Ein Tag in den Höhlen Westphalens

Textdaten
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Autor: Carl Vogt
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Titel: Ein Tag in den Höhlen Westphalens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 139–144
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[139]
Ein Tag in den Höhlen Westphalens.
Von Prof. Karl Vogt.

„Die neue Höhle an der Grüne bei Iserlohn müssen Sie sehen,“ sagte unser alter Freund, Professor Fuhlrott in Elberfeld, als wir in traulichem Gespäche mit ihm seine neu erworbenen Schätze musterten, denn die schon früher in seinem Besitz befindlichen, worunter der berühmte Schädel des wilden Urmenschen aus der Grotte des Neanderthals, waren uns schon seit früherer Zeit bekannt. „Sie wissen, wie reich unsere Gegend an Höhlen, Grotten und Spalten ist und welche Schätze schon daraus zu Tage gefördert worden sind – aber diese neue Höhle übertrifft an Schönheit der Tropfsteingebilde, an Zahl der Kammern und gewölbten Säle Alles, was bis jetzt noch entdeckt wurde, und darf sich in dieser Beziehung den bekanntesten und besuchtesten kühn an die Seite stellen. Die wunderbaren Formen der Tropfsteine, in welchen sogar eine kalte Phantasie alle erdenklichen Formen von Orgeln, Säulen, Sarkophagen, Vorhängen, und was weiß ich noch Alles finden kann, verdienen allein eine Reise dorthin und ich bin überzeugt, daß diese Höhle mit ihren ineinandergeschlungenen Gängen, Nischen und gewölbten Prachträumen bald ebenso ein Ziel der Touristen werden wird, wie die Adelsberger Grotten in Krain oder die Höhlen am Harz – um so mehr als ihre Befahrung durch die bergisch-märkische Eisenbahngesellschaft, der sie als Eigenthum angehört, durchaus gefahrlos gemacht worden ist und nirgends jene unangenehme Feuchtigkeit des Bodens oder jenes durchtropfende Wassergerinnsel sich zeigt, das den Besuch anderer Höhlen oft so lästig macht.“

„Sie ist neu entdeckt, sagen Sie? Auf welche Weise?“

„Wie eben Höhlen entdeckt werden,“ antwortete er, „die einen durch Jäger, denen ein Fuchs, Dachs oder ein Kaninchen entschlüpft, die anderen durch Buben, welche die Schule schwänzen und Beeren suchen, oder durch Arbeiter, die Steine sprengen. Alle diese Entdeckungsarten haben wir in unserem höhlenreichen Kalkzuge, der fast ununterbrochen sich von Erckrath bis über Iserlohn und Balve hinaus fortsetzt. Ich beschäftige mich eben mit einer Zusammenstellung unserer sämmtlichen Höhlen, Grotten und Spalten, der Geschichte ihrer Entdeckung, Erhaltung und leider auch Verwüstung und einer Beschreibung der sehenswürdigsten, mit ihrem Inhalte von Knochen und thierischen Resten, der oft an das Unglaubliche grenzt. Die älteste Nachricht von einer solchen Entdeckung in unserem Lande findet sich in der Lübeck’schen Chronik von Detmar aus dem Jahre 1477 (Ausgabe von Grautoff,

[140]

Die große Höhle an der Grüne bei Iserlohn
Nach einer für die Gartenlaube gezeichneten Originalskizze von K. Hoff in Düsseldorf.

[142] 2. Band, S. 401). In’s Hochdeutsche übersetzt heißt die Stelle folgendermaßen:

‚In demselben Jahre geschah in dem Lande Mark in Westphalen bei dem Städtchen Iserlohn ein gefährliches Abenteuer. Ein Jäger nämlich jagte da zwischen den Bergen und die Windhunde kamen auf die Spur eines Fuchses, der entlief ihnen in die Höhlung eines Berges, vor der ein übergroßer Stein lag; davor standen die Hunde und bellten. Der Jäger kam dazu, stieg vom Pferde und guckte in die kleine Oeffnung, da däuchte ihm, als ob in dem Berge was hauste. Deshalb brachte er wohl vierzig Mann zur Stelle, die mit großer Mühe den Stein von der Oeffnung brachten. Da war der Berg hohl in die Höhe und ebenso in die Länge. Darauf gingen sie hinein mit Fackeln und sahen da Todtengebeine von ungeheurer Größe liegen, Armknochen und Beinknochen, so dick wie der achte Theil einer Tonne, und einen Kopf so groß wie ein Scheffel. Sie konnten aber zu dem Ende der Höhle nicht gelangen, denn, als sie einen kleinen Steinwurf weit darin waren, gingen alle Fackeln und Lichter aus. Da dies der Herzog von Cleve hörte, gebot er bei Geldstrafe, es solle Niemand hineingehen, denn er vermuthete wahrscheinlich, einen Schatz an Geld darin zu finden.‘“

„Da haben wir ja,“ sagte ich, „die ganze Bescheerung, wie sie zusammengehört! Riesige Todtengebeine und Schädel, wahrscheinlich vom Höhlenbären, vom Mammuth und Nashorn, abergläubische Menschen, die das finden und sich davor fürchten, und einen herzoglichen Raubritter, der gleich an vergrabene Schätze und ähnliche Dinge denkt, die natürlich ihm gehören müssen. Aber damit ist unsere neue Höhle noch nicht gefunden – oder ist sie auch von Jägern entdeckt worden?“

„Nein,“ antwortete er, „diese Entdeckung trägt schon mehr den Stempel der Neuzeit. Wir verdanken sie den Eisenbahnarbeiten, von denen man ja fast sagen kann, daß sie durch ihre Einschnitte, Tunnel und Böschungen, durch ihr Bedürfniß nach Steinen, Eisen, Kalk und Beschotterung mehr für die Geologie geleistet haben in zehn Jahren, als alle Fürsten der Welt zusammengenommen seit ihrer Existenz. So hat es denn das gute Glück gewollt, daß die Eisenbahn, welche dem Lenne-Thal folgt und Hagen und Limburg mit Altena und Siegen verbindet, eine Zweigbahn nach dem in jeder Beziehung metallreichen Iserlohn senden mußte, die gezwungen ist, an den steilen Wänden her sich ihren Weg zu suchen. Die Gegend müssen Sie auch besuchen! Schade, daß wir Spätherbst und nicht Sommer haben! Man könnte sie die westphälische Schweiz nennen! Prächtige Felsengruppen, worunter der Mönch und die Nonne bei Letmathe die hervorragendsten, herrliche Wälder auf den Kuppen- und Höhenzügen, saftige Wiesen in den schönen Thälern, durch welche sich die Flüsse und Bäche winden, und überall pocht, hämmert und dampft es, daß es eine wahre Freude ist!“

„Aber die Entdeckung der Höhle, lieber Freund!“

„Nun, das ist es ja eben. Die Eisenbahnarbeiter also sprengen und hämmern und einem derselben fällt der Bickel in ein Loch. Er klettert nach, um ihn zu holen, sieht sich in einer Höhle – man holt Lichter, forscht weiter, folgt den oft verzweifelt engen Gängen und kommt endlich zu dem Bewußtsein, daß man eine weit verzweigte Höhle mit herrlichen Tropfsteingebilden entdeckt hat. Letztere regten denn auch den Vandalismu s an, der in den meisten andern Höhlen unserer Gegend so übel gehaust hat. Einzelne Stücken von Tropfstein waren schon ausgebrochen und verkauft worden, als die Bahngesellschaft, welcher der Grund und Boden und also auch die Höhle gehört, zweckmäßige Anordnungen traf, um der Verwüstung Einhalt zu thun. Die Höhle, deren Eingang in der Nähe der Station Grüne sich befindet, ist verschlossen; es sind, namentlich an Sonn- und Feiertagen, Leute bestellt, welche die Besucher mit Licht versehen und herumführen, und das geringe Eintrittsgeld, welches man bezahlt, fällt in die Vorsichtscasse der Arbeiter und Wärter an der Eisenbahn.“

