Handeln die Thiere nur aus Instinct oder mit Ueberlegung?/1

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Handeln die Thiere nur aus Instinct oder mit Ueberlegung?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Störche gegen Bienen
Blätter und Blüthen
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[32] Handeln die Thiere nur aus Instinct oder mit Ueberlegung? Auf dem Strohdache einer Scheuer in W. bei Hannover befindet sich seit langer Zeit ein Storchnest, dessen Inwohner als alte Bekannte von Niemandem im Geringsten belästigt werden und sich jedes Jahr von Neuem mit Ruhe und Behaglichkeit ihren häuslichen und elterlichen Sorgen hingeben können. Vor etwa drei Jahren indeß sollte dieser stille Hausfrieden eine unerwartete und unangenehme Störung erleiden.

Zur Zeit, als die jungen Störche schon ziemlich herangewachsen waren, unterhielten sich dieselben eines Mittags während der Abwesenheit der beiden Alten damit, erfolglos nach einzelnen umherfliegenden Bienen zu schnappen. Zufällig flog bald darauf ein Bienenschwarm aus einem nahen Bienenstande dicht über dem Neste hin und die jungen Störche, welche die Bienen wohl als passendes Dessert zu einem Frosch- oder Mäusediner ansahen, verschlangen so viele davon, als sie in der Geschwindigkeit erhaschen konnten. Der übrige Schwarm, dadurch erzürnt, suchte sich an den Räubern zu rächen, flog eine Weile dicht um dieselben herum, konnte aber doch nichts gegen sie ausrichten, während die Störche sich immer mehr von der wohlschmeckenden Atzung eroberten. Es schien deshalb natürlich, als die Bienen sich endlich salvirten und in der Richtung nach ihrem Stande zu davoneilten.

Doch die Sache kam bald anders. Es dauerte nicht lange, so kam eine stärkere Anzahl von dem Bienenschauer heran; immer neue Schwärme folgten, welche demnach sämmtlich von dem vorhergegangenen Vorfalle Kenntniß haben mußten. Das ganze Bienengewimmel warf sich mit Erbitterung auf die jungen Störche, und obwohl diese die verzweifeltsten Anstrengungen zur Gegenwehr machten, so war doch ihr dünnes, zartes Gefieder in kurzer Zeit von den kleinen geflügelten Angreifern wie übersäet.

In diesem kritischen Momente kehrten die beiden alten Störche von ihrem Ausfluge zurück. Sie mußten die Noth ihrer Lieblinge wohl schon aus der Ferne bemerkt haben, denn mit verdoppelter Schnelligkeit und lautem Angstgeschrei eilten sie herzu; sofort suchten sie durch eine mörderische Vernichtung der Bienen, durch Beißen, Schlagen und auf jede sonst nur mögliche Weise die Jungen von ihren Quälern zu befreien; aber umsonst. Obgleich nach Beendigung des Kampfes die todten Bienen haufenweise im Neste und um dasselbe her lagen, so waren die jungen Störche doch nicht mehr zu retten gewesen und mußten eines elenden Todes sterben.

Uebrigens scheint dieser einmalige Act der Rache keine fortdauernde Feindschaft herbeigeführt zu haben; man hat nie gesehen, daß Störche und Bienen sich nachher noch gegenseitig belästigt hätten, und in den folgenden Sommern genoß die Storchenfamilie wieder eines ungestörten häuslichen Glückes.