Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Pflanzenart
Band VII,2 (1912) S. 23132316
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Hanf (Cannabis sativa L.). Name: altgriech. κάνναβις, κάνναβος, ngr. καννάβι, lat. cannabis, cannabus, it. canape, canapa, rum. canapa, alban. kanep, kerp, prov. canebe, cambre, franz. chanvre, span. canama, ptg. canhamo, ndl. kennep (Prellwitz Et. Wörterb. d. gr. Spr.² Körting Lat.-rom. Wörterb.³). Die nordeuropäischen Bezeichnungen: ahd. hanaf, mhd. hanef, nhd. Hanf, angls. hoenep, engl. hemp, nord. hampr. aschwed. hamper m. und hampa f., neuschwed. hampa, dän. hamp sind nicht dem griech.-lat. κανναβις-cannabis entlehnt, vielmehr gehen sie mit diesen auf eine gemeinsame Quelle zurück, Schrader (bei Hehn Kulturpfl. u. Haustiere⁷ 190f.; Reallex. 331) vermutet, daß in dem čeremissischen keńe, kińe ,Hanf‘ die einfachste Form des Namens zu erblicken sei. Der zweite Bestandteil -bis oder -pis finde in der syrjänischen und wotjakischen Benennung des H. (ursprüng. der Nessel) piš, puš die entsprechende Form. Hiernach würde cannabis eigentliche ,Hanfnessel‘ bedeuten. Zu κάνναβις, das selbst ein Lehnwort ist, stehen altslav. konopolja, lit. kanapès, altpreuß. knapios, pers. kanab, arab. cannab in dem gleichen lautlichen Verhältnis wie die germanischen Bezeichnungen (Kluge Et. Wörterb. d. d. Spr.⁷). Ein den slavischen Sprachen eigentümliches Wort für H.: russ. penka, poln. pcenka, czech. pěnek, pěnka dürfte nach Schrader (bei Hehn⁷ 589) den Skythen oder Sarmaten entnommen sein, neupers. und afghan. beng, bang, vedisch bhanga Hanf, zendisch banha Trunkenheit, Bañga Name des Daêva der Trunkenheit.

