Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Grossrückerswalde
Grossrückerswalde, auch Fernrückerswalde genannt, ist ein grosses, schönes zwei und eine halbe Stunde nördlich von Annaberg gelegenes, durch Viehzucht, Ackerbau und namentlich Flachsbau sich auszeichnendes Dorf, welches aus mehr als hundertundsechszig Häusern und fast elfhundert Einwohnern besteht.
Das hiesige Rittergut ist eine alte Besitzung der Herren von Berbisdorf, welchen dasselbe noch im achtzehnten Jahrhundert gehörte. Von dieser altadeligen preussischen Familie sagt eine alte Urkunde: Anno 1140 hat der Grossmeister Weinrich von Kniproda mit Kunisduda Fürstin zu Littaw, so eine Hewdin gewesen, eine Schlacht vor Kahen in Littaw gehalten, in welcher schlacht Andreas von berbisdorf ein fendrich gewesen und sein fänlein, ob ihm gleich beide Arme ab- und zerhauen gewesen, im Maule darvon bracht, welches Ritterlichen verhaltens er nicht nur zum Ritter geschlagen sondern ihm auch sein wapen mit den abgehawenen gekrönten, schwartz und rothen Armen, welches ohn zwäuffel bluth vndt leiden oder schmertzen bedewt, mit dem darüber leuchtenden Stern verbessert und zu führen gegeben worden.
Das alte Manuscript sagt ferner: Caspar von Berbisdorf ist wegen Kriegsgefahr ausn land in Preusen mit einem graffen von Leisneck in diese länder kommen, so geschehen im Jhahre unserer erlösung 1230, vndt ist bey gedachten graffen alss ein hoffmeister biss an sein ende blieben, auch alda 1270 verstorben. Wer seine hauswirthin gewest hat Niemandt in erfarungk bringen können, hat nach sich gelassen einen son mit namen hanss. Dieser hanss von Berbisdorf hat etlich bergwergk zu freibergk an sich bracht und daraus gross reichthumb erlanget, die gütter Wegfarth, Duttendorf und den Halss bei freibergk erkauft auch dem graffen zu Leisnik, des vorigen son, 4000 Rheinische gülden uff die herrschaft Lauterstein geliehen, so gescheen 1300. Sein eheweib ist eine des geschlechts freiburgk gewesen, welches geschlechts in fuffzehn turniren gedacht wird, hat mit ihr gezeuget zween Söne, Casparn und Nickeln, auch töchter, die aber nit aufzeichnet worden. Er starb 1310 Caspar von Berbisdorf, hannssens eltister son ererbte neben seinen bruther Nickeln, von Ihrem Vater die güter Wegfahrt, Duttendorf und den Halss neben dem Pfandschilling uff dem lautersteine, verkaufte Duttendorf und den Halss widder an den alten Nickel von Molsdorf, weller genannt, und kaufte dagegen die müle zur Mitweide; zalete dem graffen von Leisneck, vollent aus und brachte den lauterstein Erblichen an sich vndt seine nachkommen, so geschehen 1315, die es auch nur ohne verhinderung in die 244 Jhar besessen‚ bis sie es Anno 1559 Churfürst Augusto auf seiner Churfürstlichen Durchlaucht begeren wieder lassen müssen. Caspar von Berbisdorfs Eheweib ist gewesen eine von Seida uff Bihern, mit welcher er zwei Söne gezeiget, Caspar vndt Hanss. Er starb zum lauterstein Anno 1378.
Die Berbisdorfe, welche ohne Zweifel durch den schlauen und äusserst wirthschaftlichen Churfürsten August, wie viele andere Rittergutsbesitzer eine bedeutende Beeinträchtigung ihres grossen Besitzthums erfuhren, kamen im Laufe der Jahrhunderte in ihren Vermögensverhältnissen, namentlich durch Vererbungen und Kriegslasten dergestalt zurück, dass sie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts auch ihre letzten erzgebirgischen Güter, worunter Grossrückerswalde, aufgeben mussten. Nach verschiedenen Besitzern gelangte Grossrückerswalde an den königl. Sächs. Major Herrn von Oehlschlägel, dem das Gut noch jetzt gehört.
