Textdaten
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Autor: Br.
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Titel: Ruhm und Nachruhm
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 83
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[83] Ruhm und Nachruhm. Die schwierigste aller Voraussagungen ist doch die über geistige Unsterblichkeit. Wie viele von ihrer Mitwelt in die Wolken gehobene Namen sind heute zu Sternlein dritter und vierter Größe zusammengeschrumpft, wie viele andere strahlen heute als Leuchten ersten Ranges, von denen ihre Zeitgenossen wenig wußten! In welchem Dunkel Shakespeare lebte und webte und dahinging, ist bekannt – haben sich ja doch auf diesen Umstand die abenteuerlichsten Hypothesen gegründet! Auch Cervantes, der größte Dichter Spaniens, wurde nicht entfernt nach Gebühr gewürdigt, und Molière, der Corneille und Racine so weit überragt, galt der großen Menge gegen sie nur als lustiger Possenreißer. Selbst Ludwig XIV. war hocherstaunt, als ihm der feinsinnige Boileau auf seine Frage, wen er für den größten Dichter Frankreichs halte, ohne Zögern erwiderte: „Molière, Majestät!“

„Wirklich?“ entgegnete zweifelnd der König. „Das hätte ich nicht für möglich gehalten!“

Es gereicht demselben Boileau zur hohen Ehre, daß er, im Gegensatz zu den Gelehrten seiner Zeit, unter der schlechten Uebersetzung den Geist Homers fühlte, während später Voltaire die Aeneis des Virgil hoch über die Ilias stellte und in Deutschland Thomasius versicherte, daß jeder vorurtheilsfreie Leser Hans Sachs unbedingt den Vorzug vor Homer geben müsse!

Und wie erging es erst den Musikern! Mozart mußte sich nach der ersten Aufführung des „Don Juan“ von der Berliner Kritik die unsterblichen Werke „eines Gretry, Montigny und Philidor“ vorrücken lassen im Gegensatz zu seiner „gekünstelten Oper“; über Beethovens „Fidelio“ schrieb 1806 Kotzebues Blatt, alle unparteiischen Musikkenner seien einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, das Ohr Empörendes noch nie in Musik geschrieben sei!

Aber auch Weber, der melodienreiche, entging demselben Schicksal nicht. Zelter, dessen musikalisches Urtheil für Goethe so maßgehend war, schreibt nach der ersten Aufführung des „Freischütz“: „Von eigentlicher Leidenschaft habe bei allem Gebläse wenig bemerkt – Teufel schwarz, Tugend weiß, Orchester in Bewegung, und daß der Komponist kein Spinozist ist, magst Du aus dem Umstand abnehmen, daß er ein so kolossales Nichts aus eben benanntem Nihilo erschaffen hat.“

Ludwig Tieck aber, das ästhetische Orakel seiner Zeit, nennt den „Freischütz“ ganz kurz „das unmusikalischste Getöse, das je über die Bühne getobt ist“.

Sollte man solchen Beispielen der Vergangenheit, die sich noch unendlich vermehren ließen, gegenüber nicht auch manchmal an der Unfehlbarkeit unseres heutigen Geschmackes im Bewundern und Verdammen einen stillen Zweifel hegen? Br.