Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
|
milde Landschaften in der Ferne gewahrt; dort, wo die Winde rastlos heulen, baute der deutsche Herkules, Ritter Roland, nach einem Leben voller Heldenthaten, sich eine Hütte, und starb, als Einsiedler, an Gram und Liebe.
Roland, Karl’s des Großen heldenmüthiger Neffe, hatte, – so erzählt die Sage – müde des langen, langen Friedens und der Thatenlosigkeit des Hoflebens, Ingelheim verlassen, um eine Ritterfahrt nach dem Norden anzutreten. Auf der Reise dahin, zwischen Bonn und Köln, sprach er in der Veste eines alten Kampfgenossen ein. Herzliches Willkommen empfing ihn in der stattlichen Burg, und des ritterlichen Eigners schöne Tochter, Hildegund, kredenzte freundlich dem edlen Gaste. Unserm Roland behagte es, und er blieb länger, als er dachte. Der Freund wurde nicht müde, des Helden Thaten und Abenteuer in den letzten Kriegen zu hören, und Roland des Erzählens nicht überdrüssig, wenn Hildegund bat und noch eifriger als der Vater ihm lauschte. Endlich mußte aber doch schicklicher Weise aufgebrochen seyn. Als nun die bestimmte Stunde der Trennung herbeieilte, da merkte Roland, daß er sein Herz an die schöne Jungfrau verloren hatte! Frank und frei gestand er’s dem Freunde, und durch Erröthen und Schweigen des befragten Mädchens bekannte diese Erwiederung von Rolands Liebe. Unbedenklich gab der Vater zum geschlossenen Seelenbunde seine Einwilligung.
Roland eilte nach Ingelheim zurück, um des kaiserlichen Oheims Jawort einzuholen; als er aber hinkam, fand er zu seiner Verwunderung die friedliche Ruhe vom kaiserlichen Hoflager verscheucht und Alles begriffen in kriegerischer Zurüstung. Wenige Tage vorher war nämlich Kunde angelangt von einem plötzlichen Friedensbruche der Sarazenen in Spanien, und Carolus Magnus hatte sich sogleich zum neuen Heerzug gegen die Erbfeinde entschlossen. Er forderte den tapfern Neffen auf, ihn zu begleiten. Roland, der thatenlustige, mochte nicht zaudern, dem Willen des Kaisers zu gehorchen. Schnell kehrte er zu seiner Braut heim, theilte ihr seinen Entschluß mit, sein süßestes Glück auf die Rückkehr vom Sarazenenzuge zu verschieben, versicherte ihr ewige Treue, empfahl sie Gott, und riß sich los, um den bereits aufgebrochenen Kaiser einzuholen.
Schrecklich wüthete der Krieg, und voll Furcht und Hoffnung harrte lange vergeblich Hildegund auf Kunde von ihrem Geliebten. Endlich kam sie. Roland’s Tapferkeit hatte in einer Hauptschlacht dem kaiserlichen Banner den Sieg errungen, er selbst dem großen Oheim das Leben gerettet. Rolands Name wurde auf den Flügeln des Ruhms durch das ganze Reich getragen, die Minnesänger feierten sein in ihren Liedern, und Hildegund’s Herz schlug hoch auf voll freudigen Stolzes und voll froher Hoffnung. – So verstrichen mehre Monden wieder, ohne daß neuere Nachrichten aus dem fernen Lande eintrafen. Da geschah es eines Abends, daß ein fremder Ritter Herberge begehrte für die Nacht in der Burg. Bald erkannte Hildegund’s Vater in ihm einen alten Bekannten, der aus Spanien zurückkehrte von des Kaisers Heer, wo er, verwundet, kampfunfähig geworden war. Er wollte nach Franken, seiner Heimath. Hastig forschte er bei diesem nach Roland. „Gott hab’ ihn selig, den Helden!“ war die Antwort;
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/164&oldid=- (Version vom 8.8.2024)