RE:Ramnes
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Alte röm. Stammestribus | |||
Band I A,1 (1914) S. 137–139 | |||
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Ramnes (Gen. Ramnium; daneben Ramnenses, Ramnensium; Ῥαμνήσης Plut. Rom. 20; schließlich Gen. Ramnetum Serv. Aen. V 560; Ῥαμνιτας Lydus de mag. I 9; als Singular Akk. Ramnetem Ampelius 49. Uber das Verhältnis dieser Formen zueinander s. u.), eine der drei alten Stammestribus der Tities, R. und Luceres, daneben die Bezeichnung zweier Rittercenturien von den sechs Suffragia der sog. Servianischen Verfassung. Der älteste Autor, der, soweit wir wissen, die R. erwähnt hat, war Ennius. Varro de l. l. V 55: tribus – Titiensium, Ramnium, Lucerum. nominatae, ut ait Ennius, Titienses ab Tatio, Ramnenses ab Romulo. Mit dieser Etymologie hat Ennius sehr viel Glück gehabt. Fast die gesamte antike Gelehrsamkeit leitete nach ihm die R. von dem Namen Romulus ab, und noch in neuerer Zeit hat selbst Mommsen an die sprachliche Identität von R. und Romani geglaubt (R. G. 17 41). Dabei gibt schon Varro selbst die richtige Deutung, der an der zitierten Stelle von den drei Tribusnamen sagt: omnia haec vocabula Tusca, ut Volnius, qui tragoedias Etruscas scripsit, dicebat. Diese Mitteilung des etruskischen Dichters ist durch die Forschungen Wilhelm Schulzes völlig bestätigt worden (Zur Gesch. lat. Eigennamen = Abh. Gött. Ges. V 5). Wir wissen jetzt, daß die R., Tities, Luceres weiter nichts sind als die etruskischen Gentilnamen der *ramne, titie und luχre (Schulze a. a. O. 581). Für jeden Forscher, der sich auch nur die einfachsten Grundlagen des etruskischen Namenssystems angeeignet hat, kann an der Richtigkeit dieser Deutung nicht der geringste Zweifel bestehen. Für R. sei der Beweis hier kurz wiederholt (s. Schulze 218). -na (bezw. -ne) ist das, neben -ie‚ verbreitetste Suffix der etruskischen Gentilnamen-Bildung. Daß *ramne tatsächlich Gentilname ist, zeigt die Latinisierung des Namens zu Ramnius, CIL I 571 = X 3772 (Capua) Eine zweite Latinisierung istRamennia CIL XIV 1542 (Ostia). Den Suffixcharakter des -ne erweist der Name Ramius oder Rammius(Schulze 218, A 2). Im ganzen verhalten sich die Gentilnamen Ramius und Ramnius zueinander etwa wie Titius und Titinius. Da dieses Verhältnis nur auf etruskischem Boden möglich ist, sind wir berechtigt, aus den R. den Gentilnamen *ramne zu erschließen, während titie tatsächlich auf den etruskischen Inschriften vorkommt; ebenso luχre (= Luceres). Die oberflächlich latinisierte Form R. ist stets die amtlich korrekte geblieben. Wir haben sie viermal bei Varro (als Ramnium: de l. l. V 55. 81. 89. 91). Ebenso schreibt Fest. p. 344 = 349 und p. 355, zweimal Liv. I 36, 2 und X 6, 7, sodann Schol. Clc. Verr. I 14 (p. 159). Ovid. fast. III 132. Propert. IV 1, 31. Horaz ars poet. 342. Pervig. Veneris 73. Aber daneben hat man schon früh die Fremdartigkeit des Wortes empfunden und [138] es zu Ramnenses besser latinisiert. Diese Form hat: Cic. de r. p. II 36. Varro de l. l. V 55 (gleich hinter Ramnium). Liv. I 13, 8. Plut. Rom. 20. In vir. ill. 2, 11 schwankt die Überlieferung zwischen R. und Ramnenses. Schließlich hat man auch R. als Singular dekliniert, Akk. Ramnetem, Ampelius 49 (vgl. Rhamnetem Verg. Aen. IX 325). Davon stammen dann die neuen Plurale Ramnetum Serv. Aen. V 560 und Ῥαμνίτας; Lydus de mag. I 9. Die amtliche Reihenfolge der drei Tribus ist durchaus Tities, R., Luceres. So bei Cic. a. a. O. Fest. Schol. Cic. Verr. Servius. Ovid. Properz.