Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Wingendorf

Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Wingendorf
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aus: Erzgebirgischer Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 4, Seite 134–136
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Erscheinungsdatum: [1856]
Verlag: Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wingendorf


an den Freyberg-Hainicher und Oederan-Siebenlehner Strassen, 1½ Stunde westlich von Freiberg, 1¾ Stunde nordöstlich von Oederan, 2¼ Stunde südöstlich von Hainichen gelegen, südlich und östlich von bedeutenden Waldungen umgeben, welche zum Theil zum dasigen Rittergute gehören. Oestlich steigt, grösstentheils mit Klippen besetzt, der Kemnitzberg an, welcher die Thäler der Kenmitz und Striegis theilt, nördlich aber der Galgenberg, an dessen südwestlichem Abhange die Schäferei des Rittergutes abgesondert steht.

Das alt schriftsässige von Schönbergische Majorats-Rittergut hat zwar keine ansehnlichen Gebäude, auch nur mässig starke Oeconomie, und ein ältliches Schloss mit kleinem Thurme, welches dessenungeachtet einen herrlichen Anblick, wie dies die Abbildung näher darthut, gewährt.

[135] Dessenungeachtet ist dieses Gut von Bedeutung, theils wegen der guten Schäferei, theils wegen der grossen Waldungen und rücksichtlich seiner früheren Gerichtsbefohlenen konnte es zu den grössten Gütern im Lande gerechnet werden. Denn ausser den Dörfern, Frankenstein und Wingendorf, besass es noch die Stadt Hainichen, im Ganzen wenigstens an 6000 Unterthanen.

Die Geschichte und Gründung von Hainichen und Wingendorf hängt unstreitig mit der Stiftung des Klosters Alten-Zelle zusammen.

Im Jahre 1162 hat Markgraf Otto von Meissen, genannt der Reiche, des grossen Conrads vortrefflicher Sohn, das Kloster Alten-Zelle zur Ehre der heiligen Maria und des heiligen Johannes gestiftet. Der Klosterbau wurde 1175 beendigt, worauf das Kloster von Cisterzienser Mönchen bezogen wurde.

Otto beschenkte die neue Stiftung gleich anfänglich mit 800 im Burgwardo Mochaw[1] gelegenen Hufen Landes und wies ihr die Nutzungen von Dörfern und Flecken in einem Bezirke von mehr als 4 Meilen an, für die mit angewiesenen Dörfer Christiansdorf und Costnitz gab er ihr jedoch später die Stadt Rosswein.

Hainichen aber wurde kurze Zeit nach dieser Schenkung angebaut, und Einwandrern von den 800 Hufen Landes eine Strecke zur Urbarmachung angewiesen. Denn Hainichen soll viel früher entstanden sein, als Freiberg, weshalb die Geschichtsschreiber sehr irren, welche die Entstehung von Hainichen erst in das 14. Jahrhundert versetzen. In dieser Zeit war Hainichen schon mit Mauern umgeben, und gehörte unter die Gerichtsbarkeit des Klosters, welche erst nach der Säcularisation desselben zu Wingendorf gekommen ist.

Wingendorf selbst scheint nicht zum Kloster gehört, sondern schon damals seine eignen Besitzer gehabt zu haben, die mit dem Kloster selbst befreundet waren. Vielleicht gehörte es auch den früheren Burggrafen selbst. Denn ums Jahr 1400 hatte Burggraf Berthold den Freiberger Bürgermeister Hans Hartusch d. i. Hartitzsch mit Wingendorf belehnt. Wingendorf selbst war mit einem Ritterpferd belegt.

Von der Hartitzsch’schen Familie ist Wingendorf dann an die Herren von Schönberg gekommen.

Im Jahre 1600 kommt als Besitzer von Börnichen, Oberschöna und Wingendorf Moritz von Schönberg als erster dieses Namens vor. Derselbe begründete von der Linie Schönberg-, Sachsenburg-, Neusorge-Oberschöna, den zweiten oder Wingendorfer Zweig (im Gegensatze des Pulsnitzer oder französischen Zweigs), starb 1612 und von seinen hinterlassenen 4 Söhnen folgte ihm im Besitz von Wingendorf und Hainichen, Hans Georg von Schönberg, welcher im Jahre 1618 als Obersteuereinnehmer erblos verstarb. Die Brüder des Bruders Nicol von Schönberg übernahmen nun die Güter Wingendorf und Börnichen und stifteten so die Wingen-Börnicher Linie (im Gegensatz der Auerswaldischen). Hans Georg von Schönberg besass damals Wingendorf zur Hälfte, erbte aber auch die andere Hälfte von seinem Bruder, denn Kreissteuereinnehmer und Amtshauptmann Nicol von Schönberg, und starb, nachdem er auch Wiesa bei Annaberg durch Kauf an sich gebracht hatte, im Jahre 1676. Sein Sohn, der Geheime Rath, Kammerherr, Bergrath und Obersteuereinnehmer, Adam Friedrich von Schönberg, nachmaliger Besitzer von Wingendorf, verliess das Irdische im Jahre 1707, worauf Wingendorf an dessen Sohn, den Kammerjunker Joh. Tham von Schönberg überging, welchem 1748 ebenfalls sein 1761 verstorbener Sohn, der Oberberghauptmann Curt Alexander von Schönberg beerbte, und so hat denn die Familie von Schönberg seit länger als 2 Jahrhunderten ihren Sitz auf Wingendorf gehabt, bis es auf seinen gegenwärtigen Besitzer, den Major von Schönberg auf Börnichen und Wingendorf übergegangen ist.

