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befinden sich 3 Schulen. Die Kinder von Wingendorf werden in der Schule zu Frankenstein unterrichtet.

In Frankenstein befindet sich auch das von Schönberg’sche Erbbegräbniss. Ein Filial von Frankenstein ist in Kirchbach.

Das andere dem Rittergute Wingendorf zustehende Collaturrecht über die Geistlichen Stellen in Hainichen beweiset am besten, dass solches mit der Gerichtsbarkeit erst nach der Säcularisation des Klosters zu Altzelle erworben worden ist. Mit der Uebergabe des Klosters im Jahre 1543 an den Churfürsten Moritz, hörte die weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit des ersteren auf und in dieser Zeit kam auch Hainichen zu Wingendorf.

Der Wandrer, wenn er die flache, zweistündige Anhöhe von Mittweida daherkommt, sieht von Hecken, Gebüschen und Saaten umgeben, verborgen im Grunde des Thales eine Gruppe röthlicher Dächer und leuchtender Giebel, seitwärts auf grünen Matten ausgebreitet eine Menge zarten Gewebes, bleichend im Sonnenschein und an der gegenüberliegenden Thalwand terrassenförmig übereinander in langen Streifen aufgespannt eine Staffirung von bunten Gewändern. Er kommt näher und näher, hört ein Schnurren des Spuhlrades und das Klappern des Webstuhls, um sich her bemerkt er ein reges Leben und die grösste Geschäftsthätigkeit. Das ist Hainichen, gewiss eine der ersten unter den gewerbreichen Städten des Sächsischen Erzgebirges.

Hainichen in Vergleich gegen alle umliegende Städte hat sich in kurzer Zeit unglaublich gehoben und aus seiner Verborgenheit emporgearbeitet. Es kann dies lediglich dem Aufschwunge des Fabrikwesens zugeschrieben werden, welches die Hauptquelle ihres Wohlstandes und ihrer mercantilischen Berühmtheit ist, während weder ihre Lage, noch Bauart, noch ihre Geschichte den Namen Bedeutung gegeben hätte. Nur in der Geschichte der deutschen Literatur ist Hainichen ebenfalls berühmt geworden.

Hier in Hainichen erblickte am 4. Juli 1715 Christian Fürchtegott Gellert das Licht der Welt, der als Gelehrter, als Dichter in der deutschen Literatur so enorme Epoche gemacht und besonders durch seine geistlichen Oden und Lieder, wie durch seine Fabeln und Erzählungen so wohlthätig auf das deutsche Volk eingewirkt hat. Früher als er, nämlich am 11. Aug. 1713 wurde auch hier dessen Bruder Christlieb Ehregott Gellert geboren, der am 18. Mai 1795 als Bergrath zu Freiberg starb. Durch das neue Rettungshaus für verwahrloste Kinder wird in Hainichen des Ersteren Andenken jetzt von Neuem verherrlicht.

In Hainichen erfand auch Christian Adolph Balduin den hermetischen Phosphorus.

Seit dem grossen Brande im Jahre 1831 ist Hainichen neu und massiv, auch regelmässiger erbaut. Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnet sich die Kirche und das neue Rathhaus, welches die ganze südliche Fronte des Marktes einnimmt, vortheilhaft aus.

An der erstern sind ein Pfarrer und ein Diaconus angestellt, zu deren Parochie, ausser der Stadt, noch Berthelsdorf, Cunnersdorf, Schlegel, Krumbach, Falkenau und Gersdorf gehören.

In der Stadt sind 6 Schulen, 3 für die Knaben und 3 für die Mädchen, mit einer Zahl von circa 900 Kindern.

In der neuern Zeit hat man in der Nähe von Hainichen Bohrversuche auf Steinkohlen nicht ohne Erfolg gemacht. Das hiesige Kohlenbasin war schon früher bekannt, wurde aber immer nicht für bauwürdig gehalten.

Merkwürdig in naturhistorischer Hinsicht ist das über demselben lagernde Conglomeratgebirge, welches durch seine Versteinerungen und andern Merkmale auf eine vorzeitliche gewaltige Erdrevolution hinweist. Aber dasselbe Element, welches Wälder und Gebirge zermalmte und einen Coloss verschiedenartiger Gesteine von verschiedenen Felsen, vermengt mit Baumstämmen einer südlichen Zone wild durcheinander geworfen, hier zusammenführte und in den Abgrund begrub, hat auch zugleich diesen Trümmerhaufen dergestalt überdeckt und so alle Spuren jener gewaltigen Revolution in ihren obern Regionen wieder verwischt, dass sie in der gegenwärtigen Oberfläche hiesiger Gegend ohne Aufgrabung nicht mehr geahnt, geschweige erkannt werden kann.

Hainichen, wo vor der neuen Gerichtsorganisation auf dem dasigen Rathhause der jedesmalige Justitiar von Wingendorf, die Gerichtssitzungen hielt, bildet jetzt selbst ein eignes Gerichtsamt und ist dem Bezirksgerichte Mittweyda zugetheilt. Wingendorf dagegen gehört zum Gerichtsamte Oederan, zum Bezirksgericht Augustusburg, zur Amtshauptmannschaft Chemnitz, zum Regierungsbezirk Zwickau und zählt in seinen 32 bewohnten Gebäuden, und 60 Familienhaushaltungen 318 Einwohner.

Im Orte befinden sich 2 Mühlen, von welchen die Neumühle am untern Ende steht. Der Feldbau ist gering. Das Gut grenzt mit den Börnicher Fluren.

M. G.     



Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen IV. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1856, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_IV.djvu/213&oldid=- (Version vom 3.6.2018)