Die Iserlohner Höhle.
Von Gnom und Kobold spricht der Sage Mund,
Die in den Klüften, in der Berge Grund
Paläste bau’n von Gold und Edelsteinen.
Des Bergmanns Gattin hat’s dem Kind vertraut,
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Wie oft der Vater flüchtig schon geschaut
Beim Schein des Grubenlämpchens jene Kleinen.
Er sah sie nur, jedoch ein Sonntagskind,
So sagt die Mutter, jenen Schatz gewinnt,
Im Berg’ versteckt, im Felsenspalt verborgen,
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In Gruben, von der Zwerge Hand gemacht. –
Ich hab’ an jenen Märchenspuk gedacht
Aus rother Erde am Novembermorgen.
Hell war der Tag. Am grünen Tannenzweig
Hing klarer Thau; noch stand des Waldes Reich
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Im bunten Schmuck. An den Wachholderstämmchen
Tiefblaue Beeren, Vogelkirschen dort,
Und an dem Birkenbusch an Waldesbord
Ein jedes Blatt gleicht einem goldnen Flämmchen.
Hell war der Tag, doch was dem Blick er bot,
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Was war es? Nur der buntgeschmückte Tod!
Auf dem Paradebett des Sommers Leiche!
Die Lichter her! Dort ist der Höhle Thor.
Schon blitzt es schimmernd aus dem Spalt hervor.
Auf! Frisch gewagt die Fahrt zum Gnomenreiche.
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Wir treten ein. Jahrtausende hindurch
War fest verschlossen diese Felsenburg –
Ha, welche Pracht! Schau nach der Decke droben!
Ein Domgewölb’ von funkelndem Krystall –
Und dort ein eisgewordner Wasserfall,
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Ein Schleier dort, von der Natur gewoben.
Ein Palmenwald, dort eine Orgel gar
Und hier ein Wasserbecken, silberklar
Darin die Fluth und silberklar die Säulen,
Die es umsteh’n! Und hier von blankem Kalk –
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O, schaut nur – eines Bischofs Katafalk!
Und dort – o seht – sind es nicht Riesenkeulen?
So schafft Natur: im hellen Sonnenglanz
Da droben schaftt sie bunten Blüthenkranz
Und Laub und Frucht, schafft das Vergänglich-Schöne.
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Sie ruft die Sänger in den grünen Hain –
Da kommt der Herbst und Alles schlummert ein!
Verwelkt die Pracht, verstummt des Liedes Töne!
Dort, wo sie schaffend in die Tiefen steigt,
Dahin kein Strahl des Sonnenballes reicht,
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Da weiß sie Ewig-Schönes zu gestalten!
Da baut sie diese mächt’gen Säulen auf,
Krystall der Sockel und Krystall der Knauf.
Da bietet Trotz sie allen Zeitgewalten!
Dort oben auf dem Berg’ – wie lang ist’s her? –
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Da standen dort mit Schild und scharfer Wehr
Die Mannen Wittekind’s, zum Thale lugend
Nach Kaiser Karl und seiner Kämpfer Spur –
Und unter ihren Füßen schuf Natur,
Langsam zum Dom die Stalaktiten fugend.
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Dann auf dem Hügel heller Hörnerklang!
Auf stolzem Rappen sprengt hinab den Hang
Der Burgherr, ihm zur Seite seine Reiter.
„Mein ist dies Alles! Mein durch meine Kraft!“–
Und unter seinen Sohlen wirkt und schafft
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Mutter Natur an ihrem Werke weiter.
Held Wittekind, der Ritter – längst verweht
Die letzte Spur, doch herrlich prangend steht,
Was die Natur geschaffen in den Tiefen.
Wir treten ein in ihr Studirgemach;
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Wir zieh’n hervor, die unter’m Säulendach
In Nacht und Dunkel manch’ Jahrtausend schliefen,
Die Zeugen alter Zeit! Es rufet dreist
Ein Sonntagskind – es heißt der Menschengeist –
„Empor! Empor! Ihr sollt mir Rede stehen!
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Erzählen sollt ihr mir von dem, was war!
Genug geträumt! Mit Augen, hell und klar
will ich, Natur, jetzt in dein Lehrbuch sehen!“
Stein und Gebein – und doch ein reicher Schatz!
Das Reich der Vorzeit – aus den Trümmern hat’s
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Neu aufgebaut der Geist der Welt von heute!
wir sehn’s: Aus Moorgrund sprossen Farn und Schwamm;
Schwerhufig stampft’ des Mammuths Fuß den Schlamm;
Bär und Hyäne jagen nach der Beute.
Die Lichter flirrten. – Nun zurück zum Pfad!
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Noch einen Blick den Palmen und dem Bad
Der Venus – dann ade, Westphalens Höhle! –
Dort Iserlohn! Wenn’s „Weinheim“ wär’ genannt,
Wär’s richt’ger! – Gebt das Glas mir in die Hand!
Rheinwein herbei für eine Sängerkehle!
November 1868.