nächsten Berge überragten. Auf der letzten Expedition ersuchte er seine Begleiter, während ihrer langen Binneneiswanderungen sorgfältig auf kleine Steine zu achten, aber es wurden nicht einmal Stückchen von Stecknadelkopfgröße angetroffen, währen die Menge dieses im trockenen Zustande grauen, im feuchten Zustande schwärzlichen Staubes so groß war, daß sie manche Strecken millimeterdick bedeckte, und für den Quadratkilometer auf mehrere hundert Tonnen geschätzt werden mußte.

Es konnte demnach kein Zweifel sein, daß dieser Schlamm durchweg aus der Luft niedergeschlagen sein muß und sich auf dem Binnenlandeise dadurch in so beträchtlicher Masse ansammelt, daß durch das Abschmelzen des Winterschnees im Sommer das Material vieler solcher Staubfälle vereinigt wird. Nordenskjöld macht es indessen sehr wahrscheinlich, daß es sich hierbei nicht ausschließlich um einen von den Luftströmungen herbeigeführten irdischen Staub handeln kann, sondern daß dieser Staub eine beträchtliche Menge metallischer Bestandtheile enthält, die sich mit dem Magnet ausziehen lassen und wahrscheinlich, wie die metallischen Meteorsteine, vorwiegend aus Eisen, Nickel und Kobalt bestehen.

Wir haben von diesem im Weltraume verbreiteten metallischen Staub schon neulich in unserem Sonnenartikel (Jahrgang 1882, Seite 847) erzählt; natürlich läßt sich derselbe nirgends besser beobachten und sammeln, als auf weiten Schnee- und Eisfeldern. Da er somit etwas von unserem gewöhnlichen, erdreicheren Staube Verschiedenes darstellt, so hat ihn Nordenskjöld Kryokonit (das heißt Eisstaub) getauft. Dieser Staub giebt nun einer Anzahl von Schnee- und Eispflanzen die erforderliche mineralische Unterlage.

Früher hatte man die Alge des rothen Schnees für die einzige Bewohnerin der eiskalten Decke der Polarländer gehalten, aber bei der ersten Nordenskjöld’schen Expedition nach Grönland (1870) wurde von dem botanischen Begleiter Nordenskjöld’s, dem Dr. Berggren, eine zweite, in großen Mengen vorkommende Alge von braunrother Färbung entdeckt, die der Wissenschaft neu war und Nordenskjöld’s Krummfaden (Ancylonema Nordenskjöldii) getauft wurde. Es ist ein der Schneeblüthe nahe verwandtes Pflänzchen, welches aber die Eigenthümlichkeit zeigt, niemals auf Schnee vorzukommen, sondern im Gemisch mit dem eben beschriebenen Kryokonit weite Eisfelder zu bedecken und denselben eine purpurbraune Färbung zu ertheilen, die wesentlich zur Belebung der starren Landschaft beiträgt. Es ist dies unter der bisher bekannten Schnee- und Eisflora die einzige dem Eise ausschließlich angehörige Pflanze.

Außer an der Eisoberfläche fand sich die rothbraune Alge mit Kryokonit gemengt auch vielfach auf dem Boden senkrechter, ein bis zwei Fuß tiefer Löcher von drei bis vier Fuß Durchmesser, die an manchen Stellen in solcher Massenhaftigkeit und so dicht an einander grenzend vorkamen, daß zwischen ihnen kaum eine Stelle für ein Mittagsschläfchen zu finden war. Eine genauere Untersuchung ergab, daß die in so großen Massen vorkommende braunrothe Alge offenbar die Hauptursache dieser Löcherbildungen war, indem sie das Abschmelzen des Eises an den Stellen, wo sich ihre Colonien ausbreiteten, begünstigte.

