Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Magnus Felix, Bischof v. Pavia u. vielseitiger Schriftsteller 6. Jhdt. n. Chr.
Band V,2 (1905) S. 26292633
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4) Magnus Felix E. (Innodius mehrfach in den Handschriften und CIL VIII 1358. XII 338), Bischof von Pavia und vielseitiger Schriftsteller, wurde im J. 473 oder 474 (303, 5 = opusc. V 398, 23) in Gallien, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in Arelate, wo noch später seine Schwester Euprepia und andere Verwandte von ihm wohnten, geboren (CXCI = Carm. 2. 73. 234, 24 = Epist. 7, 8). Seine Familie war, wie aus den mannigfaltigsten Anzeichen hervorgeht, sehr vornehm.

Frühzeitig verwaist, wurde er durch eine Schwester seines Vaters trefflich erzogen, und zwar vermutlich bereits südlich der Alpen, so daß er später selbst Ligurien als seine Heimat bezeichnen konnte (4, 27 = Carm. I 6). Jedenfalls weilte er bereits dort, als ihm im J. 489/90 seine Tante durch den Tod entrissen wurde und er nun arm und verlassen dastand (303, 5 = Opusc. V 398, 23). Aber E. hatte das Glück, Aufnahme in ein reiches und religiöses Haus zu finden und wurde sogar mit der kleinen Tochter desselben verlobt. Zur Ehe kam es dann freilich, was man früher auf Grund einer verkehrten Lesart der Vulgär-Hss. annahm, nicht (304, 1 = Opusc. V 400, 21, vgl. Vogel Einl. p. VI). Vielmehr trat E. spätestens im J. 494 zum geistlichen Stande über und wurde durch Epiphanius, den Bischof von Pavia, geweiht (105, 37 = Opusc. III 357, 17. XLIII = Carm. I 9. 109, 18 = Opusc. III 383, 4). Was ihn zu diesem Schritt, zu dem ihn vor allem auch sein Freund und Verwandter Faustus überredete (11, 34. 16, 31 = Epist. I 4. 7), veranlaßt hat, ist nicht bestimmt auszumachen; das von ihm angegebene Motiv einer veränderten Sinnesart als Folge einer schweren Krankheit unterliegt den [2630] begründetsten Bedenken (vgl. u.), während die neueingetretene Armut, von der er spricht, auf einen Vermögensverlust der Braut hinzudeuten scheint, der ihn bewogen haben mag, das Verlöbnis zu lösen und in den geistlichen Stand zu treten (303, 27 = Opusc. V 400, 3, vgl. Vogel Einl. p. VI). Nicht gar zu viel später – jedenfalls nach 495 und vor 499 – begab sich E. nach Mailand und trat in den Klerus des Bischofs Laurentius, seines Verwandten, ein, dem er, wie er selbst gesteht, viel zu danken hatte (23, 11 = Ep. I 14). Ist der Terminus ante quem durch die Bürgschaft gesichert, die E. für von Laurentius dem Papst Symmachus geliehenes Geld damals übernommen hat (83, 20. 223, 12. 229, 13 = Ep. III 10. VI 16. 33), so steht der Terminus post quem durch E.s Rede zum 30jährigen Priesterjubiläum des Epiphanius, die er naturgemäß noch in Pavia gehalten haben muß, völlig fest (43 = Carm. I 9); Hasenstabs Einwendungen (Programm d. Luitpoldgymnasiums München 1890), die von anderen Gesichtspunkten ausgehen, wollen gegen die deutliche Zeitangabe in der Überschrift dieser Rede nichts besagen. In die Mailänder Periode fällt die hauptsächlichste schriftstellerische Tätigkeit des E., wie er denn selbst dann und wann einzelne junge Leute in der Kunst der Rhetorik unterrichtet hat und der Mailänder Schule des Deuterius nicht fernstand (296, 28. 297, 9. 320, 27. 272, 4 = Epist. IX 8. 9. 