In den Kirchenbüchern, welche nach einer darin befindlichen schriftlichen Notiz „auf Befehl“ im August 1568 angefangen worden sind, hat der erste protestantische Pfarrer, Jacob Patzschkaw, der von 1529 bis 1553 das hiesige Pfarramt verwaltete, ausser den kirchlichen Mittheilungen auch manche, die Ortsgeschichte betreffende Nachricht eingetragen, welchen nachahmungswerthen Beispiele viele seiner Amtsnachfolger sich anschlossen. Leider sind die Taufnachrichten von 1568 bis 1622, die Traunachrichten von 1574 bis 1633 und die Todtennachrichten von 1580 bis 1621 durch die Nachlässigkeit des Schulmeisters Ulmann verloren gegangen. Im Jahre 1547 raffte die Pest in Grossrückerswalde viele Menschen weg, ein Schicksal welches den Ort auch 1581 und 1582 betraf, auf welche Seuche zwei alte in der Kirche aufgehängte Gemälde hindeuten. Auch 1640 und 1641 wüthete hier eine epidemische Krankheit, die von 159 Personen 129 hinwegraffte. Ein pestkranker Einwohner, [100] Michael Neuber, den die Seinigen allein gelassen hatten, verbrannte lebendig, weil er das in Flammen gerathene Haus nicht verlassen konnte. Die Durchmärsche der Oestreicher und Preussen während des siebenjährigen Krieges brachten Grossrückerswalde ungeheuren Schaden.
Die Reformation wurde in Grossrückerswalde bereits 1529 eingeführt, da die hiesige Pflege zu der Landesportion Heinrichs des Frommen gehörte. Nach Grossrückerswalde sind eingepfarrt: Boden, Fichtenbach, die neuen Häuser, das Haus am Wasser, Hirschleid, Judenstein, Scheidebach, Schindelbach und das Teichvorwerk. Früher, und noch 1547, gehörten auch Kühnheide und Reitzenhain zur hiesigen Parochie, wofür der Pfarrer sechs Gulden drei Groschen Besoldung bezog und jeden Monat an einem Donnerstage daselbst eine Predigt halten musste. Auch in Marienberg, das 1521 gegründet wurde, hielt der Pfarrer zu Grossrückerswalde gegen Besoldung eine Messe. Seit den ältesten Zeiten hatten die Franziskanermönche zu Annaberg die Verpflichtung, in der Kapelle des Dorfes Mauersberg den Gottesdienst zu verrichten. Nach der Reformation blieb die Kapelle unbenutzt, bis im Jahre 1617 den Pastor zu Grossrückerswalde die Weisung wurde, daselbst jährlich einmal zu predigen und alle kirchlichen Vorkommnisse, wie Taufen und Trauungen, zu verrichten, übrigens mussten die Mauersberger Einwohner die Kirche zu Grossrückerswalde besuchen. Nach mancherlei Streitigkeiten gelang es der Gemeinde zu Mauersberg aus dem kirchlichen Verbande mit Grossrückerswalde zu treten. Der Auspfarrungsrecess datirt vom 17. October 1721.
Zu der Pfarre, welche 1547 das erstemal, dann 1635 wiederum und endlich 1767 nochmals neu aufgebaut wurde, gehören zwei Güter, das Hauptgut bei der Wohnung und ein kleineres in der wüsten Schlette. Die Schule ist 1704 erbaut und 1835 zur Wohnung für zwei Lehrer und zum Unterricht eingerichtet worden. Die Kirche besitzt einen interessanten, alterthümlichen, silbernen Kelch vom Jahre 1524, und ihre Glocken wurden 1824 umgegossen. Die 1820 von Steinmüller aus Grünhain erbaute Orgel kostet 1800 Thaler.