Herkunft und Geschichte. H. findet sich wildwachsend südlich vom Kaspischen Meer, in Mittel- und Südrußland sowie in Sibirien vom Ural bis Dahurien (Engler bei Hehn⁷ 190). De Candolle (Ursprung 184) meint, die Skythen hätten ihn um 1500 v. Chr. aus Asien nach Südrußland gebracht. Im westlichen und mittleren Europa ist H. während der jüngeren Steinzeit, der Bronze- und wohl auch der Eisenzeit unbekannt gewesen. Weder in den Schweizer Pfahlbauten, noch in der Poebene oder sonst in vorgeschichtlichen Schichten ist H. gefunden worden (Buschan Vorgeschichtliche Botanik 115). Die Ägypter kannten den H. nicht, in der Umhüllung der Mumien hat sich keine H.-Faser gefunden. Auch den Phöniziern war er fremd, und in den hebräischen Religionsbüchern wird seiner noch nicht Erwähnung getan. Die Mischna spricht von den textilen Eigenschaften des H. als eines wenig bekannten Gegenstandes. Wohl aber wird H. schon in den ältesten chinesischen Schriften, besonders in dem 500 Jahre v. Chr. geschriebenen ,Hu-king‘ mit seinen beiden zweihäusigen Formen genannt (Bretschneider bei de Candolle 183). Von den griechischen Schriftstellern gedenkt zuerst Herodot (IV 74 und 75) des H. als einer neuen Pflanze. ,Im Lande der Skythen wächst H., [2314] der dem Flachs fast ganz gleichkommt bis auf die Dicke und Höhe, worin H. diesen weit übertrifft. H. wächst von selbst und gesäet (αὐτομάτη καὶ σπειρομένη). Die Thraker weben aus ihm Stoffe, die den linnenen ganz ähnlich sind; wenn sich jemand erst darauf versteht, so kann er nicht unterscheiden, ob der Stoff aus Flachs oder Hanf ist. Wenn er aber noch keinen H. gesehen hat, so wird er den Stoff für linnenen halten.‘ Von Thrakien aus wird der H. einerseits unmittelbar zu den germanisch-slavisch-littauischen Stämmen, andererseits zu den Griechen gekommen sein. (Schrader Reall. 331). In Griechenland scheint er vornehmlich in der Landschaft Elis angepflanzt gewesen zu sein. Pausanias (VI 26) meint, ,ein jeder, der geigneten Boden besitze, könne H. anpflanzen.‘ Immerhin wird er nicht in allen Teilen Griechenlands angebaut gewesen sein; war doch Athen genötigt, seinen Bedarf an hanfenen Schiffstauen aus anderen Ländern zu beziehen (Xenoph. respubl. Ath. 2). Nach Sizilien und Unteritalien verpflanzt kam der H. unter unverändertem Namen nach Mittelitalien und weiterhin nach Gallien. Daß am Rhoneflusse bereits im 3. Jahrh. v. Chr. die H.-Kultur geblüht haben muß, erfahren wir aus Athenaios (V p. 206), der uns berichtet, Hiero II. habe für sein bei Athenaios geschildertes ungeheueres Prachtschiff H. von den Ufern des Rhodanus bezogen. - Von den römischen Schriftstellern erwähnt Lucilius zuerst den H. (Lucilius ed. L. Mueller ex libris incertis 111: vidimus vinctum thomice cannabina). Cato und Vergil nennen den H. nicht. Nach Varro (I 23, 6) wurde H., ebenso wie Flachs, Binsen und Spartgras auf Feldern gezogen, um das Material für Stricke und Taue zu liefern. Der beste H. war der bei Alabanda in Karien wachsende (Alabandica), der vornehmlich zu Netzen verwandt wurde. Man unterschied bei ihm drei Qualitäten der Faser: die schlechteste befand sich nächst der Rinde und dem Marke, am besten war die mittlere, welche Mittelhanf (mesa) hieß, die zweite Sorte wurde mylaseischer H. (Mylasea) genannt. Der roseische H. (Rosea) im Sabinerlande soll Baumeshöhe erreicht haben (Plin. XIX 174).

Die Pflanze und ihr Anbau. Der angebaute H. (κάνναβις ἥμερος, auch καννάβιον und σχοινόστοφον [σχοινίον und στρέφω, also Stricke drehend] genannt) hat übelriechende, der Esche ähnliche Blätter, lange einfache Stengel und eine runde Frucht (Diosc. III 155). H. verlangt fetten, gedüngten, wässerungsfähigen oder natürlich feuchten, lockeren, tiefbearbeiteten Boden (Col. II 10, 21. Geop. II 31), er kann daher nicht überall angebaut werden (Varr. I 23). Die Aussaat soll um Frühlingsanfang sein (Plin. XIX 173), bei feuchter Witterung kann sie bis zur Frühlingsgleiche (Col. II 10. Pall. III 5) hinausgeschoben werden. Auf den Quadratfuß rechnete 60 man 6 Körner (Col. II 10. XI 2). Je dichter gesät wird, um so feiner wird der H. (Plin. XIX 173). Nach der Reife zur Zeit des Herbstäquinoktiums wird der Same abgestreift und an der Sonne, im Wind oder im Rauche getrocknet. Die Pflanze selbst wird nach der Weinlese ausgerissen und in den Abendstunden durch Abschälen gereinigt (lucubrationibus decortita purgatur. Plin. XIX 173). [2315]

