8) M. Horatius Barbatus, Consul mit L. Valerius Potitus im ersten Jahre nach dem Decemvirat 305 = 449. Das Cognomen Barbatus geben ihm Cic. rep. II 54. Liv. III 39, 3. Dionys. XI 5, 1. 45, 1, die von den Capitolinischen Fasten abhängigen Quellen (Chronogr. Idat. Chron. Pasch.), die Acta triumph. und die Fasti fer. Lat. (CIL I² p. 56). In diesen ist erhalten: M. Horatio M. fil. [L. n. . . .] rrīn. Barbato, also vor Barbatus noch ein anderer Beiname; da Diod. XII 26, 1 die Consuln Κάγκον Ὁράτιον καὶ Λεύκιον Οὐαλέριον Τούρπινον nennt, wird vermutet, daß . . rrīn. zu [Tu]rrīn(us) zu ergänzen sei, daß dieses (später auch bei den Mamiliern vorkommende) Cognomen dem H. zukomme und bei Diodor irrtümlich auf seinen Kollegen übertragen und zudem leicht entstellt worden sei. Daß H. ein Nachkomme (ἀπόγονος) des Consuls (M. Horatius Pulvillus Nr. 15) aus dem ersten Jahre der Republik gewesen sei, sagt Dionys. XI 5, 1 ausdrücklich, und die Vulgärtradition sucht überhaupt die Consulpaare H. und Valerius von 245 = 509 und von 305 = 449 einander anzugleichen und zu nähern, sodaß sie wohl die beiden Horatier ebenso wie die beiden Valerier als Großvater und Enkel ansah. Der Redaktor der Capitolinischen Fasten scheint indes anderer Meinung gewesen zu sein und den H., indem er ihn M. f. L. n. nannte (Acta triumph., M. fil. auch Fasti fer. Lat. [s. o.]), zum Enkel eines Bruders des ersten Consuls gemacht zu haben. Diodor weiß von den beiden Consuln von 305 = 449 nur, daß sie das infolge der Revolution unvollendet gebliebene Werk der Decemviri legibus scribundis vollendeten, erstens durch die Aufzeichnung der die beiden letzten Gesetztafeln füllenden Gesetze (vgl. über die Vereinigung dieser Angabe mit scheinbar widersprechenden Mommsen Staatsr. II 726, 2), zweitens durch die öffentliche Aufstellung der zwölf Tafeln. Die letztere Angabe findet sich auch bei Livius III 57, 10; im übrigen aber ist die Geschichte der beiden Consuln, wie sie Livius und Dionys geben, von Diodors Darstellung vollständig verschieden und im Zusammenhange mit der Geschichte des Decemvirats im Laufe der Zeit immer mehr ausgestaltet worden. Auch Diodor XII 25, 2f. gibt gewisse Bedingungen an, unter denen die Einigung der Patrizier und der Plebeier nach der Abschaffung des Decemvirats stattfand; freilich hat er sie bis zur Unverstandlichkeit entstellt (vgl. Schwartz o. Bd. V S. 693), doch [2329]
scheint bereits seine Quelle das Bestreben gehabt zu haben, spätere Ergebnisse der inneren Kämpfe bis zu diesem Zeitpunkt hinaufzurücken. Dasselbe Bestreben hat dann zu der Hinaufdatierung von Gesetzen geführt, und um diesen Gesetzen eine höhere Autorität zu geben, sind sie als gemeinsames Werk der beiden Consuln hingestellt worden. Es sind die sog. drei Leges consulares Valeriae Horatiae, nach der Formulierung bei Liv. III 55, 3–7: 1. ut, quod tributim plebs iussisset, populum teneret; 2. ne quis ullum magistratum sine provocatione crearet; 3. ut, qui tribunis plebis, aedilibus, iudicibus decemviris nocuisset, eius caput Iovi sacrum esset; das erste Gesetz wird allein von allen in seiner Vorlage stehenden auch von Dionys. XI 45, 1ff. (vgl. seine Worte: νόμους ἐύρωσαν .... ἄλλους τέ τινας, οὓς οὐ δέομαι γράφειν, καὶ τὸν κελεύοντα κτλ.) überliefert, das zweite auch von Cic. rep. II 54; jenes deckt sich mit den späteren Gesetzen, dem Publilischen von 415 = 339 und dem Hortensischen von etwa 467 = 287 und dieses mit den späteren Valerischen und Porcischen, sodaß beide nach dem Muster der späteren gefälscht erscheinen. Etwas anders steht es mit dem dritten Gesetz; ein gewisses Alter der Tradition darüber ist schon aus den von Liv. III 55, 8–12 berichteten Meinungsverschiedenheiten älterer Erklärer zu erschließen (vgl. Mommsen Staatsr. II 76f.); sein Inhalt deckt sich nicht mit dem anderer gleichartiger Gesetze, sondern nur mit dem eines grundverschiedenen Aktes, des einseitigen