Textdaten
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Autor: Wilhelm Heine
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Titel: Schilderungen aus Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 606-608
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[606]
Schilderungen aus Amerika.
In den Adirondack-Bergen.
Von Wilh. Heine.[1]
Ein Stück Urwelt – Das Bäumetreiben – Das Flußtreiben – Das Flößen – Cheney, der gewaltige Jäger – Seine Abenteuer mit Panther, Wolf und Bären.

Den Norden des Staates New-York durchschneidet ein Zweig der großen Alleghanykette, die sich von Südcarolina bis hinauf nach Canada erstreckt. Obschon die Landstriche entlang der Meeresküste und entlang den großen Flüssen bis hinauf nach dem Ontario und Eriesee zu den bevölkertsten Gegenden der vereinigten Staaten gehören, so ist dieser Gebirgsstock (allgemein unter dem Namen „Adirondack“ bekannt) aus verschiedenen Gründen beinahe eine völlige Wildniß und Einöde geblieben, die mit Ausnahme von einigen Jägern und im Winter von Holzfällern nur von Bären, Panthern, Wölfen und Hirschen ohne Zahl bewohnt wird.

Ich besuchte während meines Aufenthaltes in Amerika diese wilde romantische Gegend verschiedene Male, und obschon die amerikanische Presse häufig Notizen über dieselbe und Pläne bringt, wie die darin verborgenen Reichthümer am besten auszubeuten wären, so ist dennoch, so viel mir bekannt, in deutscher Literatur dieser Gegend kaum anders als flüchtig erwähnt worden. Die Berge sind reich an Mineralien, und fruchtbare Thäler liegen dazwischen, aber die Einwanderung der Fremden hat sich noch nicht hierhergewendet. Noch liegen die Berge wild und trotzig, von ihrer alten ursprünglichen Urwalddecke umhüllt, von reißenden Wassern durchkreuzt, von Schluchten zerrissen. Ohne gebahnte Wege, nur auf den Führer und den Compaß als Wegweiser verwiesen, ist man genöthigt, Ströme zu durchwaten, Sümpfe zu umgehen und über ungeheuere Strecken vom Winde umgerissener Bäume zu klettern, und zuletzt, wenn die Nacht hereinbricht, hat man sein Lager aus den Zweigen der Fichtenbäume zu bereiten. Dehnte sich nicht eine Kette von Seeen durch die ganze Länge dieser Wildniß, sie wäre vollkommen unzugänglich. Längs dieser Wasserflächen, von der einen zur anderen, und um Wasserfälle oder Stromschnellen herum, rudern die Abenteuerer ihr Boot oder tragen es auf den Köpfen. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen möge sich der Leser einen Begriff machen, in was für eine Region wir ihn einzuführen im Begriffe sind.

Unwillkürlich stößt dem Leser die sehr natürliche Frage auf: Was für Leute leben da, und wovon leben sie? Die Antwort darauf dürfte sein: Holzfäller und Jäger. Es ist schwer, sich einen Begriff von der Quantität Holz zu machen, die jeden Winter von verschiedenen Theilen des Plateau’s nach Albany gebracht wird; tausend Menschen befinden sich dann auf derselben Stelle, wo jetzt vielleicht nicht ein einziges lebendes Wesen ist. Speculanten kaufen Land des Nutzholzes wegen und senden im Winter Provisionen für die Arbeiter, die das Holz fällen.

