Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
die Oden Salomos
Band I A,2 (1920) S. 19992001
Oden Salomos in der Wikipedia
GND: 4172361-2
Oden Salomos in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register I A,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|I A,2|1999|2001|Salomo-Oden|[[REAutor]]|RE:Salomo-Oden}}        

Salomo-Oden.

Zur Literatur

Vgl. Beer Realencycl. f. prot. Theol. XXIV 1913, 375. Kittel Die Oden Salomos (Beitr. z. Wissensch. v. AT 16) 1914, 142–153.

1. Text und Übersetzung.

Harris The odes and Psalms of S. 1909.² 1912. Burkitt A new Ms. of the odes of S. (Journ. of Theolog. Studies 1912, 372–385). Flemming-Harnack E. jüd. christl. Psalmbuch 1910. Ungnad-Staerk Die O. S. 1910. Diettrich Die O. S. 1911. Grimme Die O. S. 1911. Battifol-Labourt Les Odes d. S. 1911.

2. Zur Kritik.

Wellhausen G. G. A. 1910, 629ff. Gunkel(-Greßmann) Ztschr. f. neutestl. Wiss. 1910, 291ff. Kleinert Zur religionsgesch. Stellung der O. S. (Theol. Stud. u. Krit.) 1911, 569–611. Frankenberg Das Verständnis d. O. S. (Beihefte z. Ztschr. f. ATW XXI) 1911. Beer a. a. O. 375–378. Gunkel Salomo-Oden (Religion i. Gesch. u. Gegenw. V) 1913, 230f. Kittel Die Oden S. 1914.

I. Überlieferung.

Von Oden S.s wußte man bisher nur aus altchristlichen Zitaten. 1. Lactantius führt Inst. IV 12, 3 Text aus Ode 19 an. 2. In der koptisch erhaltenen griechischen Schrift Pistis Sophia. (C. Schmidt 1905) sind 5 Oden S.s erhalten. 3. Bei Ps.-Athanasius in der Synopsis Sanctae Scripturae (6. Jhdt.) begegnen ψαλμοὶ καὶ ᾠδὴ (l. ᾡδαὶ) Σολομῶντος und 4. in der Stichometrie des Nicephorus (Anf. des 9. Jhdts.) werden genannt ψαλμοὶ καὶ ᾠδαὶ Σολομῶντος στιχ.’ ‚βρ‘ (Harnack a. a. O. 2ff.).

Diese ‚Oden‘, und zwar 42, nicht zu verwechseln mit den Psalmen Salοmos, sind seit 1909 wieder zugänglich gemacht durch Rendel-Harris aus einer syrischen Übersetzung, die aus dem ‚Tigrisland‘ stammt und etwa 3–400 Jahre alt ist. Die von Burkitt 1912 (aus Brit. Mus. Add. 14 538) veröffentlichte syrische Handschrift gehört dem 10. Jhdt. an.

Die Identität der syrischen Übersetzung mit dem aus der altchristlichen Überlieferung bekannten Pseudepigraph folgt 1. daraus, daß das Zitat bei Lactantius Solomon in ode undevicesima ita dicit: infirmatus est uterus virginis usw. steht im syrischen Text 19, 6. 2. Die 5 Salomon-Oden der Pistis Sophia decken sich mit 1. 5, 1–9. 6, 7–17. 22 und 25 des Syrers. Infolge Handschriftdefekt fehlen bei Harris Ode 1, 2 und Anfang 3. In der Burkittschen Handschrift, die zum Teil wertvolle Varianten bringt, sind nur Ode 17, 7ff. bis 42 erhalten.

Die Grundsprache der Oden ist das Griechische; aus ihm ist sowohl die koptische wie die syrische Übersetzung geflossen. Nachgeahmt ist aber in den Oden der aus der LXX bekannte Parallelismus der hebräischen Psalmen, also: ,hebräische Poesie in griechischer Form‘ (Gunkel). Eine [2000] Rekonstruktion des griechischen Textes hat Frankenberg a. a. O. versucht.

II. Inhalt und Herkunft.

Die Oden Salomos werden bereits von Lactantius und der Pistis Sophia zum Alten Testament gerechnet, müssen daher schon früher für kanonisch gehalten worden sein. In der Überlieferung folgen die Oden Salomos immer hinter den Psalmen Salomos‚ die aus der Zeit des Pompeius stammen. Damit ist die Entstehung des fraglichen Pseudepigraphs in die Zeit zwischen 50 v. Chr. und 200 n. Chr. festgelegt. Ob die Oden nun aber jüdischer oder christlicher Herkunft sind, kann nur durch den Inhalt entschieden werden.

