Schlaf und Traum (Die Gartenlaube 1869/9)
Seit alter Zeit sind Schlaf und Traum von Philosophen und Naturforschern mit vorwiegendem Interesse behandelt worden, und es muß daher um so mehr auffallen, daß bis ganz vor Kurzem noch eine der wichtigste Fragen in diesem Thema, die nach der eigenen Ursache des Schlafes und dem Grunde seiner periodischen Wiederkehr, nur sehr unvollkommen beantwortet werden konnte. Erst vor zwei Jahren ist es dem Münchener Professor Pettenkofer (demselben, der sich durch Erforschung der Ursachen der Cholera auch in weiteren Kreisen einen Namen erworben hat) bei Gelegenheit seiner Versuche über den Gasaustausch im menschlichen Organismus gelungen, unsere Frage völlig befriedigend zu lösen.
Es ist schon lange bekannt, daß der durch die Athmung aufgenommene Sauerstoff für den Stoffwechsel unseres Organismus eine sehr hervorragende Rolle spielt, in der Art, daß durch seine Verbindung mit den Bestandtheilen unseres Körpers die Lebenskräfte in demselben erzeugt werden. Zu jedem kleinsten Lebensvorgange, den wir leisten, wird ein gewisses Quantum an Sauerstoff verbraucht. Er ist gewissermaßen die Dampfkraft, die unsere Lebensmaschine treibt. Die Menge des verbrauchten Sauerstoffes können wir messen durch die Quantität der durch seine Einwirkung erzeugten und ausgeathmeten Kohlesäure. Derartige Messungen hat nun Pettenkoser in Gemeinschaft mit Voit in einem besonders dazu construirten großen Apparate angestellt und dabei die unerwartete Thatsache entdeckt: „daß wir im Laufe des Tages selbst bei geringer Arbeitsanstrengung verhältnißmäßig viel mehr Kohlensäure ausscheiden, also mit anderen Worten viel mehr Sauerstoff verbrauchen, als wir in derselben Zeit aufnehmen.“
Natürlich knüpfte sich an diese auffallende Thatsache sofort die wichtige Frage: „Aus welchen Mitteln wird dieses im Laufe jedes Tages entstehende Sauerstoff-Deficit gedeckt?“ – Auch hierüber geben Pettenkofer’s Versuche vollständigen Aufschluß: der Schlaf ist der kluge Finanzminister, der allnächtlich durch weise Sparsamkeit das Sauerstoff-Deficit jedes Tages wieder ausgleicht. Denn im Schlafe verbrauchen wir nicht allein nur halb soviel Sauerstoff wie am Tage, sondern wir nehmen auch davon fast doppelt so viel auf als im wachen Zustande.
Während des Schlafes findet also im Organismus eine Aufspeicherung von Sauerstoff statt zu einem Vorrath, mit dem wir dem Deficit des nächsten Tages getrost entgegensehen können. Ist diese Einrichtung nicht wahrhaft bewunderungswürdig? Wie mancher Staat könnte sich glücklich preisen, wenn sein Finanzminister solche Wirthschaft verstünde! Ja, wir sehen es auch hier wiederum: die Natur ist in allen Dingen die beste Lehrmeisterin, und wollen uns denn einmal vom Schlafe einen Vortrag über National-Oekonomie halten lassen!
Schon vorher stellten wir beiläufig den Satz auf, daß wir zu jedem auch noch so kleinen Lebensvorgange unseres Organismus eine gewisse Quantität Sauerstoff verbrauchen. Jede Bewegung, jede Empfindung, selbst jeder Gedanke ist ein solcher Lebensvorgang. Wenn wir also einem Freunde die Hand reichen, wenn wir unsern Blick zärtlich auf Jemand richten, wenn wir lebhaft an Jemand denken, – ja, und wenn gar unser Herz dabei anfängt, schneller zu schlagen, so erleiden wir dabei immer einen bestimmten Verlust an Sauerstoff, der eine gewisse Quantität unserer Körpermasse verzehrt und in Kohlensäure umsetzt. Diese Auffassung klingt entsetzlich materiell; dennoch ist sie vollständig richtig, wenigstens giebt die Oekonomie unseres Körpers hierfür den beste Beweis. Der Körper hat während des Schlafes die Aufgabe, Sauerstoff zu sparen, und diese Aufgabe erfüllt er nun, wie ein rechtschaffener Hausvater, in der Weise, daß er alle unnützen, alle Luxus-Ausgaben vermeidet und sich nur auf das zu seinem Unterhalt Allernothwendigste beschränkt.
