Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Ausübung d. Magie
Band IX,2 (1916) S. 12411244
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Incantatio. Incantare wie excantare bedeuten bezaubern, verzaubern, also eine Ausübung der Magie (s. Forcellini Totius latin. Lexicon. Dirksen Manuale. Du Cange Glossarium mediae et infimae latin. Voigt XII Taf. II 802); für die romanischen Sprachen bestätigen dies Körting Wörterbuch. Meyer-Lübke Rom. etym. Wörterb. Vgl. auch Huvelin in Mélanges Appleton 406 und Lesiak in der Ztschr. f. dtsch. Alt. LIII 145). Die ausübenden Personen heißen incantatores bezw. incantatrices, die Beschwörungen selbst werden als incantationes, incantamenta oder als cantus, carmina bezeichnet. Daß speziell auch carmen den Begriff des Zauberliedes, Zauberspruches ausdrückt, erweisen zahlreiche Fälle, in denen das Wort in diesem Sinne aufzufassen ist (später finden wir neben den carmina regelmäßig die venena und bedeutet veneficium die Hexerei). Die i. blieb bis ins Mittelalter eines der wesentlichsten Kennzeichen der artes magicae. Die ars magica schildert uns Apuleius von Madaura in seinem Werke de mag. 47 folgendermaßen: igitur (magia) et occulta non minus quam taetra et horribilis, plerumque noctibus vigilata et tenebris abstrusa et arbitris solitaria et carminibus murmurata (über das Werk selbst s. Abt Die Apologie des Apuleius).

Bei den Römern finden wir schon in ältester [1242] Zeit eine Menge von Superstitionen; soweit sich dieselben auf die Erforschung von Verborgenem, auf das Verhindern drohender Übel bezogen (divinatio), erschienen sie ursprünglich, wie auch späterhin, durchaus erlaubt. Die Zauberei (magia) dagegen wehrten schon die XII Tafeln ab; allerdings nur in beschränktem Maße, denn, soweit sie dem Handelnden bloß nützte ohne einem anderen zu schaden, war sie damals gleichfalls zulässig. Zwei Bestimmungen, beide auf tab. VIII sind hier anzuführen; einmal das qui fruges excantassit und neve alienam segetem pellexeris, zum anderen das qui malum carmen incantassit. Die ersteren Bestimmungen beziehen sich auf das Verderben fremder Feldfrüchte durch Herbeizaubern von Mißwachs oder Hagel und auf das Herüberzaubern der sprossenden Saat auf den eigenen Acker. Daß gute Saat sich in schlechte Frucht verwandelt, konnte man sich eben auf primitiver Kulturstufe nur durch die Einwirkung böser, durch Zauber hiezu veranlaßter, Geister erklären. Die Bezeichnung des in Rede stehenden Deliktes erklärt sich daraus, daß durch Singen eines Spruches und durch begleitende symbolische Handlungen eine Gottheit zu der gewünschten Aktion bewogen werden sollte. Von einem, wenn auch aus späterer Zeit (596 d. St.) stammenden Falle, in welchem die Anklage auf das Herüberzaubern fremder Früchte auf den eigenen Acker gerichtet war, erhalten wir durch Plin. n. h. XVIII 6, 41 etwas nähere Kunde. Die einschlägigen Worte lauten: C. Furius Chresimus, e servitute liberatus, cum in parvo admodum agello largiores multo fructus perciperat, quam ex amplissimis vicinitas, in invidia erat magna, ceu fruges alienas perliceret venefacis. Quam ob rem ab Spurio Albino curuli aedile, die dicta metuens damnationem cum in suffragium tribus oporteret ire, instrumentum rusticum omne in forum attutit et abduxit familiam suam validam atque, ut ait Piso, bene curatam et vestitam, ferramenta egregie facta, graves ligones, vomeres ponderosos, boves saturos. Postea dixit: Veneficia mea, Quirites, haec sunt, nec possum vobis ostendere auf in forum adducere, lucubrationes meas vigilasque et sudores. Omnium sententiis absolutus itaque est. Gegen die vom kurulischen Ädilen verfügte Strafe hatte der Angeklagte an die Volksversammlung (Tributkomitien) appelliert, seine im besten Zustande befindlichen Sklaven und Zugtiere sowie die Ackergeräte vorgewiesen und einstimmige Freisprechung erwirkt. Ob der Erntezauber als ein delictum sui generis gedacht war oder als furtum (auf letzteres würde die Stelle der XII Tafeln frugem aratro quaesitum furtim noctu pavisse hindeuten), muß dahingestellt bleiben.