Im Niederdorfe befindet sich die grosse und schön gebaute Schaafwollspinn-Fabrik. Das aus 5 über einander befindlichen Arbeitssälen bestehende Hauptgebäude derselben wurde 1817 errichtet, welchem 1830 noch ein zweites angebaut wurde. Diese Fabrik lieferte im Durchschnitt wöchentlich 24,000 Strähn Garn, zu dessen Bereitung ein einziges, oberschlächtiges Wasserrad von 16 Ellen Höhe die dazu nöthigen Maschinen in Bewegung setzte.

Da aber in trocknen Jahren das Wasser mangelte, so wurde im Jahre 1837 ein drittes Gebäude angebaut, und sämmtliche Maschinen durch Dampf in Bewegung gesetzt.

Den Bergbau von Wingendorf anlangend, so ist dieser nie von grosser Bedeutung gewesen, und die sonst hier bebaute Grube „Neue Gabe Gottes“ ist schon längst nicht mehr gangbar.

Der jedesmalige Besitzer von Wingendorf ist auch Collator über Kirche und Schule zu Frankenstein und über die beiden geistlichen Stellen zu Hainichen, wogegen über die Schulen zu Hainichen der dasige Stadtrath das Besetzungsrecht ausübt.

Frankenstein ist ein sehr alter Kirchort, zu welchem vor dem 30 jährigen Kriege noch 4 Dörfer gehört haben, die in jenem Kriege zerstört worden sind, als: das Dorf Ailitz, seitwärts von Memmendorf – Naundorf, von Memmendorf nach Schönerstadt zu gelegen – Althartha, am Langenstriegiser Holz, und – Kuhra unter Wingendorf.

Die Kirche hat mehrere Reparaturen erfahren; die letztere geschah 1821, wo der Thurm in seiner jetzigen Gestalt von dem Zimmermeister Walther in Rochlitz erbaut wurde. Schenkungen, Vermögen noch sonst Merkwürdigkeiten hat diese Kirche nicht aufzuweisen. Ausser einer Silbermann’schen Orgel besitzt dieselbe ein vorzüglich starkes, wohlklingendes Geläute, aus 3 Glocken bestehend, das weit und breit gehört wird. Eingepfarrt sind noch Hartha und Memmendorf, bekannt durch seinen an der Dresdner Chaussee gelegenen Gasthof, welcher von keinem Reisenden früher unbesucht gelassen wurde, da von Oederan, so wie von Oberschöna her, die Strasse immer bergauf geht. In der Parochie Frankenstein [136] befinden sich 3 Schulen. Die Kinder von Wingendorf werden in der Schule zu Frankenstein unterrichtet.

In Frankenstein befindet sich auch das von Schönberg’sche Erbbegräbniss. Ein Filial von Frankenstein ist in Kirchbach.

Das andere dem Rittergute Wingendorf zustehende Collaturrecht über die Geistlichen Stellen in Hainichen beweiset am besten, dass solches mit der Gerichtsbarkeit erst nach der Säcularisation des Klosters zu Altzelle erworben worden ist. Mit der Uebergabe des Klosters im Jahre 1543 an den Churfürsten Moritz, hörte die weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit des ersteren auf und in dieser Zeit kam auch Hainichen zu Wingendorf.

Der Wandrer, wenn er die flache, zweistündige Anhöhe von Mittweida daherkommt, sieht von Hecken, Gebüschen und Saaten umgeben, verborgen im Grunde des Thales eine Gruppe röthlicher Dächer und leuchtender Giebel, seitwärts auf grünen Matten ausgebreitet eine Menge zarten Gewebes, bleichend im Sonnenschein und an der gegenüberliegenden Thalwand terrassenförmig übereinander in langen Streifen aufgespannt eine Staffirung von bunten Gewändern. Er kommt näher und näher, hört ein Schnurren des Spuhlrades und das Klappern des Webstuhls, um sich her bemerkt er ein reges Leben und die grösste Geschäftsthätigkeit. Das ist Hainichen, gewiss eine der ersten unter den gewerbreichen Städten des Sächsischen Erzgebirges.