Blockhütten werden in den etwas gedeckt liegenden Schluchten für Menschen und Vieh errichtet, einige Stangen zwischen die Balken der Hütte getrieben, und so gelagert und ausgerüstet erklärt man den Kiefernwaldungen den Krieg. – Ochsen werden getrieben und gewaltige Stämme über ein Terrain fortgeschleppt, wo es kaum möglich scheint, Fuß zu fassen. Oft werden große Strecken der öffentlichen Ländereien nur der Kiefern wegen gekauft, die darauf stehen, und sind diese umgehauen, so läßt man Grund und Boden an den Staat zurückfallen, um nicht die darauf haftenden Steuern zu bezahlen. In den innersten Theilen zwar wird noch wenig Holz gefällt, da es unmöglich ist, dasselbe zu Markte zu bringen; allein so wie die cultivirten Strecken sich jährlich mehr ausdehnen, so nehmen die jetzt obwaltenden Hindernisse allmählich ab, und bald werden Straßen und schiffbare Flüsse jeden Punkt des Adirondack zugänglich machen. –

Hast du, lieber Leser, jemals einen Baum gefällt? Wenn nicht, versuche es; das Experiment ist der Mühe werth, sei es nur des Bewußtseins von Macht wegen, das es verursacht, oder des großartigen Eindruckes, den es hervorbringt, wenn der gewaltige Stamm mit seinen weiten Aesten zuletzt unseren Angriffen zum Opfer fällt und die gehabte Mühe reichlich lohnt. Der erste Hieb verursacht ein leises Zittern bis in den grünen Gipfel; allein wenn Streich auf Streich ohne weiteren Erfolg fällt, scheint es, als ob der alte Waldkönig unserer ohnmächtigen Anstrengungen spotte und sie mit stiller Verachtung ertrage. Endlich jedoch, wenn Fiber nach Fiber getrennt worden und zuletzt das Herz erreicht ist, ertönt ein leises Stöhnen, dann folgt ein Krachen, als ob der innerste Nerv verwundet sei. Der schöne Stamm wankt einen Augenblick, wie um seine gewaltige Masse zu stützen, neigt dann seinen hohen Gipfel und stürzt endlich mit einer Gewalt zu Boden, die Alles rings herum erdröhnen macht. – Da liegt er, seine mächtigen Arme zerbrochen umhergestreut, ein lebloser, zu Boden gestreckter Held. Seine Brüder nicken und zittern einen Augenblick über ihm, als ob sie seinen Fall mitempfänden, und dann ist Alles wieder ruhig.

Doch das Fällen eines einzigen Baumes ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem Verfahren, das man hier zu Lande „Bäume treiben“ (driving trees) nennt. Man lasse sich durch diese Benennung nicht verleiten, sich gleich einen ganzen Wald von Birnam auf das Schloß Dunsinane vorrückend vorzustellen, wie eine Heerde Schafe, die zu Markte getrieben wird; allein setzen wir uns für einen Augenblick an der Seite dieses Hügels nieder und betrachten wir den gegenüberliegenden Abhang. Gerade über jenem kahlen Flecken in dem dichten Gehölz haben so tüchtige Holzhauer, als je eine Axt schwangen, den Wald während der letzten drei Stunden von ihren regelmäßigen Axtschlägen ertönen lassen, und dennoch ist nicht ein einziger Baum gestürzt. Doch jetzt! seht, einer beginnt zu weichen, krach! krach! krack! krasch! ein ganzer Wald scheint zu fallen, und eine Lücke, so breit wie der Pfad eines Wirbelwindes entsteht. Die Holzhauer arbeiteten den Hügel hinauf und hinab, jeden Baum nur halb anhauend, bis sie zwanzig oder mehr theilweise gefällt hatten. Das thun sie nicht auf gut Glück hin, sondern wählen jeden Baum mit besonderer Berücksichtigung des ihm zunächst stehenden. Wenn nun zuletzt eine genügende Anzahl vorbereitet ist, so fällt man einen Baum, dessen Fall einen andern trifft, der schon angehauen worden, dieser einen dritten u. s. w., bis fünfzehn oder zwanzig auf einmal stürzen. Diese Arbeitsersparniß ohne Maschine nennt man „Bäume treiben“, und tüchtig getrieben werden sie, das muß wahr sein.