Welches sind aber die Luxus-Ausgaben unseres Organismus? Vor allen Dingen müssen wir dazu das ganze Gebiet der Sinnesthätigkeiten rechnen, da dieselben zur Erhaltung des Lebens nicht unumgänglich nothwendig sind. Es kann also im Schlafe getrost der für das Sehen angesetzte Ausgabe-Etat gestrichen werden. Zuerst versagen die Augenmuskeln ihren Dienst. Eine eigenthümliche Empfindung von Druck und Schwere im oberen Augenlide kündigt uns die sich vorbereitende Erschlaffung des Lidhebers an, und die Unmöglichkeit, einen Gegenstand fest in’s Auge zu fassen, den Blick zu fixiren, verräth uns, daß die Muskeln, welche die Convergenz der Sehachsen veranlassen, ihre Schuldigkeit nicht mehr thun können. Unser Blick starrt deshalb in’s Blaue. Mit dem Zufallen der Augenlider hört endlich jede Erregung der Netzhaut auf, und auch der Augennerv kommt zur Ruhe.
Das nächste Organ, welches während des Einschlafens seine Thätigkeit einstellt, sind die Ohren. Dieselben besitzen keinen Verschlußapparat wie die Augen; ihnen wird deshalb auch das Einschlafen nicht so leicht gemacht. Hier muß sich gewissermaßen der Schlaf sein Recht erst erkämpfen. Am besten kann man darüber an sich selbst Studien machen, wenn man das Unglück (oder soll ich sagen das Glück) hat, bei einem langweiligen Vortrage oder einer Predigt einzuschlafen. Nachdem wir allmählich den Faden des Zusammenhanges verloren haben und auch unsere Augen schon die wohlverdiente Ruhe genießen, hören wir noch immer die Worte an unser Ohr schallen. Wir sind aber nicht mehr im Stande, dieselben richtig zu fassen und zu verstehen. Sie werden immer verworrener und lösen sich schließlich in ein dumpfes, unarticulirtes Gemurmel auf, das scheinbar immer weiter – immer weiter sich von uns entfernt und schließlich ganz für uns verschwindet.
Während dessen fängt auch das Hautgefühl an, seinen Dienst aufzukündigen. Vergebens bemüht sich unser freundlicher Nachbar, uns durch leises Anstoßen, Treten auf den Fuß etc. vor der ärgerlichen Scene des Einschlafens zu bewahren. Es ist umsonst! Unser Gefühl ist, wenn auch nicht ganz geschwunden so doch derart erheblich herabgesetzt, daß es nur auf stärkere Reize regelrecht reagirt. Auch Geruch und Geschmack hören auf, thätig zu sein – und so sind wir denn aller unserer fünf Sinne so ziemlich bar.
Endlich erschlaffen auch die willkürlichen Muskeln. Wenn wir liegend im bequemen Bette einschlafen, kommt uns das nicht völlig zum Bewußtsein. Die besten Studien machen wir auch hierüber während eines langweiligen Vortrages, bei dem wir sitzend einschlafen müssen. Wer hat sich da nicht schon über seine impertinenten Nackenmuskeln geärgert, die plötzlich ihren Dienst versagen und den Kopf durchaus nicht mehr aufrecht tragen wollen. So lange noch der Kampf zwischen Schlafen und Wachen geführt wird, entsteht dadurch das für den boshaften Zuschauer so höchst ergötzliche und verrätherische Nicken des Kopfes. Daher das sogenannte „Einnicken“.
Somit hat nun unser Körper als sparsamer Hausvater seine Schuldigkeit gethan und den Etat für Vergnügungs- und Luxus-Ausgaben vollständig gestrichen. Aber damit noch nicht genug, setzt er auch noch den Etat für Ernährung der Körpergewebe und für Stoffwechsel erheblich herab. Das Herz vermindert seine Bewegung in der Minute um drei bis zehn Schläge, das Blut kommt also seltener mit den Körpergeweben in Berührung und giebt daher auch weniger Sauerstoff an dieselben ab. Dadurch wird natürlich die Function sämmtlicher Körperorgane zum Theil nicht unerheblich beschränkt; vor allen Dingen leidet darunter ein sehr wichtiges Organ, das Gehirn. Und darüber müssen wir ausführlicher sprechen.