Hainichen in Vergleich gegen alle umliegende Städte hat sich in kurzer Zeit unglaublich gehoben und aus seiner Verborgenheit emporgearbeitet. Es kann dies lediglich dem Aufschwunge des Fabrikwesens zugeschrieben werden, welches die Hauptquelle ihres Wohlstandes und ihrer mercantilischen Berühmtheit ist, während weder ihre Lage, noch Bauart, noch ihre Geschichte den Namen Bedeutung gegeben hätte. Nur in der Geschichte der deutschen Literatur ist Hainichen ebenfalls berühmt geworden.

Hier in Hainichen erblickte am 4. Juli 1715 Christian Fürchtegott Gellert das Licht der Welt, der als Gelehrter, als Dichter in der deutschen Literatur so enorme Epoche gemacht und besonders durch seine geistlichen Oden und Lieder, wie durch seine Fabeln und Erzählungen so wohlthätig auf das deutsche Volk eingewirkt hat. Früher als er, nämlich am 11. Aug. 1713 wurde auch hier dessen Bruder Christlieb Ehregott Gellert geboren, der am 18. Mai 1795 als Bergrath zu Freiberg starb. Durch das neue Rettungshaus für verwahrloste Kinder wird in Hainichen des Ersteren Andenken jetzt von Neuem verherrlicht.

In Hainichen erfand auch Christian Adolph Balduin den hermetischen Phosphorus.

Seit dem grossen Brande im Jahre 1831 ist Hainichen neu und massiv, auch regelmässiger erbaut. Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnet sich die Kirche und das neue Rathhaus, welches die ganze südliche Fronte des Marktes einnimmt, vortheilhaft aus.

An der erstern sind ein Pfarrer und ein Diaconus angestellt, zu deren Parochie, ausser der Stadt, noch Berthelsdorf, Cunnersdorf, Schlegel, Krumbach, Falkenau und Gersdorf gehören.

In der Stadt sind 6 Schulen, 3 für die Knaben und 3 für die Mädchen, mit einer Zahl von circa 900 Kindern.

In der neuern Zeit hat man in der Nähe von Hainichen Bohrversuche auf Steinkohlen nicht ohne Erfolg gemacht. Das hiesige Kohlenbasin war schon früher bekannt, wurde aber immer nicht für bauwürdig gehalten.

Merkwürdig in naturhistorischer Hinsicht ist das über demselben lagernde Conglomeratgebirge, welches durch seine Versteinerungen und andern Merkmale auf eine vorzeitliche gewaltige Erdrevolution hinweist. Aber dasselbe Element, welches Wälder und Gebirge zermalmte und einen Coloss verschiedenartiger Gesteine von verschiedenen Felsen, vermengt mit Baumstämmen einer südlichen Zone wild durcheinander geworfen, hier zusammenführte und in den Abgrund begrub, hat auch zugleich diesen Trümmerhaufen dergestalt überdeckt und so alle Spuren jener gewaltigen Revolution in ihren obern Regionen wieder verwischt, dass sie in der gegenwärtigen Oberfläche hiesiger Gegend ohne Aufgrabung nicht mehr geahnt, geschweige erkannt werden kann.

Hainichen, wo vor der neuen Gerichtsorganisation auf dem dasigen Rathhause der jedesmalige Justitiar von Wingendorf, die Gerichtssitzungen hielt, bildet jetzt selbst ein eignes Gerichtsamt und ist dem Bezirksgerichte Mittweyda zugetheilt. Wingendorf dagegen gehört zum Gerichtsamte Oederan, zum Bezirksgericht Augustusburg, zur Amtshauptmannschaft Chemnitz, zum Regierungsbezirk Zwickau und zählt in seinen 32 bewohnten Gebäuden, und 60 Familienhaushaltungen 318 Einwohner.

Im Orte befinden sich 2 Mühlen, von welchen die Neumühle am untern Ende steht. Der Feldbau ist gering. Das Gut grenzt mit den Börnicher Fluren.

M. G.     



Anmerkungen der Vorlage

  1. Die erste Veranlassung der Erbauung von Burgen gaben die unruhigen Sorben-Wander und Daleminzier. Diese im Zaume zu halten wurden feste Schlösser erbaut, dieselben vom Landesfürsten an Burggrafen zur Aufsicht mehrerer Orte übergeben, woraus später die Lehngüter entstanden. Ein solches Burggrafthum oder alte Landvoigtei war Mochau oder Mochowe.