Allein nicht nur die Bäume, sondern auch die Flüsse werden getrieben, und dies ist eine der Merkwürdigkeiten des Lebens unter den Hinterwäldlern, wo man Flüsse statt der Straßen und Fuhrwerke benutzt. An den steilen Bergabhängen und längs der Ufer der Bäche, die im Frühjahre zu wilden Bergströmen anschwellen, fällt man im Winter die hohen Kiefern und Tannen und schleppt oder rollt ihre Stämme bis an den Rand des Wassers. Hier schlägt ein Jeder sein Markzeichen auf seine Stämme und wirft sie in den Strom, wenn derselbe vom Regen geschwollen ist. Der geschmolzene Schnee längs der Höhenzüge kommt in einem ununterbrochenen Strom herab, und die Flüsse steigen wie durch Zauberei bis über ihre Ufer hinaus, und eine breite unwiderstehliche Fluth schießt wie ein lebendes düsteres Geschöpf durch den tiefen Wald dahin. Der Schaum zischt und kräuselt sich auf dem dunklen Busen der Gewässer vorbei an den Büschen, die sich vor der Fluth beugen, und den Felswänden, die ernst auf den unten herrschenden Tumult hinabschauen, während die hüpfenden Wellen dahinschießen wie der Pfeil vom Bogen oder vielmehr wie ein sichtbarer Geist, der, in Vollziehung einer geheimnißvollen Botschaft begriffen, die einsamsten und wildesten Pfade der Wildniß sucht. Ich habe die wilden Wogen wie tolle Geschöpfe auf weiter See gesehen und mit fremdartigen Gefühlen die mondbeleuchtete Tiefe beobachtet, als sie gleich der Menschenbrust sich langsam hob und senkte; allein es ist etwas unendlich mehr Geheimnißvolles in der ruhigen und doch blitzschnellen Bewegung eines tiefen dunklen Flusses, ganz allein in seiner Macht und Majestät durch das Herz eines gewaltigen Forstes brausend. Man nimmt ihn kaum eher wahr, als bis man an seinem Rande steht, und dann scheint er ohne Nachsicht auf uns und die Außenwelt ernst vorwärts zu rauschen und einen schrecklichen verborgenen Zweck zu erreichen.

Solche romantische Betrachtungen jedoch beschäftigen das Herz eines Hinterwäldlers selten. Die erste Frage, die er sich stellt, sobald er, seinen Kopf durch die Zweige steckend, den Strom hinauf- [607] und hinabblickt, bleibt: „Ist der Strom tief genug, Stämme zu flößen?“ Ist es so, dann schnell an’s Werk – hinab rollen die Stämme, einer nach dem andern, hinab über Berg und Hang mit Sprüngen, Sätzen und einem Plantsch in’s Wasser!

Heftige Regengüsse hatten einst während meines Aufenthaltes in jenen Gegenden die Flüsse sehr angeschwellt, und durch den Wald wandernd hörte ich bald das unausgesetzte dumpfe Rauschen, das sich aus der blätterüberdachten Einsamkeit erhob. In wenigen Augenblicken stand ich auf einer hervorspringenden Felsenplatte und sah den dunklen schwellenden Strom vor mir, wie er aus dem grottenartigen Blätterdache weit oben hervorbrach, um sich weiter unten in einer ähnlichen Schlucht zu verlieren. Ich stand geraume Zeit in Gedanken verloren und schaute träumend hinab in das großartige Schauspiel.