Eidschwurs der Plebs, und wenn das während der Decemviralregierung aufgehobene Tribunat damals wieder eingesetzt wurde (vgl. Diod.), so war eine Verstärkung und Bestätigung seiner Stellung durch einen Beschluß der Gesamtgemeinde nicht unangebracht (vgl. Mommsen a. O. 286f. 303); auch die schärfste moderne Kritik (bei Pais Storia di Roma I 1, 563–566) wird mit diesem Gesetz nicht leicht fertig. Vielleicht ist es da kein bloßer Zufall, daß es in den juristischen Erörterungen bei Liv. a. Ο. 11 nur mit dem Namen des einen Consuls H. bezeichnet wird; die Erfindungen der späteren Annalistik bevorzugten eher seinen volksfreundlichen Kollegen Valerius als ihn. Durch die Einführung der nach ihnen benannten Gesetze (und wohl auch der ihnen zugeschriebenen Anordnung über die Aufbewahrung der Senatsbeschlüsse bei Liv. III 55, 13, vgl. Mommsen a. Ο. II 476f. III 1010) ist die Tradition über die beiden Consuln schon in verhältnismäßig früher Zeit bereichert worden, ebenso durch die eines Kriegsberichtes, der bei Diodor fehlt. Die Einzelheiten dieses Berichtes über die gleichzeitigen Erfolge des Valerius gegen die Äequer und Volsker und des H. geγen die Sabiner (Liv. ΙΙΙ 57, 9. 60, 11-63, 4. Dionys. XI 48, 1–3) und über die Ablehnung des von beiden geforderten Triumphes durch den Senat und seine Bewilligung durch das Volk (Liv. ΙΙΙ 63, 5–11. X 37, 10. Dionys. XI 49, 1–50, 1. Zonar. VΙΙ 19 A.) sind natürlich als späte Erfindungen preiszugeben, aber darum nicht notwendigerweise auch die in den Acta triumph. aufgenommenen Triumphe selbst. Abgesehen von einem sehr verdächtigen Triumph des Cincinnatus über die Aequer sind in dem Jahrzehnt zwischen 295 = 459 und 305 = 449 keine Triumphe verzeichnet, sodaß also [2330]
dieser Abschnitt von Fälschungen fast ganz freigeblieben ist; an sich aber ist es wohl denkbar, daß mit der Wiederherstellung des Friedens im Innern nach längerer Pause wieder ein kräftiges und erfolgreiches Auftreten nach außen hin erfolgte. Zudem ist der Sabinerkrieg als der letzte in einer langen Reihe verzeichnet, woraus schon Niebuhr (Röm. Gesch. II² 425. 502, vgl. Schwegler Röm. Gesch. II 732–735) mit Recht auf seine Bedeutung geschlossen hat. Wieder kann zu Gunsten des Alters dieser Tradition darauf hingewiesen werden, daß gerade der Triumph über die Sabiner dem H. zugeteilt wird, während die jüngere Annalistik mit einer gewissen Vorliebe Angehörige des Valerischen Geschlechts über sie triumphieren läßt. Alles übrige, was Livius und Dionys von H. berichten, hat sich dagegen erst später an diesen Kern angeschlossen. Dahin gehört schon die Behauptung, die Consuln hätten damals zuerst gegen den Willen des Senats und nur mit Zustimmung des Volkes triumphiert, obgleich sie mit solcher Bestimmtheit auftritt (Liv. III 63, 11. Dionys. XI 50, 1. Zonar.), daß Livius sich später darauf beruft (X 37, 10), und Dionys sie im Widerspruch mit seiner eigenen früheren Erzählung (VI 30, 2f.) annimmt. Vor allem aber gehört dahin die ganze Rolle, die dem Valerius und dem H. in der inneren Geschichte dieser Zeit vor und auch nach dem Consulat zugeteilt wird; dabei sind die gemeinsamen Grundlagen der erhaltenen Darstellungen mehrfach noch zu erkennen. Das erste Auftreten beider Männer wird in die erste von den Decemvirn berufene Senatssitzung verlegt, deren Schilderung bei Dionys zwar unendlich weitschweifiger als bei Livius, aber im wesentlichen dieselbe ist und auf einen mit dem Geschäftsgange in solchen Sitzungen vertrauten Autor zurückgeht. Nach dem einleitenden Referat des Vorsitzenden Ap. Claudius verlangt zunächst Valerius das Wort zur Geschäftsordnung (Liv. III 39, 2 mit der bezeichnenden Einführung: proditum memoriae est. Dionys. XI 4, 4–7), und dann folgt H. mit einer längeren Rede, deren Grundgedanken bei Liv. III 39, 3–10 und bei Dionys. XI 5, 1–4 auffallende Übereinstimmungen zeigen. In der eigentlichen Verhandlung sprechen dann andere Senatoren von höherem Range, bis zuletzt Valerius noch einmal zu Worte kommt (Liv. III 41, 1ff. Dionys. XI 19, 1ff.), wobei Livius ganz beiläufig auch H. nennt. Das zweite Auftreten beider folgt erst nach dem Tode der Verginia vor dem Volke und ist von Dionys nach seiner Art schon vorbereitet worden (XI 22, 3. 