Süddeutsche Ausflüge (1)

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Titel: Süddeutsche Ausflüge – Der Königsee
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Süddeutsche Ausflüge.
Nr. 1. Am Königsee.


In Duft verklärt die ew’gen Berge stehen,
Im gold’nen Sonnenschein,
Und ihre ernsten Riesenhäupter sehen
Tief in den See hinein.

O wär’ mein Herz, von manchem Sturm ermüdet,
Der Woge Bild!
So unerschöpflich, doch so still umfriedet,
So ruhig, klar und mild!

M. Quednow.

Im südöstlichen Winkel der Provinz Oberbaiern streckt sich eine Gruppe gewaltiger Bergriesen weit in’s Salzburgische hinein. Sie überragen stolz die umliegenden Höhen und schauen trotzig in’s Nachbarland hinüber; es sind gar wetterfeste und unbezwingbare Recken, die dort die Grenze bewachen. An jenes Hochgebirg schmiegt sich ein reizendes, in seiner Art wohl einziges Ländchen, die ehemals gefürstete Propstei Berchtesgaden mit der Ramsau, welches Gebiet auf einem verhältnißmäßig kleinen Raume die großartigsten Partien deutscher Alpen in sich schließt. Himmelhohe Berge mit beeisten Häuptern, wildzerrissene Klüfte und schauerliche Felsöden, saftiggrüne Auen und dunkle Nadelwälder, smaragdne Seen und donnernde Wasserfälle, liebliche Thäler und freundliche Gehöfte sind hier in theils imposanter, theils anmuthiger Abwechselung vereinigt. Den Glanzpunkt dieser romantischen Gegend bildet unstreitig der Königsee, dessen tiefklares, grünes Wasserbecken, von 8000 bis 9000 Fuß hohen Felswänden eingeengt, sich über zwei Stunden weit in das mächtige Gebirge hineinzieht.

Es war ein prächtiger Herbstmorgen, als ich eines Tages von Berchtesgaden nach dem Königsee aufbrach. Die säuselnden Lüfte und rauschenden Wasser, die thauigen Wiesen und sonnigen Höhen, das melodische Geläute weidender Heerden und die fröhlichen Jauchzer ihrer Hirten – kurz, Alles was ich sah und hörte, erregte in mir ein selten empfundenes Gefühl von Lebenslust und Wanderdurst. Der tosende Albe entlang führte mich der Pfad bald im Schatten hoher Ahornbäume, bald durch finstern Tannenforst, dann wieder durch freies Feld; zuweilen begegneten mir geschäftige Landleute, die freundlich „Grüß Gott!“ boten; bald war’s ein rothwangiges Maidi, das schüchtern grüßend an mir vorüber eilte, bald ein stämmiger Bursche, der mit der Holzaxt oder mit Büchse und Eisstock nach der Höhe schritt.

Allmählich öffnete sich das Thal, und durch’s lichte Gehölz schimmerte schon von ferne der Spiegel des Sees. Eine Viertelstunde später war ich mit einem Sprunge in’s Boot und mit einem kräftigen Ruderschlage mitten auf den tiefen See hinausgekommen; ein alter Schiffer und sein schmuckes Töchterlein begleiteten mich als Ruderer. Noch einen scheidenden Blick werfen wir auf das traute Fischerdörfchen, das wir eben verlassen, dann umfahren wir rasch den aus dem See steigenden Falkenstein, und jetzt erst zeigt sich uns der Königsee in seiner ganzen Ausdehnung. Rechts erheben sich aus der dunklen Fluth die Vorläufer des Watzmann, dessen Gipfel hier nicht sichtbar sind, links treten die steilen Wände der Gotzenalp an’s Wasser, während im Hintergrunde das schneebedeckte Stuhlgebirg mit der 8400 Fuß hohen Schönfeldspitze thront. Am östlichen Ufer springt muthwillig der Königsbach in weitem Satze über den rothen Felsen herab; daneben gähnt uns ein Felsrachen entgegen, genannt das Kuchler-Loch, durch welches ein Theil des Sees abfließen und jenseits der Berge den Gollinger Wasserfall bilden soll.