Wie lange ich in dieser halb träumerischen, halb gedankenvollen Stimmung verharrt haben würde, weiß ich nicht, wäre ich nicht plötzlich durch einen von unten her ertönenden Ruf aufgestört worden. Die Felsenwand hinabklimmend erreichte ich bald ein steiles Ufer, an dessen unterem Rande mehrere Leute beschäftigt waren, Stämme in den Fluß zu rollen. Ich sah ihnen eine Weile zu, und ihre Kaltblütigkeit, womit der Eine, halb unter einem ungeheuren Haufen Stämme verborgen stehend, an denselben herumhieb, um ein ihren Lauf hemmendes Hinderniß zu beseitigen, während der Andere die ganze Masse mittelst eines langen Hebels am Fallen verhinderte, nöthigte mir Bewunderung ab. Nach einigen sehr kräftigen Hieben sah ich die ganze Masse sich in Bewegung setzen, und ein unwillkürliches „Hab Acht, hab Acht!“ entriß sich meinen Lippen in solch erschreckenden Tönen, daß der kaltblütige Holzhauer unter seinen Stämmen hervorsprang, als sei er von einer Natter gestochen worden. Gleich darauf aber, über seinen voreiligen Schrecken lachend, ging er wieder an seinen alten Platz zurück, während der Mann mit dem Hebel nicht einmal seinen Kopf umdrehte, sondern nur ein kurzes Brummen hören ließ, was ungefähr so viel sagen wollte als: „Grün-Nase aus der Stadt!“

Es war ein begeisternder Anblick, diese ungeheuren Stämme wie toll dahineilen zu sehen, und sehr bald darauf lehnte ich meine Flinte an einen Baum, zog den Rock aus und einen Hebel ergreifend stand ich hinter einem großen Stamme und schob und arbeitete an demselben herum, bis ich ihn in Bewegung gesetzt hatte, und er mit dumpfem Getön, von Felsen zu Felsen hüpfend, mit einem gewaltigen Sprung in die Mitte des Flusses fiel. Einen Augenblick verschwand er unter Wasser, tauchte wieder auf und stand einen Augenblick still, sich nur um seine eigne Achse drehend, und dann allmählich der Macht der Strömung nachgebend, schoß er dahin, einem unten befindlichen Felsblock zu. Gegen denselben anrennend schwang sich das obere Ende in die Mitte des Wassers hinein und jetzt, von der vollen Macht desselben ergriffen, schoß er, wie plötzlich belebt, schnell dahin.

Ist der Fluß sehr voller Stämme, so bleiben dieselben manchmal an Felsen oder in dem Strauchwerk und den Wurzeln der Ufer hängen und sammeln sich oft bis zu mehrern Hunderten auf einer Stelle. Diese liegen dann still auf der steigenden und fallenden Fluth, während einer der Arbeiter langsam und vorsichtig von einem auf den andern schreitend mit seinen Füßen und einer langen Stange umherfühlt, zu sehen wo das Hinderniß sich befindet. Ist dieses entdeckt, so sucht er es zu beseitigen, was ihm oft mit wenigen Axthieben gelingt, und die ganze verworrene Masse setzt sich oft auf einmal in Bewegung. Jetzt hab Acht, du kecker Waldgesell, dein Pfad ist ein unsicherer, und ein wilder tückischer Strom unter dir! Doch seht, wie ruhig er das Chaos überblickt! Die geringste Eile oder Verwirrung würde ihm vielleicht das Leben kosten, allein er schreitet ruhig und unbesorgt dahin, jetzt einen Augenblick sich auf einem Stamme balancirend, der schnell mit ihm dahin schießt, dann schnell auf einen andern springend, wenn der erste unter ihm zu rollen beginnt, und so nähert er sich allmählich dem Ufer. Er hat dasselbe beinahe erreicht, als plötzlich die ganze schwimmende Masse eine so weite Kluft öffnet, daß er nicht länger von einem zum andern schreiten kann, worauf er jedoch nach einem Augenblicke ruhigen Umhersehens sich auf einen Stamm „à cheval“ setzt und so auf seinem seltsamen Roß den Fluß hinabtreibt, bis sich ihm eine günstige Gelegenheit bietet, das feste Land wieder zu erreichen.