„Sind denn wirklich solche Vorsichtsmaßregeln nöthig?“ fragte ich erstaunt. „Muß denn nicht Jedem das natürliche Gefühl eingeben, daß ein jeder dieser Tropfsteinzacken ein langjähriges Erzeugniß der still schaffenden Natur ist, das, einmal abgebrochen, nie wieder ersetzt werden kann? Es kann wohl nur rohen Menschen einfallen, Bäume auf öffentlichen Spaziergängen zu beschädigen, und doch kann man Bäume wieder pflanzen und wachsen lassen, aber keine Tropfsteine.“

„Die Erfahrung hat uns anderes belehrt,“ antwortete mein Zwischenredner kopfschüttelnd. „Sie werden noch andere Höhlen in hiesiger Gegend besuchen, wie die von Sundvig, aus welchen der Besitzer, Herr von Becke, so schöne Stücke urweltlicher Thiere zu Tage gefördert hat. Sehen Sie sich in diesen Höhlen um – man hat sie förmlich ausgeraubt! Sie waren voll der herrlichsten Tropfsteinbildungen – heute sehen Sie nur noch die unförmlichen Massen, welche den Boden decken, und die Beraubung würde bis zum letzten Stück fortgesetzt worden sein, wenn nicht der Besitzer die Höhlen ebenfalls unter Schloß und Riegel gelegt hätte. Können Sie glauben, daß es Leute genug giebt, welche bei dem Besuche einer solchen Höhle nicht umhin können, einige Zapfen abzubrechen und in die Tasche zu stecken – etwa in ähnlicher Weise, wie Engländer den Statuen Finger und Zehen abschlagen, um sie als Beweis ihrer gründlichen Betrachtung des Kunstwerkes zu Hause als Curiosität aufzbewahren? – Wir müssen also die Direction der Eisenbahn benachrichtigen, die uns gewiß gern behülflich sein wird, unseren Besuch der Höhle so fruchtbringend wie möglich für weitere wissenschaftliche Forschungen zu machen – einige Freunde wollen sich gewiß Ihnen und mir anschließen, und so werden wir einen Tag zwischen Ihren Vorlesungen vortrefflich ausnützen können.“

So geschah es denn auch. Freund Fuhlrott hatte es übernommen, das wissenschaftliche Programm des Tages zu entwerfen, und nach der Versicherung aller Bewohner des märkischen Landes durfte den Freunden aus Iserlohn das Recht nicht bestritten werden, für die leiblichen Bedürfnisse des Tages zu sorgen. Von allen Seiten her meldeten sich Theilnehmer – in Hagen trafen Künstler von Düsseldorf, Dichter von Barmen, Aerzte und Naturforscher von Elberfeld, Dortmund, Hörde, Industrielle von dort, von Köln und Witten zusammen, und an dem kleinen Bahnhofe von Letmathe fanden wir eine stattliche Wagenreihe von Iserlohn, die uns nach der Grüne und später nach Iserlohn selbst führen sollte. Hoff hatte seine Mappe, ein Doctor, eifriger Käfersammler, seine Blendlaterne mitgebracht, um in den Ecken und Winkeln nach blinden Käferchen zu suchen, die er freilich nicht fand, und riesige Pakete von Lichtern, Fackeln und Magnesiumdraht waren schon in der Höhle abgelagert worden, wo man einstweilen einige Versuchsstollen in den Boden getrieben hatte, um die verborgenen Schätze unter dem Tropfsteinboden hervor zu Tage zu fördern. Auch Apotheker Schmitz in Letmathe, der eifrige Sammler, hatte sich uns zugesellt – einige Tage vorher hatte er die Güte gehabt, seine an interessanten, in den Höhlen der Umgegend gesammelten Stücken außerordentlich reiche Sammlung mir zu zeigen und zu meinen Vorlesungen zur Disposition zu stellen.

Für Alles war demnach auf’s Beste gesorgt, und wenn die Eisenbahndirection dem wissenschaftlichen Programm freundliche Fürsorge zu Theil werden ließ und den lebhaftesten Antheil an der Durchführung desselben nahm, so zeigte die Folge, daß auch die Freunde in Iserlohn der ihnen gewordenen Aufgabe würdig zu entsprechen gewußt hatten. Hatte bis dahin schon die heiterste Stimmung unter den Teilnehmern geherrscht, so wurde dieselbe jetzt noch erhöht, als die Wagen uns aufnahmen und wir, von hellem Sonnenschein begünstigt, die Fahrt nach den Höhlen antraten.

In unmitelbarer Nähe von Letmathe, wo eine große Zinkhütte ihre in allen Farben des Regenbogens spielenden Flammen speit, schließt sich das malerische Lenne-Thal auf das Engste zusammen, und hohe, senkrecht abfallende Kalksteinfelsen zwingen den Fluß, von seinem nördlichen Laufe nach Westen umzubiegen. Zwei dieser mächtigen Felskuppen, nahe zusammengerückt auf dem rechten Ufer, heißen der Mönch und die Nonne – der erstere ist eine steile, ununterbrochene Felswand; an der Nonne aber gähnt über einer steilen Schutt- und Lehmhalde die Oeffnung der Grürmann’s-Höhle, die einst gänzlich mit Ablagerungen erfüllt war, jetzt aber zum Theil ausgeräumt ist und in welcher noch immer nach vorweltlichen Knochen gegraben wird. Die Beherzteren unter der Gesellschaft verlassen am Fuße der Halde die Wagen und klettern, knietief im erweichten Lehme watend, nach der Oeffnung empor. Böte der nackte Fels nicht hie und da einen Anhaltspunkt, man käme jetzt, wo tagelanger Regen den Boden erweicht hat, nicht hinauf!

Man kann wohl wie im Faust (freilich mit einiger Veränderung) sagen: Du mußt des Felsens alte Risse packen! denn [143] überall stehen auf dem Durchbruche schön gesternte Korallen aus dem Kalk hervor – der ganze Fels ist der Rest eines Riffes! Eine weite Wölbung empfängt uns – der hintere Theil der Grotte ist durch ein senkrechtes, von oben einfallendes Kamin erleuchtet – man kann bis zu der Stelle, wo eben gegraben wird, ohne künstliche Beleuchtung vordringen; Knochensplitter, welche von den Grabenden als werthlos bei Seite geworfen werden, decken hie und da den Boden. Die Grotte ist vollkommen trocken – die Felskuppe, welche von ihr durchsetzt wird, ist fast vollständig isolirt in ihrem oberen Theile – die Tropfsteinbildungen fehlen hier durchaus. Man überzeugt sich durch den Anblick der Ausgrabungen, daß dieselben in guten Händen sind, denn man findet unter den zurückgelassenen Stücken keines, welches der Aufbewahrung werth wäre – und weitere Discussionen auf den Besuch der Haupthöhle versparend, steigt man wieder hinab in die Wagen, die uns zu reichem und wohlverdientem Frühstück bei Grürmann tragen.

Mag auch der den ältesten Ablagerungen angehörende Kalk, welcher auf der linken Seite des Rheines in der Eifel so häufig vorkommt und auf der rechten Seite zuerst bei Erckrath auftritt, im Einzelnen noch so marmorartig und fest erscheinen, so zeigt sich doch das Gebirge selbst, welches er bildet und das namentlich zwischen Limburg und Balve eine bedeutende Höhe und Mächtigkeit erreicht, außerordentlich zerklüftet und zerristen. Wunderbar gestaltete Felskuppen, großartige Schuttfelder legen für die zerstörenden Einflüsse, die hier gewaltet, ein äußerliches Zeugniß ab, das durch die zahlreichen Klüfte und Spalten im Innern, die sich häufig zu Grotten und Höhlen erweitern, nur bestätigt wird. Ueber die hier wirkende Kraft kann man keinen Augenblick im Zweifel sein – es sind die Sickerwasser, welche zugleich zerstören und aufbauen, lösen und verkitten. Betrachtet man einen solchen Marmorblock, so wird man in dem dunkelgrauen, fast schwärzlichen Gestein eine Menge weißer Figuren und Adern sehen. Die Einen stammen von den Versteinerungen, von Muscheln und Korallen, die so häufig sind, daß der ganze lange Kalksteinzug für ein einziges Korallenriff gelten kann, das vor Millionen von Jahren in die Tiefe des Oceans versenkt war und nicht ohne Spaltung und Zertrümmerung aus demselben emporgehoben wurde – die Adern aber sind aus seinen weißen Kalkspath-Kryställchen gebildet, die sich offenbar langsam darin absetzten und die ursprünglich klaffende Spalte wieder verkitteten. So liefert jedes Bruchstück den Veweis von der steten Wirksamkeit des einsickernden Wassers. Das Regenwasser zieht sich langsam in die Spalten ein – es löst geringe Mengen von Kalk auf und setzt dieselben weiterhin beim Verdunsten der Kohlensäure, welche die Auflösung des Kalkes erleichterte, in reinen Krystallen theilweise wieder ab. So füllen sich kleinere Spalten und Höhlenräume, sogenannte Drusen, nach und nach mit rein weißen Absätzen von krystallinischem Gefüge an, deren Farbe und Ausehen angenehm gegen das dunkle Muttergestein absticht, welchem sie entnommen sind.

