Schön und jung zu bleiben
[893] Schön und jung zu bleiben, das ist ein uralter Wunsch der Menschheit. Die Sage vom Jungbrunnen war in verschiedenem Gewande allen Völkern bekannt, und in allen Herzen erwacht die Sehnsucht nach der entflohenen Jugend, wenn der erste Schneefall unsere Haare bleicht und das erste weiße Haar etwas wie ein fernes Echo des Trappistenspruches: „Bruder, bedenke, daß du sterben mußt!“ in unserer Seele weckt. Die Philosophie tröstet uns, indem sie das Greisenalter, das die Stürme der Leidenschaft nicht kennen soll, verklärt, aber ihre Lehren finden nicht immer Bekenner, die meisten Menschen würden auf Unsterblichkeit ohne Jugend verzichten, um nur das Los des Tithonos nicht zu theilen, dem die Götter auf Flehen der Göttin der Morgenröthe die Unsterblichkeit schenkten, dabei leider aber vergaßen, ihm die werthvollere Gabe der ewigen Jugend mit zu spenden. Tithonos schrumpfte bekanntlich derart zusammen, daß ein mitleidiger Gott ihn in eine Cikade verwandelte. Im Mittelalter suchten die Menschen nach dem Stein der Weisen, der verjüngende Kraft besitzen sollte, später zogen Charlatane wie Cagliostro und Graf von St. Germain Nutzen aus der Sehnsucht der Welkenden – und selbst in unserem aufgeklärten Zeitalter beschäftigt man sich mit Verjüngungskuren.
Die Wissenschaft selbst hat sich engere Schranken gezogen; sie hat längst den Jung- und Schönbrunnen entdeckt, soweit er in der vergänglichen Welt erreichbar ist. Sie spricht von der Hygieine, welche ein frühzeitiges Krank- und Welkwerden verhüten soll. „Lebt naturgemäß, meidet Modethorheiten, glaubt nicht den Geheimmittelkrämern, die euch Giftpomaden anbieten, und ihr werdet lange leben und lange schön bleiben“, das ist ihr Rezept!
Wie viel Artikel in Zeitungen, wie viel Bücher sind schon darüber geschrieben worden! Es scheint beinahe gewagt, die Leser und namentlich die Leserinnen von neuem mit Belehrungen über die Pflege der Haut, der Haare und der Zähne zu belästigen, und doch weiß der Arzt, daß es nöthig ist, denn viele werden krank in dem Bestreben, sich schön zu machen!
Viele gute Bücher werden nicht zu Ende gelesen, weil sie zu trocken, zu pedantisch geschrieben sind. Namentlich die Frauen möchten über solche Fragen nur plaudern, anstatt gründliche Auseinandersetzungen hören zu müssen. Diesen Ton trifft ein italienisches Büchlein „Die Hygieine der Schönheit“ von Paul Mantegazza, das in einer deutschen Uebersetzung erschienen ist (Verlag von Heinrich Matz, Königsberg i. Pr.). Es ist eine anregende Plauderei über die Kunst, die Schönheit zu erhalten, und aus der Plauderei ergeben sich die wichtigsten Regeln von selbst.
Die Rathschläge Mantegazzas sind leicht zu befolgen. Um das frühzeitige Ergrauen der Haare zu verhüten, soll man nur folgendes thun:
„Vermeide alles Uebermaß, das den Organismus schwächt. – Sei immer zufriedenen Herzens. – Bürste und reinige oft den Kopf. – Gieb nie einen Pfennig für Pomade oder kosmetische Mittel aus, die als wirksam gegen das Erbleichen der Haare angepriesen werden. Schneide das Haar häufiger als gewöhnlich, sobald es anfängt grau zu werden.“
„Manche reißen sich,“ fährt er dann fort, „die grauen Haare aus, so lange es nur wenige giebt; doch will Brown-Séquard beobachtet haben, was aber noch weiterer Bestätigung bedarf, daß, sobald ein graues Haar ausgerissen wird, an derselben Stelle gleich drei oder vier andere erscheinen. Das erinnert mich an den Gebrauch einiger Pferdehändler, die, um ihre Pferde mit einem weißen Stern auf der Stirn zu zieren, an einer und derselben Stelle beständig Haare ausreißen.“
Mantegazza bespricht auch ausführlich die Kleidung und widmet u. a. dem Frauenhut folgende Worte:
„Vom Frauenhut ist es überflüssig zu sprechen, denn er ist ein Ding, das nicht vorhanden ist oder dem Bereich der Archäologie angehört. Der Frauenhut der Gegenwart ist eine Ausstellung von künstlichen Blumen oder Pflanzen, von Vögeln oder nachgebildeten Früchten, oder er ist ein falscher Zopf oder ein Netz oder sonst etwas, nur kein Hut.
O, warum nimmt unser heutiges schönes Geschlecht nicht wenigstens jene braven Frauen zum Vorbild, die Ende vorigen Jahrhunderts ihren Kopf in kleine Gärten umwandelten, in denen lebende Pflanzen wuchsen und natürliche Blumen aufbrachen? Es wäre das immer besser, als den Kopf zu einem Museum der Vogelkunde oder zu einer Leichenhalle zu machen. Lesen wir, was die Frau Baronin von Oberkirch unterm 6. Juni 1782 in ihren Memoiren schreibt:
‚Ich mußte mich frisiren lassen und in Staat werfen, um mich nach Versailles zu begeben. Diese Hoftoiletten dauern eine Ewigkeit, und der Weg von Paris nach Versailles ist sehr mühsam, besonders wenn man achtgeben muß, daß die Unterröcke und Faltensäume nicht ruinirt werden. Ich wollte zum ersten Male einen Kopfputz versuchen, der sehr unbequem, aber sehr in Mode war; einige platte und der Form des Kopfes entsprechend gebogene Fläschchen, die etwas Wasser enthielten und in welche sodann natürliche Blumen mit ihren Stengeln hineingesteckt wurden. Das gelang nicht immer, aber wenn es gelang, war es doch etwas Schönes. Der Frühling auf dem Kopfe, inmitten des schneeweißen Puders, das war von bezaubernder Wirkung.‘“
Die Frauen werden die Hygieine der Kleidung nach Mantegazza nicht verwerfen, denn er stellt den Satz auf: „Das Weib mag sich schmücken, der Mann soll sich kleiden.“ Auch die Wollenen werden mit ihm zufrieden sein, denn er führt den Ausspruch Shakespeares an, daß im Flanell eine Art Zauberkraft stecke, und sagt: „Wolle und weiße Farbe, in diesen Worten sind drei Viertel der Hygieine der Kleidung enthalten!“ Ebenso [894] muß er die Schneider auf seiner Seite haben; denn er lehrt ja: „Mit dem Schneider ist’s wie mit dem Arzt: er darf nur so selten wie möglich gewechselt werden.“
Für Salben, Pomaden, Waschwasser etc. wird man vielleicht in anderen Werken neuere und mitunter bessere Anweisungen finden; bessere Grundsätze der Hygieine der Schönheit aber gewiß nicht, und darum dürfte auch die Vertiefung in das Büchlein, ein Plauderstündchen bei dem Florentiner Professor Mantegazza, für alle, die in Betreff ihrer Schönheit konservativ gesinnt sind, nicht nur unterhaltend, sondern auch nutzbringend sein.