Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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slavischer Stamm im Hinterland der Danziger Bucht
Band VII,1 (1910) S. 606607
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Galindai sitzen nach Ptolemaios (III 5, 9) neben den Sudinoi im nordwestlichen Sarmatien, unmittelbar südlich der Venedai (Slaven), deren Name hier auf den Küstenrand der Ostsee, von der Weichselmündung bis etwa zum Rigaischen Meerbusen beschränkt wird. Seit Zeuss, dem sich vor allem auch Müllenhoff anschloß, hat man sich gewöhnt, diese Angabe des Ptolemaios-Atlasses für irrig anzusehen und den genannten Küstenstrich von Anfang an unter die germanischen und litauischen Völker (Aisten) zu verteilen – sehr mit Unrecht, wie unter Venedai nachgewiesen wird. Im Gegenteil gehört der Küstenrand der Ostsee, soweit man historisch zurückgehen kann, zu den Ursitzen des slavischen Stammes, der sich von hier tief ins Binnenland hinein bis zu den Pripetsümpfen und dem Oberlauf des Borysthenes (Dniepr) erstreckte. Der Fehler der Ptolemaioskarte besteht vielmehr darin, daß sie den Veneden nur die Küstenzone und nicht auch das zugehörige Binnenland einräumt. Von der Ostsee sind die Slaven im 1. Jhdt., vor Tacitus (!), durch die von Nordosten und dem Finnischen Meerbusen her vordringenden Prusen und Litauer (von den germanischen Nachbarn Aisten genannt, nach einem gotischen Stamm, in dessen ursprünglichen Sitzen unmittelbar östlich der Weichselmündung die Prusen den Deutschen zuerst bekannt wurden) ganz ins Binnenland geschoben worden. Ptolemaios benützt die auch bei Plinius (s. Venedai) vorliegende ältere Quelle und kennt darum die Einwanderung der Aisten in Ostpreußen noch nicht. Daraus ergibt sich, daß die G. und Sudinoi als ursprünglich slavische Stämme im Hinterland der Danziger Bucht und des Kurischen Haffs, also in Ostpreußen zu suchen sind. Hier haben sich auch die Namen das ganze Mittelalter hindurch als prusische Gaunamen erhalten: die ursprünglich slavischen Stammesnamen waren auf die im 1. Jhdt. eingewanderten, den Litauern nächst verwandten Prusen übergegangen, deren Sprache Ende des 17. Jhdts. ausgestorben ist. Es ist falsch, in jenen aistisch-litauische Stammesnamen zu erkennen, wie Zeuss und alle übrigen getan haben. Ebenso hinfällig ist es, wenn Zeuss (Die Deutschen 271) und Müllenhoff (Deutsche Altertumskunde II 19f.) diese Stämme ursprünglich, d. h. in der Zeit des Pytheas, weiter nordöstlich an dem Memel, bezw. am Pregel ansetzen, ersterer weil er sich durch die sicher unrichtige Auslegung der Pytheasfragmente verleiten ließ, die Ostseeküste bis zum Samland und dem Kurischen Haff den germanischen Guttonen zuzuweisen (in Wahrheit lernte Pytheas die Guiones = Ingyaeones kennen, die an der Nordsee wohnten).

Die G. tauchen zuerst wieder Anfang des 14. Jhdts. auf, damals nennt sie der Chronist Dusburg Galanditae und noch immer wie Ptolemaios in ihrer unmittelbaren östlichen Nachbarschaft die Sudovitae; in den mittelalterlichen Urkunden heißt der Gau Galanda oder Golenz. Gerade die Übereinstimmung der Ptolemaioskarte mit der [607] geographischen Lage und Verteilung der Landschaften im Mittelalter macht es gewiß, daß die Namen schon damals an genau denselben Gegenden hafteten. Galinda nahm einen großen Teil des ostpreußischen Seenplateaus ein, zwischen der heutigen ostpreußischen Grenze gegen Russisch-Polen im Süden und der Goldap, einem der Quellflüsse des Pregel im Norden; sein Zentrum bildete der Spirdingsee, über diesen erstreckte er sich nach Osten bis zum Lyck, einem der Quellflüsse der Narew und nach Westen bis zu den Quellen der Alle oder der Drewenz (vgl. Töppen Hist.-komparat. Geographie von Preußen 27ff.; außerdem Zeuss 674). Nördlich von der Narew, dem Nebenfluß des Bug, verlief die Grenze Galindiens gegen die polnischen Masuren (Masovia). Der unaufhörliche Vernichtungskrieg, den die Brüder vom deutschen Hause gegen die Prusen geführt haben, hat zur Folge gehabt, daß sich die Masuren allmählich nach Galinda verschoben und die ursprünglich slavischen Gaue von neuem slavisiert haben; bis auf den heutigen Tag ist die ostpreußische Seenplatte von ihnen bewohnt. Vgl. im ganzen außer Zeuss Müllenhoff Deutsche Altertumskunde 11–26.