Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Hekates alsos, Westspitze des pontischen Achilleos Dromos
Band VII,2 (1912) S. 27832784
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Ἑκάτης ἄλσος soll nach dem Anonymos des Schwarzen Meer’s 58 die in die Odessaer Bai vorspringende Westspitze der pontischen Achilleuslaufbahn heißen. Aber nach der Ptolemaioskarte ist es ein Kap im Innern der Bai nach Norden von der Laufbahn und von ihrer Spitze in gerader Linie 275 Stadien entfernt. Da nun der Anonymos und Strabon (C. 307 Ende) ihre übereinstimmenden Beschreibungen und Distanzen des Dromos unzweideutig demselben, genau ortskundigen Geographen entlehnt haben und ferner Strabon den damals freilich verschwundenen heiligen Hain auf der Westspitze ausdrücklich Achilleus selber zuweist, so ist offenbar Ptolemaios im Recht und der anonyme Periplus im Unrecht. Welch bedenklichem Versehen der Anonymos hier zum Opfer gefallen ist (über ein anderes, einschneidendes Mißverständnis vgl. unter Hermonaktos κώμη), lehrt die Kritik der 1200 Stadien, auf die er die Länge des Dromos bemißt. Wie wir Strabon glauben müssen, zählte die gemeinsame Quelle vielmehr nur 1000 Stadien und weiterhin von der westlichen Spitze der Laufbahn bis zum nächsten, bedeutsamen Küstenpunkt, dem Ausgang des Borystheneslimans, 200, also von der östlichen Spitze bis zu demselben Ziele 1200. Indem er den Hain der Hekate mit dem des Achilleus verwechselte, hat der Anonymos die von der Vorlage gegebene Distanz zwischen Tamyrake und dem Hekatehain an der Borysthenesmündung irrtümlich auf die Länge der Laufbahn und ihr westliches Kap bezogen. So erklären sich die falsche Ansetzung des Hains und die falsche Längenangabe des Dromos aus demselben Versehen, und wir erhalten zugleich Gewißheit über den wahren Platz des ἄλσος. Er lag auf der Halbinsel am Yegorlyk Liman bei der Stadt Pezakov, von wo eine kleine sandige Zunge mit dem Fort Kinburu ausläuft. Die Landzunge hat übrigens seit dem Altertum an Länge eingebüßt, da 1885 ein Kalkstein in Zylinderform und von sehr großem Gewicht ein weites Stück von der jetzigen Küste im Meer von Fischern gehoben worden ist. Er trägt die Inschrift des 4. oder 3. Jhdts. Ἄχιλλεΐ τὸμ βωμὸν καὶ τὸ κέδρον und bezeugt, daß selbst im Hekatehain auch noch Achilleus besondere Verehrung genoß. Wahrscheinlich war der ἄλσος beiden Gottheiten gemeinsam geweiht, und wenn das von jenem ortskundigen Geographen zum Ausdruck gebracht war, so verstehen wir noch leichter, wie der Anonymos diesen und den Achilleushain auf dem Dromos verwechseln konnte. Vgl. über die Inschrift Latyschew Inscript. ant. orae sept. P. Eux. IV 28ff. Außerdem über H. Ammian. Marc. XXII 8, 40: religiosus per eas terras Triviae lucus.

Hier sei noch ein Nachtrag zu Achilleos Dromos (Bd. I S. 221) angefügt. Tomaschek behauptet dort, gerade die Achilleusbahn liefere den Beweis, daß sich der Wasserspiegel des Pontos seit 2000 Jahren nicht verändert habe. Aber der erwähnte Altar des Achilleus deutet eine Verminderung der Halbinsel von Kinburu an, sei es durch Senkung der Küste, sei es durch Hebung des Wasserspiegels. Ein anderes Zeugnis desselben [2784] säkularen Schwankens erblicke ich in den abweichenden Angaben des Altertums über die Länge des Dromos. Zunächst lassen die genauen Zahlen über die Breite der Laufbahn, ihre Entfernung vom Festland, die Ausdehnung ihres Isthmus und die sonstigen Bemerkungen keinen Zweifel, daß der von Strabon und dem Anonymos benützte ältere Geograph sehr genaue Ortskenntnis besaß. Seine Längenmessung von 1000 Stadien verdient darum unbedingt Glaubwürdigkeit und beweist eben, daß die beiden Nehrungen in einem ferneren Altertum beträchtlich weiter vorsprangen als heute, wo die gesamte Länge des Dromos gegen 125 km oder 760 Stadien beträgt. Dieser Zahl kommt ganz nahe eine zweite und jüngere Messung des Altertums, die zuerst auf der Agrippakarte (Plin. n. h. IV 83) verwertet war und von dieser in den Ptolemaiosatlas übergegangen ist; sie rechnete 80 römische Meilen (Ptolemaios 680 Stadien). Also ist diese negative Küstenversetzung der Odessaer Bai, welche die Zahlen dokumentieren, noch im Altertum selbst eingetreten; auch der Achilleusaltar von Kinburu gehört ins 4. oder 3. Jhdt. Auf jenes Phänomen führe ich auch die Unstimmigkeit der Entfernungsangaben zwischen dem Borysthenesliman und der Westspitze des Dromos zurück: 150 Stadien nach Arrian, 200 nach dem Anonymos, 275 nach der Ptolemaioskarte.

Dagegen scheint der Isthmus der Laufbahn eine Zunahme in positivem Sinn erfahren zu haben. Denn bei Strabon und dem Anonymos ist seine Breite auf nur 40 Stadien geschätzt, obwohl sie gegenwärtig sehr viel größer ist. Ich glaube aber, den Landzuwachs durch teilweise Austrocknung eines Küstensees erklären zu können. Noch heute zeigen nämlich die Karten auf dem Isthmus einen Überrest desselben. Arrians Periplus (31) aber erwähnt auf der östlichen Nehrung der Achilleusbahn Tamyrake eine λίμνη οὐ μεγάλη, die 300 Stadien von der östlichen Spitze und 380 von der westlichen entfernt einen Ausfluß ins Meer habe. Also lag der See in Wahrheit auf dem Isthmus und, offenbar ansehnlicher als heute, muß er wirklich die Breite der Landenge nicht unbeträchtlich vermindert haben. Im allgemeinen ist auf Neumann Hellenen im Skythenlande 365–375 zu verweisen.