23, 6, worauf er 38, 5 ausdrücklich zurückverweist); er hebt dabei den Valerius stärker hervor (XI 39, 2ff.) als Livius, der beide Männer nebeneinander vorführt (III 49, 3–5). Bei dem Auftreten im Senat und bei dem vor dem Volke vertreten sie hauptsächlich den Standpunkt, daß die
Amtszeit der Decemvirn abgelaufen und die Weiterführung der Regierung rechtswidrig sei; sie stehen schon hier, zumal in ihrer engen Verbindung miteinander, wie die legitimen Consuln den Usurpatoren gegenüber. Das dritte Auftreten ist dann das bei den Verhandlungen mit der Plebs nach deren Sezession; hier fehlt der Bericht des Dionys; bei Livius (III 50, 16. 51, 12. 52, 5ff. 53, 1f. 6ff.) und bei Zonar. VII 18 E. erscheinen hier [2331] Valerius und H. wieder als ein unzertrennliches Paar, bis sie schließlich in der Tat zusammen zu Consuln gewählt werden; dagegen kannte Cicero (Brut. 54) schon eine Darstellung, die dabei den Valerius weit mehr hervortreten ließ, hatte aber früher (Cornel. frg. 24 bei Ascon. 69) eine andere wiedergegeben, die als die Unterhändler vielmehr tres legatos amplissimos viros (drei bestimmte Consulare Ascon. z. d. St.) nannte, ähnlich wie bei Diodor XII 25, 2 οἱ χαριέστατοι τῶν πολιτῶν ... διεπρεσβεύσαντο πρὸς ἀμφοτέρους. Hieraus geht zur Genüge hervor, daß dieses dritte Auftreten beider Männer erst in sehr späten Berichten seine Stelle gefunden hat, – ganz abgesehen davon, daß die Voraussetzung aller Gesandtschaften, die Sezession der Plebs, unglaubwürdig ist (vgl. Ed. Meyer Kl. Schr. 373ff.). Es ist ziemlich deutlich, daß die Episoden, in denen H. und Valerius auftreten, durchweg überflüssige Zutaten zu dem älteren Bestande der Tradition sind; die Bezeichnung dieser Männer als liberatores haud dubie et motus initio et exitu rei bei Liv. III 53, 2 ist durch dessen eigene Darstellung nur in sehr geringem Maße gerechtfertigt; die ganze Rolle beider in der Geschichte des Decemvirats ist nur eine Vorwegnahme und eine Begründung ihres gemeinsamen Consulats. Daraus abgeleitet ist dann auch das vierte und letzte Auftreten nach dem Consulat im J. 309 = 445: als infolge der Forderung der Plebs auf Anteil am Consulat die Patrizier zu geheimen Beratungen zusammentraten, wurden nach dem übereinstimmenden Berichte des Liv. IV 6, 7 und des Dionys. XI 57, 3. 58, 2 allein von allen Consularen diese zwei Plebeierfreunde nicht hinzugezogen; bei Dionys erhalten sie auf Grund der geheimen Abmachung der anderen in der Senatssitzung zuerst das Wort und sprechen in versöhnlichem Sinne, zuerst Valerius, dem dann H. zustimmt (XI 56, 4 vgl. 58, 4. 59, 1–5). Schon diese Anordnung der Verhandlung erinnert an die der Senatsdebatte von 305 = 449; die Inhaltsangabe der Rede des Valerius macht den Eindruck, als ob sogar Dionys die Wiederholung der dort und öfter geäußerten Gedanken z. B. ὑπὲρ αὐτοῦ τε καὶ τῶν προγόνων als ebenso langweilig empfunden habe, wie bisweilen sogar Cicero die Wiederholung seines eigenen Selbstlobs. In dieser ermüdenden Eintönigkeit der ganzen Rolle des Valerius und des H. offenbart sich die Geistesarmut der späten Annalisten, die sie ausgearbeitet haben. Schon für Cicero rep. II 54 stand diese ihre Rolle fest, da er beide Männer als homines concordiae causa sapienter populares charakterisiert (ins Gegenteil verkehrt von Cicero bei Dio XLIV 25, 5); entwickelt aber wurde die ganze Rolle aus der Tatsache, daß sie die ersten Consuln nach dem Decemvirat, also in einem für die innere Geschichte Roms bedeutsamen Jahre, gewesen sind, und an dieser Tatsache zu zweifeln (so z. B. Sigwart Klio VI 350) haben wir kein Recht.