Dieselben Processe sind es auch, welche die sogenannten Tropfsteine, die Stalaktiten, erzeugen. Größere Spalten und Hohlräume, zuweilen erweitert durch im Inneren der Gebirgsmassen strömende Gewässer, welche später versiecht sind oder einen andern Ausweg gefunden haben, Höhlen und Grotten sind niemals ganz trocken, sondern zeigen überall an der Decke und an den Wänden feinere oder gröbere Spältchen und Spalten, durch welche das Wasser nach einem solchen Hohlraume seinen Weg findet. Hier rieselt das Wasser längs den vorspringenden Kanten der Wände ab, dort sammelt es sich in großen Tropfen an der Decke, die oft lange haften, bis endlich ihre Schwere sie zu Boden reißt; an anderen Stellen regnet oder gießt es förmlich aus der Decke hervor, fällt plätschernd auf den Boden und stäubt nebelartig wieder auf. Und überall, wohin nur ein Wassertröpfchen kommt, bleibt auch ein krystallisirtes Kalktheilchen sitzen, und wo ein solches unendlich kleines Kryställchen sitzt, da sammeln sich andere, schießen daran an und vergrößern das ursprüngliche Gebilde. So arbeitet es still und geräuschlos fort, Tag und Nacht, Jahre um Jahre, Jahrtausende um Jahrtausende. Die Rinnsale an den Wänden erheben sich zu Kanten und Vorsprüngen – wo eine Ungleichheit der Wand ein längeres Verweilen des Wassers verursachte und damit stärkeren Absatz, bildet sich eine Verdickung, wo es schneller abläuft, giebt es dünnere Stellen, und endlich ist aus dem Rinnsale ein elegant drapirter Vorhang geworden, mit Knotenschürzungen und Falten, die in schöngeschwungenen Linien hervortreten, sobald man eine Flamme hinter das durchscheinende Gebild bringt. Wo aber ein Tröpfchen im ersten Anfange hing, hat sich nach und nach ein Zapfen angesetzt, der stets an den Seiten und noch mehr an der Spitze wächst, und ihm entgegen hebt sich von unten, von dem Punkte aus, wo das Wasser auftrifft, ein kegelartiges Gebilde, bis beide mit ihren Spitzen zusammentreffen, sich vereinigen und eine Säule darstellen, welche das Gewölbe zu tragen scheint. Das Pflanzenleben trägt das Seinige dazu bei. Feine Wurzelfasern durchdringen das Gestein und suchen in der Höhle nach Boden, indem sie sich übermäßig verlängern; niedere Pflanzenformen, Algen, Schimmel, ja selbst Farnkräuter kriechen auf der feuchten Gesteinsfläche. All’ diese Pflanzentheile umhüllen sich nach und nach mit Scheiden von Kalkstein, sie befördern durch die Aufsaugung der lösenden Kohlensäure aus dem Wasser den Absatz des Tropfsteines, der sie bald in seiner Umarmung erstickt. Die Wurzelfaser, der Algenfaden verwesen und verschwinden – aber ihre Gestalt bleibt erhalten und lange, seine, durchsichtige Röhrchen von Tropfstein hängen von den Decken der Gewölbe herab, oder seine, spitzenartige Gewebe breiten sich an den Wänden aus. Während all’ dieser Arbeit wächst und wächst der Fußboden, und in manchen Höhlen so mächtig, daß steinharte Schichten von krystallinischem Gefüge, die mehrere Fuß dick sind, die Schätze unter diesem Boden bedecken.

Gewiß giebt es auch Zeiten, in welchen die Tropfsteinbildung energischer ist, als in anderen. Die wasserführenden Spalten können sich durch den Absatz in ihrem Innern verschlossen, die Wasser selbst durch eine Spaltenbildung einen anderen Abfluß gewonnen haben – die Oeffnung oder Schließung des Eingangs, der Zwischengänge und Kammern kann auf die Zuführung und Verdunstung des Wassers die verschiedensten Einflüsse geübt haben. Wer wollte alle diese Zufälligkeiten vorausberechnen, wenn sie uns gleich durch ihre Wirkungen offenbar werden? Denn in den meisten Höhlen kommen verschiedene, durch Zwischenlagen von sogenanntem Lehm getrennte Fußböden von Tropfstein vor, die wohl den Nachweis liefern, daß die Bildung von Zeit zu Zeit gänzlich stockte, um später auf’s Neue zu beginnen. Nicht minder unberechenbar sind die Zufälligkeiten, welche die Form der Tropfsteingebilde selbst bedingen. Ein Stäubchen fliegt irgendwo an; das herabtropfende Wasser bringt ein Sandkörnchen, ein Lehmtheilchen, das sitzen bleibt; ja irgend ein höhlenbesuchendes Thier, ein Fuchs oder ein Dachs, streift an einem Orte und läßt dort eine unmeßbare Menge seiner fettigen Hautschmiere zurück, und augenblicklich sucht sich das Sickerwasser einen anderen Weg beim Hinabgleiten, baut sich nach und nach dadurch selbst einen Damm – und eine Cannelirung ist hier gebildet, dort ein Vorsprung, hier ein Knauf oder eine Einschnürung! Dann endlich die wunderbaren Gestalten, die dadurch entstehen, daß zu schwer gewordene Anhänge sich loslösen, Säulen zusammenstürzen unter dem Drucke des Gewölbes der Höhle, Bruchstücke von der Decke fallen und alle diese Trümmer hier vielleicht zusammengekittet und überzogen oder ebenso möglich dort von einem einströmenden Gewässer fortgeführt und umwühlt werden. So wird aus dem einfachsten Momente, dem Absatz durch Sickerwasser, die reichste und unerschöpflichste Mannigfaltigkeit hervorgezaubert, und nur das steht im Voraus fest, daß die Formgestaltungen der Tropfsteine um so reicher, die Farbe um so reiner, das krystallinische Gefüge derselben um so klarer ist, je heller das einsickernde Wasser ist und je ungestörter dasselbe in der geschlossenen Höhle walten konnte.