Etwas südlicher, ebenfalls am östlichen Gestade, lockt ein kleines grünes Vorland, gleich einer Oase in der Felsenwüste, an’s Ufer; das ist die Wallner-Insel. Dort ließ ich mich an’s Land setzen, um den aus enger Schlucht hervorbrechenden Kesselbachfall zu betrachten und alsdann das Gebirg zu erklimmen. Auf diesseitiger Felswand der Kluft ist eine merkwürdige Inschrift in den Stein gegraben. „Ewiger, dich spricht das Gestein, dich das Brausen der Gewässer, wann wird meine Seele dich schauen?“ Der Urheber dieser schönen Worte dürfte aber weder die Krimlerfälle im Pinzgau, noch den Gießbachfall im Berner Oberlande gesehen haben, sonst wäre er schwerlich durch den Anblick des zwar hübschen, doch an und für sich unbedeutenden Falles des Kesselbachs zu solch poetischer Begeisterung hingerissen worden.

Ohne Zweifel wird mir der freundliche Leser auf meiner Wanderung nach der Gotzenalp gern Gesellschaft leisten, und so wollen wir denn rüstig die Bergtour beginnen. Vom Kesselbachfall führt, an einer verfallenen Klause vorüber, ein ziemlich guter Reitweg in vielfachen Krümmungen zur Alp hinauf; König Max II. von Baiern hat diesen Weg erst vor wenigen Jahren wegen seiner Gemsjagden auf der Regenalm anlegen lassen. Beim Aufwärtssteigen fesselt uns öfters an den offenen Waldstellen ein entzückender Blick auf den unten glitzernden See und auf die drüben schroff [316] abfallenden Berge. Je höher wir kommen, desto prächtiger wird die Aussicht, doch unbeschreiblich großartig ist das Panorama, das sich vor unsern Augen entrollt, sobald wir die Gotzenalp und zumal den noch ein wenig höher gelegenen Feuerpalfen (4000 Fuß ü. M.) nach dreistündigem Steigen glücklich erreicht haben. Von allen Seiten umstarren uns da die eisgepanzerten und wildzerklüfteten Bergkolosse von acht- bis neuntausend Fuß Höhe. Den Süden beherrscht die Gletscherwelt des steinernen Meeres, aus welchem die übergossene Alm, das Teufelshorn, die Schönfeldspitze und mehr nach vornan die Simetspitze in die Lüfte emporragen; an diese reiht sich im Westen, uns gerade gegenüber, der Watzmann mit seinen ausgezackten Hörnern. In nördlicher Richtung erblicken wir links den Dreisesselkopf und das Thal von Reichenhall, rechts den sagenreichen Untersberg und davor die malerischen Häusergruppen

Der Königssee.

von Berchtesgaden; östlich zwischen dem Untersberg und dem hohen Göll taucht über Hallein hinweg die Gegend von Salzburg mit dem Gaisberg auf. Am Dachstein vorbei zeigen sich weiter im Osten die dunklen Höhen des Hagengebirges, und dahinter, am äußersten Horizonte, verdämmern die Bergkuppen des Tännengebirgs. Tief unten am Fuße der jähen Felswand, auf der wir stehen, schimmert der ruhige, spiegelglatte See, und drüben auf der lieblichen Au prangt das einsame Forsthaus mit dem Wallfahrtskirchlein zu St. Barthelmä.

