Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Starres Recht, angewandt ohne Rücksicht auf d. Eigenart eines Falles
Band X,2 (1919) S. 13011302
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Ius strictum ist das strenge, starre Recht im Gegensatz zur aequitas. Das alte Zivilrecht der Römer war im wesentlichen i. s., Gai. III 18, indem es das Verlangen stellte, dem Buchstaben nach und ohne Rücksicht auf die Eigenarten des konkreten Falles angewandt zu werden. Es kannte nur negotia stricti iuris, bei denen lediglich das ausgesprochene Wort erheblich, und deren Wirksamkeit von der genauen Erfüllung der gesetzlichen Form abhängig war (mancipatio, nexum, in iure cessio). Dazu Mitteis Röm. Privatrecht I 256ff. Entsprechend hatte auch das in der legis actio gegebene Klagerecht (Gai. IV 11) des ius civile strikten Charakter.

Das spätere siegreiche Durchbrechen des ius gentium im Gegensatz zum ius civile bedeutet die Überwindung des i. s. durch das dem entwickelteren Verkehr sich anpassende, das ,id quod actum est‘ der Geschäftschließenden berücksichtigende ius aequum. Vgl. etwa Gai. III 25. 41 mit Reaktionen des praetorischen Edikts gegen die iniquitas des alten Rechts; auch Dig. XXIX 2, 86 pr., wo dem i. s. die humanitas gegenübergestellt wird. Dennoch wollten auch spätere Gesetze bisweilen strikt ausgelegt werden, Dig. XXIII 2, 67, 1, und hatten auch gewisse negotia des ius gentium strikten Charakter, wie das mutuum und die stipulatio. Es bildet sich der Gegensatz von negotia stricti iuris und solchen bonae fidei heraus; vgl. Gai. III 155. Dig. XIX 1, 11, 18. XIX 1, 48. XXII 1, 32, 2; entsprechend [1302] derjenige von actiones stricti iuris und bonae fidei. Inst. IV 6, 28. Dig. XIX 3, 1 pr. XII 3, 5 pr. 4. XIII 6, 3, 2. Gai. IV 62f. Über die Freiheit des Richters bei den letzteren vgl. Inst. IV 6, 30. Dig. XIII 5, 30. Die rechtliche Behandlung jener beiden Arten von negotia und actiones war wesentlich verschieden. Ausführlich Schulin Lehrb. d. röm. R. 288ff. Zum Ediktentitel ,de bonae fidei iudiciis‘ Lenel Edict. 279ff. S. auch Cic. de off. III 15.

Wenn zu beobachten ist, daß alle primitiven Legalordnungen vornehmlich ius strictum setzen, so erklärt sich dies neben politischen Gründen aus der ihnen zugrunde liegenden naiven Auffassung, daß der Gesetzgeber die von ihm ins Auge gefaßten Rechtsverhältnisse vollständig und restlos zu regeln imstande sei. In der Praxis der Rechtsanwendung zeigt sich dann regelmäßig, daß dies unmöglich ist. Das reale Leben erzeugt Verhältnisse der Personen und der Sachen, die vom Gesetzgeber nicht vorhergesehen werden können, die aber dennoch der rechtlichen Beurteilung bedürfen. Um die daraus sich ergebenden Härten und Unbilligkeiten zu vermeiden, entschließen sich die Rechtsordnungen auf entwickelterer Stufe zur Formulierung weiterer Rahmen der Bestimmungen sowie zum Gebrauch umfassenderer Begriffe, deren Inhalt nicht strikt begrenzt, und für deren Handhabung dem Richter ein den Forderungen der Billigkeit dienender Spielraum gelassen wird. Diese Sachlage führt methodisch zur Annahme eines Dualismus des Rechts. Dazu Manigk Savigny und der Modernismus im Recht (1914) S. 14, 84ff. 161ff.

[Manigk. ]