Alle diese Vorzüge vereinigt die neue Höhle in der Grüne bei Iserlohn. Wir klettern auf steiler Stiege hinan zu dem engen Eingange, betreten eine Vorhalle, wo wir unsere Mäntel und Ueberzieher ablegen und gefällige Führer mit Grubenlichtern finden, die nur zur Besichtigung der Einzelheiten nöthig sind, denn überall sind einfache, aus Latten zusammengenagelte Candelaber mit Kerzen an den mit großem Geschick gewählten, vorteilhaften Punkten aufgestellt. Die zahlreiche Gesellschaft trennt sich bald in einzelne Gruppen, denen ortskundige Führer zur Seite gehen, dort Professor Fuhlrott, hier Baumeister Sebaldt oder Apotheker Schmitz, und bald hallen die Gewölbe, die auf- und absteigenden Zwischengänge von den bewundernden Ausrufen der Menge. Hier die Orgel! und die rundlichen Säulen klingen wehmüthig unter dem Stocke, der über sie hinfährt. Dort die Wolfsschlucht! Hier das Nixenbassin! Ueberall tönt es: „Hoff! kommen Sie hierher! Hoff! [144] dieser Anblick ist der schönste! Hoff! treten Sie auf diesen Block, gerade wo ich stehe! Wundervoll! Das müssen Sie skizziren, Hoff! Diesen Blick in die Höhe! Bewahre, sehen Sie einmal hinab, wie sich der Zug von Lichtern in die Tiefe schlängelt und von unten her der Alhambra-Saal mit seinen maurischen Hufeisenbogen und Arabesken im Blitzesschein des Magnesiumdrahtes erglänzt!“ Der arme Maler weiß kaum mehr, wo ihm der Kopf steht – man zerrt ihn umher – Figaro hier, Figaro da! Endlich wird er stetig und bleibt unverrückt vor dem Venusbade stehen, einer reizenden Grotte, halb versteckt zwischen schimmernden Säulen und durchscheinenden Spitzenvorhängen, mit krystallhellem, rundlichem Wasserbecken, so klar, friedlich und einladend, daß man glaubt, die Göttin der Schönheit selbst müßte jetzt als Schaumgeborene sich erheben aus dem perlenden Naß! Dies ist der Punkt, den unser Freund zu seiner Illustration erkoren, und hier reicht auch die nüchterne Prosa des Naturforschers nicht mehr aus – sie muß dem Dichter und dem Künstler Platz machen!



Die Iserlohner Höhle.



Von Gnom und Kobold spricht der Sage Mund,
Die in den Klüften, in der Berge Grund
Paläste bau’n von Gold und Edelsteinen.
Des Bergmanns Gattin hat’s dem Kind vertraut,

5
Wie oft der Vater flüchtig schon geschaut

Beim Schein des Grubenlämpchens jene Kleinen.

Er sah sie nur, jedoch ein Sonntagskind,
So sagt die Mutter, jenen Schatz gewinnt,
Im Berg’ versteckt, im Felsenspalt verborgen,

10
In Gruben, von der Zwerge Hand gemacht. –

Ich hab’ an jenen Märchenspuk gedacht
Aus rother Erde am Novembermorgen.

Hell war der Tag. Am grünen Tannenzweig
Hing klarer Thau; noch stand des Waldes Reich

15
Im bunten Schmuck. An den Wachholderstämmchen

Tiefblaue Beeren, Vogelkirschen dort,
Und an dem Birkenbusch an Waldesbord
Ein jedes Blatt gleicht einem goldnen Flämmchen.

Hell war der Tag, doch was dem Blick er bot,

20
Was war es? Nur der buntgeschmückte Tod!

Auf dem Paradebett des Sommers Leiche!
Die Lichter her! Dort ist der Höhle Thor.
Schon blitzt es schimmernd aus dem Spalt hervor.
Auf! Frisch gewagt die Fahrt zum Gnomenreiche.

25
Wir treten ein. Jahrtausende hindurch

War fest verschlossen diese Felsenburg –
Ha, welche Pracht! Schau nach der Decke droben!
Ein Domgewölb’ von funkelndem Krystall –
Und dort ein eisgewordner Wasserfall,

30
Ein Schleier dort, von der Natur gewoben.


Ein Palmenwald, dort eine Orgel gar
Und hier ein Wasserbecken, silberklar
Darin die Fluth und silberklar die Säulen,
Die es umsteh’n! Und hier von blankem Kalk –

35
O, schaut nur – eines Bischofs Katafalk!

Und dort – o seht – sind es nicht Riesenkeulen?

So schafft Natur: im hellen Sonnenglanz
Da droben schaftt sie bunten Blüthenkranz
Und Laub und Frucht, schafft das Vergänglich-Schöne.

40
Sie ruft die Sänger in den grünen Hain –

Da kommt der Herbst und Alles schlummert ein!
Verwelkt die Pracht, verstummt des Liedes Töne!

Dort, wo sie schaffend in die Tiefen steigt,
Dahin kein Strahl des Sonnenballes reicht,

45
Da weiß sie Ewig-Schönes zu gestalten!

Da baut sie diese mächt’gen Säulen auf,
Krystall der Sockel und Krystall der Knauf.
Da bietet Trotz sie allen Zeitgewalten!

Dort oben auf dem Berg’ – wie lang ist’s her? –

50
Da standen dort mit Schild und scharfer Wehr

Die Mannen Wittekind’s, zum Thale lugend
Nach Kaiser Karl und seiner Kämpfer Spur –
Und unter ihren Füßen schuf Natur,
Langsam zum Dom die Stalaktiten fugend.

55
Dann auf dem Hügel heller Hörnerklang!

Auf stolzem Rappen sprengt hinab den Hang
Der Burgherr, ihm zur Seite seine Reiter.
„Mein ist dies Alles! Mein durch meine Kraft!“–
Und unter seinen Sohlen wirkt und schafft

60
Mutter Natur an ihrem Werke weiter.


Held Wittekind, der Ritter – längst verweht
Die letzte Spur, doch herrlich prangend steht,
Was die Natur geschaffen in den Tiefen.
Wir treten ein in ihr Studirgemach;

65
Wir zieh’n hervor, die unter’m Säulendach

In Nacht und Dunkel manch’ Jahrtausend schliefen,

Die Zeugen alter Zeit! Es rufet dreist
Ein Sonntagskind – es heißt der Menschengeist –
„Empor! Empor! Ihr sollt mir Rede stehen!

70
Erzählen sollt ihr mir von dem, was war!

Genug geträumt! Mit Augen, hell und klar
will ich, Natur, jetzt in dein Lehrbuch sehen!“

Stein und Gebein – und doch ein reicher Schatz!
Das Reich der Vorzeit – aus den Trümmern hat’s

75
Neu aufgebaut der Geist der Welt von heute!

wir sehn’s: Aus Moorgrund sprossen Farn und Schwamm;
Schwerhufig stampft’ des Mammuths Fuß den Schlamm;
Bär und Hyäne jagen nach der Beute.

Die Lichter flirrten. – Nun zurück zum Pfad!

80
Noch einen Blick den Palmen und dem Bad

Der Venus – dann ade, Westphalens Höhle! –
Dort Iserlohn! Wenn’s „Weinheim“ wär’ genannt,
Wär’s richt’ger! – Gebt das Glas mir in die Hand!
Rheinwein herbei für eine Sängerkehle!

November 1868.

Emil Rittershaus.

Der Dichter eilt uns hier im kühnen Fluge der Phantasie voraus – wir selbst aber, nachdem wir uns an den gaukelnden Formen der Tropfsteine ergötzt, wenden unsern Blick nach der Tiefe, wo weitere Räthsel und Wunder unser warten.



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Autor: Carl Vogt
Titel: Ein Tag in den Höhlen Westphalens
aus: Die Gartenlaube 1869, Heft 10, S. 155–159


[155] In einigen der größeren Kammern hat Baumeister Sebald mit trefflichem Verständniß tiefe Gräben ausgeworfen und die darin gefundenen Schätze auf Tafeln ausbreiten lassen. Denn dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse und Untersuchungen nach bilden die Tropfsteine nur den architektonischen Schmuck und die Decke der riesigen Sarkophage, als welche sich die Höhlen darstellen. Unter dem Tropfsteinboden liegen, in Modererde eingehüllt, die zum Theil riesigen Knochen von Thieren, welche früher die Gegend bevölkerten, die Kieselwerkzeuge, die Instrumente, die Mahlzeitreste, welche beweisen, daß der Mensch mit diesen ausgestorbenen Thierarten zusammen auf der Erde lebte und mit ihnen, ein Wilder, den harten Kampf um das Dasein stritt, in dem manches Individuum zu Grunde gegangen sein mag, während das Geschlecht aus demselben siegreich hervorging. Wenn man früher die Höhlen mehr auf diejenigen Einschlüsse untersuchte, die von Thieren herrührten, und besonderen Werth auf die Erhaltung der einzelnen Stücke legte, aus denen man die ausgestorbene Thierart mit ihren Eigenthümlichkeiten wieder construiren konnte, so hat sich die neuere Forschung, ohne diesen Punkt zu vernachlässigen, mehr denjenigen Fragen zugewandt, welche mit dem Menschen in näherer Beziehung stehen. In den Händen von Lartet, Dupont, Steenstrup, Falconer hat das kleinste Knochenstückchen, das ärmlichste Bruchstück, eine Bedeutung erlangt, die man früher nicht hätte ahnen können, und wir dürfen mit Stolz sagen, daß keine Wissenschaft so glänzende Beweise tiefeindringender Untersuchungen und scharfsinniger Schlußfolgerungen aufzuweisen hat.