Das Gehirn ist dasjenige Organ, in dem sich unsere geistigen Functionen vollziehen. Gleichviel, ob wir der materialistischen oder der spiritualistischen Anschauung huldigen, immer müssen wir den Satz festhalten, daß alle Seelen- und Geistesthätigkeit unveräußerlich an das Gehirn geknüpft ist. Das Gehirn ist gewissermaßen das Instrument, durch welches unsere Seele ihre Thätigkeit äußert. Und wie selbst der fertigste Spieler auf einem unvollkommenen musikalischen Instrumente nur unvollkommene musikalische Productionen [137] liefern kann, so ist auch die Leistungsfähigkeit unseres Geistes direct abhängig von der Beschaffenheit des Gehirns. Ist, wie beim Schlafe, die Ernährung des Gehirns durch seltenere Blutzufuhr wesentlich herabgesetzt, sind ferner, wie Durham’s Untersuchungen an schlafenden Thieren, denen er vorher das Schädeldach theilweise geöffnet hatte, zeigten, die arteriellen, d. h. sauerstoffzuführenden Blutgefäße verengert und schwächer gefüllt als im Wachen, so kann auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns nur eine viel geringere sein. Die Geistesthätigkeit wird auf ein Minimum reducirt und besonders alle complicirteren Vorgänge innerhalb derselben – so vor allen Dingen die Thätigkeit des Verstandes – müssen vollständig pausiren. Wohl spinnen sich auch im Schlaf unsere Gedanken und Vorstellungen nach ganz denselben unzerstörbaren Gesetzen ab, wie im Wachen, doch entbehren sie der regulirenden und Ausschreitungen verhütenden Leitung der Kritik und des Verstandes. Diese beschränkte Thätigkeit des Gehirns nennen wir „Träumen“.
Der Traum ist also nicht etwa ein wirres, dunkles und unverständliches „Etwas“, von dem wir nicht wissen, woher es stammt, sondern es ist ein Product derselben Gehirnfunction, die auch im wachen Zustande thätig ist.
Unser Traumdenken beruht ebenso wie das Denken im wachen Zustande auf den Gesetzen der sogenannten Ideenassociation, vermöge deren jede Vorstellung gleich während ihres Entstehens eine Reihe anderer durch Aehnlichkeit der Gegenstände, Gleichlaut der Worte, Gleichzeitigkeit des Geschehens oder dergleichen verwandte Vorstellungen und Bilder hervorruft. Und so kommen wir denn, wenn wir uns wachend der Ideenassociation überlassen, ohne willkürlich in dieselbe einzugreifen, beispielsweise von einem Schuß, den wir hören, auf den Gedanken an eine Jagd, und dabei fällt uns die Zeitungsnachricht ein, daß der König von Preußen zur Jagd nach Aulosen gegangen sei. Durch den Gleichklang der Worte werden wir dann bestimmt, an den bekannten Physiker Namens König zu denken etc.
Im wachen Zustande übt unsere Kritik immer doch einen gewissen beschränkenden Einfluß auf das Spiel unserer Phantasie aus und verhütet, daß wir allzu Ungewöhnliches mit einander verbinden. Im Traum dagegen herrscht die Ideenassociation in ungebundenster Weise. Während wir im Wachen die einzelnen Vorstellungen nach einander ablaufen lassen, kommen sie im Traum oft gleichzeitig zum Bewußtsein und verknüpfen sich untereinander zu einem Ganzen. Oder auch, es wird bei der Schnelligkeit und Unklarheit der Ideenverbindung unvermerkt eine Vorstellung an Stelle der anderen geschoben, und wir sehen dann etwa in dem oben angeführten Beispiel nicht den König von Preußen, sondern den Physiker König auf der Jagd. Gerade dadurch entstehen die wunderbarsten Traumcombinationen, deren eigentlichen Ursprung zu entdecken nur selten gelingt.
Im wachen Zustande können wir, wie ich schon sagte, Vorstellungen in uns durch freie Willkür hervorrufen. Wir können denken, woran wir wollen. Doch geschieht dies nicht immer. Sehr oft fällt uns ohne unser Zuthun – wie man sagt, zufällig – aus dem Schatze unserer Erinnerungen irgend ein Gegenstand ein, über den wir entweder weiter willkürlich nachdenken, oder von dem wir unwillkürlich durch Ideenassociation auf einen anderen geleitet werden. Auch im Traum, wo eine willkürliche Hervorrufung bestimmter Vorstellungen nicht möglich ist, werden unsere Gedanken durch Erinnerungsvorstellungen unwillkürlich angeregt. Meist sind es irgendwie markirte und frappante Eindrücke, die wir im Laufe des Tages gehabt haben, oder Gedanken, die uns kurz vor dem Einschlafen beschäftigten, die den ersten Anstoß zu einer Reihe von Traumbildern geben. Oft werden derartige Vorstellungen im Traum weitläufig ausgesponnen; oft aber leitet uns die Ideenassociation schnell auf andere Vorstellungen über, und wir können dann den Zusammenhang zwischen den Tages- und Traumgedanken später nicht mehr nachweisen.
