Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen

Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1916, Siebenter Band, Seite 229–233
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[229] Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen. – Die erste Sparkasse wurde 1765 als „Herzogliche Leihkasse“ in Braunschweig eingerichtet. Eine Privatgesellschaft in Hamburg folgte im Jahre 1778 mit einer Gründung, der zuerst der Name „Sparkasse“ beigelegt wurde. Erst 1798 eröffnete man in London eine ähnliche Anstalt, während Paris sich damit bis 1818 Zeit ließ.

Die Satzungen dieser ersten Anstalten wiesen keinerlei Bestimmungen auf, daß eine Spareinlage, wenn der Einzahler sich nicht während eines bestimmten Zeitraumes meldet, in das Eigentum der Kasse übergeht, wie dies heute überall, zumeist nach fünfunddreißig Jahren, geschieht. Der Mangel einer solchen Vorschrift hat verschiedentlich zu merkwürdigen Vorkommnissen geführt, wie Domela in einem Buche über Sparwesen erwähnt.

Im Jahre 1801 zahlte der englische Fregattenleutnant Thomas Borwell bei der Londoner Sparkasse 20 Pfund Sterling (400 Mark) ein. Borwell, der unverheiratet war, fand beim Untergange der Fregatte „Thetis“ im Golfe von Biskaya 1807 den Tod. Da in seinem Nachlaß kein Hinweis auf jenes Sparkassenguthaben entdeckt wurde, erhielt auch die Londoner Sparkasse keine Nachricht von seinem Ableben und ließ das Guthaben unangetastet liegen. Borwells Erbe, sein Bruder Edward, wanderte 1812 nach Amerika aus. Als im Jahre 1841 das Statut der Londoner Sparkasse nachgeprüft und eine Bestimmung eingeführt wurde, daß die mehr als dreißig Jahre unberührt gebliebenen Guthaben nach erfolgtem Aufruf der Anstalt gehören sollten, wurde der Fall Thomas Borwell zur Rechtsfrage. In der Zwischenzeit hatte nämlich die Sparkasse zweimal vergeblich versucht, die Erben des Fregattenleutnants ausfindig zu machen. Es handelte sich nun darum, ob man der neuen Bestimmung rückwirkende Kraft geben sollte. Wäre [230] dies geschehen, so hätte die Londoner Anstalt die inzwischen durch Zinsen und Zinseszinsen auf 78 Pfund angewachsene Einlage Borwells als ihr Eigentum betrachten können.

Die Regierung entschied, daß die Neureglung nur für zukünftige Spareinlagen Geltung habe. Mithin mußte die Londoner Anstalt wohl oder übel noch dreißig Jahre warten, bevor die erbberechtigten Nachkommen Thomas Borwells durch Zeitungsaufruf aufgefordert werden konnten, das bis zu einer Summe von 328 Pfund angewachsene Kapital nach urkundlichem Nachweis ihrer Ansprüche binnen sechs Monaten in Empfang zu nehmen, andernfalls es für verfallen erklärt werden würde.

Tatsächlich meldeten sich im Jahre 1872 Abkömmlinge jenes nach Amerika ausgewanderten Edward Borwell, die in dürftigsten Verhältnissen in New York lebten, und bekamen das Geld ausgezahlt. Vielleicht hätten die glücklichen Erben nie von der 6500 Mark betragenden Hinterlassenschaft Kenntnis erhalten, wenn damals nicht die Geschichte dieser vergessenen Spareinlage in sämtlichen Zeitungen der Kulturstaaten als Seltenheit mit voller Namensnennung der beteiligten Personen besprochen worden wäre.