Welch mächtigen Eindruck übt so eine Bergwelt auf unser Gemüth! Sobald sich das Auge an dem unvergleichlichen Bilde gesättigt hat, überwältigt uns eine ernste, feierliche Stimmung. Wir glauben uns in solch großer, erhabener Natur dem Allmächtigen viel näher gerückt und bewundern mit Ehrfurcht diese kühnen Werke der Schöpfung, die Zeugen der Macht und Herrlichkeit Gottes. Doch fühlen wir uns bald verlassen in dieser schauerlich wilden Umgebung und sehnen uns zurück unter die Menschen und auf die Scholle Erde, an die wir so fest gekettet sind. Und so ging es auch mir, nachdem ich mich da oben eine Weile in stille Betrachtung vertieft hatte; eine unerklärliche Sehnsucht bemächtigte sich meiner und trieb mich wider Willen fort von jener Stelle, fort nach den Sennhütten der Gotzenalp zurück, die mich jetzt ganz anheimelten.

In dem Waser-Kaser, einer der größeren Hütten, hieß mich eine freundliche Sennerin willkommen und bewirthete mich reichlich mit dem Wenigen, was sie hatte, mit Roggenbrod, Butter und Käse. Das Maidi war zudem von recht sauberem Aussehen, und sein Feiertagsgewand – rothes Mieder mit weißem Vorhemd, kurzer, schwarzwollener Rock und grüngestickte Strümpfe – stand ihm ausnehmend gut. Sie hatte sich aber, wie es schien, nur ihrem „Bua“ zulieb so festlich aufgeputzt. Dieser, ein flotter Bursche, war heute zum Besuche aus dem Thale heraufgestiegen, um sich nach seinem „Deandl“[1] umzuschauen und ihm etwas von daheim zu erzählen. Resei[2] klagte dann über das einsame und langweilige Leben, das sie hier oben auf der Alm führe, worauf sie der Toni[3] mit der baldigen Heimkehr tröstete und wieder aufzuheitern versuchte, was ihm auch bald gelang. Mittlerweile ließ ich mir mein frugales Mahl wacker schmecken – denn die Bergluft würzt ungemein den Appetit – und betrachtete mit wahrem Vergnügen die beiden schlichten Naturkinder, welche sich im Uebermuthe der Jugend und der Liebe bald singend, bald scherzend neckten und kosten, und dabei in der armseligen Hütte glücklicher schienen, als manches Fürstenpaar im stolzen Palaste. Schade, daß ich kein Zeichner bin; das hätte eine prächtige Skizze für mein Reisetagebuch gegeben!

Nach einem freundlichen Abschiede von den muntern Leutchen machte ich mich wieder auf den Rückweg und fand, unten am See angelangt, gleich ein Boot, dessen Fährmann mich nach St. Barthelmä hinüber bringen mußte. St. Barthelmä wird das alte, 1732 erbaute Jagdschloß mit der dabei stehenden Wallfahrtskapelle genannt, die sich auf grüner Matte fast an das Gebirge lehnen. [317] Zum Feste des Sanct Bartholomäus (24. August) strömen hier Tausende von Wallfahrern aus den nachbarlichen Bergen herbei, und in der darauffolgenden Nacht leuchten auf allen Höhen jener Gegend lodernde Festfeuer. Der Sage nach stand schon 1134 auf dieser von aller Welt abgeschiedenen Halbinsel eine Kirche, wo manches Wunder vollbracht wurde.