Bei Weitem am häufigsten geben aber im wachen Zustande Sinneseindrücke den ersten Anstoß zu einer bestimmten Gedankenreihe. Im Schlafe haben nun zwar, wie wir sehen, unsere Sinne ihre Functionen eingestellt, trotzdem aber sind sie doch noch in einem gewissen Grade erregungsfähig. Besonders Gehör und Gefühl sind selbst in tieferem Schlafe noch fähig, auf stärkere Eindrücke zu reagiren. Fast immer aber ist das von dem Eindruck gewonnene Bild nur ein unklares und verwischtes, das sich deshalb auch oft zu ganz anderen Vorstellungen gestaltet, so wie wir etwa im Halbdunkel einen Baumstamm für einen am Wege sitzenden Menschen halten. Die Undeutlichkeit des Sinneseindrucks überläßt es dem Spiele der Phantasie, denselben auszumalen, und so kommt es, daß eine im Schlafe erfolgende Erregung des Gefühls oder Gehörs zu einem Traumbilde Veranlassung giebt, das den Sinneseindruck nur in seinen allgemeinsten Umrissen als Grundlage für das Traumgebäude verwerthet. Es werden in der Literatur viele Beispiele der Art angeführt. Meyer (Versuch einer Erklärung des Nachtwandelns) erzählt, ihm habe einmal geträumt, er sei von Räubern überfallen worden, welche ihn der Länge nach auf den Rücken zur Erde legten und zwischen seiner großen und der nächsten Zehe einen Pfahl in die Erde schlugen. Beim Erwachen fand er einen Strohhalm zwischen den genannten Zehen!
Ein Anderer berichtet, er habe einmal beim Zubettegehen eine heiße Wärmflasche an die Füße gelegt und darauf geträumt, er reise auf die Spitze des Aetna und wandere dort auf glühender Lava herum. In ähnlicher Weise träumt uns oft, wenn wir beim unruhigen Schlafen die Bettdecke abgeworfen haben, wir gingen bei strenger Winterkälte halb angekleidet durch die Straßen. Auf dieselbe Weise giebt endlich ein draußen wehender Wind den Anlaß zu einem Traume von großem Seesturm und Untergang eines Schiffes. Oder ein an unserer Thür gehörtes Klopfen ruft einen Traum vom Einbruch einer Diebsbande hervor etc. Sehr selten ist es, daß wirklich gesprochene Worte im Schlafe deutlich vernommen werden und als Worte auch im Träumenden die entsprechenden Vorstellungen erregen. Es werden einige Beispiele erzählt, wie man auf solche Weise die Träume eines Schlafenden gewissermaßen leiten konnte. Dr. Abercrombie erzählt zum Beispiel: „Einem englischen Officier von der Expedition nach Ludwigsburg im Jahre 1758 konnten seine Cameraden zu ihrer großen Belustigung jegliche Art von Träumen durch Worte erzeugen, die sie ihm in’s Ohr lispelten.“ Ein anderes Beispiel erzählt Kluge: „Ein verschmähter Liebhaber, der jedoch die Gunst der Mutter besaß, erhielt von dieser die Erlaubniß, seiner Angebeten im Schlafe seinen Namen in’s Ohr flüstern zu dürfen, was ihm eine kluge Frau gerathen hatte. Bald zeigte sich eine merkwürdige Umstimmung bei dem Mädchen, sie wurde ihm gewogen und gab ihm endlich die Hand. Um ihre plötzliche Sinnesänderung befragt, gab sie zur Antwort, sie habe ihren Mann in lebhaften, oft wiederholten Träumen liebgewonnen.“ Ich bemerke dazu, daß ich die Wahrheit dieser Geschichte zwar nicht verbürgen, aber doch auch die Möglichkeit derselben nicht gänzlich in Abrede stellen kann. Und wer Lust hat, mag dies Mittel immerhin als letzten Versuch in Anwendung ziehen, um das Herz seiner Angebeteten zu erobern.
Fast noch häufiger als die Wahrnehmung der äußeren Sinne giebt die Erregung des inneren Gefühlssinnes Anlaß zu Träumen. Unter innerem Gefühlssinn verstehe ich diejenige Gefühlsaction, die uns über den Zustand unserer gesammten Körperorgane unterrichtet und die in ihrer Summe auch mit dem Namen Gemeingefühl benannt wird. Es gehören hierher die Begriffe des Wohl- und Unwohlseins. Bei völligem Wohlbefinden empfinden wir von den Verrichtungen unserer einzelnen Organe nichts. Wir fühlen es gar nicht, daß wir einen Magen, ein Herz, Muskeln etc. haben. Sobald aber in diesen Organen irgend eine Functionsstörung eintritt, werden wir (abgesehen von dem bisweilen gleichzeitig vorhandenen Schmerz) noch durch ein gewisses unbestimmtes Gefühl des Unbehagens davon in Kenntniß gesetzt.
