Rolandseck und Drachenfels am Rhein

CCXXIV. Trostberg in Tyrol Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXXV. Rolandseck und Drachenfels am Rhein
CXXVI. Die Kirche des heiligen Grabes zu Jerusalem
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DRACHENFELS am RHEIN

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CXXV. Rolandseck und Drachenfels am Rhein.




Zwei Stunden von Bonn, stromaufwärts, bei dem Städtchen Königswinter, rücken die Bergufer des Rheins näher an einander. Das westliche erhebt sich als ein mächtiger, an tausend Fuß hoher Felsen, der tief in den Strom hinein tritt, welcher ihn zürnend umbraußt. Kühn, verwegen fast, überhängen die braunen Steinmassen die Gewässer, gleichsam des Fluthennachbars zu spotten, der seit undenklicher Zeit ihre Grundfesten bespült.

Theils Hochwald, theils niedriges Gesträuch bekleidet den Berg bis zum Gipfel, auf dem ein düsteres Mauerwerk steht, eine der merkwürdigsten Ruinen Deutschlands. Dort oben nämlich, wo das Auge unterwärts das große Wasser, ein grünendes Eiland, schwarze Waldgruppen und schauerliche Schlünde um sich her erblickt, und freundliche, [92] milde Landschaften in der Ferne gewahrt; dort, wo die Winde rastlos heulen, baute der deutsche Herkules, Ritter Roland, nach einem Leben voller Heldenthaten, sich eine Hütte, und starb, als Einsiedler, an Gram und Liebe.

Roland, Karl’s des Großen heldenmüthiger Neffe, hatte, – so erzählt die Sage – müde des langen, langen Friedens und der Thatenlosigkeit des Hoflebens, Ingelheim verlassen, um eine Ritterfahrt nach dem Norden anzutreten. Auf der Reise dahin, zwischen Bonn und Köln, sprach er in der Veste eines alten Kampfgenossen ein. Herzliches Willkommen empfing ihn in der stattlichen Burg, und des ritterlichen Eigners schöne Tochter, Hildegund, kredenzte freundlich dem edlen Gaste. Unserm Roland behagte es, und er blieb länger, als er dachte. Der Freund wurde nicht müde, des Helden Thaten und Abenteuer in den letzten Kriegen zu hören, und Roland des Erzählens nicht überdrüssig, wenn Hildegund bat und noch eifriger als der Vater ihm lauschte. Endlich mußte aber doch schicklicher Weise aufgebrochen seyn. Als nun die bestimmte Stunde der Trennung herbeieilte, da merkte Roland, daß er sein Herz an die schöne Jungfrau verloren hatte! Frank und frei gestand er’s dem Freunde, und durch Erröthen und Schweigen des befragten Mädchens bekannte diese Erwiederung von Rolands Liebe. Unbedenklich gab der Vater zum geschlossenen Seelenbunde seine Einwilligung.

Roland eilte nach Ingelheim zurück, um des kaiserlichen Oheims Jawort einzuholen; als er aber hinkam, fand er zu seiner Verwunderung die friedliche Ruhe vom kaiserlichen Hoflager verscheucht und Alles begriffen in kriegerischer Zurüstung. Wenige Tage vorher war nämlich Kunde angelangt von einem plötzlichen Friedensbruche der Sarazenen in Spanien, und Carolus Magnus hatte sich sogleich zum neuen Heerzug gegen die Erbfeinde entschlossen. Er forderte den tapfern Neffen auf, ihn zu begleiten. Roland, der thatenlustige, mochte nicht zaudern, dem Willen des Kaisers zu gehorchen. Schnell kehrte er zu seiner Braut heim, theilte ihr seinen Entschluß mit, sein süßestes Glück auf die Rückkehr vom Sarazenenzuge zu verschieben, versicherte ihr ewige Treue, empfahl sie Gott, und riß sich los, um den bereits aufgebrochenen Kaiser einzuholen.

Schrecklich wüthete der Krieg, und voll Furcht und Hoffnung harrte lange vergeblich Hildegund auf Kunde von ihrem Geliebten. Endlich kam sie. Roland’s Tapferkeit hatte in einer Hauptschlacht dem kaiserlichen Banner den Sieg errungen, er selbst dem großen Oheim das Leben gerettet. Rolands Name wurde auf den Flügeln des Ruhms durch das ganze Reich getragen, die Minnesänger feierten sein in ihren Liedern, und Hildegund’s Herz schlug hoch auf voll freudigen Stolzes und voll froher Hoffnung. – So verstrichen mehre Monden wieder, ohne daß neuere Nachrichten aus dem fernen Lande eintrafen. Da geschah es eines Abends, daß ein fremder Ritter Herberge begehrte für die Nacht in der Burg. Bald erkannte Hildegund’s Vater in ihm einen alten Bekannten, der aus Spanien zurückkehrte von des Kaisers Heer, wo er, verwundet, kampfunfähig geworden war. Er wollte nach Franken, seiner Heimath. Hastig forschte er bei diesem nach Roland. „Gott hab’ ihn selig, den Helden!“ war die Antwort; [93] „er fiel todt an meiner Seite bei Toledo. Ein Sarazen spaltete ihm das Haupt von hinten, nachdem er der Ungläubigen, umringt von ihnen, über funfzig erschlagen. Ich wollte ihm helfen, und entkam selbst kaum mit dem Leben.“ –

Hildegund war leblos niedergesunken während dieser Rede. Mit Mühe brachte man sie zum Bewußtseyn zurück. Aber des Lebens Reiz und Werth war für sie dahin. Mit Todeskummer im Herzen ging sie auf des Vaters Anrathen in das Nonnenkloster auf der einsamen Rheininsel Frauenwerth als Layenschwester, um Trost zu suchen in Religion und Gebet. Zwei lange Jahre waren vorüber gegangen, da starb auch der von Gram erdrückte Vater, und mit ihm brach dem armen Mädchen der letzte irdische Stab. Sie nahm den Schleier und schenkte dem Kloster ihr ganzes Erbe.