Merkwürdiger noch liegt der Fall des Kaufmanns Ernst Hindersen, der am 14. April 1805 zunächst ohne seine Familie nach Hamburg gekommen war, wohin er seinen Wohnsitz verlegen wollte. Er mietete in der Kuxhavener Straße eine Wohnung und übergab am Vormittag des 16. April der Hamburger Sparkasse, für deren Sicherheit sich die bekanntesten Großkaufleute der Alsterstadt verbürgt hatten, sein gesamtes Barvermögen im Betrage von 12 670 Talern. Auf dem Heimwege von der Sparkasse kehrte Hindersen, ein stattlicher Vierziger, in einer Hafenkneipe ein und wurde von hier auf einen Dreimaster gelockt, wo er, nachdem man ihn betrunken gemacht hatte, ahnungslos eine Heuer unterzeichnete und sich dadurch als Matrose für eine Fahrt nach San Franzisko verpflichtete. Das Schiff ging, während Hindersen in der Steuermannskoje seinen Rausch ausschlief, in See, ohne daß es dem gepreßten Matrosen möglich war, seine Familie von seinem Schicksal zu benachrichtigen.

[231] Als bei den Seinen, die täglich auf seine Rückkehr nach Hannover warteten, eine Woche später noch keine Nachricht eingetroffen war, reiste Frau Hindersen in Begleitung ihres ältesten, siebzehnjährigen Sohnes nach Hamburg und begann dort nach dem Verbleib ihres Gatten Nachforschungen anzustellen. Doch der blieb spurlos verschwunden und mit ihm auch sein ganzes Bargeld; hatte Hindersen doch erst in Hamburg den Plan gefaßt, sein Vermögen der Sparkasse zu übergeben. Allerlei zufällige Umstände machten es besonders wahrscheinlich, daß der Kaufmann Mördern in die Hände gefallen war, die ihn beraubt und seine Leiche beseitigt hatten.

In jenen unruhigen Zeiten konnte die Hamburger Polizei sich nicht viel um den Verbleib eines einzelnen Menschen kümmern, und so geriet die ganze Angelegenheit schnell in Vergessenheit. Hindersens Familie blieb in Hannover wohnen, wo auch die Eltern der durch den Verlust ihres Mannes völlig gebrochenen Frau ansässig waren.

Ein halbes Jahr später, im Oktober 1805, erhielt dann Hindersens Frau zu ihrer großen Überraschung von ihrem längst totgeglaubten Gatten einen Brief aus Havanna, in dem er über sein Schicksal berichtete und mitteilte, daß er nach seiner völligen Wiederherstellung von dem Malariaanfall, an dem er zurzeit krank im Jesuitenkloster in Havanna daniederliege, mit dem nächsten nach Europa bestimmten Segler zurückkehren werde.

Dies war das letzte Lebenszeichen des so hart vom Schicksal heimgesuchten Mannes. Als er nach Verlauf eines weiteren halben Jahres noch immer nicht in Hannover bei den Seinen eingetroffen war und zwei inzwischen an das Kloster in Havanna gerichtete Briefe mit dem Vermerk „Empfänger nach Europa mit Schonerbark ‚Britannia‘ unterwegs“ zurückgekommen waren, schrieb Frau Hindersen an die Reederei in Glasgow, deren Eigentum die „Britannia“ nach Auskunft der Hamburger Hafenbehörde sein sollte, und erkundigte sich nach dem Verbleib des Schiffes. Die Auskunft war niederschmetternd: der Segler sei von einem französischen Freibeuter, dem er sich [232] nicht ergeben wollte, in der Nähe der englischen Küste in Grund geschossen und auch nicht ein Mann der Besatzung gerettet worden.

So kam es, daß sich um die Spareinlage Ernst Hindersens bis zum Jahre 1818 niemand kümmerte. Bei einer Kassenrevision wurde man auf die Einzahlung aufmerksam und stellte Ermittlungen nach dem Einzahler an, der volle dreizehn Jahre nichts wieder von sich hatte hören lassen. Die Nachforschungen blieben erfolglos, und die Sparkasse verwaltete das inzwischen beträchtlich angewachsene Vermögen in der Hoffnung weiter, daß Ernst Hindersen sich eines Tages schon noch melden werde. Vierundzwanzig Jahre verstrichen wieder. Im Jahre 1842 wurde die bisherige private Sparkasse von der Stadt Hamburg übernommen und gleichzeitig die jetzt allgemein üblich gewordene Bestimmung über die Verjährung von Guthaben eingeführt, jedoch mit rückwirkender Kraft.