Auch im Schlafe nehmen wir diese Empfindungen wahr, natürlich aber auch nur dunkel und unklar, und es knüpfen sich daran in gleicher Weise, wie an die Sinneseindrücke, bestimmte symbolisirende Traumvorstellungen. Am bekanntesten ist die hierher gehörige Erscheinung des sogenannten Alpdrückens. Dasselbe entsteht in Folge eines krampfhaften Zustandes der Respirationsmuskeln und einer daraus entspringenden Athembeklemmung. Auch ein übermäßig voller Magen, der das Zwerchfell heraufdrängt und dadurch die Lungen beengt, kann ähnliche Erscheinungen hervorrufen. Während wir im wachen Zustande derartige Athmungsbeschwerden ohne Weiteres auf den richtigen Grund, das heißt auf eine örtliche Affection der Brustorgane, zurückführen, sind wir im Traume solcher Ueberlegung nicht fähig, sondern es entsteht vielmehr ganz entsprechend den Gesetzen der Ideenassociation bei dem Gefühl der Beklemmung der Gedanke eines Druckes und das Bild eines drückenden Gegenstandes. Wir träumen also, ein schwerbeladener [138] Wagen ginge über uns hinweg, oder eine schwarze gespenstige Gestalt, ein wüster Kobold löse sich von der Zimmerdecke ab und senke sich uns langsam auf die Brust. Häufig wird auch an Stelle dessen eine große Angst oder ein plötzlicher Schreck vom Traume fingirt, weil uns derartige Alterationen ebenfalls den Athem zu versetzen pflegen. Wir träumen dann zum Beispiel, wir würden von Räubern angegriffen und wollten uns durch Entfliehen retten, allein die Füße versagen uns den Dienst – wir bleiben wie angewurzelt an dem Boden fest haften. Wir wollen, von größter Angst gefoltert, um Hülfe rufen, aber wir können zu unserem Entsetzen keinen Laut hervorbringen – bis dann endlich nach langer vergeblicher Anstrengung sich der bestehende Krampf der Athmungsmuskeln löst und wir oft mit einem Schrei erwachen.
In ähnlicher Weise erklärt sich der wohl Jedem bekannte Traum des Herabfallens aus großer Höhe. Er kommt hauptsächlich während des Einschlafens vor und beruht darauf, daß die beim Einschlafen allmählich erschlaffenden Muskeln durch einen momentan entstandenen Reiz sich plötzlich wieder zusammenziehen und in Folge dessen ein Zusammenrucken des Körpers veranlassen, wie solches etwa bei einem Falle aus großer Höhe vorkommt. Etwas verschieden davon ist der ebenfalls häufige Traum des Fliegens. Er beruht nach Scherner auf einem zum Bewußtsein kommenden Gefühle unserer Lungenthätigkeit. Das Auf- und Niederbewegen der Lungenflügel beim Athmen soll die genannte Empfindung erzeugen. So giebt es noch eine große Reihe von körperlichen Zuständen, die, wenn sie im Schlafe uns halb zum Bewußtsein kommen, nach den Gesetzen der Ideenassociation ganz bestimmte Traumvorstellungen in uns erwecken. Auch den Gemüthsbewegungen schreibt man einen bestimmenden Eindruck auf die Art unserer Träume zu. „Große Freude erzeugt andere Träume als schweres Leiden, leidenschaftliche Liebe andere als Haß, heftige Reue und Gewissensbisse.“
Wenn man sich daran gewöhnt, auf seine Träume aufmerksam zu achten, so findet man leicht die Bestätigung der eben ausgesprochenen Gesetze. Man wird dabei aber auch bemerken, daß es äußerst schwierig ist, einen Traum richtig und unverfälscht im Gedächtniß zu reproduciren. Das hat seinen doppelten Grund. Endlich sind die Traumbilder in den bei Weitem häufigsten Fällen so unklar und blaß und in ihren Einzelheiten so unbestimmt, daß wir unwillkürlich bei dem Bestreben, sie in unser Gedächtniß zurückzurufen, den Farbenkasten unserer wachen Vorstellungskraft zu Hülfe nehmen und damit den Bildern bestimmtere Färbung und Umrisse geben. Der zweite Grund beruht in dem dem menschlichen Geist innewohnenden Bestreben, Alles im logischen Zusammenhange zu erblicken. Da nun unsere Träume aus einer Reihe von Bildern bestehen, die nur durch das oft sehr lockere Bindemittel der Ideenassociation zusammenhängen, so bringen wir bei der Reproduction derselben im wachen Zustande meist ganz unwillkürlich erst einen logischen und dem realen Leben entsprechenden Zusammenhang hinein, der ursprünglich gar nicht darin war.