Zu ähnlichen Forschungen können die westphälischen Höhlen Gelegenheit geben, denn die meisten derselben sind noch völlig unbetreten und die anderen wurden fast alle zu Zeiten untersucht, wo die jetzigen Fragen der Wissenschaft noch nicht vollständig aufgestellt waren.

Die meisten, sage ich, sind noch ununtersucht. Lottner in seiner trefflichen „Geognostischen Skizze des Westphälischen Steinkohlengebirges“ führt höchstens ein Dutzend von bekannteren Höhlen auf, von denen einige in den vierziger Jahren „unter Verwendung amtlicher Mittel“ untersucht wurden – der Anblick des Gebirges überzeugt leicht, daß die Zahl der Höhlen, Grotten und Spalten, welche Ausbeute liefern können, weit in die Hunderte gehen muß. [156] Außer der großen Höhle an der Grüne hat die Eisenbahn an manchen Stellen Reihen von kleinen Grotten entblößt, die fast wie Arcaden nebeneinander stehen und ihre Oeffnungen dem Schienenwege zukehren, und in jedem Orte, der auf oder an dem Kalksteinzuge liegt, hört man von Gängen und Löchern erzählen, in welche die Schulknaben hineinschlüpfen und manchmal gefährliche Abenteuer bestehen. „Wer sucht, der findet“ ist ein altes, wahres Wort. In denselben Gegenden Belgiens, die man seit Schmerling’s Untersuchungen in den zwanziger Jahren vollständig ausgebeutet glaubte, hat Dupont in kurzer Zeit mehr als hundert Höhlen und Grotten entdeckt und untersucht und daraus in Brüssel ein Museum zusammengestellt, welches seines Gleichen in der Welt nicht hat. Freilich hat die Regierung dieses kleinen, nach der heutigen Staatentheorie „nicht lebensfähigen“ Landes die nöthigen Mittel bewilligt, damit der junge Forscher sich ganz dieser Untersuchung und nur ihr allein widmen und tüchtige Arbeiter heranziehen konnte, die mit dem Gegenstande und den Vorsichtsmaßregeln solcher Untersuchungen innig vertraut sind. Es wäre wahrlich an der Zeit, etwas Aehnliches für die Untersuchung der westphälischen Höhlen in’s Leben zu rufen, und mir würde es am geeignetsten erscheinen, wenn dort ein Verein sich bildete, der die nöthigen Mittel zusammenbrächte, durch einen mit dem Gegenstande so vertrauten Mann, wie Dupont, einen jungen Gelehrten und einige Arbeiter anlernen ließe und auf diese Weise Gleiches für Westphalen leistete, wie es in Belgien mit Staatsmitteln geleistet worden ist und noch geleistet wird. Die Bestrebungen einzelner Forscher und Sammler, welche nur nebenbei, in ihren wenigen Mußestunden, solche Untersuchungen betreiben, können unmöglich zu so umfassenden und genauen Resultaten führen, wie die heutige Wissenschaft sie verlangt.

Welches sind denn die Fragen, deren Lösung man anstrebt? wird man hier fragen, und ich halte es für nöthig, darüber einige Andeutungen an der Hand der Thatsachen zu geben.

In fast allen Höhlen und zwar in denen, welche Tropfsteinbildungen zeigen, unter dem Tropfsteinboden, finden sich oft ungemein mächtige Ablagerungen einer Art von Erde oder Lehm, den man den Knochenlehm genannt hat. Meist von gelblicher oder röthlicher Farbe zeigt sich dieser Lehm oft so von Kalksinter durchzogen und zusammengebacken, daß er eine feste Masse darstellt, die man sogar, ihrer Härte wegen, mit Pulver aufsprengen muß. In den westphälischen Höhlen ist er eine erdige Substanz, die eine große Menge phosphorsauren Kalkes, bis zu einem Viertel der Masse sogar, enthält und demnach offenbar großenteils aus der Verwesung thierischer Stoffe hervorgegangen ist. Diese phosphorreichen Erdmassen liefern ein vortreffliches Düngemittel, wie man in Balve nur zu gut weiß, denn dort wird, wie ich mir habe sagen lassen, die Höhle förmlich auf Gewinnnug der Erde ausgebeutet. Auch andere Erfahrungen bestätigen dies. In den Höhlen von Sundvig hört man stellenweise unterirdische Wasser rauschen. „Sie waschen ganz gewiß uns noch unbekannte, mit Knochenlehm gefüllte Spalten aus,“ sagte mir der freundliche Besitzer, Hr. von der Becke, „denn wo diese Wasser zu Tage treten, entwickelt sich eine weit üppigere Vegetation, als in der Nähe anderer Quellen, und der gelbliche Lehm, den diese Wasser ablagern, so wie die Einstürze der Tropfsteinböden, welche hie und da eintreten, zeugen für die Unterwaschung und Fortführung des Lehmes.“ Daß der Gehalt an phosphorsaurer Kalkerde aus der Zersetzung von Excrementen, Fleisch, Knorpeln und Knochen hervorgegangen sei, wird aber endgültig bewiesen durch die ungeheure Menge von Knochen, welche sich darin finden und die zum Theil riesigen Thieren angehören.

Hier kommt die erste Frage: Welches waren diese Thiere und zu welcher Zeit lebten sie?

Die Vergleichung mit den Knochen jetzt wild lebender Thiere zeigt bald, daß diese Knochen zum Theil ausgestorbenen, zum Theil aus unseren Klimaten ausgewanderten, zum Theil jetzt noch bei uns lebenden Thieren angehören – daß ferner unter diesen Thieren solche sind, die heute noch in Höhlen leben, andere dagegen, welche nicht durch sich selbst, sondern durch fremde Kraft in die Höhle gebracht worden sein müssen. Der Vielfraß, der Dachs und der Fuchs, der riesige Höhlenbär, die Höhlenhyäne, der Höhlenlöwe haben ganz gewiß Höhlen bewohnt und ihren Jungen dorthin ganze Thiere oder Stücke derselben zur Mahlzeit gebracht. Aber der Elephant der Schwemmzeit, das Mammuth, das ebenso wie sein steter Begleiter, das Nashorn mit knöcherner Nasenscheidewand, mit einem Wollpelze zum Ertragen kälterer Klimate ausgerüstet war, das Nilpferd, der Urstier, welcher der Stammvater der friesischen Hornviehrace geworden ist, der Bison, der jetzt noch in den lithauischen Wäldern lebt, der Riesenhirsch, den man unter den Torfmooren Irlands so häufig gefunden hat, unser jetziger Edelhirsch, das in den Norden ausgewanderte Rennthier, das wilde Pferd und der wilde Eber, diese haben gewiß nicht in Höhlen gelebt, sondern ihre Knochen sind auf andere Weise dort hinein gebracht worden.