Die Schreckensnachricht des fränkischen Ritters war nicht ohne Grund gewesen. Man hatte Rolanden schwer und dem Anscheine nach tödtlich verwundet vom Schlachtfelde getragen; doch kam er mit dem Leben davon und genaß allmählich wieder. Noch eine Zeitlang kämpfte der Ruhmsüchtige in vielen Schlachten; und erst als der Krieg seinem Ende sich nahete, überwand die Sehnsucht der Liebe den rastlosen Durst nach Kampf und Sieg. Nachdem der Kaiser ihm Rückkehr in die Heimath gewährt hatte, eilte der gefeierte Held auf den Flügeln der Liebe und der Hoffnung dem Rheine zu.

Glücklich erreichte er das Ziel. Es war Herbst, und in stürmischer Nacht gelangte er zur wohlbekannten Pforte, wo er Hildegund zum letztenmale vor drei Jahren an die treue Brust gedrückt. Herzklopfend rief er um Einlaß, einen befreundeten Namen, nicht den seinigen nennend. Lange mußte er warten; endlich kam still und traurig der alte Thorwart herbei und öffnete; aber den Ritter erkannte sein schwaches Auge bei’m trüben Laternenschein nicht. Ahnungsvoll fragte Roland nach dem Fräulein. Da antwortete der Alte:

„Die ihr suchet, trägt den Schleier,
     Ist des Himmels Braut;
Gestern war des Tages Feier,
     Der sie Gott getraut.“

Wenige Augenblicke vervollständigten dem Unglücklichen die hoffnungslose Kunde.

Da warf Roland verzweiflungsvoll die Waffen von sich und das Stahlwamms, in dem er die höchsten Stufen des ritterlichen Ruhms errungen hatte, und er, der Neffe des Kaisers, mit der Kraft, die Bahn zu Thronen sich zu brechen, – legte die Kutte des Klausners an, und baute sich auf den unwirthbaren Felsgipfel, von dem er das Fenster der Zelle seiner verlornen Geliebte erschauen konnte, eine Hütte, auf deren Thürschwelle er täglich saß [94] mit gefalteten Händen, unverrückt die Blicke nach dem geweiheten Ort gerichtet, der alles umschloß, was ihm auf Erden lieb war. Zweimal hatte das Jahr seinen Kreislauf vollendet, und im stillen Hinbrüten waren des Helden Gestalt und Geist zur Unkenntlichkeit herabgesunken. Zum drittenmal sah er die Bäume des Klostergartens in der Tiefe sich entlauben. – Da schallt eines Morgens das silberne Grabglöckchen herauf, und eine innere Stimme ruft ihm zu: es läutet für Hildegunden! Auf springt er und hinab. Es war so, es war für die gestorbene Braut. Keuchend wankt er wieder hinauf zur einsamen Hütte, und am nächsten Tage findet man ihn auf seinem gewöhnlichen Sitze, mit fest zusammengefalteten Händen, auf der Thürschwelle, die glasigen, weit geöffneten Augen stier auf das Kloster gerichtet, kalt und starr, und todt. Was der Himmel getrennt hatte, hatte der Himmel wieder vereinigt. –


Die heutigen Ruinen sind nicht die von der kleinen Hütte Roland’s, sondern jene einer stattlichen Burg, welche die Familie des Helden seinem Andenken zu Ehren nach seinem Tode aufführen ließ. Ihre Zerstörung fällt in das zwölfte Jahrhundert unter Heinrich II. Auch der Aussicht wegen lohnt sich’s der Mühe, zur Rolandsburg aufzusteigen, was von Mehlen aus ohne große Beschwerden geschieht. Nach Westen hin ist sie beschränkt; aber herrlich im höchsten Grade ist sie nach der Rheinseite zu. Das Auge weidet sich mit Entzücken an der reichen, gefällig geformten Insel Nonnenwerth, aus deren Fruchthain das berühmte Kloster freundlich heraufschaut, welches jetzt ein trefflich eingerichteter Gasthof ist, wo die Dampfschiffe anhalten und man in der schönen Jahreszeit stets eine zahlreiche und ausgesuchte Gesellschaft findet. Dahinter liegt die mit dem festen Lande durch einen Damm verbundene Rheininsel Grafenwerder mit vielen Villen, in geringer Entfernung das Städtchen Honneff, in einem Gartenkranze, links Römersdorf, und die Ortschaften Rheinbreitenbach und Scheuern; Unkel rechts – dann endlich das herrliche Siebengebirg, mit seinen von der Hand der Natur castellartig ausgezackten Felsgipfeln, und den mit Burgen und Klöstern gekrönten Höhen.

Zunächst aber, quer über, jenseits des Rheins, ragt der uralte Drachenstein empor (die Ruine rechts auf dem Stahlstich, oben auf steiler Felswand), welcher in den Kranz vaterländischer Sagen eine der anziehendsten gewunden.