Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sternbild des kleinen Bären
Band XII,1 (1924) S. 3741
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6) Κυνόσουρα, Sternbild des kleinen Bären. Der Name ist zuerst nachweisbar bei Arat. 36. 52; vielleicht hat ihn Eudoxos angewandt, doch läßt sich das aus dem Texte bei Hipparch nicht mit Gewißheit erschließen, vgl. etwa Hipp. p. 30, 15 19. Außer der üblichen Form K. findet sich auch κυνοσουρὶς ἄρκτος, Arat. 182. 227. Manetho II 24 und einfach κυνοσουρίς. Arat. 308. Nonn. Dion. I 166; ebenso finden sich bei den Römern cynosura, cynosuris. cynosuris arctos und cynosuris ursa (die Belege im Thesaur. l. l. a. O. s. v.). Auch auf den großen Bären wird gelegentlich diese Bezeichnung übertragen, vgl. Valens p. 13, 27 Kr., dazu Boll Sphaera 92. Die Astronomen und Astrologen bevorzugen zur Bezeichnung des Sternbildes die ältere Benennung ἀρκτὸς μικρά; nach Hygin. astr. II 2 p. 33 Bu. hat Thales 1 zuerst diesen Namen verwendet. Empedokles (Diels Vorsokr. I 2 a 162, 35), Euripides (Peirithoos = Diels 618, 18), Eudoxos. Hipparch, Ptolemaios u. a. verwenden das Bild und den Namen der Bärin; weniger geläufig ist die Auffassung kleiner Wagen, die Römer bezeichnen das Sternbild auch septentrio minor und später kommt dazu arcturus minor, z. B. Beda de signis caeli 2 = Commentar. in Arat. rel p. 582 M. Außerdem heißt das Sternbild auch Phoinike und Phoinix (s. u.).

Ob die Bezeichnung bereits vor Arat volkstümlich gewesen ist, läßt sich aus den Quellen nicht feststellen. Die alten Erklärer haben in dem Namen und dem Bilde einen ‚Hundeschwanz‘ gesehen, so heißt es im Schol. Il. XVIII 487: διὰ τὸ ὡς κυνὸς ἔχειν ἀνακεκλασμένην οὐράν, ähnlich Schol. Arat. v. 25 p. 343, 25 M. und Serv. Georg. I 246. Wir treffen dementsprechend auch den Namen Canis cauda, Beda a. O. Die Position der Sterne ergibt ohne viel Phantasie von selbst ein solches Bild, das wir zu den natürlichen, d. h. am Himmel gegebenen Sternbildern rechnen dürfen, vgl. Ideler Unters. über d. Urspr. u. d. Bedeut. d. Sternnamen 8; dazu sei auf die Tatsache hingewiesen, daß man unter κυνοσουρίς, [38] wie das Sternbild bei Arat u. a. heißt, eine Art schneller lakonischer Jagdhunde versteht, Callim. Dian. 94, nach der Bemerkung des Scholions eine Kreuzung zwischen Fuchs und Hund. An dieser Deutung hat H. Usener Götternamen 209f. Anstand genommen und den Begriff ‚Lichtwarte‘ herausgelesen, ihm folgt Gruppe Griech. Mythol. = Hdb. d. klass. Aw. V 2, 195 und 947. Mir erscheint diese Deutung zu künstlich, ihr widersprechen die antiken Auffassungen und die Tatsache, daß im Altertum nirgends darauf angespielt wird, daß dieses Gestirn als Lichtwarte und Wohnung des ersten Himmelsgottes betrachtet wurde. Wenn einzelne Berge und auch Klippen den Namen K. tragen, so scheint mir auch hierfür nicht eine ursprüngliche Bezeichnung als Lichtwarten‚ wie Usener will, vorzuliegen‚ sondern das Primäre wird auch hier der einfache Vergleich der äußeren Gestalt mit einem aufgerichteten Hundeschwanz sein.