32; Dict. 22). Aber auch in den großen kirchenpolitischen Verhältnissen hat er damals zuerst eine Rolle gespielt. Erst vor kurzem zum Diakon ernannt (5, 1 = Carm. I 6), nahm er an der Synode des J. 501 teil, die berufen war, um über Papst Symmachus zu richten (so jetzt Vogel Neues Archiv f. älter. deutsch. Geschichtsk. XXIII 1898). Daß seine Bedeutung dort nicht gering war, ergibt sich sowohl aus seiner Stellung an der Seite des Laurentius wie daraus, daß ihm nachher die literarische Verteidigung der Freisprechung des Papstes und derer, die ihn freigesprochen hatten, gegen deshalb gegen sie erhobene schriftstellerische Angriffe übertragen wurde (49, 29 = Opusc. II 289, 15). Denn anscheinend geradezu im Auftrag der in Mitleidenschaft gezogenen Bischöfe (57, 31 = Opusc. II 307, 4) ist sein Libellus adversus eos, qui contra synodum scribere praesumpserunt verfaßt, welches Werk demnach in die J. 502 3 fallen würde. Über den weiteren Lebenslauf des E. sind wir nicht in gleicher Weise unterrichtet. Selbst wann er sein Bischofsamt in Pavia angetreten hat, ist zweifelhaft. Zwar führen alle Indicien darauf, daß er noch 513 in Mailand gewesen ist (Vogel Einleit. p. XXIV; doch vgl. zu CCCLXXIX = Carm. II 149 Hasenstab a. a. O., dem nun auch Vogel Neues Archiv a. a. O. beistimmt), aber sicher ist nur, daß er 515 bereits Bischof von Pavia gewesen ist. Damals nämlich ging er als Gesandter des Papstes Hormisdas und zugleich des Theoderich zu Kaiser Anastasius (Horm. Ep. 8 Thiel). Aber diese sowohl wie eine zweite im J. 517 ebendorthin unternommene Mission blieben vergeblich (Epist. und Vita Hormisd.). Das sind die letzten Nachrichten über das Leben des E. Seiner jetzt in San Michele zu Pavia befindlichen metrischen Grabschritt (CIL V 6464 = Buecheler Carm. epigr. nr. 1368) Bücheler [2631] ist die Angabe beigefügt, daß er am 17. Juli 521 beigesetzt worden ist.

Was die Werke des E. betrifft, so sind diese in den Hss. anscheinend bunt durcheinandergewürfelt, und Sirmond in seiner grundlegenden Ausgabe (Paris 1611) hat deshalb völlig von der Überlieferung abgesehen und die Werke nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet. Nachdem die Sirmondsche Citierweise völlig durchgedrungen und der Zustand der Überlieferung fast vergessen war, hat zuerst Usener (Anecdoton Holderi 1877) darauf hingewiesen, daß in den Hss. eine gewisse chronologische Reihenfolge unverkennbar sei. Indem Vogel dann in seiner Ausgabe wiederum der hsl. Überlieferung folgte, haben die folgenden Untersuchungen von Tanzi (La Chronologia degli scritti di E., Trieste 1889) und Hasenstab (a. a. O.) bestätigt, daß das Ganze in der Tat in der Hauptsache chronologisch angeordnet ist. Wie die Einleitung von I = Dict. 1 nur unter der Voraussetzung einen Sinn hat, dass E. damit in die schriftstellerische Laufbahn eingetreten ist, so hat derselbe offenbar seitdem seine schriftstellerischen Erzeugnisse gesammelt (CCCXXXV = VII 21) bezw. von seinem Schreiber sammeln lassen und sie durchkorrigiert (vgl. die erhaltenen Subscriptionen und Vogel Einl. p. XXIX–XXX). Nach seinem Tode sind dieselben dann, soweit sie noch nicht herausgegeben waren – was bei den grösseren Werken sicher bereits der Fall war – ohne weitere Sorge so herausgegeben worden, wie sie in die Sammlung hineingelangt waren. Von diesem Standpunkt aus läßt sich auch die einzige bedeutende chronologische Abweichung – von geringeren Umstellungen, die irgend welcher Zufall veranlaßt haben mag, wird abgesehen – begreifen: die Rede zum 30jährigen Priesterjubiläum des Epiphanius ist in der Tat das älteste Stück der Sammlung (vom J. 495) und steht doch erst nr. XLIII = Carm. I 9. Aber es löst sich diese Schwierigkeit, ohne die Tatsache, wie Hasenstab (a. a. O.) tut, gewaltsam aus dem Wege zu schaffen, gerade durch den von diesem Gelehrten erbrachten Beweis der mannigfaltigen inhaltlichen und wörtlichen Ähnlichkeit mit der Vita B. Epiphanii (LXXX = Opusc. 3), wenn man annimmt, daß E. zur Abfassung der Vita die frühere Rede hervorgeholt und sie bei dieser Gelegenheit der ja erst seit 502 bestehenden Sammlung nachträglich eingereiht hat (ähnlich jetzt Vogel Neues Archiv a. a. O.).

