Ruchtraut von Allmendshofen und die Kirche von Mistelbrunn

Textdaten
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Autor: Karl Alois Fickler
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Titel: Ruchtraut von Allmendshofen und die Kirche von Mistelbrunn
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 454–457
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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[454]
1.
Ruchtraut von Allmendshofen und die Kirche von Mistelbrunn.

Welcher Bewohner der Baar oder des Schwarzwaldes kennt nicht das kleine Dorf Mistelbrunn, welches von den letzten Abhängen des Schwarzwaldes über die schwäbische Hochebene der Donauquellen herabblickt? Dunkler Tannenwald säumt von drei Seiten es ein und fügt zu dem, an die heilige Mistel erinnernden Namen seltsame Ahnungen einer großen Vergangenheit, welche sich unter Andern auch zu der Volkssage gestalteten, daß unfern des Ortes, wo das Gebirg in jähem Abfalle in das Thal der Brege sich senkt, einst eine Stadt gestanden: Laubenhausen, durch Handel mächtig und blühend, lange bevor die Zähringer sich Villingen erbauten. – In der That zeugen auch die Hünengräber, welche man eine halbe Stunde gegen Osten bei dem heutigen Sebastianskreuz unfern Hubertshofen entdeckte, eben so wie die nicht allzuferne Hügelstätte auf der Windistelle bei Waldhausen, für ältern Anbau der rauhen Gegend, als man anzunehmen geneigt ist. Die wenigen Häuser Mistelbrunns aber reihen sich um eine Kapelle, die einstens um die Hälfte größer gewesen seyn soll, bis Unlust, dieselbe in baulichen Ehren zu halten, sie dem geringern Bedürfnisse an Raum anpaßte. Das Innere zeigt eben nichts Merkwürdiges, außer einem löschpapiernen Brustbilde des heiligen Markus, welches an der Stelle eines steinernen steht, das einstens nach Bräunlingen in feierlichem Umzuge getragen und hier oder dort in einen Brunnen getaucht wurde, – wie alte Leute noch wissen wollen, – um nasse oder trockene Witterung zu erflehen. Eine Votivtafel nehme ich aus, welche eine Waldkirche darstellt, gegen die ein Paar [455] Ochsen aus einem Dorfe heraus einen Sarg führen, von Fackelträgern umgeben. Die Erzählung davon im Volksmunde lautet also: In alten Zeiten haben in dem Dorfe Allmendshofen bei Donaueschingen reiche Ritter gewohnt, denen fast die ganze Gegend gehörte. Einer von ihnen hatte eine Tochter, Ruchtrud mit Namen, welche an frommer Gesinnung die Ihrigen weit übertraf. So weit ging ihre Frömmigkeit, daß sie mit der Andacht in ihrer Schloßkapelle sich nicht begnügte, sondern mitten in der Nacht vom Lager sich erhob und ihrer zarten Füße nicht schonte, um vor Tagesanbruch dem Frühgottesdienste anzuwohnen, welchen in der drei Stunden entfernten Kirche von Mistelbrunn ein frommer Priester hielt. Damals aber deckte die ganze Gegend dichter Wald, wovon die wenigen Tannen des Hasenwäldchens bei der Allmendshofer Ziegelhütte die letzten Zeugen sind. Doch wie die Jungfrau ohne Vorwissen der Eltern ihre Andacht verrichtete, so mußte sie auch ohne Begleitung den schaurigen Weg antreten. So wie sie aber zum ersten Male den Wald betrat, ward es plötzlich helle vor ihren Augen, denn siehe! ein Hirsch von siebzehn Enden stund vor ihr; auf jeder Zacke seines Geweihes flammte ein Licht, und er geleitete sie durch des Waldes Dickicht den geradesten Weg, bis von der heiligen Stätte die erleuchteten Kirchenfenster ihr entgegen glänzten. Und oftmals machte sie den Weg in lauen Sommernächten und oft über den knisternden Schnee der winterlichen Gegend; aber immer ging leuchtend und begleitend der Hirsch vor ihr her. Endlich kam die Zeit, da sie, nicht mehr in der Kirche von Mistelbrunn, sondern vor dem Throne der Herrlichkeit selbst Gott anschauen sollte. Da ließ sie die Ihrigen an das Todbette kommen und nahm ihnen das Versprechen ab, sie nicht in der Familiengruft, sondern dort zu begraben, wo es Gottes Wille sey. Da legten sie nach ihrem Hinscheiden den Todtenbaum auf einen Wagen und spannten diesem zwei des Joches ungewohnte Stiere vor und uberließen ihnen, zu gehen, wohin sie wollten. Die Leidtragenden aber und ganz Allmendshofen, denn Alle hatten das fromme Fräulein lieb gehabt, folgten von ferne nach.