Die Stämme werden auf diese Weise oft zwanzig bis dreißig Meilen weit geflößt, aus den kleinen Flüssen in die größern, über Seeen und durch Ströme, und zuletzt an Ort und Stelle aufgefangen, indem man lange Stangen über den Fluß steckt, die ihren weiteren Lauf hemmen. Gewöhnlich vereinigen sich mehrere Eigenthümer zu einer gemeinschaftlichen Flöße, und ein Jeder sucht sich dann die ihm gehörigen Stämme nach den Markzeichen, die er darauf geschlagen hat, so wie die Bauern ein jeder die ihm gehörigen Schafe aus der Heerde heraussuchen.

Dieses „Flußtreiben“ (driving the river), wie man es hier zu Lande gewöhnlich nennt, bildet im Frühjahr eine der Hauptbeschäftigungen der Hinterwäldler, und es ist merkwürdig zu beobachten, wie der Fluß ein Gegenstand voll des höchsten Interesses wird; sein Steigen und Fallen bildet den Hauptgegenstand der Unterhaltung.

Erzählt man vom Walde, so erwartet der Zuhörer ohne Zweifel auch einige Jagdabenteuer, denn der Schall der Axtschläge hat noch nicht alles Wild hinweggetrieben, und selbst in der Mitte der Civilisation werden noch manchmal wilde Kämpfe mit Bären, Panthern und Elenthieren ausgefochten. Im Herzen des Adirondack lebt noch „ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn“, dessen tolle Abenteuer und Kämpfe seinen Ruf weit und breit verbreitet haben. Einige derselben theile ich Dir, lieber Leser, mit, so weit ich sie aus seinem eigenen Munde gehört habe.

Vor nunmehr länger als zehn Jahren gewann Cheney (damals ein junger Mann) eine so große Neigung für das Waldleben, daß er Ticonderoga verließ und mit der Büchse auf der Schulter in die unbekannte, unbetretene Wildniß eindrang. Dort lebte er Jahre lang von dem Ertrag seiner Jagd. Da er aber fand, daß die schwere und lange Büchse in den oft fast undurchdringlichen Dickichten eine überflüssige Bürde sei, so ließ er sich ein Pistol, etwa zwölf Zoll lang, mit einem Büchsenschaft machen; diese Waffe, sein Hund und sein Jagdmesser bildeten seine einzigen Gefährten. Ich sowohl als andere Besucher jener Gegend bedienten sich seiner häufig als Führer, wozu ihn seine genaue Bekanntschaft mit der Localität vortrefflich geeignet machte. Elenthiere, Hirsche, Bären, Panther, Wölfe und wilde Katzen haben zu ihrer Zeit häufig seine Bekanntschaft gemacht. Einst stieß er plötzlich auf einen Panther, der fertig zum Sprunge wenige Schritte von ihm lag. Er hatte nichts als seine Flinte und sein Messer, während die funkelnden Augen und die zusammengezogene Form des Thieres ihm verkündeten, daß ein Augenblick Verzug, ein Fehlschuß, ein schlechtes Zündhütchen eine jähe Umarmung, vielleicht einen Todeskampf zur Folge haben würde; allein unerschrocken und bedächtig brachte er die Büchse an die Schulter und feuerte just, als die Bestie im Begriff war zu springen. Die Kugel fuhr ihr in’s Gehirn, und mit einem wilden Sprung lag sie zuckend auf den grünen Blättern. Neugierig, zu erfahren, ob es ihn nicht etwas überrascht habe, sich plötzlich in so großer Nähe eines Panthers zu sehen, fragte ich ihn, wie es ihm zu Muthe gewesen sei, als er das Thier so nahe und zum Sprunge fertig gesehen. „Mir war zu Muthe,“ erwiderte er ruhig, „als ob ich es tödten würde!“ Ich war von der Einfachheit der Antwort, die nichtsdestoweniger ganz mit dem Charakter des Mannes übereinstimmte, vollkommen überrascht.

