Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Neustadt

Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Neustadt
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aus: Erzgebirgischer Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 4, Seite 199–200
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Erscheinungsdatum: [1856]
Verlag: Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Neustadt
bei Chemnitz


liegt 1 Stunde von Chemnitz gegen Westsüdwest, an der früher belebten Zwickauer Chaussee, in einem weiten schönen Grunde, den die Cappel bildet, gelegen gegen 1000 pariser Fuss über dem Meere, welches ostwärts mit Schönau und westlich mit Höckericht und Siegmar verbunden wird. Die Fluren grenzen nördlich mit dem Rabensteiner, südlich mit dem Neukirchner Gebiet.

Das Rittergut heisst eigentlich Kökericht, auf dessen Grund und Boden von einem Herrn von Taube im 17. Jahrhundert Neustadt erbaut worden ist.

Die Einwohner waren deshalb, obschon sie einiges Feld besitzen, von jeher unbehuft.

Es hat das Gut, wie dies die Abbildung besagt, grosse Gebäude, die in neuerer Zeit sehr restaurirt worden sind. Westlich von dem Rittergutsgebäuden befindet sich eine bedeutende Ziegelei und östlich eine vortreffliche Schäferei.

Den Namen hat es von seiner Lage, welche für die Ebenheit der Umgebungen allerdings höckericht genug ist.

Neustadt wie Höckericht sind neue Orte und aus Grund und Boden, welcher zur Herrschaft Rabenstein gehörte, entstanden.

Höckericht selbst ist seit mehreren Jahrhunderten nebst Neustadt mit Neukirchen combinirt.

Die Entstehung und Geschichte von Neukirchen haben wir aber schon näher in diesem Album beschrieben, so dass wir, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht wieder auf die früheren Besitzer von Neukirchen zurückkommen werden. Blos so viel sei bemerkt, dass 1617 ein J. G. v. Taube Höckericht mit Neustadt zum Rittergute Neukirchen kaufte. Die Familie Taube, ihre Abstammung und ihre Fortpflanzung haben wir ebenfalls bei Neukirchen näher erwähnt, so dass wir hier nicht näher darauf einzugehen brauchen.

Nur so viel muss erwähnt werden, dass der ausgezeichnetste von der Taube’schen Familie der 1661 gestorbene Graf Ulrich, Geh. Rath und Obersteuerdirektor, Sohn desjenigen Reinhardts, der seit 1634 des H. R. R. Edler Panner und Freiherr war und 1635 Oberstallmeister ward.

So lange der Graf als solcher lebte, hatte Neukirchen mit Neustadt und Höckericht wie seine übrigen Güter, das Bergregal selbst auf edle Metalle, eignes Geleite, Um- und Judenschutz-Gelder, Machtvollkommenheit zu Anlegung von Mühlen, Messing- und Drahtwerke.

Sein Sohn war der Reichspfennigmeister, und diesem beerbte 1604 ein Vetter Johann Georg auf Frankenthal und Zadel.

Neustadt mit Höckericht ist seit dieser Zeit, so wie schon vorher immer mit Neukirchen vereinigt geblieben.

Im Jahre 1819 erkaufte Neukirchen mit dem Rittergute Höckericht und dem Orte Neustadt der Kaufmann Carl Heinrich Hänel, von welchem es seit mehreren Jahren schon Herr Claus auf Seuslitz acquirirte und jetzt noch damit beliehen ist.

Im Orte Neustadt nähren sich die Einwohner von Maschinenarbeit, von Wirkerei und Weberei in Baumwolle und eine grosse Menge Factors, die nach Chemnitz ihre Geschäfte machen, sind hier ansässig. Viele und [200] eine grosse Zahl von den Arbeitern geht täglich nach der Stadt Chemnitz, um da ihren Unterhalt zu verdienen. Vorzüglich existiren viel Spinner und Drucker hier, die in der Stadt ihre Beschäftigung haben.