Während der Zeit des tiefsten Schlafes ist die Function des Gehirns eine so schwache, daß wir davon gar keine Erinnerung behalten und deshalb den festen Schlaf einen traumlosen nennen. Zuweilen wissen wir wohl, daß wir geträumt haben, aber wir können uns trotz aller Anstrengung auch nicht die Spur des gehabten Traumes in’s Gedächtniß zurückrufen. Erst kurz vor dem Erwachen, wo der in den Blutkörperchen aufgespeicherte Sauerstoff wieder anfängt, den Stoffwechsel im Gehirn energischer in Gang zu bringen, werden die Träume lebhafter und zusammenhängender und haften deshalb auch leichter im Gedächtniß. Sehr selten sind die Fälle, in denen die Lebhaftigkeit des Traumes eine so große ist, daß wir ihn nach dem Erwachen von wirklich Erlebtem nicht zu unterscheiden vermögen. Einer unserer berühmtesten, noch lebenden Irrenärzte, Professor Jessen in Hornheim bei Kiel, erzählt mit folgenden Worten ein dazugehöriges Beispiel:
„An einem Wintermorgen zwischen fünf und sechs Uhr wurde ich, wie ich glaubte, durch den Oberwärter geweckt, welcher mir meldete, daß Leute da seien, um einen Kranken abzuholen, indem er zugleich vorfragte, ob dabei etwas zu erinnern sei. Ich antwortete, daß er den Kranken nur abreisen lassen könne, und legte mich nach seinem Weggehen wieder zurecht, um fortzuschlafen. Mit einem Male fiel mir aber ein, daß ich von der Abholung dieses Kranken vorher gar nichts erfahren, sondern daß mir die bevorstehende Abholung einer Frau desselben Namens angezeigt worden sei. Ich war also genöthigt, mich nach den Umständen näher zu erkundigen, zündete ein Licht an, stand auf, kleidete mich an und ging nach der Wohnung des Oberwärters. Diesen fand ich zu meinem Erstaunen erst halb angekleidet, und auf meine Frage, wo die Leute seien, die den Kranken holen wollten, antwortete er mit verwunderter Miene: ‚er wisse davon nichts, er komme eben erst aus dem Bette, und bei ihm sei Niemand gewesen.‘ Diese Antwort brachte mich nicht zur Besinnung, sondern ich erwiderte, dann müsse der Oekonom bei mir gewesen sein und ich wolle zu ihm gehen, um Erkundigungen einzuziehen. Als ich in der Mitte des Corridors, welcher zu der Wohnung des Oekonomen führte, einige Stufen hinabstieg, fiel mir mit einem Male ein, daß ich die Sache nur geträumt, an deren Wirklichkeit ich bis zu demselben Augenblick nicht im Mindesten gezweifelt hatte.“
Dieses Beispiel ist besonders dadurch auffällig, daß längere Zeit nach dem Erwachen, nachdem der Träumende sich durch das Ankleiden und den Gang zum Oberwärter doch vollständig ermuntert hatte, doch noch die Täuschung, welche das Traumbild für Wirklichkeit hielt, andauerte und dann plötzlich ohne besondere Veranlassung verschwand.
Verhältnißmäßig häufiger sind die Fälle, wo das Erwachen kein vollständiges ist, aber doch hinreicht, um auf das für Wirklichkeit genommene Traumbild in entsprechender Weise zu reagiren. Es werden Beispiele erzählt, wo Leute im halbwachen Zustande, durch ein erschreckendes Traumbild getäuscht, Gewaltthätigkeiten verübt haben, für die sie natürlich nicht verantwortlich waren.
Ein interessantes Beispiel von einem während der Schlaftrunkenheit begangenen Vergehen gegen die Subordination theilt Büchner in Henke’s Zeitschrift für gerichtliche Medicin mit.