Die Schriftstellerei des E. trägt, so mannigfaltig sie auch nach ihren Stoffen ist, überall die gleichen charakteristischen Züge. Wie er selbst durchaus in der alten klassischen und heidnischen Bildung erzogen war, wenn er selbst und seine Familie auch zweifellos von Anfang an den christlichen Glauben bekannten, so verraten auch seine Schriften eine ausgebreitete Kenntnis der antiken Literatur. Und während die gelegentlichen Ausfälle gegen die klassische Bildung nicht mehr sind als eine Anstandspflicht des hohen Klerikers, ist er als Schriftsteller jederzeit der Schüler der alten rhetorischen Tradition gewesen. Nur geht ihm leider das feine Stilgefühl der früheren Zeit völlig ab, und in dem Bestreben, nach so langer Zeit noch etwas Neues zu sagen, ist er in einen Schwulst der Worte und eine Spitzfindigkeit der [2632] Gedanken geraten, die gerade seine am sorgsamsten ausgearbeiteten Werke zu einer Qual für den Leser machen.

Bei der Aufzählung der einzelnen Werke des E. mag der Bequemlichkeit halber das Sirmondsche Schema zu Grunde gelegt werden. I. Epistulae, 297 Stücke, von Sirmond in neun Bücher eingeteilt, sämtlich aus der Mailänder Zeit stammend und nicht über das J. 513 hinausreichend. Die Mehrzahl der Briefe war von vornherein zu mehr oder minder weitreichender Publikation bestimmt, so daß der Inhalt hinter der Phrase zurücktritt. Nicht am wenigsten sind sie durch die hochgestellten Adressaten (Hormisdas, Symmachus, Boëthius, Liberius, Faustus) von Interesse. II. Opuscula 1. Panegyricus Theoderico regi dictus, eines seiner Hauptwerke, wie schon der Schwulst, der hier geradezu jede Grenze überschreitet, zeigt. Er ist vermutlich dem Kaiser nicht schriftlich überreicht, sondern bei einer Triumphfeier in Mailand oder Ravenna gelegentlich der Einverleibung von Alemannen in den gotischen Staat von E. persönlich dem Kaiser vorgetragen worden. Nach der Sitte der Zeit tritt unter den Vertretern der verschiedenen Stände, die den Kaiser nacheinander begrüßen, E. als der Abgeordnete der Geistlichkeit auf (211, 39. 212, 20 = Opusc. I 280, 18. 282, 5). Die Abfassungszeit fällt zwischen den sirmischen Krieg von 504 und die kriegerischen Bewegungen von 507 (mit Kommentar bei Manso Gesch. d. ostgoth. Reiches 1829. C. Chipolla Archiv. storic. ital. XI 1883, 353 und Intorno al Panegyr. di E. per Theod., Padova 1888). 2. Libellus apologeticus pro synodo vgl. o. 3. LXXX Vita Epiphanii Episcopi Ticinensis, die Biographie seines 496 verstorbenen Lehrers, nach Vogel abgefaßt zwischen 501 und 504. Da der Heilige wirklich eine geschichtlich bedeutsame Rolle gespielt hat und gerade seine politische Tätigkeit ausführlich dargestellt wird, so ist dies Werk das inhaltsreichste und vielleicht gerade deshalb auch sprachlich am schlichtesten gehaltene, kurz das beste des E. 4. CCXL Vita Antonii monachi Lerinensis: diese Lebensbeschreibung eines Schülers des Eugippius ist verfaßt auf Wunsch des Abtes Leontius und hält sich im Rahmen der üblichen Heiligenleben. 