Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Band I A,1 (1914) S. 264266
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Ratis (σχεδία). 1) Floß.

a) In Sagen. In der phönizischen Mythologie wird die Erfindung und der Gebrauch zur Meeresfahrt erwähnt (Euseb. [265] praep. ev. I 10, 35 c. 37 b). Der tyrische Herakles fährt auf einem Floß zum ionischen Erythrai (Paus. VII 5, 5). Erythras erfand das Floß auf den Inseln des Roten Meeres (Plin. VII 206), also wohl auf Tyros und Arados, wo nach Herod. I 1 und Strab. XVI 766 die Urheimat der Phönizier war; die benachbarten Gerrhaeer fuhren noch später auf Flößen nach Babylonien (Strab. a. a. O.). Dardanos fuhr während der Überschwemmung nach Art der Mesopotamier mit σχεδία und ἀσκός zur Troas (Diod. V 48. Schol. Il. XX 215), er zeigt noch andere Verbindungen mit Assyrien (Assmann Das Floß der Odyssee 23). Auch die σχεδία des Odysseus (Od. V 163. 174. 251. 314 usw.) ist vermutlich aus morgenländischer Sage entlehnt, sie war ein seegehendes Floß mit Sturmdeck, dessen Bau Assmann a. a. O. 5ff. erläuterte. Etruskische Spiegel und italische Skarabäen (Gerhard Etr. Sp. Tf. 398. 257 B; Impronte gemmarie dell’ Instit. I 18. 19. III 21–24. V 22. Mélanges d’archéol. 1892, 273. Furtwängler Antike Gemmen III 1975. Ti. 19, 36fl'.) zeigen den Herakles auf einem von Amphoren getragenen Floße; solche Fahrzeuge waren im Altertum und sind noch heute eine Eigentümlichkeit Ägyptens (Mélanges d’archéol. 1892, 279); mit Unrecht hat Furtwängler den ägyptischen Charakter hier geleugnet und in den Amphoren Symbole italischer Heilquellen gesehen.

b) In der Geschichte. An allen Küsten Arabiens war das Floß noch in der Kaiserzeit ein volkstümliches Fahrzeug zur See (Strab. XVI 766. 769. 777. Plin. XII 87. Athen. III 93 e). Auf den Strömen Mesopotamiens benutzte man Flöße, welche, in Ermangelung des Holzes, von aufgeblasenen Hammelhautschläuchen getragen wurden, während man in den Euphratsümpfen auf Schilfbündeln fuhr (Layard Monum. of Nineveh I Taf. 33. II Taf. 13. 41. 27f. Xen. anab. I 5, 10. II 4, 28). Das häufigste Fahrzeug auf den Kanälen des Nildeltas war das Floß aus Papyrusbündeln, seltener bildete eine Schar zusammengebundener, leerer, verschlossener Tonkrüge den Schwimmkörper (ὀστράκινα πορθμεῖα Strab. XVII 788; fictiles phaseli Iuven. XV 127; vgl. das Amphorenfloß des Herakles). Im Gegensatz zu dieser starken Verwendung des Floßes für Fluß und Meer im Morgenlande fehlte anscheinend ein häufiger Gebrauch desselben bei den Europäern, diese wählten es nur selten als Notbehelf im Kriege, und zwar offensichtlich zuweilen nach mesopotamischem Vorbilde (zuerst Alexander am Iaxartes. Curt. VII 36. Diod. XIX 54. Plin. VIII 16. Polyb. III 42. 46. Liv. XXI 27. 47. 56. Cacs. bell. civ. I 25, vgl. Lucan. IV 420ff. Ammian. XXIV 3, 11. XXX l, 9; auch Caes. bell. Gall. VI 35. Liv. V 35. Thuc. VI 2, 4). Die utriclarii an Flußübergängen in Dacia und Gallia Narbonensis (CIL III 944. 1547. XII 187. 700. 729. 731. 733. 1742. 1815. 3351. 4107) hatten vermutlich Schlauchflöße, deren Gebrauch vielleicht erst aus Vorderasien (z. B. durch Legionare) eingeführt werden war. Ob die ratiarii auf Rhone und Isère (CIL XII 2597. 2331) mit Flößen oder mit Prähmen (plattbodigen, breiten, viereckigen Kähnen) fuhren, ob die rataria des Gellius X 25 eine prahmartige Fähre war, bleibt unbestimmt. Die mit ratis sive ratiaria bezeichnete Abbildung im Mosaik von Althiburus (Daremberg-Saglio [266] Abb. 5921) ist durchaus unverläßlich (Arch. Jahrb. 1906, 110ff.). Große Flöße von Masthölzern erwähnen Theophr. h pl. V 8, 2, Plin. XVI 202, Vitruv. II 9, 14; vgl. I Könige 5, 23. R. und. σχεδία werden in dichterischer Freiheit für navis gebraucht (Varro de l. l. VII 23. Verg. Aen. I 43. Eurip. Hec. 113. Torr Ancient ships 122 rechnet mit Unrecht hierher das ,Boot‘ des Odysseus). Σχεδία bedeutet auch Schiffsbrücke (Aeschyl. Pers. 69. Herod. IV 88. VII 36. VIII 97; Ortschaft Σχεδία in Unterägypten Strab. XVII 800).