Neustadt mit Rittergut Höckericht ist nach St. Nicolaus zu Chemnitz gepfarrt, Beweis genug, dass solche vor der Trennung der Rabensteiner Herrschaft zu dem Bergkloster in Chemnitz gehört hat, da diese Kirche eine abhängige Kapelle von diesem Kloster gewesen ist.

Die Kapelle scheint früher an einem andern Platze nur gestanden zu haben und wie man vermuthet, in der Nähe des Dorfes Kappel, welches davon seinen Namen abgeleitet hat. Wo dieselbe jetzt steht, ist sie erst im Jahre 1487 erbaut worden.

Dagegen hat Neustadt seine Schule, an welche drei Lehrer arbeiten. Das Besetzungsrecht dieser Lehrerstellen steht dem jedesmaligen Besitzer des Rittergutes Höckericht zu.

Die Schule zu Neustadt ist erst im Jahre 1834 gegründet worden und besitzt ein schönes geräumiges Schulhaus.

Die dasige Gegend selbst anlangend, so ist solche, wie wir diess schon bei Neukirchen erwähnt haben, angenehm, schön und fruchtbar.

Alle mögliche Getreidesorten gedeihen hier und Obst ist ebenfalls schon nicht rar, sondern gut und fein zu nennen.

Am meisten trägt für des Landes Wohlfahrt, für das Gedeihen des Wohlstandes hiesiger Einwohner, die Industrie hiesiger Gegend bei.

Sind die Geschäfte von Chemnitz in Flor, kommen diese nicht in Stockung, so befinden sich alle Bewohner der Umgegend wohl und ein heiteres, anspruchsloses Leben ist dann aller Orten zu finden.

Stockt aber die Arbeit, liegen Fabriken und Maschinerie darnieder, so sieht man allüberall traurige, niedergeschlagene Mienen und nirgends Muth und Zuversicht.

Es giebt selten eine Gegend, wo so recht auf dem Antlitze des Einzelnen zu lesen ist, wie der Thermometer des Merkantilischen steht; darnach richtet sich die ganze hiesige Lebensart, darnach richtet sich Frohsinn und Betrübniss, darnach richtet sich das ganze sociale Leben hiesiger Gegend.

Man sieht daraus, dass gerade auch in einer solchen Gegend zur Wahrung der allgemein nützlichen Gewerbsthätigkeit alle Mittel angewendet werden müssen, um solche nicht zurückkommen zu lassen.

Die früheren Besitzer von Neukirchen und von Neustadt mit Höckericht haben diesen Umstand stets schon im Auge gehabt und zu würdigen gewusst, so dass die Nachkommen ihnen heute noch dafür Dank sagen müssen, weil gerade sie auf diese Weise für den dasigen Wohlstand, für die Forthülfe des Einzelnen gesorgt haben.

Segen allen diesen treuen, biedern Gerichtsherrn, die für Menschenwohl, für Menschenglück ihre Ruhe, ihr Vermögen opferten.

Auf der andern Seite kann man auch nicht behaupten, dass die hiesigen Bewohner etwa durch den Flor der Industrie verdorben und frivol geworden wären, auch darauf scheint das Vorbild ihrer Gerichtsherrschaften einen guten Eindruck gemacht zu haben.

Der religiöse Sinn ist hier für unsere Zeit noch ein guter zu nennen und Glaube und Liebe hält manches Band hier zusammen, was hier und da gerade die Vernachlässigung des Kirchengehens und der Zweifel an die bessere Menschheit gelockert und aufgelöst hat.

Möge nur Jeder der hiesigen Bewohner stets bedenken, dass man die sogenannten guten Zeiten brauchen muss und dass oft auf gute Jahre Zeiten der Noth und Entsagung kommen. Nur so kann Glück und Heil erwachsen.

Neustadt mit Höckericht gehört jetzt mit seinen um das Doppelte in kurzer Zeit gewachsenen Einwohnern von 400 auf 851, welche nur in 57 Häusern wohnen, zum Gerichtsamte Chemnitz.

M. G.