Rossini zu Hause
[32] Rossini zu Hause. Das Winterquartier des berühmten Musikers in Paris in der ersten Etage des Hauses, welches die Ecke zwischen der Chaussee d’Antin und dem Boulevard bildet, ist mit der elegantesten Einfachheit und dem gemüthlichsten Comfort möblirt. Der große Salon enthält zwei lebensgroße Portraits des Meisters; auf dem Tische des kleinen blauen Salons liegen die Werke, welche der Maler Gustav Doré, ein vertrauter Freund des Hauses, illustrirt hat, und im Speisesaal erblickt man verschiedene prächtige Büffets mit hohen Glasschränken aus Palissanderholz, die das reiche Silbergeschirr enthalten.
Jeden Sonnabend ist großer Empfangsabend, wo sich eine zahlreiche, gewählte Gesellschaft bei dem berühmten Manne versammelt; der Salon ist dann ausschließlich für die Damen vorbehalten, während der Speisesaal von besternten und ordengeschmückten Männern wimmelt. Mitten unter all’ diesen schwarzen Fracks und weißen Cravatten bemerkt man einen kleinen Greis in einer groben, bunten Weste, einem Paar alter Beinkleider und einem abgeschabten Ueberzieher. Sieht man sich diese eigenthümliche Gestalt jedoch näher an, so vergißt man den schäbigen Anzug über der Schönheit dieser olympischen Stirn, dem spottsüchtigen Humor, welcher aus den geistvollen Augen blickt, der Festigkeit seiner Züge und dem feinen Lächeln, das um den immer noch hübschen Mund spielt – kurz, man erkennt, daß man vor Gioachimo Rossini steht.
Obwohl der liebenswürdige alte Herr durch musikalische Beschäftigungen und gesellige Pflichten vielfach in Anspruch genommen ist, bekümmert er sich dabei doch mit großem Eifer um den Haushalt und führt selbst Buch und Rechnung über Alles, was eingenommen oder ausgegeben wird. Selbst für seinen Weinkeller hat er ein kleines Contobuch, dessen Genauigkeit jeden Kellermeister in Verzweiflung setzen würde; jede Weinflasche ist darin verzeichnet und, falls sie angerissen und wieder zurückgestellt ist, erhält sie ein kleines rothes Kreuz. Der Meister giebt splendide Diners, aber er weiß ganz auf’s Haar, wie viel Wein bei dieser Gelegenheit darauf gegangen ist. Im Monat December macht er stets seinen Jahresrechnungsabschluß, indem er schwere Seufzer über die vielen Ausgaben ausstößt und bei jeder Addition stöhnt: „Gott, wie glücklich sind doch die Armen, daß sie nicht viel Geld auszugeben brauchen!“
Ueberhaupt hat Rossini seine Lieblingsredensarten, die er sehr häufig wiederholt. Macht man ihm irgend ein Compliment über dies oder jenes seiner Werke, das uns entzückt hat, so erwidert er gewiß: „Sie sind doch sehr gütig, sich für die Sünden eines alten Mannes zu interessiren, denn ich componire nicht mehr, ich habe Alles vergessen. Ich bin jetzt nur ein großer Pianist und Diemer, Lavignac, Delahaye sind eifersüchtig auf mich, überhaupt verschwören sich sämmtliche Pianisten gegen mich, weil ich eine andere Methode befolge, aber ich werde jetzt in’s Conservatorium eintreten, und dann mögen sie sich in Acht nehmen.“ (Wörtlich.)
Spricht man mit ihm darüber, wie es ihm in Frankreich gefällt, so entgegnet er: „Frankreich ist das Land der hübschen Frauen, der kleinen Pasteten und der guten Weine, kurz ein ganz charmantes Land, dem nur die Contre-Altstimmen fehlen, um ganz vollkommen zu sein.“
Täglich componirt er kleine Phantasiestücke für das Pianoforte, denen er oft höchst bizarre Titel giebt, wie z. B. „Die vier Bettler: Feigen, Trauben, Haselnüsse und Mandeln; die vier horsd’oeuvres: Butter, Radieschen, Anchovis und Pfeffergurken; das Alpdrücken; der tiefe Schlaf; Asthmatische Etude; Romantisches Haché; Eine Liebkosung für meine Frau; Ouf; Grüne Erbsen; die französische Unschuld; Chinesischer Chaml; der Folter-Walzer; der hinkende Walzer; der Anti-Tanz-Walzer; der Boudoir-Walzer; der Schlafstuben-Walzer; der Water-Closet-Walzer mit Variationen über das Ricinus-Oel“ etc. etc.