Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Philosoph und Astrologe aus Alexandria
Band VI A,1 (1936) S. 581584
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7) Astrolog aus Alexandria, besonders bekannt durch seine enge Beziehung zu Tiberius, dessen volles Vertrauen er auf Rhodos in geschickter Weise zu gewinnen wußte. Nach der vielleicht in Tiberius feindlicher Entstellung geschriebenen Tradition soll ihm Tiberius den Tod zugedacht haben, da er ihm den Kaiserthron und weitere glänzende Schicksale prophezeit hatte. Auf seiner Sternwarte, die auf einem abschüssigen und unzugänglichen Teil seines Hauses gelegen war, examinierte er den Astrologen, ob er auch seine eigene Geburtsstunde genau studiert habe und wisse, was für ein Jahr und welchen Tag er in diesem Augenblick habe. T., der wohl das Schicksal anderer Sterndeuter wußte, die auf dem Rückweg von der Sternwarte auf einen Wink des [582] Tiberius von einem Freigelassenen mit riesigem Körperbau ins Meer gestürzt wurden, studierte aufmerksam die Gestirne und schrie auf, daß ihm die allergrößte Gefahr unmittelbar bevorstände. Tiberius, der ihm den Tod zugedacht hatte, betrachtete seine Worte als ein Orakel für sich selbst, denn er hatte ja auch sein eigenes Schicksal klar erkannt, und hielt ihn fortan unter seinen intimen Freunden: Tac. ann. VI 20f. Suet.Tib. 14, Dio LV 11,2. LVII 15,7. Anon. VIII 4, 99, 7ff., zu den Varianten vgl. Krappe Tiberius and Thrasyllus, in : Americ. Journ. of Philol. XLVIII (1927) 359ff. und Cichorius Röm. Studien (1922) 390ff. Weniger glaubhaft Schol. Iuven. VI 576: quem dolum cum praesentit, fugit. Eine weitere Probe seines Könnens erzählt Dio LV 11,3 und der Anon. Byzant. 100, 1ff. Cumont ebenfalls aus der Zeit der freiwilligen Verbannung des Tiberius auf Rhodos; danach sagt ihm T., daß das in der Ferne gesichtete Schiff ein Schiff des Augustus sei und ihm einen Brief bringe von seiner Mutter, der ihn nach Rom zurückrufe. Er ist dann der stete Begleiter und Berater des Tiberius bis zu seinem Tod geblieben ; das stete Zusammensein mit ihm und seine täglichen Orakel geben dem Kaiser selbst eine solche Routine auch in der intuitiven Astrologie, daß er sogar erkennt, wer der (astromagische) Urheber eines Traumes ist (Dio LVII 15, 7). So kann dank seiner Lehren Tiberius auch dem Galba verkünden, daß er einst Kaiser sein wird : Dio LVII 19, 4. Anon. Byzant. p. 100, 6–9 Cumont. Ebenso kennt er dank des vertrauten Umgangs mit T. alle eigenen Schicksale und die der Mitglieder des Kaiserlichen Hauses: Dio LV 11. Von Tiberius dürfte er vor dessen Adoption bereits auf Rhodus das römische Bürgerrecht erhalten haben und mit dem auf einer bilinguen Inschrift genannten Ti. Claudius Thrasyllus identisch sein nach einer sehr wahrscheinlichen Vermutung Hirschfelds (CIL III 7107, dazu Cichorius 392). Verheiratet war er anscheinend mit der kommagenischen Prinzessin Aka (dazu Cichoriue 396. Honigmann Herm. LIX 477 un Cichorius Rh. Mus. LXXVI103). Mit Tiberius blieb er bis an sein Lebensende in engster Beziehung. Er wird mit diesem von Augustus kurz vor dessen Tod zur Tafel zugezogen (Suet. Aug. 98). Sein enges Freundschaftsverhältnis zu Tiberius wird öfters hervorgehoben und als Beispiel wahrer Freundschaft zwischen Philosoph und Fürst genannt, Tac. ann. VI 21 (familiariter vixit cum Tiberio), Iulian. ep. ad Themist. p. 265C. Themist.or V p. 76, 1. VIII p. 129, 15. XI 173, 6 und XXXIV p. 451, 7 Dind. Als Tiberius im J. 36 n. Chr. schwer krank wird und der sagenhafte Vogel Phoenix in Aegypten erschien, soll T. behauptet haben, daß er den Tod des Kaisers vorausverkünde. Dem Kaiser selbst verheimlichte er diese Voraussage und verhieß ihm noch weitere zehn Lebensjabre (Dio LVIII 27, 1f. Anon. Byzant. p. 100, 12-16 ed. Cumont; vgl. auch Suet. Tib. 62). Er soll sich selbst genau den Tag und die Stunde seines Todes vorausgesagt haben, er starb wenige Monate vor Tiberius im J. 36 n. Chr. (Dio a. O. Suet. Tib. 62). T. ist keiner der üblichen astrologischen Charlatane [583] und Abenteurer, sondern ein ernster Forscher und Philosoph. Nach dem Schol. Iuven. VI 576 war er ein hochgebildeter Mann: multarum artium scientiam professus postremo se dedit Platonicae sectae ac deinde mathesi, in qua praecipue viguit apud Tiberium. Er gilt allgemein als der T., der neben Derkyllides die Werke Platos nach Tetralogien gruppiert hat, die auch in den Hss. meist zugrunde gelegt sind: Albin. Eisag. 6. Diog. Laert. III 5B. IX 37. Auch die Einteilung der Werke des Demokrit nach Tetralogien wird ihm zugeschrieben, doch dürite diese auf einen älteren Autor zurückgehen : Diog. Laert. IX 38. 41. 45-49. Diels Vorsokr. I 55 A (351, 43. 350, 39. 357, 9ff.) und 55 B (834, 21. 439, 4). Weiter erwähnt ihn Porphyr. vit. Plotin. 20 ausdrücklich unter denen, welche über die pythagoreische und platonische Prinzipienlehre geschrieben haben. Ein Werk μερὶ τῶν ἑπτὰ τόνων nennt Porphyr. ad Ptolem. Harmon. p. 266, auf dieses Werk wird wiederholt angespielt, so von Achill. c. 19 p. 46, 30 der Ausgabe von Maass in den Comm. in Arat. rell. und c. 16 ebd. p. 43, 9, die weiteren Zeugnisse bei C. Mueller FHG III 501. Neuerdings neigt man dazu, ihm auch die Werkedes Thrasyllos von Mende zuzuschreiben, s. u. Nr. 4, das wäre z. B. bei dem Werke über die Steine durchaus möglich, da Astrologie und Astromagie immer miteinanderverschwistert sind und die Wunderkraft der Steine ein wichtiges Kapitel der Jatromathematik und Astromagie bildet.