Daß alle diese Thiere zu einer gewissen Zeit auf der rothen Erde zusammenlebten, das beweist nicht nur das Vorkommen der Knochen in denselben Ablagerungen, sondern auch namentlich der Umstand, daß viele Knochen der Pflanzenfresser unstreitig von den Fleischfressern benagt worden sind. Man sieht die Spuren der Zähne an den schwammigen Theilen, die Eindrücke und Rillen, in welche die nagenden Zahnkronen passen – man findet im Allgemeinen nur diejenigen Knochen der Pflanzenfresser, welche nicht zerkaut, zerknackt und verschlungen werden konnten, und die Zähne alter Bären und Hyänen, namentlich der letzteren, sind abgenutzt bis an die Wurzel, so daß von der Krone oft kaum noch ein Stumpf übrig ist. Wie heute noch hatten die Fleischfresser ihre gesonderten Standorte – Sundvig bewohnten vorzugsweise die Bären, Rösenbeck bei Brilon die Hyänen –; zuweilen auch mögen die Bewohner im Laufe der Zeiten gewechselt haben – Dupont hat wenigstens in einigen belgischen Höhlen verschiedene Schichten gefunden, wo in der einen nur Bären, in der andern nur Hyänen vorkamen. So mögen auch die Pflanzenfresser ihre besonderen Stationen gehabt haben. Die Mammuthzähne, welche man in den westphälischen Sammlungen sieht, stammen, wenn sie nicht aus Geschieben und Flußbetten herrühren, meist aus der Höhle von Balve, die mit ihrem weitgewölbten, domartigen Eingang vielleicht ein Zufluchtsort dieser Thiere bei schlechtem Wetter gewesen sein mag. Die genaue Vergleichung des Inhalts der einzelnen Höhlen untereinander und mit denen anderer Länder würde gewiß in Hinsicht auf die Vertheilung und die Lieblingsstationen der einzelnen Thiere des Schwemmlandes interessante Resultate zu Tage fördern.

Doch dies ist nicht genug. Unsere Thierwelt hat im Laufe der Zeiten nach und nach sich verändert. Die gewaltigen Fleischfresser sind verschwunden, die großen Pflanzenfresser sind zu Grunde gegangen. Wo früher Mammuthe und Nashörner in Ueberzahl auftraten, begegnen wir jetzt Heerden von wilden Rennthieren, Pferden und Ochsen. Diesen Veränderungen entsprechen in vielen Höhlen verschiedene Absätze von Knochenlehm, welche häufig durch Tropfsteinböden von einander getrennt sind. Was Dupont für Belgien nachgewiesen, kann auch für manche Vorkommnisse in Westphalen Geltung haben. Wir haben aufmerksam die verschiedenen Versuchsgräben betrachtet, welche in der neuen Höhle angelegt waren. In keinem war man noch auf den festen Felsgrund gekommen, obgleich man mannstief eingedrungen war – in jedem ließen sich mehrere, zwei bis drei, Tropfsteinböden erkennen, welche verschiedene Schichten von Knochenlehm trennten. Hier ist es nun Aufgabe des Forschers, die Einschlüsse der verschiedenen Schichten gesondert zu halten, jedes Knöchelchen, jeden Splitter sorgsam zu trennen von denen der anderen Schicht, um dann die Einschlüsse mit einander vergleichen und die relative Häufigkeit der einen und anderen Art constatiren zu können. Denn die Veränderungen in der Thierwelt, die hier lebte, sind langsam und allmählich vor sich gegangen – die eine Art wurde seltener und seltener, bis sie endlich gänzlich vom Schauplatze verschwand und ebenso durch eine nach und nach häufiger werdende ersetzt wurde.

Zu diesem Zwecke muß, wenn ein Versuchsgraben senkrecht bis in die Tiefe des Lagers durchgeschlagen ist und die einzelnen Schichten dadurch nachgewiesen sind, eine jede dieser Schichten in horizontaler Ausbreitung verfolgt und abgeräumt und das so in einer Kammer gewonnene Resultat mit den Ergebnissen aus den anderen Kammern derselben Höhle und endlich mit denen der benachbarten Höhlen verglichen werden. Weitläufige, zeitraubende Untersuchungen, die mit der größten Sorgfalt und Genauigkeit unter den Augen desjenigen, der die Arbeiten leitet, durchgeführt werden müssen, über die an Ort und Stelle ein laufendes Register hergestellt werden muß, während jedes Stückchen eine Etikette erhält, die mit deutlichen Zeichen den Ort und die Schicht angiebt, [158] in welcher es gefunden wurde. Auf diese Weise hat Dupont jene wunderbaren Resultate gewonnen, die nachweisen, daß die verschiedenen belgischen Höhlen zu verschiedenen Zeiten sich anfüllten, daß die höher im Niveau über der Thalsohle gelegenen mit Thierresten aus älterer Zeit angefüllt wurden, weil die Gewässer, die im Thale strömten, damals einen höheren Stand hatten, während die tiefer gelegenen, von welchen sich das Wasser erst später zurückzog und ihre Oeffnungen freigab, auch erst in späterer Zeit bevölkert wurden. Während so einzelne Höhlen zu verschiedener Zeit angefüllt wurden, fanden in anderen Absätze aus mehreren Perioden statt und diese letzteren bilden dann gewissermaßen den Zeitmesser, welcher die Epoche angiebt, in welcher die nur in einer einzigen Periode erfüllten Höhlen ihre Einschlüsse erhielten. Aus den verschiedenen Niveaus aber ergeben sich wieder die mannigfachsten Schlußfolgerungen über die Gestaltung der Thäler, die Mächtigkeit der Gewässer, die sie durchströmten, die Ausdehnung der Binnenseen und Buchten, welche diese Gewässer aufnahmen. Alle diese Fragen harren noch ihrer Lösung für Westphalen – die Antworten daraus können aus den bisherigen Forschungen nicht entnommen werden.

Aus diesen unmittelbaren Resultaten kann nun auch wohl die relative Bestimmung der Epoche entnommen werden, in welcher die Anfüllung der Höhle oder einer bestimmten Schicht derselben geschah. Wir wissen jetzt mit vollkommener Sicherheit, daß, im Westen Europas wenigstens, die großen Fleischfresser und Dickhäuter früher lebten und früher vom Schauplatze verschwanden, als die nordischen Thiere, wie Rennthier, Eisfuchs und Vielfraß; – wir wissen, daß diese zugleich mit den Hochgebirgsthieren, wie Steinbock, Gemse und Murmelthier, selbst in den Ebenen lebten, die damals, wie heute die Ebenen anderer Continente, noch von wilden Pferden und Ochsen vorgezogen wurden; – läßt sich für Westphalen eine ähnliche Folge nachweisen oder wurden hier die ausgestorbenen Thiere unmittelbar durch die jetzigen und die Hausthiere ersetzt? Bis jetzt wurden, so scheint es, nur Höhlen aufgedeckt, welche der Zeit des Höhlenbären und der Höhlenhyäne entsprechen – aber beweist dies, daß die anderen fehlen? Vor zwei oder drei Jahren traf ich einmal mit meinem Freunde Dupont zusammen und machte ihn auf den schneidenden Contrast aufmerksam, der zwischen seinen Forschungen und denen seines längst verstorbenen Vorgängers Schmerling bestehe. „ich weiß es wohl,“ sagte er, „Schmerling hat nur Höhlen aus der Zeit des Bären und der Hyäne untersucht – ich habe bis jetzt, freilich etwas mehr westlich, nur Höhlen aus der Rennthierzeit gefunden. Ich weiß nicht, soll ich an einen specifischen Unterschied der Gegenden glauben, soll ich an Schmerling oder lieber an mir selbst zweifeln?“ Im Jahre darauf begrüßte er mich mit dem Ausrufe: „Jetzt habe ich Bärenhöhlen bei mir und Rennthierhöhlen im Gebiete Schmerling’s – Alles ist aufgeklärt – wir waren in zwei verschiedenen Niveaus mit unseren Untersuchungen geblieben!“

Für die Entscheidung der Frage, wie viel Jahre verflossen sein mögen, seitdem Bären, Löwen, Hyänen, Mammuthe und Nashörner auf der rothen Erde gehaust haben, dürften die westphälischen Höhlen kaum einen Beitrag liefern. Ein englischer Forscher, Vivian, hat den Absatz des Tropfsteins als Zeitmaß zu benutzen versucht. In der Kent-Höhle in Devonshire fand man römische Ziegel mit einer Tropfsteinkruste überzogen. Vivian maß die Dicke dieser Kruste und berechnete daraus die Zeit, die über der Bildung des Tropfsteinbodens der Höhle verstrichen sein mußte. Er kam auf 210,000 Jahre! Wer aber die Bedingungen der Tropfsteinbildung kennt und weiß, daß kein veränderlicheres Moment aufgefunden werden kann, als dieses, der wird auch unmittelbar zu dem Schlusse kommen, daß eine solche Berechnung keinen absoluten Werth in Anspruch nehmen kann. Dem Kundigen bietet diese Frage überhaupt nur geringes Interesse. Auf einige Nullen mehr oder weniger kommt es dabei nicht an – denn so viel ist wenigstens klar, daß man die Zeit nicht auf einige lumpige Tausende von Jahren zurücksetzen kann!