Sein Zusammentreffen mit einem Wolf war noch gefährlicherer Natur. Er stieß plötzlich auf das vor Hunger wüthende Thier, riß seine Büchse an den Backen und feuerte; allein da der Wolf im selben Augenblick einen Sprung machte, so traf die Kugel keine tödtliche Stelle, das wüthende Thier ward noch mehr gereizt und griff ihn mit fletschenden Zähnen grimmig an. Seine einzige Waffe war die abgeschossene Büchse, die er als Keule brauchte; allein der Kolben brach ab, und die ganz toll gewordene Bestie packte den übrig gebliebenen Lauf zwischen die Zähne, um ihn dem Jäger zu entreißen, der, da es jetzt einen Kampf auf Leben und Tod galt, gleichfalls wie ein Verzweifelter focht. In diesem Kampf trat der Wolf auf seine Schneeschuhe und brachte ihn zu Falle. Jetzt dachte Cheney, es sei Alles vorbei, wenn er nicht etwa seine Hunde, die den Wald durchstöberten, herbeirufen könnte, und in der That folgte auch bald einer derselben, ein junger Hetzhund, seiner Stimme; allein kaum hatte dieser die gefährliche Lage seines Herrn wahrgenommen, als er, den Schwanz zwischen den Beinen, wieder in den Wald zurückfloh. In diesem kritischen Augenblick jedoch sprang der andere Hund unter wüthendem Gebell auf die kämpfende Gruppe, und den Wolf im Genick packend, riß er ihn von seinem Herrn hinweg und gab diesem Gelegenheit, seine letzten [608] Kräfte zu einem gewaltigen Schlage zu sammeln und dem Raubthier den Schädel zu zerschmettern. Nach diesem Vorfall ließ er sich sein vorerwähntes Pistol machen.

Der Bär schläft bekanntlich während des größern Theiles des Winters. An einer warmen Stelle, in einer Höhle oder unter einem umgefallenen Baumstamm rollt er sich gewöhnlich zusammen und bereitet sich vor, die Zeit des harten Frostes zauberschlössermäßig zuzubringen. Nur von Zeit zu Zeit, wenn gelegentliches Thauwetter eintritt, schöpft er ein wenig frische Luft. Gegen das Frühjahr ist er dann mager und hungrig, und ein Zusammentreffen mit Braun ist dann gefährlicher, als wenn ihn Wohlbeleibtheit gutmüthiger stimmt. Cheney erzählte, daß er eines Tages beim Pirschen plötzlich durch die dünne Schneedecke brach und in das Lager eines Bären fiel, der sich zwischen den Wurzeln eines vom Winde umgestürzten Baumes seine Winterwohnung gewählt hatte. Es war ein warmer bequemer Platz, da der Schnee mehrere Fuß tief lag und ihn vollkommen gegen Frost und Wind schützte. Die unceremoniöse Weise, in der Cheney’s Beine mit Brauns Rücken in Berührung kamen, störten dessen Gleichmuth, und mit einem tiefen Brummen, das den Jäger veranlaßte, seinen Fuß schnell zurückzuziehen, sprang er aus dem Schnee hervor. Cheney hatte sein Messer kurz vorher seinem Jagdgefährten gegeben, der an der andern Seite des Berges jagte, um ihn weiter oben zu treffen, und besaß deshalb keine andere Waffe, als sein Pistol. Das aber konnte er kaum schußfertig machen, als der wilde Gesell ihm auch schon auf dem Leibe war. Unerschrocken zielte er jedoch zwischen die Augen der Bestie und drückte ab. Da versagte das Zündhütchen, und nicht im Stande, ein neues aufzusetzen, ergriff er das Pistol bei der Mündung und hieb damit nach dem Kopfe des Bären. Dieser jedoch parirte den Schlag mit einem Hieb, der die Waffe zehn Schritt weit fortschleuderte, und im nächsten Augenblicke rollten Beide im Schnee. Waffenlos war der Jäger jetzt nur auf seine Körperkraft angewiesen, und in diesem Ringkampfe hatte der Bär so entschieden das Uebergewicht, daß das Ende wenig zweifelhaft schien.

