6) Iulianos ἀπὸ ὑπάρχων Αἰγύπτιος, byzantinischer Staatsbeamter, als Verfasser von 70 Epigrammen durch die Anthologie bekannt. Daß die Zahl der Gedichte aus den überschriftlosen Epigrammen noch vermehrt werden kann, zeigt z. B. Stadtmüller zu VII 564. 592. Die Gedichtgruppe 591f. ermöglicht uns auch, die Zeit und die politische Stellung des I. zu fixieren, da sie das Kenotaph des im Nikaaufstande gegen Iustinian aufgestellten Kaisers Hypatios betrifft. Weil Hypatios nach Niederschlagung des Aufstandes zum Tode durch Sturz von den Klippen der Küste verurteilt war, muß die Erlaubnis eines Kenotaphs und damit die Gedichte geraume Zeit nach 542 fallen, s. Stadtmüller in der adnotatio crit. zu nr. 592. Beziehungen zur Familie des Kaisers Anastasios setzt auch das Gedicht nr. 590 auf Ioannes, den Gemahl der Nichte Iustinians, voraus. Somit hätten wir vielleicht I. zu den Vertretern einer die Versöhnung der [13] beiden Dynastien begünstigenden Politik zu zählen. Über die Variante ἀπὸ ὑπάτων für ὑπάρχων in den Handschriften berichtet Stadtmüller vol. II praef. XXII. Offenbar ist überall derselbe I. gemeint. Mit Seeck Die Briefe des Libanios 192 einen Teil der Epigramme einem Praefectus Aegypti I., der für das J. 380 bezeugt und als Briefadressat des Libanios bekannt ist, zuzuweisen ist unmöglich. Da nach der von Stadtmüller a. a. O. geäußerten Vermutung I.s gesammelte Gedichte bereits dem ‚Kyklos‘ des Agathias vorlagen, so fällt auch deswegen seine Lebenshöhe in die erste Zeit des Iustinian und vielleicht schon in die Regierung seiner Vorgänger.
I. gehört als Dichter zu dem damaligen Kreise von Imitatoren und Fortsetzern des antiken Epigramms des Hellenismus und der Kaiserzeit, doch spielt er neben den Hauptvertretern dieser Poesie Agathias und Paulus Silentiarios eine recht unbedeutende Rolle. Erhalten haben sich nur Grab-, Weih- und sogenannte epideiktische Epigramme, d. h. Enkomien und Beschreibungen, dazu ein erotisches (V 298) und ein Anakreonteon XVI 388 = nr. 6 Preisendanz. Nur zaghaft wird von der Paraphrase vorhandener Motive und Gemeinplätze zu ihrer Anwendung auf die Gegenwart und Umgebung des Dichters fortgeschritten. Zahlreich sind die Gedichte auf Werke der bildenden Kunst. XVI 139 ist nichts als eine paraphrasierende Variante von Antiphilos’ Epigramm über die Medea des Timomachos. Auch das beliebte Motiv von der Kuh des Myron bietet ihm Gelegenheit zu einer Reihe von recht schwachen Versuchen, unter denen eines (IX 795) die Nachahmung des Leonidas, wie Geffcken bemerkt, deutlich erkennen läßt. Ebenso ist das Anadyomene-Epigramm XVI 181 eine recht schwülstige Variante des Antipater. Leonidas wird fortgesetzt auch in Grabepigrammen wie VII 582 ‚ein Schiffbrüchiger, dessen Leichnam die Wellen an seinen Heimatstrand spülen‘ und Ähnliches. Wenig gelungen muß man auch Versuche wie IX 446, die Nachahmung einer sentimentalen Lebensbetrachtung des Poseidippos, (IX 359) nennen. Abstoßend wirken die grotesken Verse über den in den Weinkelch getauchten Eros in dem Anakreonteon (s. o.). Am erfreulichsten lesen sich die als zeitgeschichtliche Dokumente wertvollen einfachen und aufrichtigen Huldigungen an hervorragende Zeitgenossen, wie z. B. IX 661, wo das βῆμα des Sophisten Krateros redend eingeführt wird, oder IX 445 auf den von Stadt zu Stadt reisenden unbestechlichen Richter Tatianos, eine Vertrauensperson des Kaisers. Vgl. Christ-Schmid II⁵ 793. Krumbacher B.L.G.² 726. Geffcken Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 149.