Die letztere Bestimmung, von der uns nur die Worte qui malum carmen incantassit erhalten sind, muß wohl mit Rücksicht auf das incantare (Forcellini Qui m. c. incantassit h. e. magico carmine quippiam supra naturam nocendi causa molitus est) auch auf die Bezauberung von Menschen und Tieren bezogen werden (Pernice Sav.-Ztschr. XVII 220). Wenn Rein Krim. R. 902 und bei Pauly s. v. magia, sowie Voigt XII Taf. II 800[WS 1] für die XII Tafelzeit ,nur den Zauber, welcher die Feldfrucht, nicht aber denjenigen, welcher Mensch und Tier bedroht‘ als [1243] strafbar betrachten, so kann dieser Ansicht nicht beigepflichtet werden. Das malum carmen incantare dürfte vielmehr die allgemeine Regel enthalten haben, während die beiden anderen oben erwähnten Bestimmungen die besonders gefürchteten Fälle des Erntezaubers betrafen. Bei der Unsicherheit über den Text der XII Tafeln läßt sich allerdings keinerlei Gewißheit in dieser Frage erzielen. Plinius berichtet uns: in XII tab. verba sunt: qui fruges excantassit et alilbi: qui malum carmen incantassit, während Cicero von si quis occentavisset sive carmen condidisset, quod infamiam faceret, flagitiumve alteri spricht. Hier ist schon bestritten, ob die beiden Ausdrücke incantare und occentare Verschiedenes oder dasselbe besagen. Bei Huvelin Mélanges Appleton 387 findet sich eine diesbezügliche Zusammenstellung der in unserer Frage vertretenen beiden Gruppen von Ansichten, auf die hiemit hier verwiesen sei. Darüber, daß die beiden Worte wirklich dem XII Tafeltext angehören, s. Bruns Fontes⁶. Der letztere Ausdruck soll sich auf convicia famosa bezogen haben, und man nahm meistens an, daß damit die Schmähschrift, die danach schon in den XII Tafeln ihre Regelung erfahren habe, gemeint sei. Dawider wandten sich jedoch meines Erachtens mit Recht Huvelin und Maschke in ihren unten zitierten Schriften. Beide Schriftsteller nehmen auch in diesem Falle Zauberei an. Maschke geht im übrigen von der Anschauung aus, es habe, im Zusammenhange mit der Sullanischen Gesetzgebung, eine Umdeutung des Begriffes occentatio stattgefunden, sodaß schon die späteren römischen Schriftsteller in der occentatio den Ausgangspunkt für das Delikt der Verbalinjurien gefunden haben (eine andere Auffassung bezüglich des occentare vertritt Usener Rh. Mus. LVI 1).

Bestritten ist auch die Frage, welche Strafe in den Zwölftafeln auf das Delikt gesetzt war. Meistens findet sich in der Literatur die Ansicht vertreten, es hätte das Gesetz die Todesstrafe bestimmt (z. B. Voigt a. a. O. [igni necari], Maschke a. a. O. S. 16f.). Demgegenüber behauptet Pernice, die XII Tafeln hätten hier überhaupt keinerlei Strafe festgesetzt, es vielmehr dem Magistrat überlassen, für die Durchführung des allgemein gehaltenen Verbotes Sorge zu tragen; es handle sich um eines der in älterer Zeit nicht seltenen Verwaltungsgesetze. In dem oben zitierten Strafverfahren (Fall der Chresimus) will Pernice eine Bestätigung seiner Ansicht erblicken.

Literatur: Die auf die XII Tafelstellen sich beziehende ältere Literatur ist bei Dirksen Übersicht der bisherigen Versuche zur Kritik und Herstellung der Zwölftafelfragmente (1824) zusammengestellt. Ergänzungen bietet bis 1883 Voigt XII Tafeln I 93ff. Außerdem ist zu erwähnen: Dirksen a. a. O. 507 und 539. Voigt XII Tafeln II 800f. (1883). Landsberg Injuria 29 (1886). Pernice Ztschr. der Sav. Stift. XVII 220f. (1896). Hitzig Injuria 58 (1899). Mommsen Strafrecht 772 (1899). Huvelin Les tablettes magiques et le droit Romain § 4 Annales internat. d'histoire (1901). Usener Rh. Mus. LVI 1 (1901). Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 788f. (1901). Byloff Das Verbrechen der Zauberei 110 (1902). Huvelin in Mélanges Appleton [1244] 386ff. (1903). Maschke Die Persönlichkeitsrechte 16ff. 23. 25. 95 (1903). Abt Die Apologie des Apuleius v. Madaura u. die antike Zauberei (Religionsgesch. Versuche u. Vorarbeiten IV 2) (1908).Girard-Mayr Gesch. u. System des röm. Rechtes II 435 (1908). Leonhard s. o. Bd. III S. 1593.

Über incantamenta auch O. Hirschfeld De incantamentis et devinctionibus amatoriis apud Graecos Romanosque 1863. Incantamenta magica graeca latina finden sich zusammengestellt bei Heim im 19. Supplementband der Jahrb. f. Philol. Nachträge gibt Drexler Philol. LVIII 594. Fahney De Ps.-Theodori additamentis, Münster 1913, 26.

[Pfaff. ]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das wörtliche Zitat findet sich auf S. 802.