„Christian Jünger, Gardist, zweiundzwanzig Jahr alt, seit drei Jahren Soldat, von der besten Aufführung und stillem ruhigen Charakter, schlief auf einer Pritsche in der Wachtstube, Mittags vor zwölf Uhr, als der Corporal ihn zu erwecken versuchte, um ihn die Stube kehren zu lassen. Jünger erhob sich, packte den Corporal, ohne etwas zu sprechen, an der Brust, zog seinen Säbel und hieb auf ihn ein, doch gelang es diesem, mit dem seinigen den Hieb zu pariren. Da Jünger fortfuhr um sich zu hauen, wurde er von den anwesenden Soldaten entwaffnet und arretirt. Er setzte sich lautlos und ruhig auf die Pritsche. Jünger hatte am vorausgehenden Tage und am Morgen der That bei kalter Witterung Posten gestanden, die Nacht durch Karten gespielt, nur wenig getrunken und war Morgens vor Müdigkeit in der heißen Wachtstube eingeschlafen. Bei der Untersuchung ergab sich, daß er geträumt hatte, er stehe auf Posten, ein Kerl packe ihn am Haar und nehme ihm sein Gewehr, worauf er seinen Säbel gezogen und auf ihn eingehauen habe. Von dem, was wirklich passirt war, wußte er nichts. Er konnte nicht begreifen, daß er, der auf Subordination so streng hielt, so etwas gegen seinen Vorgesetzten sich habe zu Schulden kommen lassen. Das ärztliche Gutachten nahm einen Zustand der Schlaftrunkenheit an, worauf die Freisprechung erfolgte.“
Zur Erklärung derartiger Fälle ließe sich etwa Folgendes sagen. Durch Strapazen irgend welcher Art, wie hier durch Postenstehen und darauf folgende Uebermüdung, ist der Sauerstoffmangel des Organismus bis zu einer abnormen Höhe gekommen und das in dem kurzen Schlafe aufgenommene Quantum reicht noch nicht hin, um das Gehirn zu seiner vollen Thätigkeit zu vermögen. Der überschüssige Sauerstoff wird zu der weniger verbrauchenden, gewissermaßen niedrigeren Thätigkeit des Willenimpulses gebraucht, so daß die freie Ueberlegung und das willkürliche Denken noch nicht erwachen können. Wir sehen das ja auch oft bestätigt, wenn wir Jemand aus tiefem Schlafe zu erwecken suchen. Noch ehe wir ihn völlig zum Bewußtsein kommen sehen, wirft er sich im Bett umher, streckt die Arme und Glieder etc., bis endlich das freie Denken wieder die Herrschaft über das Gehirn gewinnt und somit das volle Bewußtsein zurückkehrt.
Aber auch die umgekehrte Erscheinung sehen wir bisweilen auftreten, indem wir, wie schon Aristoteles bemerkt, manchmal im Stande sind, während des Schlafes den Traum als Traum anzuerkennen. Eine interessante Selbstbeobachtung der Art theilt der Engländer Beattie in folgenden Worten mit: „Mir träumte einst, daß ich auf der Brustwehr einer sehr hohen Brücke umherginge. Weshalb ich dahin gekommen, [139] konnte ich nicht einsehen, da ich aber erwog, daß ich nie zu solchen Handlungen geneigt gewesen, so fing ich an zu denken, daß ich vielleicht nur träume. Da ich nun von dieser beunruhigenden und quälenden Vorstellung befreit zu werden wünschte, stürzte ich mich hinab, in der Erwartung, durch diesen Fall meine Sinne wieder zu erlangen, was auch geschah.“ Bei diesem Beispiel ging der Traum dem Erwachen kurz vorher; es hatte also offenbar die Sauerstoffaufspeicherung schon eine solche Höhe erreicht, daß die Organe der freien Denkthätigkeit in beschränkter Weise functioniren konnten, während aber doch theilweise noch die traumhafte Ideenassociation fortdauerte.
Ganz dasselbe findet bei der gewiß Jedem bekannten Erscheinung statt, wo wir kurz vor dem völligen Erwachen einen angenehmen Traum aus freier Willkür fortzuspinnen suchen. Auch hier ist unser Denkorgan schon völlig functionsfähig, wir sind aber noch im Stande, es eine kurze Zeit lang auszuschalten und die im wirklichen Traume begonnene phantastische Ideenassociation weiter wirken zu lassen. Hat aber einmal erst die freie Denkthätigkeit in dies Spiel der Phantasie willkürlich eingegriffen, dann ist’s auch mit dem Traume vorbei und wir sind unwiderruflich erwacht.