Verwendung des H. Der H. wurde zur Verfertigung von Stricken benutzt (Diosc. III 155. Plin. XIX 173). Erwiesen sich die aus spartum hergestellten Stricke in süßem- und Seewasser als besonders dauerhaft, so gab man doch im Trocknen aus H. verfertigten den Vorzug (Plin. XIX 29). In Karien wurden treffliche Jägernetze aus H. angefertigt (Gratii Falisci et Olympii Nemesiani carm. ven. 46f.). H. gehört zu den ältesten Arzneimitteln. Im Berliner Papyrus und dem Papyros Ebers findet er sich unter den ägyptischen Heilmitteln. Das Pharmakon Nepenthes des Homer wollen einige auf das aus dem H. bereitete Berauschungsmittel, Haschisch, beziehen (Berendes zu Diosc. III 155). Nach Herodot (IV 74. 75) haben die Skythen die gerösteten H.-Körner zur Herstellung von Schwitzbädern verwandt. ,Nach der Bestattung eines Verstorbenen reinigen sich die Skythen also: zunächst reiben sie den Kopf ein und waschen ihn ab. Alsdann stellen Sie drei Stangen so auf, daß sie gegeneinander gelehnt sind, über die Stangen ziehen sie wollene Decken, spannen diese recht fest und werfen glühendheiße Steine in eine in diesem Zelte aufgestellte Wanne. Hierauf schlüpfen sie in das Zelt und streuen H.-Samen auf die glühenden Steine, von denen nun ein solcher Dampf ausgeht, daß kein griechisches Schwitzbad besser sein kann‘. H. zu Saft verarbeitet galt in das Ohr eingeträufelt für ein gutes Mittel gegen Ohrenschmerzen.

In der Symbolik der Träume legt Artemidoros (III 59) dem H. eine ähnliche Bedeutung bei wie Spartgras und Lein. Λευκέα τοῖς μὲν φοβουμένοις ἐστὶ φοβερά• στερρότερον γὰρ καὶ φορτικώτερον ἐπάγει τὸν φόβον• καὶ τοῖς δούλοις βασάνους προαγορεύει καὶ ἐλευθερίαν τοῖς πένησι (für ἐλευθερίαν τοῖς πένησι, für das sich verschiedene Lesarten finden, schlägt Hercher in der Anm. vor καὶ δεσμὰ τοῖς ἐλευθέροις) καὶ γὰρ κόπτεται καὶ καταπλέκτεται• τοῖς δὲ ἐν τρυφῇ διάγουσι θλίψεις καὶ στενοχωρίας σημαίνει καὶ τοὺς ἀποδήμος ἐπανάγει, καὶ μάλιστά γε ὅταν διαπόντιοι ὦσι• καὶ γὰρ αὐτὴ διαπόντιος κομίζεται (Art. 191, 16ff.). κάνναβις δὲ ὑπερεπιτείνει τὰ σημαινόμενα ὑπὸ τῆς λευκέας καὶ τοῦ λίνου (Lein ist günstig inbezug auf Eheschließung, Freundschaft und Hoffnungen) καὶ βασάνους ὑπερβαλλούσας τινὰς σημαίνει καὶ δεσμά εὔτονα (Art. 192, 1ff.).

Die zweihäusigen Formen. des H., die männliche und weibliche, sind frühzeitig erkannt worden. GL III: canape. i. agre genera sunt duo masculus et femina quae est efficax 587, 73. 608, 68. Infolge von Verwechselung wurde freilich die kleine, schwächere und weniger zu verwertende mänliche Pfanze, die in der Vorstellung des Volkes als die weibliche erschien, die weibliche femella genannt, die größere weibliche aber männlich masculus. Die beiden Namen haben sich dann im Deutschen als Fimmel und Mäschel, Maschel, Masch in dem früher gebrauchten Sinne erhalten. Auffallend ist, daß in alten Pflanzenglossaren der Kultur-H. öfter die Bezeichnung agre und agrius = wild führt. CGL III agrio canapin 631, 21; agrius. canape 543, 4; agre. i. canape 552, 44. Colm. Gloss. a. . ion (d. i. agrion) hanepf' 17 (v. Fischer-Benzon Altdeutsche Gartenflora 87f.).

[2316] Literatur: Hehn Kulturpllanzen und Haustiere⁷ 188ff., dazu Schraders Bemerkungen⁷ 589. De Candolle Ursprung der Kulturpftanzen 183f. v. Fischer-Benzon Altdeutsche Gartenflora 87f. Buschan Vorgeschichtliche Botanik 115ff. Schrader Reallex. d. indogerm. Altertumsk.331. Hoops Waldbäume und Kulturpflanzen im germ. Altertum 472f.
[Orth.]