Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Historiker und Sophist
Band XVIII,1 (1939) S. 406408
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Onasimos war nach Suid, s. v. ein Historiker und Sophist des 4. Jhdts., genauer der Zeit Konstantins (324—337) und stammte aus Kypros oder Sparta. Er war der Sohn des bekannten Rhetors Apsines (Brzoska o. Bd. II 9. 278, 16) und hatte seinerseits einen Sohn, den er nach dem Großvater wieder Apsines nannte (Suid. s. Ἀψίνης 1 und 3) und dem die bei Suidas genannte τέχνη δικανικὴ πρὸς Ἀψίνην gewidmet sein dürfte (Schmid-Stählin II 2, 938, 4. 986, 8). Aber der Suidas-Artikel scheint kontaminiert zu sein; denn es erheben sich gegen ihn verschiedene Bedenken. Einmal spricht Suidas selbst s. Ἀψίνης 3 von einem σοφιστὴς Ἀθηναῖος. Doch dieser Widerspruch läßt sich, wie bei dem Gadarener Apsines (Brzoska 277, 55), leicht da durch lösen, daß Sparta oder Kypros sein Geburtsort, Athen aber der Ort seiner Wirksamkeit war. Gewichtiger ist aber, daß Suidas nur rhetorische Schriften nennt, keine historischen, und vor allem, daß O. bei der von Suidas angegebenen Blütezeit nicht ein Sohn des rund 100 Jahre früher blühenden Apsines gewesen sein kann. Also nimmt Brzoska 278, 16ff. wohl mit Recht an, daß hier ein Historiker Κύπριος ἤ Σπαρτιάτης aus Konstantins Zeit verschmolzen sei mit dem älteren σοφιστὴς Ἀθηναῖος (vgl. auch Dessau PIR II p. 433 nr. 68).

Für den Historiker aus Konstantins Zeit nennt Suidas, wie eben erwähnt, keine Titel von Schriften; aber bei Flavius Vopiscus, einem der Scriptores historiae Augustae, dessen Zeit unsicher ist (vielleicht Ende des 4. Jhdts.), wird ein wohl mit unserem O. identischer Onesimus, scriptor vitae Probi, sechsmal genannt (quadr. tyr. 13, 1. 14, 4. vit. Cari 4, 2, 7, 3. 16, 1. 17, 6., Vgl. Schmid-Stählin II 2, 1038). Vopiscus sagt (vit. Prob. 2, 7), er wolle nicht Sallust, Livius, Tacitus und Trogus nachahmen, sondern Sueton, Marius Maximus und die übrigen Biographen, qui haec et talia non tam diserte quam vere memoriae tradiderunt. Darunter hätten wir also auch seine Quelle [407] O. zu rechnen. Trotz dieses angeblichen Strebens nach veritas ist er aber ein geschichtsfälschender Rhetor, und trotz des angeblichen Verzichtes auf eloquentia und des Sichbegnügens mit dem pedester sermo gerät er durch sein Bemühen, möglichst schön zu schreiben, in eine gezierte und geschwollene Ausdrucksweise. Es ist darum auf das Lob besonderer diligentia, das Vopiscus vit. Cari 4, 2 dem O. zuteil werden läßt, kein besonderes Gewicht zu legen, ebensowenig darauf, daß hier und 7, 3 Vopiscus sich bei Diskrepanzen der Überlieferung gerade O. anschließt. Wir lernen O. aus diesen Zitaten als einen Geschichtsschreiber kennen, der nach Originalität strebt (nach quadr. tyr. 13, 1 stand O. mit einer Nachricht über Proculus ganz allein da) und sich auch nicht scheut, sich durch Ausmalung von Unsittlichkeiten ‚interessant‘ zu machen (vit. Car. 16, 1).

Von dem Sophisten O. nennt Suidas folgende Schriften, die sämtlich verloren sind:

  1. στάσεων διαιρέσεις.
  2. τέχνη δικανικὴ πρὸς Ἀψίνην
  3. περὶ ἀντιρρητικῆς τέχνης, wozu Christ-Schmid II 2, 927, 3 ähnliche Schriften anderer in Parallele stellt. Da wir sonst nur praktische Beispiele für αντιρρητικοὶ λόγοι haben, ist es besonders bedauerlich, daß diese Schrift über ihre Theorie verloren ist genau so wie das von Theon über die Vorübung der ἀντίρρησις Gesagte (vgl. Stegemann u. Bd. VAS. 2041, 13ff.), vorausgesetzt, daß Theon überhaupt über die ἀντίρρησις gesprochen hat, was neuerdings bestritten wird (Akinian Handes Amsorya, Ztschr. f. armen. Philol. XLVIII [1934] 193—212, vgl. Resumé 345—848). Aus dem Vorhandensein einer besonderen ἀντιρρητικὴ τέχνη neben einer τέχνη δικανική dürfen wir wohl schließen, daß auch O., wie Theon, Sopatros u. a., der Meinung war, die ἀντίρρησις sei τέταρτον εἶδος τῆς ῥητορικῆς. Vielleicht ist er überhaupt schuld an dem zur Zeit des Athanasios (Mitte des 4. Jhdts.) und Sopatros (zweite Hälfte des 4. Jhdts.) und sogar noch Nikolaos von Myra (5. Jhdt.; vgl. Stegemann o. Bd. XVII S. 446, 7ff.) aktuellen Streit um das Genos der Aristeidesrede ὑπὲρ τῶν τεττάρων, indem er nach Gewohnheit der Spezialforscher, recht viel in ihr Forschungsgebiet hineinzuziehen, diese Rede als ἀντίρρησις in Anspruch nahm.
  4. προγυμνάσματα: Das kann beides sein, sowohl eine Theorie der rhetorischen Vorübungen als auch ausgeführte Musterbeispiele. Brzoska 282, 37ff. dachte an eine theoretische Schrift, die auf mündlich vorgetragene Lehren seines Vaters Apsines zurückginge. Da bei Suidas μελέται auf die προγυμνάσματα folgen, hat man wohl eher an die zweite Bedeutung, also an ausgeführte Musterbeispiele, zu denken.
  5. μελέται.
  6. ἐγκώμια: Diese gehören eigentlich schon zu den προγυμνάσματα in der zweiten Bedeutung. Wenn sie hier besonders genannt werden, so scheint O., außerhalb der Musterbeispiele für Schulzwecke, noch besondere Enkomien, vielleicht auf historische Persönlichkeiten, veröffentlicht zu haben.

Suidas hebt hervor, daß O. noch ἄλλα πλεῖστα geschrieben habe, also ein sehr fruchtbarer Schriftsteller gewesen ist. Inwieweit sich O. auf die [408] Theorie seines Vaters Apsines gestützt hat und inwieweit er davon abgewichen ist, läßt sich bei dem vollständigen Verlust seiner rhetorischen Schriften nicht feststellen, ebensowenig, wie er auf seinen Sohn Apsines rhetorisch eingewirkt hat.