Unsere Texte sind ausgesprochen religiöse Lieder und zwar mystisch-gnostischer Richtung. Die Vergottung der Seele bildet das Hauptthema und den Zusammenhalt der Lieder, weshalb alle Textscheidungen bis jetzt wenig Erfolg gehabt haben. Der Sänger erstrebt die Versenkung in das Göttliche nicht bloß, sondern er erlebt sie trotz mannigfacher Widerstände. Es sind ‚fast lauter Kundgebungen jubelnder Freude; sie schließen alle mit Halleluja‘, (Wellhausen a. a. O. 639). Die Erlangung des Zieles wird als ein sich Freuen in Gott, eine Befreiung von Finsternis, ein Wandeln im Licht u. dgl. beschrieben. Ist die theosophische Art der Lieder zunächst neutral, oder allgemein menschlich und könnten sie ebensogut von einem Hellenisten oder Heiden, einem Juden oder einem Christen stammen, so kann über die spezifisch-christliche Herkunft bei näherem Zusehen doch kein Zweifel bestehen.

Für einen Juden konnte sprechen neben der poetischen Form, dem Parallelismus membrorum, die Vertrautheit mit der alttestamentlichen, besonders der lyrischen Bildersprache. Doch erklärt sich beides aus der Belesenheit in dem griechischen Alten Testament. Ode 36, 3 wird der Geist in alttestamentlich-semitischer Weise als weiblich gedacht und gilt als Mutter des Christus. Wenn auch ein jüdischer, bezw. semitisch-orientalischer Einschlag in den Liedern nicht zu leugnen ist, so zeigt doch das Fehlen echt-jüdischer Begriffe wie Gesetz, Opfer, Beschneidung, Sabbat, Fasten, oder Namen wie Abraham, Jakob, Mose, David, Levi, daß die Oden keine eigentlich-jüdischen sind. Das sind sie umsoweniger, da der christliche Hintergrund hindurchschillert. Zwar ist der christliche Geist nicht der des Durchschnittschristentums. Es fehlen Namen wie Jesus und Gedanken von Sünde, Buße, Taufe u. ä. Doch lebt der Dichter, ohne das Neue Testament zu zitieren, in der Welt Jesu und seiner Apostel. Ausdrücke wie ἀγάπη, ζωή, φῶς, γνῶσις u. ä. gehören einem paulinisch-johanneischen Christentum an. Abgesehen von dieser besonderen Färbung lassen sich schließlich die allgemein christlichen Dogmen von der Menschwerdung des Christus 7, 5ff., der Jungfrauengeburt 19, dem Kreuzestod 31, 7ff., der Höllenfahrt und der Erhöhung 41, 12f. erkennen. Oder es ist 19, 2ff. die christliche Trinitätslehre vorausgesetzt. Unser christlicher Dichter liebt es aber auch, sich aus dem Heidentum stammender Mythen zu bedienen (Gunkel). So z. B. wenn 38, 9ff. von einem höllischen Brautpaar [2001] geredet wird, das der Christus überwindet; oder wenn 39, 1ff. Flüsse genannt werden, die das Paradies von der irdischen Welt trennen.

III. Zeit.

Da die syrische Überlieferung die Oden in die jakobitische Kirche Ägyptens weist, wird vor allem an Ägypten als Heimat der Lieder zu denken sein. Wie einst Philo die Tatsachen der jüdischen Heilsgeschichte in allegorisch-symbolischer Weise umdeutete, so setzen zwar auch die Oden Salomos die christliche Heilswelt voraus und billigen sie, transponieren sie aber, wie zum Teil auch Paulus und Johannes tun, in das Geistige, Gegenwärtige und Ewige. Der in Niedrigkeit geborne Christus ersteht in der einzelnen Menschenseele zu neuem Leben und wird in ihr zu herrlicher Entfaltung gebracht. Das Emporkommen wird nach dem Vorbild des duldenden und schließlich triumphierenden alttestamentlichen Gerechten, besonders in den kanonischen Psalmen, beschrieben – daher das alttestamentlich-semitische Kolorit der christlichen Lieder. Die Lieder werden anzusehen sein als ein Produkt der im Anschluß an Gedanken und Wendungen Philos sich entwickelnden christlichen Mystik und Gnosis‘ (Beer a. a. O. 378). Näher stammen sie aus der gleichen Atmosphäre wie das 4. Evangelium, an das sie sich auch direkt anzulehnen scheinen (Wellhausen). Ein echtes Kind jenes aus jüdischen, heidnischen und christlichen Elementen gebornen Synkretismus, werden die Oden in die Zeit zu stellen sein, die zwischen Philo, dem Vorläufer, und Plotin, dem Begründer des Neuplatonismus liegt. ‚Im Unterschied zu dem bloß gelegentlichen Schauen und Erleben der Gottheit durch den jüdischen und den heidnischen Mystiker ist in den Oden Salomos das Gotterleben ein Verharren in einem Zustand‘ (Beer). Die Sänger sind sich bewußt, daß durch den neutestamentlichen Christus die volle Offenbarung gekommen ist, in deren dauernden Besitz der Gläubige treten kann. Welcher christlichen Partei nun näher die Oden zuzuweisen sind, ist vorab nicht zu sagen. Nur der allgemeine Charakter der Lieder läßt sich als mystisch-gnostisch bezeichnen.

[Beer. ]