Gerade in diesem Augenblicke kam der Hund wieder seinem Herrn zu Hülfe, und den Bären von hinten angreifend, lenkte er dessen Aufmerksamkeit von seinem Opfer ab. Cheney, schnell emporspringend, sah sich nach seinem Pistol um und hatte das Glück, dasselbe in kurzer Entfernung mit dem Kolben aus dem Schnee hervorragen zu sehen. Er sprang darauf zu, setzte ein frisches Hütchen auf, reinigte den Lauf vom Schnee, befestigte seine Schneeschuhe wieder, die während des Ringens losgegangen waren, und eilte nun dem Bären nach, der, sich mit dem Hunde herumbalgend, den Hügel hinabgerollt war. Des Bären Kräfte waren jedoch zu viel für den Hund, den er bald schrecklich zugerichtet auf dem Wahlplatze zurückließ. „Ganz zerfetzt war er,“ sagte Cheney; „allein ich habe niemals bei einem Hunde solche Courage gesehen. Sobald er merkte, daß ich wieder zum Kampfe fertig war, sprang er auch, trotz seiner Wunden, wie toll hinter dem Bären her. Ich rief ihm zu, daß wir den Schuft haben müßten, und sollte es das Leben kosten, und er setzte ihm nach, eine blutige Spur zurücklassend. „Halt ihn fest!“ schrie ich, und er hielt ihn, bis ich hinangekommen. Ich zielte auf des Bären Kopf, allein die Kugel brach ihm nur die Kinnlade; ich feuerte nochmals, doch ohne ihn zu tödten, obschon die Kugel durch das Gehirn gegangen war, und erst beim dritten Schuß tödtete ich ihn, und ein Hauptkerl war er.“ – „Allein der Hund? was wurde aus dem wackern Hunde?“ – „O!“ lautete die Antwort, „der war schrecklich zugerichtet, ich schaffte ihn nach Hause und pflegte ihn, er ward wieder gesund, hat aber seit jener Zeit nicht mehr viel getaugt, die Rauferei war für ihn zu viel gewesen.“

Ich fragte ihn, ob Elenthiere manchmal den Jäger angriffen. „O ja,“ sagte er „die Kühe mit dem Kalbe thun es zuweilen, und eben so die andern, wenn verwundet oder zu arg bedrängt. Ich war einst jagen, als mein Hund zwei aufstöberte. Ich hörte die Büsche knacken und sah beide gerade auf mich zukommen. Sobald sie mich sahen, senkten sie ihr Geweih und kamen vollen Laufes angestürmt, so daß die Büsche und jungen Stämmchen wie die Pfeifenstiele knackten. Just zur rechten Zeit sprang ich hinter einen Baum und feuerte, als sie an mir vorbeischossen. Die Kugel ging durch das erste Thier hindurch und blieb im zweiten stecken.“

Cheney erlegt alljährlich etwa siebenzig Hirsche. Er hat in seinem Aeußeren durchaus nichts von der Rohheit, die oft den Jägern anhängt, sondern ist ein ruhiger, angenehmer Gesellschafter. Unter Anderem erzählte er mir, daß er einst einem Bären den ganzen Tag lang gefolgt war und mit Einbruch der Nacht endlich den Baum fand, auf den sich Braun zurückgezogen. Allein es war zu dunkel, um zu schießen, und so setzte er sich denn am Fuße des Stammes nieder, um zu warten, bis es Tag geworden und er schießen könne. Nach einer Weile jedoch schlief er ein und wachte erst am hellen Tage auf. Erschrocken sah er empor und fand bald, daß der listige Bursche den Schlaf des Jägers benutzt und sich aus dem Staube gemacht hatte. Cheney sagte, daß er sich in seinem Leben nicht so beschämt gefühlt habe, als von einem Bären übertölpelt zu sein.


  1. Unser berühmter Reisender befindet sich bekanntlich augenblicklich bei der preußischen Expedition nach Japan.
    D. Red.