Textdaten
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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Ritter Gilgen von Lorch
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 100–103
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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Ritter Gilgen von Lorch.

Nördlich vom Niederwald und von Asmannshausen mündet auf dem rechten Rheinufer die Wisper. An ihrer Mündung liegt Lorch und noch etwas nördlich davon Lorchhausen. Ehe die Wisper nach Lorch gelangt, bildet sie einen Winkel nach Süden zu. Der östliche Schenkel desselben erreicht den nördlichsten Punkt, zu dem die Wisper überhaupt gelangt. Hier lag die Burg Rheinberg, die aber doch nur wenig oder gar nicht über die Lage von Lorch nach Norden zu hinausreicht, grade Lorch gegenüber. Zwischen den Rittern von Lorch und von Rheinberg, das trotz seines Namens in einiger Entfernung vom Rheine liegt, fand dann auch einst ein Kampf auf Leben und Tod statt. Der Sage nach vermochte nur einer der Ritter aus diesem Kampfe Leben und Seligkeit zu retten.

Durch die Reden des heiligen Bernhard von Clairvaux, dem mancher andere beredte Mund nacheiferte, war auch der Ritter Gilgen von Lorch bewogen worden, sich ein Kreuz auf seinen Mantel heften zu lassen und an dem Kreuzzuge teilzunehmen. Zwar suchte ihn seine Braut, welche mit ihren alten Eltern fast ohne Schutz auf einer dritten Burg im Wisperthale, [101] vielleicht zwischen den beiden mit Namen aufgeführten, wohnte, anfänglich von seinem Vorsatze abzubringen. Allein die Frömmigkeit, welche sie im Herzen trug, erlaubte ihr nicht, ihrem Verlobten gegenüber bei dem Wunsche, daß er das Rheinland und das Wisperthal nicht verlassen möge, lange zu beharren. Ja, sie lobte endlich seinen Entschluß und flehte mit ihren Eltern Gottes Segen herab für seine Reise nach dem gelobten Lande wie für den ganzen Kreuzzug, den der heilige Bernhard von Clairvaux gepredigt hatte. Nun bestieg der Ritter von Lorch sein Schlachtroß und vereinigte sich mit dem Heere der Kreuzfahrer, dessen Geschick er voller Gottergebenheit zu teilen gedachte.

Auch auf seinem väterlichen Schlosse Lorch hatte der Ritter nur seine kraftlosen alten Eltern zurückgelassen. Es war daher niemand mehr im Wisperthale, der zu jener Zeit dort Recht und Ordnung hätte aufrecht erhalten und die Unschuld beschützen können. Die guten Ritter hatten das Land verlassen und nur der verrufene Ritter vom Rheinberge war im Wisperthale geblieben. Auch er hatte sich einst um die Jungfrau beworben, welche nun Gilgens Braut war. Zwar wußte ihr Vater damals noch nicht, daß sie die Liebe zu Gilgen im Herzen trug. Allein es gingen üble Gerüchte im Wisperthale um, als hätte bei Nacht der Ritter von Rheinberg dann und wann den Reisenden aufgelauert, um sie zu berauben. Bald darauf hatte Gilgen um die Hand der Jungfrau angehalten, die ihm auch nicht verweigert worden war.

Als nun der Junker Gilgen das Wisperthal verlassen hatte, legte sich der Ritter von Rheinberg auch bei Tage an den Weg, um die Kaufleute zu berauben. Er trat offen als Schnapphahn auf. Seine Burg aber war zu einem Raubnest wie geschaffen, denn sie lag auf einem steilen Berge, welchen niemand zu erklimmen vermochte, um ihm die Beute wieder abzujagen.

Dem Junker Gilgen war es zwar nicht bekannt, daß seine Braut auch von diesem Raubritter geliebt wurde. Er lag nun mit dem Kreuzheere an der Küste im Lager und wartete mit ihm auf die Abfahrt aus dem nahen Hafen. Da erwachte in ihm eine so lebhafte Sehnsucht nach der verlassenen Braut, daß er dies Verlangen selbst für sündlich hielt. Dennoch widerstand er der Sehnsucht nicht. Er sattelte sein Roß, entfernte [102] sich heimlich bei Nacht aus dem Lager der Kreuzfahrer und kehrte so schnell, als es in jenen Zeiten möglich war, zurück.

In der Heimat war zum Unglück auch noch der Vater des Junkers von Lorch gestorben, an welchem der Vater seiner Braut sonst wohl noch einen Bundesgenossen gegen die ihm und seiner Familie angethane Gewalt gefunden haben würde. Sogleich hatte der Raubritter die Braut nach dem festen Rheinberg entführt. Mit Entsetzen hörte der Junker bei der Heimkehr, was geschehen war. Er ritt längere Zeit am Rheine auf und ab, ehe er auf einigen der Ritterburgen noch ein paar Jugendfreunde fand, welche während des Kreuzzuges zu Haus geblieben waren und mit ihm das gefährliche Wagstück unternehmen wollten, Rheinberg, die Raubveste, zu erklimmen und zu erobern. Höhnisch rief ihm der Raubritter bei der Ankunft unten am Berge zu, er werde seine Braut nicht wieder erhalten, wenn er nicht im Galopp mit seinem Fähnlein den Berg heraufsprengen könne. Der Berg aber war so beschaffen, daß sich damals nicht einmal ein Weg an ihm zeigte. Dennoch wollten die Ritter den Berg hinanjagen. Aber alle glitten von ihm ab. Ritter Gilgen kam dabei noch dazu sehr übel unter sein Pferd zu liegen. Alle kehrten nach ihren Burgen zurück.

Der Ritter Gilgen erkannte zwar, daß Gott ihn strafen wolle, weil er sich von den Kreuzfahrern weggeschlichen habe. Aber sollte er seine Braut in ihrer Höllenangst verlassen, die sie gewiß dort oben bei dem Raubritter ausstand? Lieber wollte er sich selbst dem Teufel verschreiben, damit dieser ihm hülfe, die Burg Rheinberg zu erklimmen. Nachdem er dem Teufel seine Seele verschrieben hatte, vermochte er auf seinem Rosse den Rheinberg hinaufzugaloppiren und den Raubritter zu töten. Die Braut des Ritters von Lorch aber konnte sich des Wiedersehens nicht erfreuen, denn schon war der Teufel zur Stelle und wies die Schrift vor, worin ihr Geliebter ihm seine Seele verschrieben hatte. Aber schnell riß sie ihm die Verschreibung aus der Hand, warf sie auf den Tisch und stellte ein Crucifix darauf. Unter dem Kreuze konnte der Teufel sie nicht hinwegnehmen und dadurch war die Seele des Ritters gerettet. Endlich fuhr er zum Fenster hinaus, nahm das Fenster mit, setzte aber zugleich das [103] ganze Schloß Rheinberg in Flammen, so daß die beiden Liebenden sich nur mit Mühe nach ihren väterlichen Burgen retten konnten. Der Sattel, auf welchem Junker Gilgen den Rheinberg hinaufgeritten, nachdem er das Bündnis mit dem Teufel abgeschlossen hatte, soll in Lorch bis auf den heutigen Tag zu sehen sein.