Mehr im Vordergrund steht seine Bedeutung als zünftiger und ale wissenschaftlich arbeitender Astrologe. Als ἄνδρα πασης ἀστρολογίας διαπεφυκότα bezeichnet ihn Dio LV 11, 1. Ein astrologisches Kompendium des T. hat noch einem unbekannten byzantinischen Epitomator vorgelegen, dem wir eine Inhaltsangabe des verlorenen Werkes verdanken, ed. Boudreaux Catal. codd. astrol. Graec. VIII 3 p. 99-101, dazu Cumont ebd.VIII 4, 38 fol. 226 v. Die Uberschrift lautet: συγκεφαλαίωσις τοῦ Ἱεροκλέα Θρασύλλου πίνακος. (Uber Hierokles vgl. Boll N. Jahrb. XXXI 114 und 130, 1. Cichorius 391, da der Name Hierokles öfters auf Rhodos vorkommt, dürfte nach Cichorius der Traktat in Rhodos geschrieben sein.)

T. hat die älteren Handbücher der hellenistischen Astrologie benutzt, sodas Compendium des 50 Hermes Trismegistos (p.100, 24.101, 16 Boudreaux), und des Nechepso Petosiris (p. 100,19f. Boudreaux); die Epitome ist für die astrologische Systematik von besonderem Werte, da sie zeigt, daß u. a. die genauere Spezialisierung der Physeis der 12 Zodiakalbilder und der Planeten, die Lehre der Heptazonos, das Thema mundi schon lange vor dem 1. vorchristl. Jhdt. zum festen Bestand der hellenistischen Astrologie gehörte. Ob Manilius das Werk des T. benutzt hat, läßt sich nicht entscheiden (vgl. Boll Woch. f. kl. Philol. XXX 122f. Bickel Diatribe de Senecae philos. frg. I (1915) 139). Plinius nennt ihn als Quelle im Autotorenverzeichnis zum II., IX. und XXXI. Buch; dann wurde er als Autorität für verschiedene astronomische und astrologische Sonderlehren benutzt von Antiochos (Catal. codd. astrol. graec. VIII 3, 112, 14ff. [584] 117, 2. 139, 2), Vettius Valens (p. 352, 24 Kroll), Porphyrius (Introd. in Ptolem. Quadripartit. ed. Wolff., Basel 1555, 189. 194–197, dazu Cumont Catal. codd. astrol. Graec. VIII 4 fol. 46), Hephaestion von Theben (Catal. codd. astrol. graec. VI 100, 11. VIII 2, 49, 1. 89, 13). Die numeri Thrasylli nennt Juven. sat. VI 576 als Ratgeber astrologiegläabiger Damen, die sich in ihrem Handeln danach richten. Binen griechischen Traktat dieser astrologischen Zahlenmantik hat Tannery aus einer Pariser griechischen Astrologenhandschrift veroffentlicht, der Traktat nennt als Quelle den T. (Notices et extraits des manuscrits XXXI (1886) 255, dazu Dornseiff Das Alphabet in Mystik und Magie, Stoicheia VII 117.)

Ein Sohn des T. folgte dem Vater als praktizierender Astrologe ; nach Tac. ann. VI 22 hat er die Herrschaft Neros vorausgesagt (vgl. XIV 9) ; den Namen nennt Tacitus nicht, es ist sehr wahrscheinlich der außergewöhnlich gefeierte Astrologe Ti. Claudius Balbillus ; vgl. die Literatur bei W. Kroll z. Art. Claudius Nr. 82, s. Suppl.-Bd. V S. 59; über seine Enkelin, bzw. Tochter Ennia Thrasylla Cichorius Röm. Studien 390ff. und Kroll a. O.