Textdaten
<<< >>>
Autor: K. W.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Savoyen in Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[32] Savoyen in Paris. Alljährlich, wenn die jungen Spitzen der Gräser in den Thalgeländen von Chamouny, Sallenche und Maurienne durch die Märzsonne hervorgelockt werden, finden in diesen stillen Alpenthälern der Savoyerberge rührende Scenen des Abschieds statt. Hinaus in die weite Welt ziehen, von den Glück- und Segenswünschen der Eltern und Geschwister begleitet, Hunderte junger, kräftiger Söhne des Gebirges, vom zarten Knabenalter an bis zum Jünglingsalter. Sie ziehen hinaus in die weite Welt, nach Frankreich, England, Deutschland, Rußland, frohen Muthes und hoffnungsvoll, einst als reiche Leute – nach ihren Begriffen wenigstens reich – in diese stillen Gebirgsthäler zurückzukehren, und unbekümmert darüber, ob ihr Weg sie nach Paris, London, Berlin, Petersburg oder Moskau führt. Doch, daß wir der Wahrheit die Ehre geben, wenn es auch dem Savoyarden nicht darauf ankommt, ob er sich in London oder St. Petersburg sein Zukunftscapital verdienen soll, Frankreich und Paris gibt er doch immer den Vorzug, und der Weg von Chambery bis Paris ist zu dieser Zeit mit zahlreichen Trupps jener Gebirgskinder bedeckt, die in ihren hellbraunen groben Tuchjacken, ihren enganschließenden Hosen von derselben Farbe, dem breiten schwarzen Filzhute und den derben, mit zolldicken Sohlen benagelten Schuhen nach der Seinestadt ziehen, um hier als Schornsteinfeger, Stiefelputzer, Wasserträger, Holzspalter, Commissionärs, Bureaudiener, Handlungsauslaufer, Markthelfer, Comptoirdiener der Banken ihr Glück zu machen. Ihr Glück! Der Gedanke läßt sie alle die Entbehrungen und Mühseligkeiten, die ihrer harren, vergessen, und mit dem Gesange des alten Savoyardenliedes: „Dis Gazanetta vastitété lougha“, wandern sie auf der staubigen Landstraße dahin, an einem Quell ihren Durst stillend, in dem Quersacke ihr Frühstück und Mittagsbrod, aus Schafkäse und Schwarzbrod bestehend, tragend und in einer leeren Scheuer oder unter einem alten, schattigen Nußbaume am Wege ihr Nachtlager haltend.

In Paris angelangt, zerstreuen sich die Trupps, ein Jeder geht zu der Kolonie seiner Gemeinde, die in der Regel ihre gemeinschaftliche Wohnung hat. Es gibt gegen zehn solcher savoyischen Colonien in Paris, von denen einige fünf- bis sechshundert, andere noch stärker an Mitgliederzahl sind. Vor der Februarrevolution zählte man gegen zwanzigtausend Savoyarden in Paris, jetzt ist ihre Zahl vielleicht bis auf zwölftausend vermindert. Indessen darf man nicht annehmen, daß diese zwölftausend Savoyarden nur in jenen niedrigen Stellungen sich ihre Existenz in Paris schaffen, sie bekleiden auch sehr einträgliche Aemter, besonders Vertrauensposten bei Bankiers und Banken, und es gibt manchen unter ihnen, der als Geldausträger gegen zweitausend Franken und mehr Besoldung hat. Ihre Hauptempfehlung ist ihre Ehrlichkeit und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß ein großer Haupttheil des Mobiliarvermögens von Paris durch die Hände der Savoyarden, in ihrer Eigenschaft als Commissionäre, Bureaudiener, Geldausträger etc. geht. Es wird aber auch jeder Vertrauensmißbrauch, den sich Einer von ihnen zu Schulden kommen läßt, streng bestraft und zwar von ihnen selbst. Der Verbrecher wird ohne Weiteres aus ihrem Gemeinwesen ausgestoßen.

Es hilft ihm nichts, wenn er glaubt, sich in der großen Stadt verbergen zu können; die ganze Savoyardencolonie von Paris wird sein Verfolger und Aufspürer, und früher oder später wird er entdeckt. Ist er gefunden, so muß er in Gegenwart der Aeltesten seiner Gemeindecolonie vor dem ersten Eckstein niederknieen und ihn küssen. Dann gibt man ihm sein Bündel auf die Schultern und führt ihn zu der Barriere hinaus, mit der strengen Weisung, nie wieder nach Paris und Frankreich zurückzukehren. Die Polizei weiß dies und überläßt deshalb auch in den meisten Fällen, wo es sich nämlich um Vertrauensmißbrauch handelt, die Strafe der Gemeinde selbst. Sie ist härter, als sie erscheint. Denn der ausgestoßene Savoyarde muß auf die Realisirung seines Zukunftstraumes verzichten, und muß zum wenigsten in einem andern Lande von vorn beginnen. Die Zeit ihres Pariser Aufenthaltes beträgt in der Regel zehn bis zwölf Jahre. Während dieser vielen Jahre gönnen sie sich kaum ein Mal jährlich eine Erholung. Arbeit und Entsagung ist ihre Parole. Gleichgültig geht der braune Sohn der Savoyerberge an den verführerischen Herrlichkeiten der Seinestadt vorüber – ihn rührt nichts, er gönnt sich weder einen Schoppen Wein, noch besucht er jene Orte des Vergnügens, wo der Pariser Arbeiter sein Geld und oft auch seine Gesundheit in wilder Debauche vergeudet. Das Augenmerk des Savoyarden in Paris ist einzig und allein auf den Erwerb einer Summe von acht- bis zehntausend Franken gerichtet, mit denen er sich in seiner Heimath ein Landgut kaufen, und dort als behäbiger Pächter oder Viehmäster leben kann. Sie schicken deshalb alljährlich ihr erspartes Gut nach Hause, woselbst die Anverwandten es im Ankauf eines Stück Feldes oder Hauses anlegen. Jetzt geben jedoch viele Savoyarden ihr Geld auf die Pariser Sparcassen, ja Manche speculiren damit sogar auf Hausse und Baisse an der Börse und haben ihre Agenten in der Coulisse, wie Mirès und Rothschild. Zuweilen kauft der Savoyarde sich in Paris auch einen Regenschirm von rother bunter Seide, eine schöne silberne Uhr mit Berloque, ein paar bunte ostindische Taschentücher – aber nie denkt er daran, diese Gegenstände in Paris zu benutzen. Er kauft sie, um einst in der Heimath, nach der all sein Sinnen und Trachten steht, damit glänzen zu können, und mit ihrer funkelnden Herrlichkeit das Herz eines savoyischen Mädchens zu erobern, dem er schließlich auch seine Hand schenkt. Denn selten oder nie heirathet ein Savoyarde eine Pariserin, deren zerbrechliche, ätherische Schönheit ihm als eine zu zarte, reizbare Pflanze erscheint, um sie in die strenge, rauhe Luft seiner Heimathsberge zu versetzen, deren dunkle Felsenthäler ihm tausendmal reizender erscheinen, als das glänzende Bois de Boulogne oder die Elyseischen Felder.

K. W.