Wohl aber ist die Entscheidung anderer Fragen von höchster Wichtigkeit. Wie kamen die Knochen in die Höhlen?

Früher, wo man in der Geologie noch mit Revolutionen, Kataklysmen, Diluvialfluthen und ähnlichen Hochdruckmaschinen arbeitete, war es ein Leichtes, die Höhlen durch eine große Fluth ausfüllen zu lassen, welche über die Länder wegbrauste, fortriß, was ihr beliebte, in die Spalten und Höhlen hineinwarf, was Platz hatte, und dann verlief, ohne daß man wußte, wohin. Heute kommt man nicht so leichten Kaufes davon. In den wenigsten Höhlen nur findet man unzweideutige Beweise von Wirkungen bedeutender unterirdischer Wasserströmungen, wie Rollkiesel, Grus und Sand; die Gewässer, welche früher die Thäler bis zu bedeutender Höhe ausfüllten, verhinderten im Gegentheil Absätze im Innern, wie dies die belgischen und südfranzösischen Höhlen beweisen. Starke Strömungen reißen fort – die unterirdischen Flüsse im Karst und an anderen Orten erweitern die Klüfte, statt sie anzufüllen. In den westphälischen Höhlen ist, so viel mir bekannt, kein Beweis von stärkeren Durchströmungen zu finden – die dortigen Absätze müssen unter anderen Einwirkungen zu Stande gekommen sein.

Der Höhlenlehm ist ein Gemenge von phosphorsaurem Kalk (Knochenerde), von eingesickertem kohlensaurem Kalk und feingeschlämmten erdigen und unlöslichen Bestandtheilen. Ueber den Ursprung der Knochenerde kann man nicht im Zweifel sein. Viele Knochen sind zerfallen, andere in der Zersetzung begriffen; das verwesende Fleisch läßt phosphorsauren Kalk zurück, und die Excremente der Fleischfresser, ganz besonders der Hyänen, bestehen großentheils aus Knochenerde. Alles dieses hat sich zersetzt, in Pulver verwandelt und mit der seinen, eingeschlämmten Erde gemengt. An manchen Stellen findet man fast rein weiße Flecken, unbestimmt begrenzte Knollen, die gewiß aus zersetztem Koth und Knochen hervorgegangen sind – an anderen mehr schwärzliche Massen, die eher auf Entstehung aus faulendem Fleisch und Blut hindeuten dürften. Daß aber die in den Boden eindringenden Sickerwasser aus dem Lehm und Thon der Mark, den Jeder zu seinem Leidwesen kennen lernt, der dort einige Regentage zubringt, bedeutende Mengen einschlämmen und absetzen, kann Niemanden Wunder nehmen. So wäre also der Knochenlehm eine während langer Zeit hergestellte Mischung von zersetzter thierischer Substanz, eingeschlämmter Erde und eingesickertem Kalk, und es kann bei dieser Bildung nicht. auffallen, daß die Verhältnisse seiner bildenden Elemente bedeutend untereinander abweichen.

Aber die Knochen? Es giebt solche, die Spuren von Rollung durch die Gewässer zeigen, und diese mögen durch die offenen Spalten des Gebirges in die Höhlen hineingeschwemmt worden sein – die meisten aber gehören doch wohl Bewohnern der Höhlen selbst an oder wurden von diesen eingeschleppt. Die Brutstätten der reißenden Thiere, Säugethiere wie Vögel, sind wahre Schindanger, überfüllt mit halbverzehrten Aesern, mit Knochen und herumgezerrten Resten der Beute, welche den jungen zugetragen wird. Die jungen Thiere spielen damit, wie Kinder mit Spielzeug, und die Alten nagen zum Zeitvertreib daran, wenn sie sich von den Anstrengungen der Jagd ausruhen. Man hat viel Wesens aus dem Umstande gemacht, daß man von den meisten Thieren nur einzelne Stücke, unzusammenhängende Knochen findet – erklärt sich dies nicht auf die befriedigendste Weise in dieser Art? Die angenagten, zerknackten Knochen finden sich in großer Anzahl – kurz, alle Bedingungen sind vorhanden, welche die meisten Höhlen als von Fleischfressern bewohnt und von ihnen mit eingeschleppter Beute erfüllt erscheinen lassen.

Die alten Fleischfresser verendeten in diesen düsteren Wohnungen – grimmige Kämpfe fanden unter den Bewohnern statt, davon manches Opfer fiel – man kennt ja aus der Gailenreuther Höhle den vom alten Sömmering beschriebenen Schädel einer Hyäne, die einen grimmigen Biß auf den Kamm erhalten hatte und davon geheilt worden war – und daß der Humor und die Gesundheit dieser höhlenbewohnenden Thiere nicht stets blühend waren, beweisen uns die vielen kranken Knochen und hohlen, angefressenen Zähne. Man denke sich einen solchen Höhlenbären von der Größen eines Rindes hereinzottelnd mit grimmigem Zahnweh und fürchterlichen Schmerzen (obgleich ich nicht behaupten will, daß die Größe der Schmerzen nach der Größe der Zähne bemessen werden könne) und stelle sich nun vor, in welcher Weise er die Begrüßungen der Cameraden und die Liebkosungen der Familie mag aufgenommen haben!

Damit aber, daß die meisten Knochen von Raubthieren Höhlenbewohnern entstammen, daß die meisten Knochen von Pflanzenfressern durch die Raubtiere eingeschleppt sind, damit sind andere Ausfüllangsarten nicht ausgeschlossen. Die langsame [159] Einsickerung, die Einströmung des Wassers durch kleinere Spalten und Ritzen, ist eine erwiesene Sache. Damit sind auch gewiß viele Knochen hinabgespült und in dem Lehm mit abgesetzt worden. Man findet scheinbar hermetisch geschlossene Steinsärge zuweilen voll Erde, und auf den ersten Blick scheint es uns unmöglich, zu begreifen, wie dieselbe hineingekommen. Ein paar Würzelchen haben den Deckel etwas gehoben, das im Erdboden sickernde Wasser hat einige Krümchen Erde eingeführt, und nach und nach hat sich der Sarg angefüllt. Stete, höchst geringe Wirkung, lange Zeit hindurch fortgesetzt, bringt meist dieselben Resultate hervor, wie kurze, heftige Wirkung, die schnell vorüberrauscht, und häufig sind es nur die begleitenden Umstände, welche entscheiden, ob die eine oder andere stattgefunden. Der Backzahn eines Mammuth, der zwanzig und mehre Pfunde wiegen kann, und der vielleicht in dem Schwemmgebilde auf einem Bergrücken liegt, in welchen ein zu einer Höhle führendes Kamin mündet, wird gewiß nicht unmittelbar von einigen Regentropfen weiter bewegt. Aber diese Regentropfen unterwaschen seine etwas geneigte Unterlage und machen sie schlüpfrig – er gleitet, vielleicht nur um den Bruchtheil einer Linie, aber nach und nach kommt er doch an die Oeffnung des Kamins und wird durch diese den Ablagerungen der Höhle zugeführt. Das kann im Hintergrunde der Höhle geschehen, während in einer Seitennische die Hyäne ihre Jungen mit Resten einer Mammuth-Leiche füttert und in der Vorgrotte der wilde Mensch ein eben erjagtes Mammuthkalb als Festmahl verzehrt. Der wilde Mensch! Und mit ihm sind wir auf einen Kernpunkt der Höhlenfrage angelangt.