Die nunmehrige Städtische Sparkasse in Hamburg erließ daraufhin einen Aufruf in den größeren deutschen Zeitungen und forderte den Berechtigten zur Abhebung des Sparguthabens Ernst Hindersens auf. Schon nach zwei Wochen meldete sich der damals vierundfünfzigjährige praktische Arzt Doktor Franz Hindersen aus Stade und verlangte unter Vorlegung der nötigen Urkunden für sich und seine beiden noch lebenden Schwestern als unmittelbare Nachkommen des Ernst Hindersen die Auszahlung des jetzt 41 425 Taler betragenden Kapitals. Die Verhandlungen zogen sich sieben Monate lang hin, weil die Hamburger Sparkasse eine urkundliche Beglaubigung darüber verlangte, daß der zum Matrosen gepreßte hannoversche Kaufmann sich tatsächlich im Jahre 1805 im Jesuitenkloster in Havanna aufgehalten habe. Die Anstalt vertrat den Standpunkt, nur durch diesen Nachweis könne die Übereinstimmung des Einzahlers mit dem Vater der angeblich erbberechtigten Geschwister festgestellt werden, da alle sonstigen Anhaltspunkte hierfür fehlten. Die Beibringung der Urkunde gelang, weil das Klosterarchiv noch die alten Krankenlisten aufbewahrte, in denen sich eine genaue Eintragung über Ernst Hindersen vorfand. [233] Im Januar 1843 erhielten die Nachkommen des verschollenen Kaufmanns ihr Erbe. –

Am 22. Februar 1831 verließ der Staatsrat Baron Charles de Gyptaure in Paris, der schon seit einiger Zeit Spuren von Geistesgestörtheit gezeigt hatte, seine in der Rue de Rivoli gelegene Wohnung, hob von der französischen Staatsbank sein gesamtes Barvermögen im Betrage von 82 300 Franken ab und wurde dann am späten Abend desselben Tages von der Polizei in einer gewöhnlichen Kneipe des Montmartreviertels aufgegriffen, wo er einen harmlosen Menschen, der ihm angeblich nach dem Leben getrachtet haben sollte, mit einem Dolche bedroht hatte. Bald wurde Verfolgungswahnsinn festgestellt und Baron Gyptaure in die Privatanstalt des Irrenarztes Doktor Martasin übergeführt.

Inzwischen hatte die Familie des Kranken in Erfahrung gebracht, daß dieser sein Vermögen an jenem Tage abgehoben hatte. Das Geld blieb trotz aller Nachforschungen verschwunden. Es blieb nur die Annahme, daß man es dem Wahnsinnigen, der ziellos von Kneipe zu Kneipe gewandert war, gestohlen hatte. Alle Versuche, von dem Baron über diesen Punkt eine vernünftige Erklärung zu erlangen, schlugen fehl.

Dreiundzwanzig Jahre blieb der Staatsrat in jener Privatanstalt. Dann erlitt er kurz vor Vollendung des siebzigsten Lebensjahres einen Schlaganfall. Als die Lähmungserscheinungen langsam wichen, stellte sich heraus, daß der Bluterguß in das Gehirn eine seltsame Wirkung auf den Kranken ausgeübt hatte: die Wahnvorstellungen waren vollkommen behoben, und mit der fortschreitenden Genesung erlangte der Baron die volle Erinnerung an die Zeit vor dem Ausbruch seiner Geisteskrankheit wieder.

Jetzt war er auch imstande, anzugeben, was er damals mit dem Gelde angefangen hatte. Es war von ihm bei den drei im Jahre 1831 in Paris bestehenden Sparkassen, der städtischen, der staatlichen und einer privaten, in genau gleich großen Summen von je 27 400 Franken eingezahlt worden. Die Sparkassen händigten die Beträge, die inzwischen auf das Doppelte angewachsen waren, ohne weiteres aus.
W. Kabel.