5. CDXXXVIII Eucharisticum de vita sua, wie es Sirmond nannte, oder richtiger Confessiones, welche Bezeichnung E. selbst gebraucht (302, 32 = 398, 5l. Es ist in Form eines Gebetes ein kurzer Lebensbericht, verfaßt als Einlösung eines Gelöbnisses an den Heiligen Victor, der ihn, der bereits Geistlicher war, aus schwerer Krankheit gerettet und zugleich erst wahrhaft innerlich umgewandelt habe: zugleich sei seine ehemalige Braut durch den Heiligen bewogen worden, den Schleier zu nehmen. Das Ganze erweckt den Eindruck und will ihn erwecken, als handle es sich um die Jugendgeschichte des Schriftstellers. Leider hat Vogels eingehende Kritik ein dem E. keineswegs günstiges Resultat ergeben (Einl. p. XXf.). Es ist aus den Briefen des E. z. B. CDI. CDII = Ep. VIII 24. 25) völlig sicher zu erweisen, daß die kritische Krankheit in den Sommer 511 gefallen ist. Da nun anderseits das Verlöbnis, wie oben gezeigt, in die Zeit gleich nach 490 gehört, so [2633] ergibt sich, daß E. hier aus schriftstellerischen Rücksichten, die gewiß zum Teil in dem Bestreben wurzeln, seinem Lebenslauf einen dramatischen und gleichsam durch Gott ganz persönlich beeinflußten Verlauf zu geben, die Tatsachen auf das ärgste verschoben hat. 6. CDLII An Ambrosius und Beatus, Paraenesis Didascalica von Sirmond genannt; ein didaktischer Wegweiser an zwei junge Freunde, der, aus Poesie und Prosa gemischt, mit der Ermahnung zur Gottesfurcht beginnt und mit dem Preise der Rhetorik als der höchsten aller Künste endet. Abgefaßt bald nach der Krankheit vor 511 (Vogel Einl. p. XXIII). 7. CXXIII Praeceptum, quando iussi sunt omnes episcopi cellulanos habere, abgefaßt zur gleichen Zeit wie nr. 2. Nr. 8–10 unbedeutender. III. 28 Dictiones, darunter 15 Suasorien und Controversien, völlig in der alten Weise abgefaßt. Es sind Schulreden, Gelegenheitsreden für andere (z. B. CCCXXXVI = nr. 5 Dictio incipientis episcopi), und für sich selbst; darunter I = nr. 1 In natale Laurentii Mediolanensis episcopi. IV. Carmina, 2 Bücher. Buch 1, aus 9 Stücken bestehend, zu denen 12 geistliche Hymnen treten, enthält größere Stücke, mehrfach mit prosaischer Einleitung; zum Teil Reisebeschreibungen, zum Teil panegyrischen Inhalts (z. B. XLIII = 9 zum dreißigjährigen Priesterjubiläum des Epiphanius), zum Teil Empfehlungen in Versen und auch ein Epithalamium (CCCLXXXVIII = 4). Mehrere Gedichte sind nach der Sitte der Zeit in mannigfach wechselnden Rhythmen abgefaßt. Buch 2 enthält 151 Epigramme von einem zum Teil keineswegs für einen Priester schicklichen Inhalt, die sich neben Gedichten zu Einweihung von Kirchen u. s. w. wunderlich genug ausnehmen. Übrigens zeigt die ganze Dichtung des E. keinen Funken poetischer Begabung, und es fehlt nicht einmal, wessen sich E. selbst wohl bewußt war (Carm. II 67, 8 = CLXXXVIII), an metrischen Anstößen, (Vogel Archiv f. lat. Lexik. I 267).

Ausgaben von Hartel 1882 (Corp. Script. Ecclesiast. VI) und Vogel 1885 (Mon. Germ. Histor. Auct. Antiq. VII); infolge der verschiedenen Anordnung beider Ausgaben ist in obigem Artikel stets nach beiden citiert. Fertig E. und seine Zeit (3 Teile Passau 1855 u. 1858, Landshut 1860). Magani E., Pavia 1886, in erster Linie dem Kirchenheiligen gewidmet. Ebert Literatur d. Mittelalters I 432–440.