Diese ursprüngliche Bedeutung hat das Sternbild bereits bei Arat eingebüßt: Arat sieht in K. die geläufige Auffassung einer Bärin. Auch sonst wird nirgends eine Zeichnung oder astrothetische Noten gegeben, die dem Namen K. gerecht wird. Nach Hipparch p. 30, 11ff. und p. 46, 10ff. Man. werden Kopf und Füße in die vier Sterne des Vierecks gesetzt, während die drei nach dem Pole zu gelagerten Sterne den für einen Bären ungewöhnlich langen Schwanz bilden. Dieses abnorme Bild scheint mir aus der Vermittlung der beiden populären Bezeichnungen des Sternbildes als Bärin und als Hundeschwanz kombiniert zu sein, dabei hat wohl die ältere Deutung der Sterne als die kleine Bärin die offizielle Gestalt des Bildes, der Hundeschwanz den langen Bärenschwanz veranlaßt. Und diese Zeichnung hat dann später auf die erwähnte astronomische Gestaltung des großen Bären übergegriffen, der nach Hipparch p. 46, 7 von den alten Astronomen nur aus den bekannten sieben hellen Sternen gebildet wurde; so wurde die traditionelle Darstellung des großen Bären mit dem langen Schwanze hervorgerufen. Vielleicht liegt bereits in der Κυνοσουρὶς ἄρκτος (die Bärin mit dem Hundeschwanz) eine Andeutung auf dieses Bild des kleinen Bären. Die antiken Astronomen haben keine weiteren Sterne zu dem Bilde hinzugezogen. Außer den astronomischen Positionsangaben bei Eudoxos, Arat (52. 182. 308), Hipparch p. 30, 10ff. 68, 20. 116, 11. 118, 16. 274. 25 Man. und Ptolemaios math. synt. VII 5 p. 38 Heib. geben die Katasterismen besondere Bestimmungen, vgl. Eratosth. Cat. rell. p. 58, 7 Rob. Arat. lat. p. 186, 7. M. Schol. Germ. G. p. 116. 8 Br., dazu Rehm Herm. XXXIV 265. Böhme Rh. Mus. XLII 298. Dittmann De Hygino Arati interprete. Diss. Leipz. 1900, 50 adn. 47, weitere Längenangaben in astrologischen Texten bei Boll Sphaera 94. Die geringe Lichtstärke und Größe des Gestirnes wird öfters hervorgehoben, vgl. Arat. 227 οὐδὲν ἀφαυρότερον τροχάει. Schol. Il. XVIII 488. Manetho II 24 βαιὴ Κ. Cic. nat. deor. II 106 parrula Cynosura. Germ. Arat. 187 brevis Cynosura. Manil. V 617 augusto Cynosura brevis torquetur in orbe, quam spatio, tam luce minor. Über die Größe und Lichtstärke der einzelnen Sterne Ptol. synt. math. VII 5 p. 38 Heib., nach ihm enthält das Sternbild [39] zwei Sterne zweiter Größe, der südliche und nördliche der nachfolgenden in der Seite des Vierecks = β und γ; Hipparch bezeichnet sie (p. 30, 12) als die ‚hellsten‘ und führenden im Viereck, von denen der nördlichere nach den alten Astronomen den Kopf, der südliche die Vorderfüße der K. markiert. Dritter Größe ist der am Schwanzende (α), vierter Größe die zwei folgenden im Schwanze und der vorangehenden Seite des Vierecks (δ ε ζ η); vgl. dagegen die ungenauen Bestimmungen in den sog. Katasterismen, zusammengestellt bei Robert Erat. Cat. rell. 58, 6. Die Farbe wird von Manil. V 711 der rötlichen Farbe der Pleiaden angeglichen (femineum rubro vultum suffusa pyropo), dagegen gehören nach Ptol. tetrab. I 9 (Hephaist. p. 70, 5 E) die Sterne des kleinen Bären zu Saturn und Venus, hierzu Boll Abh. Akad. München XXX 1. 39. 57. 135 und 145. Wie in der Literatur so ist auch in der Kunst K. nicht als Nymphe, sondern als Bärin gezeichnet, die gangbare Darstellung läßt die beiden Bärinnen einander nachlaufen: figurantur aversis caudis invicem sibi adversantes, Schol. Germ. G. p. 224, 5ff. Br.‚ dazu Manil. I 303. Arat. 28ff. Abbildungen bei Thiele Antike Himmelsbilder 28. 65. 91. 16l, dazu die Nachweise über weitere Abbildungen in lateinischen Handschriften bei Saxl S. Ber. Akad. Heidelb. 1915, 6. 7 S. 137 (Arcturus minor).