Mit ihrem dunkelbraunen Körper verschluckt sie mehr Sonnenstrahlen, als der graugefärbte Staub oder gar das farblose Eis, deshalb sinken ihre Kolonien in immer tiefere Höhlungen ein, bis die Strahlen der niedrigstehenden Sonne sie nicht mehr erreichen können. Der erste Regen spült dann von allen Seiten auch den Oberflächenschlamm in diese Löcher hinein, deren Boden stets mit einer dicken Algen- und Schlammschicht bedeckt ist. So spielen diese mikrostopischen Algen auf den steinlosen Eisfeldern Grönlands eine ähnliche Rolle, wie kleine Steine auf unseren Gletschern. Durch die Löcher, die sie erzeugen, geben sie der wärmeren Sommerluft eine vermehrte Angriffsfläche auf die Eisdecke und beschleunigen so das Abschmelzen derselben beträchtlich. Vielleicht, meint Nordenskjöld, haben wir es zu einem guten Theile diesen mikroskopischen Wesen zu danken, daß die Eiswüsten, welche in einer früheren Epoche (der Eiszeit) Europa und Amerika auf weite Entfernungen vom Pole bedeckten, überhaupt wieder weggeschmolzen sind und jetzt schattigen Wäldern und wellenschlagenden Roggenfeldern Platz machen. Es ist dies ein bemerkenswerthes Beispiel von der Macht des Kleinen in der Natur, um so interessanter, als sich hier die Sonne in den kleinen dunkelgefärbten Organismen selbst das Werkzeug erzeugt, um das Eis anzubohren. Uebrigens bildeten diese tiefen und gedrängten Löcher für die Binneneis-Expedition, welche Nordenskjöld im letzten Sommer unternahm, ein ernsthaftes Hinderniß. Die mit Wasser gefüllten Löcher erhalten des Nachts eine dünne Eisdecke, welche sogleich durchbricht, wenn der Wanderer, der sie leicht übersieht, den Fuß darauf setzt. Wohl mehr als hundertmal brachen die Theilnehmer der achttägigen Expedition in solche Löcher ein, und es ist ein wahres Wunder, daß sich Keiner von ihnen dabei den Fuß gebrochen hat, was viele Meilen von der Küste ein verhängnißvolles Unglück gewesen wäre.

Die Zahl der bekannten Schnee- und Eispflanzen dürfte bei dieser Expedition, von welcher der botanische Begleiter Dr. Berlin zahlreiche Proben mitbrachte, noch beträchtlich vermehrt werden. Zum Schlusse müssen wir noch erwähnen, daß die mikroskopischen Pflanzen vielfach auch Thiere, denen sie zur Nahrung dienen, in diese unwirthlichen Regionen gelockt haben. Eine kleine schwarze Springschwanzart, der nach dem berühmten Gletscherforscher Eduard Desor Desoria glacialis getaufte Gletscherfloh, lebt hauptsächlich von dem rothen Schnee mit seinen Ueberresten, und ebenso finden sich in den arktischen Ländern mehrere Arten winziger Thiere, welche die rothen und grünen Algen verzehren, die den Polarschnee färben. Diese Thiere scheinen mit den Algen die Eigenthümlichkeit zu theilen, sich während des langen Winters einzukapseln und ebenso wie diese auch im getrockneten Zustande lange fortzuleben. Als Professor Wittrock im Winter 1880 auf 1881 die Sporen des rothen Schnees aus einem vor längerer Zeit gesammelten Materiale von Neuem zum Keimen brachte, lebten in dem Wasser auch eine Anzahl farbloser Würmchen auf, durch deren durchsichtige Körperbekleidung der rothe Mageninhalt hindurchschimmerte. So kann nicht einmal der starre Pol sich der Allverbreitung des Lebens erwehren, und wenn jene kosmologischen Propheten Recht haben, die da verkünden, daß die Oberfläche der gesammten Erde dereinst mit Schnee und Eis bedeckt sein werde, so dürften diese kleinen Thiere sich noch lange beim Schmause der rothen, grünen und braunen Schnee- und Eisalgen wohl sein lassen, um als letzte Ueberlebende der allgemeinen Erstarrung zu spotten, ja um vielleicht den Grundstock einer neuen Lebensentwickelung zu bilden, falls irgend welche kosmische Ursache eine Neuerwärmung herbeiführen sollte.