‚ dreimal bei Varro. Wer dagegen die Entstehung der drei Tribesnamen erzählte, war leicht geneigt, mit Romulus und demnach mit den R. zu beginnen (Cic. de r. p. II 14 heißt es von Romulus: populumque et suo et Tati nomine et Lucumonis — descripserat). So stellt Livius stets die R. an die Spitze. Ebenso verfahren Lydus und Plutarch. Die Deutung der R. auf Romulus (außer Ennius und Cicero noch Serv. Aen. V 560. Liv. I 13, S. Schol. Cic. Verr. I 14. Vir. ill. 2, 11. Plut. Rom. 20) hätte dazu verführen können, sie mit den ursprünglichen Genossen des Romulus zu identifizieren und dann etwa in den Tities das Volk des Titus Tatius zu erblicken. Aber diese Theorie existiert in der ursprünglichen Überlieferung nirgends; überall erscheinen die drei Tribus als gleich alt. Als ursprüngliche Gliederung des römischen Volkes werden sie natürlich auf Remulus zurückgeführt, und zwar schafft er sie, wegen der Deutung der Tities, nach der Vereinigung mit den Sabinern (Cic. de r. p. II 14; vgl. Plut. Rom. 20). Nur Dionys. II 7 setzt das Ereignis schon vorher an, kann deshalb die Tities nicht nennen und kennt darum die R. und Luceres auch nicht. Wann die Tribus der R. tatsächlich geschaffen wurde, wissen wir natürlich nicht. Ebenso zweifelhaft bleibt es, ob sie, und nicht minder die beiden anderen Tribus von Hause aus etruskischer Nationalität gewesen ist. Über alles weitere s. unter Tribus.
Den Namen der R. führen auch zwei Rittercenturien von den sog. sex suffragia, die als priores (Cic. de r. p. II 36) und posteriores (Liv. I 36, 7) geschieden werden (Liv. I 13. 8. 36, 2. Vir. ill. 2, 11. Lydus de mag. I 9; vgl. Varro de l. l. V 91. Festus p. 355). Ihre Entstehung vollzog sich wohl so, daß im 5. Jhdt. jede Tribus etwa 200 patrizische Ritter stellte. Bei der Einführung der Centurienverfassung wurde dann jedes dieser Kontingente in zwei ‚Hundertschaften‘ zerlegt (vgl. Rosenberg Untersuchg. z. röm. Centurienverf. 46ff.). s. den Art. Equites Romani o. Bd. VI S. 272ff. In historischer Zeit traten die alten Tribus offenbar nur noch in den Namen dieser sex suffragia zu Tage. Da die jüngeren 12 Centurien der Ritterschaft bekanntlich namenlos sind, wunderten sich die Späteren warum die sechs anderen Abteilungen eigene Bezeichnungen trugen. So entstand die Legende, daß der König Tarquinius Priscus die Namen der R. usw. abschaffen wollte, aber von dem Augur Attus Navius aus religiösen Gründen daran gehindert worden sei (Cic. de r. p. II 36. Liv. I 36. 2). Ein Gelehrter, dem Fest. p. 344 = 349 folgt, hat dann noch die unglückliche [139] Ansicht vertreten, daß das älteste Rom. analog den sex suffragia, in sechs Halbtribus der primi und secundi Ramnes usw. zerfallen sei. Diese Sechszahl fand er in den sechs Vestalinnen wieder (Festus a. a. O.).
Für Horaz ars poet. 342 sind die ‚celsi Ramnes‘ der Typus der jungen Aristokraten. Er denkt da natürlich nur an die Rittercenturien. Der Verfasser des Pervig. Veneris nennt (73) die ältesten Römer Ramnes et Quirites, hier in Beziehung auf die Tribus des Romulus. Vergil endlich läßt Aen. IX 325 einen Augur des Turnus mit Namen Rhamnes auftreten (superbum Rhamnetem). Mommsen St.-R. III³ 97 4. Holzapfel Klio I 228ff.