Das Erwachen tritt ein, erstlich, wenn die Sauerstoffaufspeicherung ihren höchsten Grad erreicht hat und der Stoffwechsel dadurch wieder in vollen Gang kommt. Aber auch vorher ist ein Erwachen, wie ja allbekannt, durch äußere Einwirkungen möglich. Starke Reize, die unsere Nerven entweder des Gehörs, des Gefühls oder auch des Gesichts treffen, versetzen durch Fortpflanzung der Erregung das Gehirn in einen Reizungszustand, welcher ein stärkeres Zuströmen von Blut und in Folge dessen eine Vermehrung des Stoffwechsels im Gehirn bewirkt, die nach Erreichung eines gewissen Grades das völlige Erwachen zu Stande bringt. Der Schlaf erfordert, wie schon oben angedeutet, eine nur geringe Füllung der arteriellen Blutgefäße. Alles, was eine stärkere Blutzuströmung zu dem Gehirn zur Folge hat, stört den Schlaf und verhindert auch das Einschlafen. Daher verscheuchen alle Leidenschaften und Gemüthsbewegungen, vieles Nachdenken, körperliche und geistige Aufregungen und überhaupt alle Mittel, die das Blut nach dem Kopfe treiben (uns einen heißen Kopf machen), den Schlaf, während umgekehrt Alles, was das Blut aus dem Gehirn treibt oder die Blutgefäße in demselben verengert, Schlaf hervorbringt. So wirken kalte Umschläge auf die Stirn in dieser Beziehung günstig: denn die Kälte verursacht eine Zusammenziehung der Blutgefäße.
Ebenso muß man sich auch die Wirkungskreise der sogenannten schlafmachenden Arzneimittel, d. h. besonders des Opiums und seiner Alkaloide (unter denen das Morphium und Narcein den ersten Rang einnehmen), denken. Durch Experimente ist man mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Schluß gekommen, daß das Opium eine zusammenziehende Wirkung auf die Gehirngefäße äußert, also das Blut aus dem Gehirn heraustreibt. Durch alle dergleichen Mittel kann man aber nur bewirken, daß weniger Sauerstoff im Gehirn verbraucht wird, nicht aber, daß auch gleichzeitig mehr Sauerstoff aufgenommmen und ist den Blutkörperchen aufgespeichert wird. Indeß gerade in den Zuständen, wo man seine Zuflucht zu jenen Schlafmitteln nehmen muß, ist, wie Pettenkofer’s Versuche für einzelne Krankheiten festgestellt haben, die Fähigkeit der Blutkörperchen, Sauerstoff in sich aufzuspeichern, verringert. Und daher kommt es, daß ein durch Opiate erzielter Schlaf unter den genannten Bedingungen nie so erquickend und kräftigend ist. Unter gewöhnlichen gesunden Verhältnissen reicht aber schon die Abhaltung der oben genannten Schädlichkeiten hin, um den Schlaf herbeizuführen. Und zwar spielt dabei die Gewohnheit eine große Rolle. Wir warten für gewöhnlich nicht die äußerste Sauerstofferschöpfung des Organismus ab, sondern verfallen schon früher, dann, wenn dieselbe eine gewisse, durch Gewohnheit bestimmte Grenze erreicht hat, in Schlaf. Darum sind wir auch fähig, jeden Augenblick aus dem Schlafe erweckt zu werden. Es ist immer noch ein Reservefond von Sauerstoff da, der dann das Erwachen ermöglicht. In den Fällen, wo durch Ueberwachung der Sauerstoffmangel bis zu seiner äußersten Grenze gesteigert ist, wird der Schlaf ein so tiefer, daß wir erst nach einer gewissen Zeit aus demselben wieder erweckt werden können.
Die Abhaltung der Schädlichkeiten, die den Schlaf verhindern, liegt nicht immer in unserer Macht, da wir vor allen Dingen nur selten vollständig Herr unserer Aufregungen und Gemüthsbewegungen werden können. Es gehört dazu entweder eine gute Portion Phlegma oder auch ein ungewöhnlich starker Wille und enorme Selbstbeherrschung. So erzählt man besonders von Napoleon dem Ersten, daß er zu jeder Zeit schlafen konnte, wenn er wollte, selbst sogar während der Schlacht bei Leipzig. Er hatte also die Gabe, nicht nur seine Gefühle stets niederzukämpfen, sondern auch nach freiem Belieben mit Denken aufzuhören. Daß gerade auch das Letztere nicht so leicht ist, davon wird sich wohl jeder einmal überzeugt haben. Wenn uns ein Gedanke, ein Plan lebhaft beschäftigt, können wir nicht einschlafen, wir müssen dann unsere Gedanken abzulenken suchen, wir müssen an Dinge denken, die in keiner Weise unser Interesse erregen, wobei also unser Denken kein intensives und mithin der Stoffwechsel im Gehirn kein lebhafter sein kann. Mit einem Worte, wir müsten versuchen, uns zu langweilen. Es werden dazu die verschiedensten künstlichen Mittel angewendet. Da es aber nicht in meiner Absicht liegt, die Zahl derselben mit diesem Aufsatze zu vermehren, will ich hiermit abschließen in der Hoffnung, bei dem geneigten Leser einiges Interesse und Verständniß für die Erscheinungen des Schlaf- und Traumlebens erweckt zu haben.