Und siehe! die Thiere zogen durch Dick und Dünn den geraden Weg durch den Wald, und als sie vor der Kirche zu Mistelbrunn angelangt waren, legten sie sich vor dem Kirchhof [456] nieder. Die Ihrigen aber begruben sie in derselben Kirche und als die Herren von Allmendshofen schon lange ausgestorben waren, gedachten die armen Leute des Dorfes immer noch der frommen Ruchtrud und ehrten ihr Gedächtniß durch ein Votivbild. Wirklich läßt sich auch auf der Votivtafel an der Kirche des abgebildeten Dorfes der Thurm von Allmendshofen nicht verkennen und die Tafel selbst trägt folgende gereimte Inschrift:

Rucht-Traut von Allmendshofen war mein Nam
Aus Andacht und Geids (Begier) Gottes ich nemlich kam
In diese Kirchen in vil Zeit zur Nacht
Herzue ein Hirsch mein hat guot acht
Von Gott aus gnaden zuo gesandt
Zu solcher Fahrt mir fleißig gant
Darum wie Gott bis an mein End
All meine Sachen glücklich gwendt
Darnach zwei Stier des jochs nit gwan
Mich hieher gefiert ohn ein Fuhrmann.
Da ich dann ruohe in disem Grab
Und wart des Herrn jngsten Tag
Als man zelt in der Zeit zwar 1584 iar.
Verneuert von der gemeind allmendshofen 1775 iar.

Die historische Kritik der Sage ist nicht leicht. Zwar hat es allerdings ein reichbegütertes Geschlecht der Herrn von Allmendshofen gegeben, dessen urkundliches Vorkommen und Erwähnung im Seelenbuche des Klosters Maria Hof (S. die Beil. zum Herbstprogramm des Gymnasiums in Donaueschingen, 1845) bis zum Ende des 16. Jahrhunderts reicht. Auch das ist gewiß, daß im Geiste der Zeit, besonders unter den weiblichen Sprößlingen, die Andacht besonders gepflegt wurde, wie denn eine große Anzahl derselben in dem oben erwähnten Kloster den Schleier nahmen.

Allein die Hauptschwierigkeit liegt in der Oertlichteit. Angenommen, das Bedürfniß der Andacht habe die Jungfrau in eine auswärtige Pfarre geführt – und die nahe alte Pfarrkirche von Eschingen habe ihr nicht genügt; – warum besuchte sie nicht Hüfingen, wohin seit dem 14. Jahrhundert Allmendshofen eingepfarrt war; oder wenn die Begebenheit in noch frühere Zeit fällt, Bräunlingen, die Mutterkirche von Hüfingen und Allmendshofen, durch welche Stadt sogar der Weg nach Mistelbrunn führt, welch letzterer Ort zwar wohl auch eine alte und – nach dem Namen des heiligen Markus Schutzheiligen zu schließen – von dem Kloster Reichenau nach 930 (als dem Erhebungsjahre des Heiligen) begabte Kirche hatte, die aber sicher nur Tochterkirche von Bräunlingen war.

[457] Vielleicht hebt sich die Schwierigkeit, wenn man annimmt, die durch die Sage Gefeierte habe in der Burg von Brucken, bei Wolterdingen, gewohnt, welche im 15. Jahrhundert die Herren von Allmendshofen an Heinrich von Fürstenberg verkauften; denn diese liegt in gerader Richtung von Mistelbrunn nicht viel weiter entfernt, als von Bräunlingen und Wolterdingen. Die Jahreszahl der Votivtafel bezeichnet nicht wohl das Ereigniß, – wiewohl nach jener Zeit noch das Geschlecht im Weiberstamme fortlebte – sondern die Zeit, da die erste Gedenktafel gesetzt wurde.

Die wunderbaren Nebenumstände sind theils aus der Legende der Ida von Toggenburg, wie sie jetzt noch im Volksmunde lebt, entlehnt, wie z. B. der Hirsch mit leuchtendem Geweih, theils treffen sie mit mehreren Legenden zusammen, wovon wir nur an die vaterländische der Stiftung des Klosters Allerheiligen erinnern. (Siebe „Das Fräulein von Randenburg,“ Seite 112 dieses Bandes.)