Andere Höhlen haben die unzweideutigsten Beweise des Zusammenlebens des Menschen in Mitteleuropa mit dem Höhlenbären, dem Mammuth, dem Nashorn und später mit der ganzen nordischen Fauna der Rennthierzeit geliefert. Man hat nicht nur seine aus Kiesel, Horn und Knochen gearbeiteten Waffen und Geräthschaften gefunden, die Heerde aufgedeckt, auf welchen er am Feuer seine Fleischnahrung röstete, man hat auch aus den Knochen und Geweihen selbst nachgewiesen, daß der Mensch und nur der Mensch sie bearbeitet und benutzt hat. Die festen Röhrenknochen der Dickhäuter und großen Grasfresser kann kein Raubthierzahn öffnen und bewältigen. Der Mensch zerschlägt sie, um das Mark herauszunehmen, er öffnet die Schädel, um das Gehirn zu verzehren, er schleppt von seiner Jagdbeute nur bestimmte Stücke nach Hause, während er die andern an Ort und Stelle verzehrt oder liegen läßt. Es giebt Höhlen in Menge, die nur von dem Menschen bewohnt, nur von ihm angefüllt worden sind, es giebt andere, um deren Besitz Höhlenthiere und wilde Menschen gekämpft, die sie abwechselnd in Besitz genommen haben, andere wieder, in welche vor der Eröffnung in unserer Zeit der Mensch nie einen Fuß gesetzt hat. Wie leicht begreiflich, können Höhlen, in dieser Hinsicht grundverschieden, in derselben Gegend sich finden und haben sich auch z. B. in Belgien gefunden. Wie verschieden zeigen sich ferner die Höhlen in Beziehung auf ihre Benutzung durch den Menschen nach Zeit und Art der Benutzung! Dort wohnte er permanent, hier hielt er sich nur zu bestimmten Zeiten auf; jene Grotten dienten in ihrem Hintergrunde als Begräbnißstätten, unter ihrem Vordache als Wohnungen und Zufluchtsörter, manche Höhlen waren bewohnt von der Periode des Mammuth an bis in die periodischen Zeiten hinein, in manche flüchteten sich die Umwohner nur bei Gefahr und Verfolgungen; jene wurden zu verschiedenen Zeiten umgewühlt, um Leichen oder Schätze zu begraben oder letztere aufzusuchen, diese blieben unberührt von Anbeginn an. Alle diese verschiedenen Verhältnisse lassen sich aus den durch genaue und bis in’s Kleinste durchgeführte Untersuchungen gewonnenen Thatsachen erschließen – für alle liegen analoge Vorkommnisse vor.

Was haben nun die westphälischen Höhlen in dieser Beziehung bis jetzt geleistet? Nur wenige Thatsachen liegen vor, nicht genug zu zwingenden Beweisen, zu viel, um auf gänzliche Abwesenheit zu schließen.

Die menschlichen Knochen aus der nun zerstörten Grotte des Neanderthals gehören mit größter Wahrscheinlichkeit der Periode des Höhlenbären an. Fuhlrott hat aus der Lagerung und Beschaffenheit des Lehmes, in dem sie sich fanden, und aus den allgemeinen Verhältnissen der anderen Grotten im Neanderthal und der Umgegend, Schaaffhausen aus der Bildung des furchtbaren, niedrig gestalteten Schädels, dem jetzt mehrere andere zur Seite stehen, die Beweise geführt, so weit sie sich irgend aus den vorhandenen Thatsachen führen lassen. Aber durchaus zwingend sind diese Beweise nicht. Außer den menschlichen Knochen wurde kein Thierknochen in der Grotte gefunden und die entsetzlich thierische Bildung, die freilich mit derjenigen eines Schädels übereinstimmt, der im Canstatter Kalktuff mit Mammuthknochen zusammengefunden wurde, beweist zwar ein sehr hohes Alter, aber gerade nicht absolut die Einreihung in die Periode des Höhlenbären.

Ebenso geht es mir mit einigen anderen Andeutungen. Ich habe bei Apotheker Schmitz in Letmathe zwei Röhrenknochen gesehen, die ich, hätte ich sie unter einem Haufen anderer, ebenfalls vom Menschen zerschlagener Knochen gefunden, unmittelbar für vom Menschen bearbeitet angesehen haben würde. Man sieht, an dem einen namentlich, Eindrücke, ähnlich denen, welche von den halbscharfen Steinäxten erzeugt wurden, mit denen man die Knochen aufschlug. Findet man hunderte und tausende solcher Knochen, so ist der Zufall beseitigt, findet man aber unter hunderten nur zwei, so darf man zweifeln. Es giebt kaum eine Höhle, in welcher nicht eine Menge großer und kleiner Bruchstücke liegen, die von der Decke abgestürzt sind. Konnte nicht ein solches Felsstück einen Bären erschlagen, seine Knochen zertrümmern?

In einer Höhle am Bärentroß oberhalb Schwyz fand man das Skelet eines Bären, dessen Vorderpranken von einem herabgestürzten Felsstück, das noch auf den Knochen lag, zerschmettert worden waren. Konnte nicht ein ähnlicher Zufall in einer westphälischen Höhle sich ereignet und die gefundenen Knochen zerschlagen haben?

So viel ich weiß (ich lasse mich gern über meinen Irrthum belehren), haben die westphälischen Höhlen noch keine Spur jener roh zugeschlagenen Kiesel-Aexte und -Messer und noch weniger jener feineren Instrumente und Bildwerke geliefert, von denen andere Höhlen wimmeln. So viel ich weiß, sind außer den Neanderthaler Menschenknochen noch welche an anderen Orten, aber auch nur in sehr geringer Zahl, gefunden worden; über die Lagerung derselben herrscht aber keine Gewißheit. Höhlen-Untersuchungen aus früheren Zeiten können hier keinen Ausschlag geben, sie wurden zu einer Zeit angestellt, wo man die Bedeutung der Kieselinstrumente noch nicht kannte und deshalb nicht besonders auf sie achtete. Der Beweis, daß Menschen, und zwar jedenfalls Wilde, zur Zeit des Höhlenbären in den westphälischen Höhlen lebten, ist demnach bis jetzt noch nicht mit derjenigen Schärfe hergestellt, die er verdient. Die Wahrscheinlichkeit aber ist nachgewiesen, und es handelt sich darum, sie zu solcher Gewißheit zu erheben, daß nur Knak und Spießgesellen sie leugnen können.

An’s Werk also, ihr Söhne der rothen Erde! Die Mark mit ihren Höhlen muß ebenso classischer Boden für die Urgeschichte des Menschen werden, wie Belgien und Südfrankreich! Neben der Kohle, dem Eisen und dem Gußstahl müssen noch andere Schätze aus dem Boden gewühlt und an das Tageslicht gebracht werden, und wie die persönliche Initiative in der Industrie, so muß sie auch hier auf wissenschaftlichem Gebiete vorangehen. Zu dem ehrenden Luxus, den der Wohlhabende sich gewähren kann, gehört der Aufwand für Kunst und Wissenschaft! Beide brauchen Geld, sogar viel Geld, und so lange die Staaten den besten Theil ihrer Einkünfte zur Zinszahlung ihrer Schulden und zur Erhaltung derjenigen verwenden, welche die Schulden machen, so lange muß die freie Association eintreten für allgemeine wissenschaftliche Zwecke! –

Dies mag etwa der Inhalt der Gespräche und der Discussionen gewesen sein, welche unter der Gesellschaft während des Besuches der Höhle und auf dem Wege nach Iserlohn gepflogen wurden, wo die Gastfreundschaft unser mit offenen Armen wartete. Soll ich nun noch erzählen, wie die Einen Abends in den Strudel social-politischen Treibens hineingerissen wurden, während die Andern den letzten Zug benutzten, um der Heimath zuzurollen, und wie ein kleiner Bruchtheil der Gesellschaft, nicht zufrieden mit den Ergebnissen des einen Tages, noch am folgenden Morgen die Höhlen von Sundvig durchkroch, von den freundlichen Besitzern geleitet, um dort mit eigenen Augen sich von der frevelhaften Zerstörung der Tropfsteine und von der fabelhaften Anhäufung von Knochenlehm zu überzeugen, die noch jetzt, nach jahrelanger Ausschürfung, in diesen Höhlen zu finden ist? Ich denke, es wäre genug!