Der kleine Stern spielt als Orientierungsstern eine besondere Rolle in der Schiffahrt. Es wird Thales als besonderes Verdienst immer wieder angerechnet, daß er dieses Richtgestirn den Griechen mitgeteilt hat. Es ist ein literarischer Topos, daß die Griechen sich nach dem großen Bären, die Phönizier nach K. zur See richten: Arat. 37–45. Ovid. Fast. III 108. Manil. I 299. Sil. Ital. III 665, als Merk- und Richtgestirn wird K. öfters empfohlen, so etwa Sil. Ital. XIV 457. Lucan. III 219. Philo de provid. p. 94 Auch. Für den πόλος τοῦ κόσμου, der immer an derselben Stelle bleibt, hielt Eudoxos den Stern β, Hipp. p. 30, 1ff. Man., die genauere Fixierung des Nordpols gibt Hipparch im folgenden Text; weiteres hierzu bei Ideler 8–10. Hultsch o. Bd. VI S. 942. Diese alte Bezeichnung des Polarsterns scheint nach dem Schol. Aristoph. Av. 179 gelegentlich auf das ganze Sternbild übertragen worden zu sein. Außerdem wurden die beiden anderen Sterne des Schwanzes mit dem besonderen Namen χορευταί bezeichnet quod circum polum versantur, Hygin. astr. II 2. III 1 p. 81 Bu. Schol. German. B. p 60, 4 und G. p. 115, 12 Br. (dicuntur ludentes), dazu Arat. lat. p. 186 M. (nominantur Circenses, eo quod in circuitu perambulant), Boll Sphaera 259 und Maass Comm. in Arat. rell. p. 583, 2. 605, 20.

An die ursprüngliche Bedeutung K. knüpft die Sternsage, welche in dem Sternbilde den Jagdhund der Kallisto erkennt, dieser soll zugleich mit seiner Herrin gestorben sein und wurde mit ihr verstirnt, Schol. Arat. 27 p. 344, 1 M.; man könnte mit Maass vgl. adn. a. O. daran denken, daß diese Sage vielleicht schon von Hesiod (vgl. frg. 15) kombiniert wurde, anders Franz Leipz. Stud. VII 319. der diese Kombination auf Kallimachos zurückführt.

Nach Arat (32) gingen die beiden Bärinnen [40] Helike und K. nach dem Willen des großen Zeus aus Kreta an den Himmel, weil sie ihn dereinst als kleines Kind in duftendem Diptamkraut in einer Höhle nahe bei dem Berge Ida bargen und ernährten, während die diktäischen Kureten den Kronos täuschten. Mit dem Zweifel εἰ ἐτεὸν δή (30) scheint Arat darauf hinzuweisen, daß diese Sage erst vor kurzem aus kretischen Mythen entnommen wurde. Es wird wohl ein kretischer Lokalmythos zugrunde liegen, der von der Ernährung des Zeuskindes durch Bärinnen im Idagebirge zu erzählen wußte. Eine Unterlage dafür scheint die Zeusgrotte Arkesion (Bärenhöhle) auf dem Ida zu bieten, s. Bürchner Art. Ida o. Bd. IX S. 861. Auch sonst erscheinen die Zeusammen als Bärinnen, so auf Kyzikos, vgl. Schol. Apoll. Rhod. I 936. Die gangbare Auffassung der beiden Gestirne als Bärinnen verschmolz nun ein Dichter mit dieser Sage von den Bärinnen, die den Zeus säugten. Dazu behielt er die speziellen Bezeichnungen Helike und K. bei, deren Bedeutung damals, wie wir aus Arat ersehen, erloschen war, und apostrophierte diese als die Tiere des Zeusmythos. Wer dieser Dichter war, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, man hat auf Epimenides geschlossen, der auch andere kretische Mythen mit Gestirnen verbunden hat, vgl. Maass Aratea = Philol. Unters. XII 342. Neustadt De Iove Cretico, Diss. Berl. 1906, 20–22 Diels Vorsokr. II2a 497, 22, aber vgl. die berechtigten Einwände von Rehm Mythogr. Unters. Diss. München 1896. 44.

