Ius scriptum und non scriptum. Ius scriptum heißt das in geschriebener Form entstandene Recht (Inst. I 2, 3. 9), nämlich Gesetze, Magistratsedikte, Kaiserbestimmungen und vom Kaiser autorisierte Aussprüche von Rechtsgelehrten, s. Lex, Plebiscitum, Senatus consultum, Edictum, Constitutio, Responsa. Im Gegensatz hierzu steht das ius non scriptum, das rebus ipsis et tactis zu stande kommt, d. h. auf andere Weise als durch rechtsbegründende Worte (Dig. I 3, 32, 1), zu ihm rechnete man das ius moribus [1301] constitutum. Letzteres darf nicht mit den mores, der bloßen Sitte, verwechselt werden. Die Sitte ist zunächst rechtlich nicht verbindlich, sie wird es nur, wenn ein Rechtssatz sie dafür erklärt oder wenn ihr Inhalt zum Gewohnheitsrecht erstarkt, d. h. durch die Macht der Verhältnisse einen zuverlässigen Rechtsschutz erlangt (Dig. I 3, 34 ad vocem confidere). Wie und wann eine solche Zuverlässigkeit eintritt, ist eine rein geschichtliche Frage. Daher spielte die Gewohnheitsrechtsbildung in der römischen Geschichte zu verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene Rolle. Tarquinius Superbus soll wegen Nichtbeachtung der Sitte seinen Beinamen erhalten haben, Liv. I 19. Die zwölf Tafeln sollten der unsichern Praxis durch das geschriebene Wort entgegentreten, Liv. III 9. Dionys. X 3. Die Gesetzesauslegung und Gesetzesergänzung (interpretatio) erstarrten jedoch zu festen Regeln, die man ius civile im engeren Sinne nannte (Dig. I 2, 2, 12), s. Ius civile. Später galt das Gewohnheitsrecht als ein Surrogat der weggefallenen Volksschlüsse, um den Wünschen der Masse entgegenzukommen (Iulianus Dig. I 3, 32, 1). Constantin suchte gewohnheitsrechtlichen Neubildungen gegen Gesetze oder bereits gültig gewordene Rechtsgrundsätze (rationes) entgegenzutreten, Cod. VIII 52 (53) quae sit longa consuetudo c. 2, ohne jedoch im stande zu sein, die Macht entgegenstehender Tatsachen völlig zu verhindern. In nachrömischer Zeit hat das Verhältnis der Gewohnheit zum Gesetzeswort sich durch veränderte Umstände mehrfach umgestaltet. Näheres, namentlich Literatur s. unter Mores.