Im Jagdschlößchen wohnt ein alter Förster, bei dem man gutes Bier und die berühmten Saiblinge, eine Art von Lachsforellen, findet. Ein paar hübsche, herzige Mädchen, vermuthlich seine Töchter, besorgen das Hauswesen und bedienen die Gäste, die von solch ungeahnten ländlichen Schönheiten auf’s Angenehmste überrascht werden. Leider konnte ich nur kurze Zeit im behaglichen Försterstübchen weilen, da die anrückende Nacht an baldigen Aufbruch mahnte. Zwei thüringische Maler, die mich als deutschen Landsmann beim schäumenden Glase begrüßt hatten, forderten mich auf, die Rückfahrt nach dem Dörfchen Königsee in ihrer Gesellschaft anzutreten, wozu ich mit Freuden einwilligte. Der Abend war entzückend schön, als unser Boot vom Lande abstieß und fast lautlos über die ruhige Fluth dahinglitt. Vom glühenden Roth der scheidenden Sonne übergossen, spiegelten sich prachtvoll noch einige der höchsten Bergspitzen in dem dunklen See ab, über den sich schon die Dämmerung zu lagern begann. Die beiden Maler schienen jedoch weniger von der magischen Beleuchtung der Landschaft gefesselt zu sein, als vielmehr von unserer Schifferin, einer schmucken Blondine, die mit ihrem Bruder gemeinsam und schweigend das Ruder führte. An der sogenannten „Schallwand“ feuerte der Bursche eine Pistole ab, da rollt ein langhaltendes Echo in starken Schlägen gleich Donner durch das ganze Gebirg, und nach einer Weile, als bereits Alles stille geworden, vernehmen wir aus der hintersten Ecke des Bergkessels noch einmal den Wiederhall des Schusses. Ein zweiter Schuß wird losgebrannt, wieder kracht und dröhnt es dumpf und hohl durch die Berge; ein dritter und letzter Schuß folgt, diesmal von einem freudigen Hurrah unsererseits erwidert. Nun erreichten wir in Kurzem das Ziel unserer Fahrt, den Ort Königsee. Im dortigen Wirthshause trafen wir eine lustige Gesellschaft von Malern aus den fernsten Gauen des weiland deutschen Reichs beisammen, die alle hierher gekommen waren, um die großartigen und imposanten Staffagen der Umgegend zu studiren und sie mit werthvollen Skizzen auszubeuten.

Als ich später dem lärmenden Kreise entschlüpfte, um nochmals an den See hinauszugehen, stand der Vollmond hell und glänzend über den schwarzen, geisterhaften Bergen. Wie ganz anders war jetzt die Physiognomie der Landschaft! Welche Unterschiede zwischen den Eindrücken des heutigen Morgens, wo ich den Königsee zum ersten Male erblickte, und jenen der Abendfahrt, wo ich von ihm Abschied nahm! Und nun die warme, herrliche Nacht, und diese zaubervolle, fast märchenhafte Umgebung! –

Von etwas träumerischen Gedanken beschäftigt, hatte ich eine Zeitlang am Strande geruht, als ich plötzlich ein sonderbares Geräusch über den See zu vernehmen glaubte. Ich lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit, das Geräusch wird als ferne Ruderschläge hörbar, und es ertönt dazu ein sanfter, schöner Gesang. Immer lauter schallen die Lieder, immer näher plätschern die Ruder, und immer reger wird der Wasserspiegel. Ein Kahn nähert sich allmählich dem Ufer, und darin sitzen einige Mädchen vom Dorfe, welche die schöne Nacht noch so spät auf den See gelockt hatte. Jetzt halten sie unweit vom Gestade an und singen ein Alpenlied, das eine tiefergreifende, sehnsuchtsvolle Melodie hat. Sobald der Gesang beendigt war, landete das Boot; schäkernd und jodelnd hüpften die munteren Dirnen an’s Ufer, wo sie von den Dorfburschen jauchzend empfangen wurden.

Glücklich und beneidenswerth möchten uns diese schlichten Menschen in den Bergen dünken, wenn wir nicht wüßten, daß auch sie Leid mit Freud tragen müssen, wie ja Alle, die auf Erden wallen. Einen für das Leben kostbaren Schatz bewahren sie aber: es ist das ihre allgemeine Genügsamkeit und die daraus hervorgehende Zufriedenheit mit ihrem oft harten und entbehrungsvollen Dasein!


  1. Deandl; baierisch statt Mädchen.
  2. Resei s. v. a. Therese.
  3. Toni s. v. a. Anton.