Während K. bei Arat als Bärin erscheint, ist sie von Aglaosthenes in den Naxika als eine Nymphe bezeichnet. Nach dem Berichte bei Hygin. astr. II 2 p. 32, 4 Bu. soll sie die Amme des Zeus gewesen sein und zu den Kureten gehört haben, nach dem Arat. lat. p. 184 M. und Schol. Germ. p. 59, 10 und 115, 3 Br. war sie eine idäische Nymphe und gehörte zu den Telchinen, welche Rhea nach Kreta brachten und die Ernährung des Zeus besorgten; vgl. Immisch in Roschers Myth. Lex. s. Kureten 1619. Hierbei mögen innere Beziehungen mitspielen zwischen der Bezeichnung der beiden Gestirne als Ῥέας χεῖρες (Diels Vorsokr. I2a 279, 20) und der Sage, daß durch die Finger der gebärenden Rhea die Helfer und Pfleger entstanden sind (Immisch 1618), welche ihre besonderen Bezeichnungen in den vorliegenden Namen der beiden Gestirne als Helike und K. erhielten. Aglaosthenes scheint, wie Robert Eratosth. Catasth. rell. 25f. sehr wahrscheinlich macht die menschenartigen Zeusammen mit den beiden Bärinnen dadurch kontaminiert zu haben, daß Iuppiter sich vor dem nachspürenden Kronos in eine Schlange, seine Pflegerinnen in Bärinnen verwandelte. Er muß aber Kreta verlassen, um den Nachstellungen des Kronos zu entgehen, und flüchtet nach Naxos. Später als er die Herrschaft erlangt hat, setzt er zum Gedenken dieser Episode eine Schlange und zwei Bärinnen an den Himmel: Schol. Arat. v. 46 p. 349, 23 M. Isag. in Arat. p. 330, 13 M, dazu Maass praefat. p. LXVIII. Schol. Apoll. Rhod. I 936. Von K. soll der Hafen und der größte Teil der Landschaft der kretischen Stadt Istoi den Namen erhalten haben, Eratosth. Catast. rell. p. 56f. Rob.

[41] Nach Eratosthenes frg. 2 (p. 2 Oliv. p. 56 Rob.) wird K. von den meisten Phoinike genannt. Mit ihr wird der Kallistomythos verwoben. Und zwar soll Phoinike K. eine Nymphe der Artemis gewesen sein; sie wurde von der Göttin in ein wildes Tier verwandelt, als diese bemerkte, daß ihr von Zeus Gewalt angetan war. Später setzte Artemis ein zweites Bild von ihr nach der Rettung unter die Gestirne, damit sie doppelt geehrt werde; zu den bei Robert angeführten Stellen Arat. lat. p. 184 M. Serv. Georg. I 246 und die für sich stehende Erklärung bei Hygin. astr. II 2 p. 33 Bu.; natürlich war hier die primäre Bedeutung ‚das Gestirn der Phoenizier‘, so benannt, weil er das vornehmste Orientierungsgestirn phönizischer Schiffer war.

In der Astrologie kommt der K. wie den außerzodiakalen Sternbildern überhaupt nur eine geringe Bedeutung zu. Immerhin haben einzelne Systeme auch die Stellung der K. in den vier Kentra zur Begutachtung herangezogen. Nach dem zweiten Teukrostext deutet K. im Aufgange Kämpfe, Streitigkeiten oder auch Ammen an, d. h. wenn sie im Horoskop gerade im Osten steht: Boll Sphaera 46. 52, dazu 95 und 378, 1. Bei Manilius V 700ff. erfahren wir, daß K. ebenso wie der Löwe und der Skorpion im Horoskop auf Tierhändler, Tierhändiger, tüchtige Jäger hinweist, denen die wilden Tiere nichts anhaben können, vgl. Firm. Mat. VIII 17, 6. Weiter kann K. nach der Farbe der Hauptsterne die Funktionän und Kräfte der Planeten Saturn und Venus in den Kentra ausüben, Ptolem. tetrab. I 9. Hephaest. p. 70, 5 E.

[Gundel. ]